Landgericht Aurich
Urt. v. 06.12.2012, Az.: 2 O 271/12

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
06.12.2012
Aktenzeichen
2 O 271/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44361
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG - 16.06.2013 - AZ: 14 U 4/13

Tenor:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.03.2011 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten gestützt auf eine Vereinbarung vom 01.08.2006 auf Zahlung eines Teilbetrages von 10.000,00 EUR in Anspruch.

Mit Vertrag vom 24.01.2005 hatte sich der Beklagte gegenüber der Klägerin für Verbindlichkeiten der H. M. GmbH bis zu einem Höchstbetrag von 2.556.500,00 EUR selbstschuldnerisch verbürgt. Über das Vermögen der Hauptschuldnerin wurde im März 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Klägerin stellte eine Bürgschaftsforderung von 2.196.711,05 EUR gegen den Beklagten fällig.

Am 01.08.2006 schlossen die Parteien eine „Rückzahlungsvereinbarung mit Besserungsschein“, die in Kopie als Anlage K1 (Bl. 4 f. d.A.) vorliegt. In ihr erkannte der Beklagte die Bürgschaftsforderung in der oben erwähnten Höhe nebst Zinsen an und verpflichtete sich zunächst zu einer Zahlung von 10.000,00 EUR bis zum 30.08.2006. Diese Zahlung wurde erbracht. Zu Ziffer 5 der Vereinbarung verpflichtete sich der Beklagte zur regelmäßigen Vorlage seiner Einkommensteuererklärung sowie des Einkommensteuerbescheids. Ziffer 5.1 - die hier nicht in Rede steht - sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Zahlung aus dem Einkommen des Beklagten vor, wenn das zu versteuernde Einkommen über 60.000,00 EUR jährlich bewegt.

Ziffer 5.2 bestimmt für unentgeltlich zugeflossene Vermögenswerte:

„Sollten dem Bürgen Vermögenswerte unentgeltlich (z.B. durch Lottogewinn, Schenkung, Erbschaft - ausgenommen sind Vermögenszuwächse durch den Tod des Ehegatten) in Höhe von mehr als € 3.000,00 zufließen, zahlt der Bürge 50% des erhaltenen Betrages bis zum Ende des Jahres, in welchem die Bank/Land Niedersachsen hiervon Kenntnis erlangt hat. Andernfalls leben auch in diesem Fall die bis dahin verbleibenden Restforderungen gemäß Nr. 1 wieder auf.“

Aus der Selbstauskunft des Beklagten vom 28.08.2009 ergaben sich bei Festgeldguthaben, Schiffsbeteiligungen und Aktien gegenüber dem Vorjahr Zuwächse in Höhe von insgesamt 115.800,00 EUR.

Die Klägerin ist der Ansicht, hierbei handele es sich um unentgeltliche Vermögenszuwächse im Sinne der Ziffer 5.2 der Vereinbarung vom 01.08.2006, von denen sie nach Abzug des Sockelbetrages von 3.000,00 EUR einen hälftigen Anteil von 56.400,00 EUR verlangen könne. Sie forderte den Beklagten unter dem 03.03.2011 (Anlage K3, Bl. 13 f. d.A.) zur Zahlung in dieser Höhe auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.03.2011 (Bl. 23 f. d.A.) ließ der Beklagte eine Zahlungsverpflichtung bereits dem Grunde nach zurückweisen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 10.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.03.2011 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er behauptet, die Vermögenszuwächse gemäß Selbstauskunft vom 28.08.2009 stammten aus der Regelung des Zugewinnausgleichs. Im Rahmen der Scheidungsauseinandersetzung mit seiner damaligen Ehefrau, mit der er im gesetzlichen Güterstand gelebt hatte, sei der bei ihr während der Ehezeit höhere Zugewinn bis Mitte 2009 einvernehmlich aufgeteilt worden. Vor Steuern seien ihm hieraus 140.710,81 EUR zugeflossen. Von dem Rest des ihm nach Zahlung von Steuern verbliebenen Betrags habe er die in der Selbstauskunft vom 28.08.2009 erstmals angegebenen Vermögenswerte erworben.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, Vermögenszuwächse aufgrund Zugewinnausgleichs unterfielen nicht der Ratio der Ziffer 5.2 der Rückzahlungsvereinbarung mit Besserungsschein. Bei dieser Regelung hätten die Parteien lediglich außergewöhnliche Geldzuflüsse von außerhalb der Kernfamilie in Blick gehabt. Er behauptet, bereits in den der Vereinbarung vorangehenden Verhandlungen hätten die Parteien bzw. sein Bruder, der Zeuge J. Sch., der mit der Klägerin zeitgleich eine gleichlautende Vereinbarung abschloss, diesen Aspekt besprochen und die Klägerin habe stets akzeptiert, dass Vermögenswerte der Ehefrauen der beiden Bürgen unangetastet bleiben sollten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 08.11.2012 (Bl. 67-73 d.A.) Bezug genommen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin stehen aus der Vereinbarung vom 01.08.2006 Zahlungsansprüche jedenfalls in Höhe eines Teilbetrags von 10.000,00 EUR zu. Wegen der Abgrenzbarkeit des mit der Klage geltend gemachten Teilbetrags bestehen unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit des Klageantrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) keine Bedenken dagegen, dass hier im Wege der offenen Teilklage lediglich ein Betrag von 10.000,00 EUR geltend gemacht wird.

