Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 08.12.2004, Az.: 2 A 354/03

Aufteilung; Kopfteil; Kopfteilungsprinzip; Kostenerstattung; Umzug

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
08.12.2004
Aktenzeichen
2 A 354/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50800
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten, die sie in der Zeit von Juli bis August 2000 für einmalige Sozialhilfeleistungen aufgewandt hat.

2

Die 1976 geborene C. D. (nachfolgend: Hilfeempfängerin) verzog am 31. Mai 2000 ohne jeglichen Hausrat aus der Stadt B., die in Sozialhilfeangelegenheiten namens und im Auftrag des Beklagten handelt, in die Stadt A., von der sie ab dem Tage des Zuzugs Hilfe zum Lebensunterhalt erhielt. Zunächst wohnte die Hilfeempfängerin ohne ihre beiden 1995 bzw. 1998 geborenen Kinder E. und F. in einem Frauenhaus. Die Kinder hielten sich währenddessen bei dem Bruder der Hilfeempfängerin außerhalb der Zuständigkeitsbereiche der Klägerin und des Beklagten auf. Zum 1. August 2000 mietete die Hilfeempfängerin nach vorheriger Rücksprache mit dem Sozialamt der Klägerin eine Wohnung an. Die 80 m2 große Wohnung bestand aus drei Zimmern, Küche, Diele und Bad. Der Mietpreis ohne Betriebskosten betrug 713,20 DM. Wie sich aus einer Verhandlungsniederschrift vom 17. Juli 2000 ergibt, gingen die Klägerin und die Hilfeempfängerin davon aus, dass die Kinder E. und F. alsbald ebenfalls in die Wohnung einziehen würden. Deren Einzug erfolgte am 7. August 2000.

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Mit Bescheiden vom 19. Juli 2000 bewilligte die Klägerin der Hilfeempfängerin eine Renovierungsbeihilfe in Höhe von 600,00 DM sowie eine einmalige Beihilfe für diverse Einrichtungsgegenstände in Höhe von 5.095,50 DM.

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Mit Schreiben vom 26. Juli 2000 forderte die Klägerin die Stadt B. auf, ihre Verpflichtung zur Erstattung der erforderlich werdenden Hilfen schriftlich anzuerkennen. Daraufhin erkannte die Stadt B. ihre Erstattungspflicht nach § 107 BSHG mit Schreiben vom 22. August 2000 dem Grunde nach an. Das Verfahren zog sich dann wegen der Frage, ob der Stadt B. Einsicht in die Leistungsvorgänge gegeben werden könne, zunächst hin. Die Klägerin sandte mehrere Zahlungsaufforderungen mit je unterschiedlichen Beträgen an die Stadt B.. Mit der letzten Aufforderung vom 8. April 2003 verlangte sie die Erstattung von in der Zeit vom 31. Mai 2000 bis 28. Februar 2001 aus ihrer Sicht allein für die Hilfeempfängerin aufgewendeten Kosten in Höhe von 5.122,37 Euro. Dieser Betrag enthielt die Renovierungsbeihilfe in voller Höhe von 600,00 DM sowie anteilig 3.643,00 DM aus der gewährten Einrichtungsbeihilfe. Die Differenz in Höhe von 1.452,50 DM zu der insgesamt bewilligten Beihilfe in Höhe von 5.095,50 DM ergibt sich aus Aufwendungen, die sich den Kindern der Hilfeempfängerin direkt zuordnen ließen (z.B. Kinderzimmerausstattung) und die die Klägerin nicht - mehr - geltend machte. Gegen diesen Anspruch wandte die Stadt B. ein, er sei um 1.163,36 Euro zu kürzen, da der nicht unmittelbar der Hilfeempfängerin oder ihren Kindern zuzuordnende Aufwand nach Köpfen der Lebensgemeinschaft aufzuteilen sei und nicht allein auf die Hilfeempfängerin entfalle, für die allein sie erstattungspflichtig sei. Den verbleibenden - mittlerweile unstreitigen - Anspruch erfüllte die Stadt B. zunächst nicht.

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Am 14. August 2003 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Zur Begründung trägt sie vor, es gebe keine Rechtfertigung dafür, den Renovierungs- und Einrichtungsbedarf auf die Hilfeempfängerin und ihre beiden Kinder aufzuteilen, denn zum Zeitpunkt der Hilfegewährung sei die Hilfeempfängerin allein in ihrem Zuständigkeitsbereich gewesen. Nach den für sie geltenden Richtlinien sei allein zu prüfen, wem die Hilfe geleistet worden sei. Dies sei hier die Hilfeempfängerin.

