Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.08.2016, Az.: 5 B 105/16

Artgerechtes Abwehrverhalten; Gefährlichkeitsfeststellung; Hundebiss; Jogger; Mitverschulden; sozialtypisches Verhalten; tierpsychologisch erklärbares Hundeverhalten

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
18.08.2016
Aktenzeichen
5 B 105/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 43307
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Für das Vorliegen eines Gefahrenverdachts i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG kommt es grundsätzlich nicht auf ein eventuelles Mitverschulden des Geschädigten bzw. eine mögliche tierpsychologische Erklärung des Verhaltens des Hundes an, sondern vielmehr auf die konkrete und objektiv zu treffende Gefahrenprognose. (Fortführung VG Braunschweig, U. v. 25.11.2015 - 5 A 195/ 14).

2. Eine Ausnahme von einer Gefährlichkeitsfeststellung ist, wenn der Hund einen Menschen gebissen hat, deswegen regelmäßig nicht anzunehmen, wenn der Hund zwar auf das Verhalten einer Person reagiert hat, das Verhalten als solches aber nicht mit aggressiver Zielrichtung gegen den Hundehalter oder den Hund gerichtet war und der Hundehalter im gesellschaftlichen Miteinander mit einem solchen Verhalten grundsätzlich zu rechnen hat, auch wenn es nicht in allen Belangen vollständig regelkonform ist.

Tenor:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (5 A 104/16) gegen den Bescheid vom 26.04.2016 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Feststellung der Gefährlichkeit ihrer Hündin.

Die Antragstellerin ist Halterin der 2008 geborenen Malinois-Mischlingshündin „C.“.

Am 12.02.2016 ging die Antragstellerin zusammen mit ihrer Hündin sowie einer Bekannten und deren Hund auf einem Feldweg bei St-dorf spazieren. Die Antragstellerin führte ihre Hündin an der Leine und ließ ihr zwei Armlängen nach vorne Leine, damit die Hündin am rechten Wegrand schnüffeln konnte. Von hinten näherte sich der Gruppe ein Jogger und lief zwischen den Frauen hindurch. Die Antragstellerin und ihre Begleiterin nahmen den Jogger nach eigenen Angaben erst wahr, als er die Gruppe durchquerte. Das weitere Geschehen ist zwischen den Beteiligten streitig. Ausweislich des Polizeiberichts gab der Jogger gegenüber den hinzugerufenen Polizeibeamten an, dass er von den beiden Hundeführerinnen bemerkt worden sei, da sie ihm auf dem ca. 4 Meter breiten Weg Platz gemacht hätten. Als er auf Höhe der beiden Frauen gewesen sei, habe ihn der Schäferhund der Antragstellerin unvermittelt in den rechten Unterarm gebissen. Eine dementsprechende Verletzung ist auf den Fotos in der Ermittlungsakte sowie dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners zu erkennen. Anschließend wurde der Jogger mit einem Rettungswagen in das Klinikum Peine gefahren.

Mit Schreiben vom 18.02.2016 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu dem Vorfall an.

Die Antragstellerin gab in ihrer Stellungnahme mit Schreiben vom 22.02.2016 an, dass sie sich vor dem Jogger so erschreckt hätte, dass sie zusammengezuckt und ihre Begleiterin und sie auseinandergesprungen seien. In diesem Moment sei der Jogger schon zwischen ihr und ihrer Begleitung gewesen. Sie habe noch versucht, ihre Hündin ans Geschirr zu fassen, um zu vermeiden, dass die Hündin dem Jogger vor die Füße läuft und ihn so mit der Leine zu Fall bringt. Durch ihre eigene Hektik sei auch ihre Hündin erschrocken und habe sich umgedreht. Als die Hündin die fremde Person sah, sei sie nach vorne gesprungen, habe den Jogger „verbellt“ und ihn einmal in den rechten Arm geschnappt.