Zugunsten des Beklagten kann zugrunde gelegt werden, dass die Vermögenszuflüsse, die sich aus der Selbstauskunft vom 28.08.2009 gegenüber derjenigen des Vorjahres ergeben, auf die Erfüllung von Zugewinnausgleichsansprüchen zurückgehen, die der Beklagte gegenüber seiner früheren Ehefrau hatte und auf die er zwischen Ende 2008 und Mitte 2009 Zahlungen von insgesamt 140.710,81 EUR erhalten haben will. Denn auch solche Zahlungen stellen unentgeltliche Vermögenszuflüsse im Sinne der Ziffer 5.2 der Vereinbarung vom 01.08.2006 dar und sie sind in Gestalt der Festgelder, erhöhten Schiffsbeteiligungen und Aktien in Vermögen des Beklagten geblieben. Sie unterfallen daher - nach Maßgabe des Freibetrags von 3.000,00 EUR und der 50%-Regelung - der Zahlungspflicht aus Ziffer 5.2 der Vereinbarung.

Entgegen der Behauptung des Beklagten, in den persönlich mit dem Zeugen L. geführten Verhandlungen der beiden Bürgen mit der Klägerin sei besprochen worden, dass eine Zahlungspflicht nach Ziffer 5.2 nur bei außergewöhnlichen Vermögenszuflüssen von außerhalb der Kernfamilie entstehe und Vermögenswerte der Ehefrauen des Beklagten und des Zeugen J. Sch. unangetastet bleiben sollen, ist die Frage der Reichweite unentgeltlicher Vermögenszuflüsse nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht explizit erörtert worden. Die Vertragsparteien haben auf Anregung der Bürgenseite lediglich Beispiele für unentgeltliche Vermögenszuflüsse aufgenommen. Auch die übrige Genese der endgültigen Vertragsfassung - ausgehend von dem ersten Entwurf, wie er von dem Beklagten im Termin in Kopie zur Akte gereicht wurde (Bl. 74 f. d.A.), über die Aufnahme der Beispiele „Lottogewinn, Schenkung, Erbschaft“ und die Ausnahme von Vermögenszuwächsen, die durch den Tod des Ehegatten entstehen - lässt die von dem Beklagten vertretenen Schlüsse nicht zu. An den Fall einer Scheidung etwa des Beklagten von seiner damaligen Ehefrau haben die Beteiligten erklärtermaßen nicht gedacht und haben sie deshalb auch nicht zum Gegenstand der Erörterungen vor dem 01.08.2006 gemacht.