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Zunächst erhob die Klägerin die Klage wegen einer Hauptforderung in Höhe von 5.038,00 Euro (Anmerkung des Gerichts: Die Differenz zu den zuletzt angemeldeten 5.122,37 Euro ergibt sich aus einer Kürzung der gewährten laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt um geringe Krankenversicherungsbeträge). Nachdem der Beklagte im laufenden gerichtlichen Verfahren 3.959,01 Euro an die Klägerin erstattet hatte und beide Beteiligten das Verfahren insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, beantragt die Klägerin nunmehr noch,

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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Sozialhilfeaufwendungen für C. D. in Höhe von 1.163,36 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz nach § 107 BSHG zu zahlen.

9

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

11

Er ist der Ansicht, die Aufwendungen für die Wohnungsrenovierung und die Einrichtungsgegenstände, die nicht konkret der Hilfeempfängerin oder ihren Kindern zugeordnet werden können, entfielen nur zu einem Drittel auf die Hilfeempfängerin. Es habe schon vor Bezug der Wohnung mit Beginn des Augustes 2000 festgestanden, dass die Kinder der Hilfeempfängerin in die, ansonsten auch viel zu große und zu teure, Wohnung mit einziehen würden. Zu Unrecht würde sich die Klägerin auf für sie verbindliche Richtlinien berufen, denn diese stünden mit der Rechtslage nicht in Einklang. Schließlich habe die Klägerin nicht den geltend gemachten Zinsanspruch.

12

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Klägerin und der Stadt B. verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

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Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Die Klägerin hat den geltend gemachten Anspruch, der sich allein aus § 107 Abs. 1 BSHG ergeben kann, nicht.

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Nach § 107 Abs. 1 BSHG hat bei Umzug einer Person der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne von § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Für die Hilfeempfängerin ist hinsichtlich der bewilligten einmaligen Beihilfe für Renovierung und bestimmte Einrichtungsgegenstände Hilfe in diesem Sinne nur in Höhe eines auf sie entfallenden Kopfteils von 1/3 der Aufwendungen erforderlich geworden.

17

Auszugehen ist von dem in § 11 Abs. 1 BSHG verankerten Grundsatz, dass jeder Hilfebedürftige einen eigenständigen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hat (BVerwG, seit Urteil vom 15.12.1977 -V C 35.77-, BVerwGE 55, 148 (150)). Bei einer rein formalen Betrachtung, wie sie die Klägerin vornimmt, hatte im Zeitpunkt der Antragstellung am 17. Juli 2000 und auch im Zeitpunkt der Bewilligung der streitbefangenen Leistungen am 19. Juli 2000 allein die Hilfeempfängerin einen entsprechenden sozialhilferechtlichen Bedarf, denn die Kinder E. und F. lebten noch nicht in A., sondern bei dem Bruder der Hilfeempfängerin in Niedersachsen. Eine derart formale Betrachtung ist hier indes zu verwerfen.

18

Denn die Klägerin ging bei der Bewilligung der einmaligen Leistungen erkennbar davon aus, dass die Kinder der Hilfeempfängerin nach Vornahme der Renovierung mit in deren Wohnung einziehen würden, wie dies am 7. August 2000 auch geschah. Die Klägerin wollte damit den künftig entstehenden Unterkunftsbedarf der Kinder der Hilfeempfängerin sowie deren mit dieser Wohnung sonst in Verbindung stehenden Bedarf bereits im Juli 2000 mit decken. Nur unter dieser Prämisse war die Gewährung der einmaligen Leistungen auch sozialhilferechtlich notwendig. Ansonsten wäre die angemietete Wohnung - was zwischen den Beteiligten unumstritten ist - zu groß und zu teuer und damit auch die mit der Wohnung in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang stehenden Renovierungsaufwendungen sozialhilferechtlich unangemessen gewesen. Auch die Gewährung einmaliger Leistungen für die Einrichtung eines Kinderzimmers ist nur unter diesem Gesichtspunkt verständlich und rechtmäßig. Hieraus folgt, dass die Klägerin mit der Bewilligung der streitbefangenen einmaligen Leistungen faktisch den Bedarf der künftigen Haushaltsgemeinschaft, bestehend aus der Hilfeempfängerin und deren zwei Kindern, decken wollte und gedeckt hat. Dies erscheint auch praxis- und sachgerecht. Denn bei dem von allen Beteiligten erwarteten und in Anbetracht sowohl des geringen Lebensalters der Kinder der Hilfeempfängerin als auch der Umstände der Trennung der Familie geradezu zwingenden Geschehensablauf war bei objektiver Betrachtung davon auszugehen, dass die Kinder alsbald zu ihrer Mutter, der Hilfeempfängerin, nachziehen würden. Es erschiene lebensfremd, die Hilfeempfängerin als Einzelperson zunächst auf eine kleinere, für sie alleine bedarfsgerechte Wohnung zu verweisen, um dann nach kurzer Zeit und Zuzug der Kinder erneut einen Umzug für sozialhilferechtlich notwendig halten zu müssen.