Ausweislich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte übersandte die Antragstellerin im Rahmen ihrer Beschuldigtenanhörung gegenüber der Polizei eine schriftliche Stellungnahme, die sie eigenhändig unterzeichnete. Hierin führte sie ergänzend an, dass sie der Jogger am Vorfallstag gegen 17:30 Uhr aus dem Krankenhaus angerufen und sie ihn daraufhin abgeholt habe. Sie bedauere den Vorfall sehr und habe dem Jogger auch mitgeteilt, dass sie für den entstandenen Schaden an der Kleidung aufkommen werde.

Die Begleiterin der Antragstellerin gab gegenüber dem Polizei schriftlich an, dass die Hündin auf den Jogger zugesprungen sei, seinen Arm erwischt und eine blutende Wunde hinterlassen habe.

Das gegen die Antragstellerin geführte Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil des Joggers wurde am 22.04.2016 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 26.04.2016, zugestellt am 30.04.2016, stellte der Antragsgegner die Gefährlichkeit der Hündin der Antragstellerin fest. Als Begründung führt der Antragsgegner den Vorfall vom 12.02.2016 an. Die Hündin der Antragstellerin habe plötzlich in Richtung des Joggers geschnappt und diesen am Arm verletzt.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 30.05.2016 Klage erhoben (5 A 104/16) und den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

Als Begründung führt die Antragstellerin vertiefend an, dass die Verletzung des Joggers nicht auf ihre Hündin zurückzuführen sei. Es sei vielmehr durchaus möglich, dass sich der Jogger bei seinem Training bspw. durch das Streifen eines Baumes oder Busches die blutende Verletzung am Arm zugezogen habe. Die Hündin der Antragstellerin habe den Jogger lediglich verbellt und „abgeschnappt“. Hierbei handele es sich um ein artgerechtes und hundetypisches Abwehrverhalten. Denn der Jogger sei zügig zwischen den Frauen hindurch gelaufen. Dies stelle aus der Sicht des Hundes eine Bedrohung dar. Denn ein fremder Hund würde sich einem fremden Rudel langsam und bedächtig nähern. Ein schnelles Zulaufen des Joggers auf das Rudel sei daher aus Sicht des Hundes ein aggressives Annähern an das Rudel und werde als Gefahr für das Rudel eingeschätzt. Auch aufgrund des hektischen Verhaltens der Antragstellerin habe die Hündin die Situation zu Recht als bedrohlich eingeschätzt und sich artgerecht wehren dürfen durch das Verbellen und „Abschnappen“. Es sei auf die Gesamtsituation abzustellen und ein Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen. Eine Gefährlichkeitsfeststellung scheide daher aus, wenn sich der Hund gegen ein aggressives Angriffsverhalten eines Menschen oder eines anderen Tieres wehre. Hierbei sei nicht die gesellschaftliche Lebensweise des Menschen zugrunde zu legen, sondern vielmehr auch die tierische Natur des Hundes als Jagd- und Rudeltier.

Die Antragstellerin habe auch nicht gegenüber der Polizei angegeben, dass sie an den rechten Wegrand ausgewichen sei, um dem Jogger Platz zu verschaffen. Die entsprechende Passage in dem Polizeibericht müsse auf einer fehlerhaften Dokumentation beruhen. Die Antragstellerin sei auch nicht als Beschuldigte in einem Strafverfahren ordnungsgemäß durch die Polizeibeamten belehrt worden. Der Verwertung der Aussagen der Antragstellerin sei daher nicht möglich.