Der Beklagte mag zwar, wie sein Bruder, der Zeuge J. Sch., bei Unterzeichnung der Rückzahlungsvereinbarung mit Besserungsschein am 01.08.2006 für sich davon ausgegangen sein, das Vermögen der jeweiligen Ehefrau sei für die Klägerin unantastbar. In dieser Einschätzung war und ist er jedoch nicht schutzwürdig, denn sie ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Vereinbarung, der lediglich von „unentgeltlichen Vermögenszuflüssen“ spricht, noch im Rückschluss aus den exemplarisch genannten Tatbeständen („Lottogewinn, Schenkung, Erbschaft“) oder aus der Rückausnahme von „Vermögenszuwächsen durch den Tod des Ehegatten“. Insbesondere spricht die Vereinbarung nicht davon, der Ausgleichspflicht unterfielen lediglich außergewöhnliche Vermögenszuwächse von außerhalb der Kernfamilie, wie sie der Beklagte verstehen möchte. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist diese Frage auch nicht in einer Weise Gegenstand der vorangegangenen Vertragsverhandlungen gewesen, die eine entsprechende Auslegung des Vertrags rechtfertigen könnte.

Eine Beschränkung der Zahlungspflicht von vornherein auf Geldzuflüsse von außerhalb der Kernfamilie vertrüge sich auch nicht mit der ausdrücklichen Ausnahme von Vermögenszuwächsen durch den Tod des Ehegatten, denn dieser Ausnahme bedürfte es überhaupt nicht (sie liefe vielmehr inhaltlich leer), wenn schon der Eingangstatbestand eines unentgeltlichen Vermögenszuflusses bei Vermögenszuflüssen aus der Sphäre der Ehepartnerin nicht erfüllt wäre. Im Ergebnis unterstreicht die auf den Tod des Ehegatten beschränkte Ausnahme damit sogar den Befund, dass es im Falle der Beendigung der ehelichen Gemeinschaft auf andere Weise, nämlich durch Scheidung, die beispielsweise mit einem Zugewinnausgleichsanspruch im Sinne des § 1378 BGB einhergeht, bei der Zahlungspflicht bleiben soll. Auch inhaltlich lässt sich die Differenzierung zwischen „Tod des Ehegatten“ mit der möglichen Folge einer Erbschaft einerseits und einer Ehescheidung mit der Folge von Zugewinnausgleichsansprüchen andererseits plausibel rechtfertigen. Während der eine Beendigungstatbestand regelmäßig unfreiwillig eintritt, was es rechtfertigt, eine von dem Zeugen L. so bezeichnete „doppelte soziale Härte“ aus Verlust des Ehepartners und Schmälerung des Erbes durch eine Zahlungspflicht an die Klägerin nach Ziffer 5.2 zu vermeiden, insbesondere wenn der wesentliche Gegenstand des Vermögenszuflusses aus der Wohnimmobilie der Familie besteht, indem Vermögenszuwächse durch den Tod des Ehegatten ausdrücklich ausgenommen werden, kann eine Scheidung durchaus im Einvernehmen beider Eheleute stattfinden. Resultieren aus der Scheidung dann Zugewinnausgleichsansprüche, besteht keine innere Rechtfertigung, die Klägerin nicht anteilig an Vermögenszuwächsen infolge von Ausgleichsansprüchen teilhaben zu lassen, zumal es in diesem Fall regelmäßig nur um eine auf Geld gerichtete persönliche Ausgleichsforderung ohne vergleichbar existenzielle Bedeutung für den Bürgen geht.