19

Da der Erstattungsanspruch der Klägerin aus § 107 Abs. 1 BSHG nur für solche Sozialhilfeaufwendungen besteht, die an die Hilfeempfängerin ausgekehrt worden sind, ist die Höhe dieser Aufwendungen zu ermitteln. Dabei erscheint der Kammer die auch vom Beklagten vorgenommene Aufteilung nach Köpfen der Hausgemeinschaft als sachgerecht (so auch, OVG Weimar, Urteil vom 12.09.2000 -2 KO 38/96-, zitiert nach juris).

20

Eine derart pauschalierende Aufteilung des Renovierungs- und Einrichtungsbedarfs entspricht den Bedürfnissen der Praxis und deckt sich mit der Behandlung von Unterkunftskosten bei Haushaltsgemeinschaften, die aus sozialhilfebedürftigen und nicht sozialhilfebedürftigen Mitgliedern bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21.01.1988 -5 C 68.85-, BVerwGE 79, 1) sind die Aufwendungen für die Unterkunft einer solchen Haushaltsgemeinschaft im Regelfall nach Köpfen aufzuteilen, um so die sozialhilferechtlich anzuerkennenden Aufwendungen des allein hilfsbedürftigen Mitglieds der Gemeinschaft zu ermitteln. Das Bundesverwaltungsgericht argumentiert, dass das Bewohnen einer Wohnung durch eine Familie, die aus Erwachsenen, insbesondere den Eltern, und Kindern bestehe, eine typische einheitliche Lebenssituation sei, die (für den Regelfall) eine an der Intensität der Nutzung der Wohnung durch die einzelnen Familienmitglieder im Einzelfall ausgerichtete Betrachtung und in deren Gefolge eine unterschiedliche Aufteilung der Aufwendungen für diese Wohnung nicht zulasse. Dies bedürfe nur dann der Korrektur, wenn und soweit der Hilfefall durch sozialhilferechtlich bedeutsame Umstände gekennzeichnet sei, die ohne weiteres objektivierbar seien. Hierzu zählten ein besonders zu berücksichtigender Bedarf des Hilfesuchenden an Unterkunft oder besondere Umstände in der Person eines der nicht hilfebedürftigen Mitglieder der Haushaltsgemeinschaft, wie dessen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit. Dieselbe typische einheitliche Lebenssituation ist hier für die genannten einmaligen Beihilfen, von denen die Hilfeempfängerin und deren Kinder gemeinsam profitieren, ebenfalls gegeben.

21

Die Kammer verkennt nicht, dass das Nds. Oberverwaltungsgericht eine Abweichung vom Kopfteilungsprinzip dann für angezeigt hält, wenn im Einzelfall ein Mitbewohner nicht in der Lage sei oder es von ihm nicht erwartet werden könne, einen nach der Kopfzahl errechneten Teil der Miete aufzubringen; denn dann könne sich der Hilfesuchende, der die Miete aufgrund des Mietvertrages schulde, insoweit nicht selbst helfen (Beschluss vom 16.02.1999 -12 M 513/99-; Urteil vom 09.11.1988 -4 OVG A 164/88-, jeweils zitiert nach der Entscheidungssammlung des Nds. OVG; Beschluss vom 27.08.1987 -4 B 192/87-, FEVS 39, 20). Hieraus kann für den vorliegenden Fall jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass es der Hilfeempfängerin wegen der Einkommens- und Vermögenslosigkeit ihrer Kinder nicht möglich war, von diesen Geldmittel zur Befriedigung des einmaligen Renovierungs- und Einrichtungsbedarfs zu erhalten, so dass der gesamte Bedarf ihr als derjenigen zuzurechnen wäre, die die entsprechenden Aufwendungen (Kauf der erforderlichen Gegenstände) geschuldet hat. Denn Ausgangspunkt der Überlegungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in den genannten Entscheidungen war stets die Frage, wie der Unterkunftsbedarf zu ermitteln ist, wenn nicht oder nur teilweise sozialhilfebedürftige Mitglieder in der Haushaltsgemeinschaft vorhanden sind. Darum geht es hier indes nicht, da die Hilfeempfängerin und deren Kinder gleichermaßen hilfebedürftig waren.

22

Die Berechnung des auf die Hilfeempfängerin entfallenden Hilfebetrages durch den Beklagten ist rechnerisch richtig und wird auch von der Klägerin nicht beanstandet. Die Kürzung bezieht sich nur auf Aufwendungen, die nicht der Hilfeempfängerin oder ihren Kindern konkret zurechenbar sind.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, entspricht es der Billigkeit, dem Beklagten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, weil er dem klägerischen Begehren entsprochen und damit die Ursache für das erledigende Ereignis gesetzt hat. Aus dem Umstand, dass die Erledigungserklärung des Beklagten am 6. November 2003 bei Gericht eingegangen ist, folgt die zeitlich unterschiedliche Aufteilung der Kostentragungspflicht.

24

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.

25

Die Berufung wird gemäß §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.

26

Der Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 2 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG. Auch insoweit ist eine unterschiedliche Behandlung bis zum und ab dem Eingang der Erledigungserklärung des Beklagten bei Gericht angezeigt.