Auch die Auferlegung der Kosten des Verfahrens zur Feststellung der Gefährlichkeit sei rechtswidrig, da die niedersächsische Gebührenordnung für die Verwaltung im Bereich des Verbraucherschutzes und des Veterinärwesens (GOVV) unklar und daher unwirksam sei. Der betroffene Hundehalter sei in der Regel nicht darüber informiert, dass überhaupt das Feststellungsverfahren wegen der Überprüfung der Gefährlichkeit seines Hundes eingeleitet werde.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.04.2016 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er wiederholt und vertieft die Gründe des angefochtenen Bescheides. Die Hündin der Antragstellerin habe den Jogger in den rechten Unterarm gebissen. Dies hätten sowohl der Jogger als auch die Antragstellerin selbst und ihre Begleitung im Rahmen ihrer Befragungen gegenüber der Polizei bestätigt. Die Antragstellerin sei ihrer Verpflichtung aus § 2 NHundG nicht hinreichend nachgekommen, ihren Hund mit der gebotenen Umsicht so zu führen, dass von diesem keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe. Die Ausführung der Antragstellerin hinsichtlich des Kostenbescheides und der Unwirksamkeit der GOVV gingen ins Leere. Denn in dem streitgegenständlichen Bescheid sei lediglich eine Kostenlastentscheidung getroffen. Ein Kostenfestsetzungsbescheid auf der Grundlage der GOVV sei gegenüber der Antragstellerin noch nicht erlassen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.

II.

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.04.2016 anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO zulässig. Denn ein Rechtsbehelf gegen die Verfügung des Antragsgegners hinsichtlich der Feststellung der Gefährlichkeit der Hündin „C.“ hat aufgrund von § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 3 des Nds. Gesetzes über das Halten von Hunden (NHundG) keine aufschiebende Wirkung. Die Vollziehbarkeit der Kostenentscheidung des streitgegenständlichen Bescheids folgt der Vollziehbarkeit der Hauptsacheentscheidung (Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 20. Auflage 2014, § 80 Rn. 62). § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO betrifft lediglich Kostenfestsetzungsentscheidungen, nicht jedoch - wie hier - die mit einer Sachentscheidung in einem Verwaltungsakt verbundenen Kostenlastentscheidung, (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, a.a.O.). Ein Kostenfestsetzungsbescheid ist ausweislich des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners noch nicht ergangen.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung des gegen den Verwaltungsakt gerichteten Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen, wenn das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs Vorrang vor dem besonderen öffentlichen Vollzugsinteresse hat. Maßgebliches Kriterium für die Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Dabei fällt die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus, wenn sich die angefochtene Verfügung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Überprüfung als voraussichtlich rechtswidrig erweist. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt hingegen, wenn die Verfügung sich als voraussichtlich rechtmäßig erweist. So ist es hier.

Die Klage hat in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg. Denn der Bescheid des Antragsgegners vom 26.04.2016 ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die Gefährlichkeitsfeststellung eines Hundes ist § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG. Danach stellt die Fachbehörde die Gefährlichkeit eines Hundes fest, wenn die Prüfung nach § 7 Abs. 1 S. 1 NHundG Tatsachen ergibt, die den Verdacht rechtfertigen, dass von dem Hund eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

In eine Prüfung nach § 7 Abs. 1 S. 1 NHundG hat die Fachbehörde einzutreten, wenn sie einen Hinweis darauf erhält, dass ein Hund, der von einer Hundehalterin oder einem Hundehalter nach § 1 Abs. 2 NHundG gehalten wird, eine gesteigerte Aggressivität aufweist, insbesondere Menschen oder Tiere gebissen oder sonst eine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust oder Schärfe gezeigt hat.

Aufgrund des bekannt gewordenen Beißvorfalls vom 12.02.2016 hatte der Antragsgegner diese Hinweise zu prüfen und in eine Gefährlichkeitsfeststellung einzutreten.

Diese Prüfung hat nach derzeitiger Sachlage Tatsachen ergeben, die gem. § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG nach Aktenlage den Verdacht rechtfertigen, dass von der Hündin der Antragstellerin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Nach ständiger Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts reicht es für die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes grundsätzlich aus, dass der betroffene Hund einen Menschen nicht nur ganz geringfügig verletzt hat (Nds. OVG, Beschl. v. 30.06.2015 - 11 LA 250/14 -, juris Rn. 5).