Unter unentgeltlichen Vermögenszuflüssen sind daher ausgehend vom allgemeinen Begriffsverständnis der Unentgeltlichkeit all jene Vermögenswerte zu verstehen, die dem Beklagten zugeflossen sind, ohne dass er hierfür eine Gegenleistung zu erbringen hatte. Ob - wie die Klägerin weitergehend meint - nur ein solcher Vermögenswert unentgeltlich zufließt, für den der Beklagte zum Zeitpunkt des Zuflusses keine Gegenleistung zu erbringen hat, während Gegenleistungen, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt erbracht wurden, der Unentgeltlichkeit im Sinne der Vereinbarung nicht entgegen stehen, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn auch der Zugewinnausgleichsanspruch dient nicht etwa dazu, frühere Gegenleistungen des Berechtigten nach § 1378 BGB zu vergüten, sondern er beruht auf dem Gedanken, dass der wirtschaftliche Erfolg, der während bestehender Ehe von einem Ehegatten in seiner Person erzielt wurde und sich wirtschaftliche allein in dessen Vermögenszuwachs niedergeschlagen hat, zumindest mittelbar durch die Unterstützung des anderen Ehegatten zustande gekommen ist. Das hat allerdings nichts mit einer Gegenleistung zu tun, sondern der Zugewinnausgleichsanspruch dient allein dazu, im Falle der Ehescheidung durch einen bezifferten Ausgleichsanspruch nach § 1378 BGB, im Falle des Todes eines der Ehegatten durch einen pauschalierten Zugewinnausgleich nach §§ 1931; 1371 BGB, den wirtschaftlichen Erfolg aus dem gemeinsamen Leben und Arbeiten beiden Ehegatten gleichermaßen zukommen zu lassen, und zwar unabhängig davon, ob die Ehepartner ihn durch eine jeweils eigene erwerbswirtschaftliche Tätigkeit erwirtschaftet haben oder ob sie dem jeweils anderen durch eigenen Einkommensverzicht die Möglichkeit verschafft haben, in seiner Person einen (höheren) wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Dieser tragende Gedanke des Zugewinnausgleichs rechtfertigt es jedoch nicht, in einem etwa ehebedingten eigenen Einkommensverzicht eine Gegenleistung zu sehen, die dem Zugewinnausgleichsanspruch bei Scheitern der Ehe den Charakter eines unentgeltlichen Vermögenszuflusses zu nehmen vermag.

Mit dem von den Parteien auf Betreiben des Beklagten und seines Bruders Johannes aufgenommenen Ausnahmetatbestand von Vermögenszuwächsen durch den Tod des Ehegatten ist ein Zugewinnausgleichsanspruch nach § 1378 BGB nicht vergleichbar. So gibt es im Falle der Scheidung - anders als im Todesfall - schon keinen „verbleibenden“ Ehegatten. Bei einer Scheidung soll die gemeinschaftliche Lebensführung in Rahmen der Ehe aufgehoben werden und durch den Zugewinnausgleich soll das erworbene Vermögen, also der Vermögenszuwachs während der Ehezeit, möglichst gerecht auf beide ehemaligen Ehepartner aufgeteilt werden, indem derjenige mit dem geringeren Vermögenszuwachs am größeren des anderen Ehepartner partizipiert. Bei dem unfreiwillig erlittenen Tod eines Ehegatten besteht der grundsätzliche Schutz für die bis zum Todeszeitpunkt geführte eheliche Gemeinschaft hingegen fort.

Das von dem Beklagten schließlich angeführte steuerrechtliche Argument überzeugt nicht. Dass Grundstücksübertragungen, die im Rahmen des Zugewinnausgleichs anstelle eines schuldrechtlichen Zahlungsanspruchs vorgenommen werden, keine Grunderwerbsteuer auslösen und die Ausgleichsforderung nach § 1378 BGB ebenso wie der pauschalierte Zugewinnausgleich im Todesfall (§§ 1931; 1371 BGB) keinen (erbschafts-) steuerpflichtigen Erwerb darstellt, beruht auf einer Wertung des Steuergesetzgebers, die keine Rückschlüsse für das Verständnis der Parteien von Ziffer 5.2 der Vereinbarung vom 01.08.2006 zulässt. Wenn der Steuergesetzgeber davon ausgeht, der nachträgliche Vermögenstransfer solle dem Grundgedanken des Zugewinnausgleichs, eine gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten am Vermögenserwerb während der Ehezeit sicherzustellen, Rechnung tragen, bedeutet das nicht, dass auch das hier allein maßgebliche Verständnis der Vertragsparteien sich dieser Wertung anschließen müsste. Dass die Vertragsparteien an eine vergleichbare Wertung auch nur im Ansatz gedacht haben, hat die Zeugenbeweisaufnahme nicht ergeben.

Die Nebenforderung (gesetzliche Verzugszinsen seit dem 23.03.2011, d.h. ab dem Tag nach Zurückweisung von Zahlungsansprüchen durch den Beklagten) ist begründet aus §§ 286 Abs. 1; 288 Abs. 1 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1; 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.