Die Hündin der Antragstellerin hat nach derzeitiger Sachlage einen Menschen gebissen und damit das Regelbeispiel des § 7 Abs. 1 S. 1 NHundG erfüllt. Soweit die Antragstellerin nunmehr im Klageverfahren vortragen lässt, ihre Hündin habe den Geschädigten lediglich verbellt und „abgeschnappt“, ohne ihn nennenswert verletzt zu haben, steht diesem Vortrag die Aussage der Antragstellerin selbst im Anhörungs- sowie im Ermittlungsverfahren entgegen. Danach hat die Antragstellerin in dem Anhörungsbogen gegenüber dem Antragsgegner angegeben, ihre Hündin habe einmal in den rechten Arm des Joggers geschnappt. Gleiches enthält auch die eigenhändig unterschriebene Aussage der Antragstellerin im Rahmen des Ermittlungsverfahrens. Soweit die Antragstellerin bemängelt, das im Verwaltungsvorgang befindliche Protokoll des Polizeikommissariats Peine gebe die Aussage der Antragstellerin falsch wieder und sei auch nicht von der Antragstellerin unterschrieben, kommt es hierauf dementsprechend nicht mehr entscheidungserheblich an. Im Übrigen enthält der von dem Antragsgegner vorgelegte Bericht der Polizeibeamten lediglich die Schilderungen der Polizeibeamten und ist folgerichtig auch lediglich von ihnen unterschrieben.

Auch verfängt der Vortrag der Antragstellerin im Klageverfahren nicht, sie sei nicht ordnungsgemäß über ihre Rechte als Beschuldigte belehrt worden und daher ihre Aussage im vorliegenden Verfahren nicht verwertbar. Die Antragstellerin wurde ausweislich der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte durch das Polizeikommissariat Peine als Beschuldigte schriftlich durch die Übersendung eines Anhörungsbogens angehört. Diesem Schreiben war auch ein Belehrungsblatt über die Rechte der Antragstellerin als Beschuldigte in einem Strafverfahren beigefügt. Dieses Belehrungsblatt hat die Antragstellerin eigenhändig unterschrieben und bestätigt, die Belehrung verstanden zu haben. Es kommt deswegen auch nicht auf die Frage an, ob und inwieweit Erkenntnisse für Belange des Gefahrenabwehrrechts auch dann zugrunde gelegt werden dürfen, wenn sie strafprozessual nicht verwertbar  sind.

In dem von ihr übersandten Anhörungsbogen gab die Antragstellerin gegenüber der Polizei ebenfalls an, dass ihre Hündin den Jogger einmal in den rechten Arm schnappte. Außerdem bedauere sie den Vorfall sehr und werde dem Geschädigten den entstandenen Schaden ersetzen. Zudem gab die bei dem Vorfall ebenfalls anwesende Begleiterin der Antragstellerin gegenüber der Polizei als Zeugin an, die Hündin der Antragstellerin habe den Jogger am Arm erwischt und eine blutende Wunde hinterlassen. Dieser Geschehensablauf wurde gleichlautend auch von dem Jogger geschildert.

Dies spricht sämtlich nach derzeitiger Aktenlage dafür, dass die Hündin der Antragstellerin den Jogger in den rechten Arm gebissen und die Wunde hierdurch verursacht hat. Anhaltspunkte, die gegen die Verursachung der Verletzungen durch die Hündin des Antragstellers sprechen, sind weder konkret dargelegt noch ersichtlich.

Dadurch ist das Regelbeispiel des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NHundG erfüllt. Es ist damit grundsätzlich die Gefährlichkeit dieses Hundes festzustellen. Denn bei dem Vorliegen eines Regelbeispiels ist grundsätzlich nicht mehr von einem artgerechten Verhalten eines als gewöhnliches Haustier gehaltenen Hundes auszugehen, sondern der Hund vielmehr durch die Bissigkeit als Gefahr für die öffentliche Sicherheit einzustufen (Nds. OVG, B. v. 18.01.2012 – 11 ME 423/11 –, juris Rn. 7).

Vorliegend ist auch kein Ausnahmefall gegeben.

Einer Gefährlichkeitsfeststellung nach § 7 Abs. 1 S. 2 NHundG steht entgegen, wenn bei Erfüllung eines Regelbeispiels ein Ausnahmefall vorliegt. Eine solche Ausnahme bedarf einer besonderen Begründung. Nach ständiger Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts kann ein solcher Ausnahmefall grundsätzlich durch ein eindeutig artgerechtes Abwehrverhalten des für gefährlich erklärten Hundes begründet werden (vgl. grds. Nds. OVG, B. v. 18.01.2012 – 11 ME 423/11 –, juris Rn. 7 m. w. N.).

Hierbei kommt es für die Frage des Vorliegens einer Gefahr grundsätzlich nicht auf ein eventuelles Mitverschulden des Geschädigten bzw. eine mögliche tierpsychologische Erklärung des Verhaltens des Hundes an, sondern vielmehr auf die konkrete und objektiv zu treffende Gefahrenprognose (vgl. VG Braunschweig, U. v. 25.11.2015 – 5 A 195/14 –, juris Rn. 60, 63).

Eine Ausnahme ist deswegen nicht anzunehmen, wenn der Hund (nur) auf das Verhalten einer Person reagiert, das als solches nicht mit aggressiver Zielrichtung gegen den Hundehalter oder den Hund gerichtet ist und mit dem der Hundehalter im gesellschaftlichen Miteinander grundsätzlich zu rechnen hat, auch wenn es nicht in allen Belangen vollständig regelkonform ist. Hierbei ist nicht vorrangig maßgeblich, ob der Hund ein solches sozialtypisches Verhalten - nach tierpsychologischen Kriterien - als Aggression (fehl-)interpretieren konnte. Denn gerade für solche, im sozialen Miteinander möglichen Situationen hat der jeweilige Hundehalter nach dem Maßstab von § 2 NHundG grundsätzlich durch geeignete Maßnahmen wie bspw. konsequentes Hundetraining und den Einsatz einer Leine und ggf. eines Beißkorbes dafür Sorge zu tragen, dass der Hund keine Rechtsgüter anderer, wie hier die körperliche Unversehrtheit, beeinträchtigt. Kommt es dennoch zu einem Hundebiss, begründet dies im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 NHundG den hinreichend schwerwiegenden Verdacht, dass von dem Hund bzw. von dem Hund-Halter-Gespann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Nach diesem Maßstab ist ein Ausnahmefall nach derzeitiger Aktenlage vorliegend nicht anzunehmen. Hier sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Geschädigte „C.“ angegriffen hat und sich diese artgerecht verteidigen durfte. Denn der Geschädigte hat sich lediglich laufend, ohne aggressive Zielrichtung der Gruppe genähert. Dies tat er zwar von hinten und damit außerhalb des Blickfeldes der Antragstellerin und ihrer Hündin. Jedoch kann darin allein objektiv kein aggressiver Angriff gesehen werden. Die Einschätzung der Antragstellerin, von der Gefährlichkeitsfeststellung sei ausnahmsweise abzusehen, weil „C.“ zu Recht davon habe ausgehen dürfen, dass der Geschädigte aufgrund seines schnellen Annäherns das Rudel angreife und sie sich hiergegen verteidigen dürfte, teilt das beschließende Gericht nach dem zuvor beschriebenen Maßstab nicht.

Die Entscheidung der Kostentragung durch die Antragstellerin begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Denn sie hat - wie der Antragsgegner richtigerweise ausgeführt hat - als Halterin der Hündin Anlass zu der Amtshandlung gegeben, vgl. §§ 1 Abs. 1 S. 1, 5 Abs. 1 S. 1NVwKostG. Auf die Wirksamkeit der GOVV kommt es im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich an, da ein gesonderter Kostenfestsetzungsbescheid mit den konkreten Gebühren auf der Grundlage der GOVV nicht Streitgegenstand des Klageverfahrens und - soweit ersichtlich - noch nicht ergangen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Höhe des Streitwerts entspricht dem hälftigen Streitwert des Hauptsacheverfahrens (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Nr. 1.5 Satz 1).