Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.09.2010, Az.: 1 Ws 439/10

Anforderungen an die Zulässigkeit eines Protokollberichtigungsantrags i.S.d. § 273 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO)

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.09.2010
Aktenzeichen
1 Ws 439/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 24852
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0908.1WS439.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 08.09.2010 - AZ: 89 KLs 1/09

Fundstellen

  • NStZ 2011, 237-238
  • StraFo 2011, 53

Amtlicher Leitsatz

1. Ein Protokollberichtigungsantrag, der darauf abzielt, bereits vorhandene, jedoch nach Auffassung des Antragstellers unrichtige Protokolleinträge zu berichtigen, kann nicht als unzulässig abgelehnt werden, weil er keine wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 Abs. 1 StPO betreffe.

2. Ist über den nach § 273 Abs. 1 StPO notwendigen Rahmen hinaus ein Geschehen in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden, so ist diese in gleicher Weise und in gleichem Umfang der Berichtigung unterworfen wie hinsichtlich des nach § 273 Abs. 1 StPO zwingend wiederzugebenden Prozessgeschehens.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten U. wird die Entscheidung des Vorsitzenden der großen Hilfsstrafkammer 3 c des Landgerichts Hannover vom 28. Juni 2010 aufgehoben, soweit eine Protokollberichtigung zu Nrn. 1, 2 und 3 des Antrages des Angeklagten U. vom 2. Juni 2010 mit der Begründung abgelehnt worden ist, der Antrag betreffe insoweit keine wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne von § 273 StPO.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an den Vorsitzenden der großen Hilfsstrafkammer 3 c des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Angeklagte U. wendet sich mit seiner Beschwerde gegen eine Entscheidung des Vorsitzenden der großen Hilfsstrafkammer 3 c des Landgerichts Hannover, mit welchem dieser den Antrag des Angeklagten vom 2. Juni 2010 auf Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung vom 22. April 2010 abgelehnt hat.

2

Das Berichtigungsersuchen richtete sich unter Nr. 4 der Antragsschrift gegen die Eintragung im Protokoll, dass den Angeklagten das letzte Wort gewährt worden sei, bevor die Verhandlung zur Urteilsberatung unterbrochen und anschließend das Urteil verkündet worden sei. Diesen Antrag hat der Vorsitzende abgelehnt mit der Begründung, dass sowohl die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle als auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der beisitzende Richter dienstliche Äußerungen abgegeben haben, nach denen das Protokoll richtig sei, und dass dies auch mit der Erinnerung des Vorsitzenden übereinstimme. Insoweit rügt die Beschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil dem Antragsteller die dienstlichen Äußerungen nicht vor der Entscheidung bekannt gegeben worden seien.

3

Soweit das Berichtigungsersuchen sich unter Nrn. 1, 2 und 3 der Antragsschrift gegen die Eintragungen im Protokoll richtete, dass die Beweismittel herbeigeschafft waren (Nr. 1), dass Rechtsanwalt R. zunächst einen Beweisantrag stellte und danach seinen Schlussvortrag hielt (Nr. 2) und dass Rechtsanwalt S. seinen Schlussvortrag hielt, ohne einen Antrag zu stellen (Nr. 3), hat der Vorsitzende den Berichtigungsantrag mit der Begründung abgelehnt, dass der Antrag insoweit "keine wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 StPO" betreffe. Insoweit rügt die Beschwerde, dass die Entscheidung den Berichtigungsantrag in seiner Gesamtheit nicht erschöpfend bescheide.

4

Der Verteidiger des Antragstellers erhielt am 29. Juli 2010 Ablichtungen der in der Entscheidung des Vorsitzenden erwähnten dienstlichen Äußerungen mit Gelegenheit zur Stellungnahme; außerdem wurde ihm am 13. August 2010 Einsicht in die Bände XXII bis XXV der Hauptakten gewährt. Eine Stellungnahme hat der Antragsteller nicht abgegeben.

5

Am 23. August 2010 hat der Vorsitzende der großen Hilfsstrafkammer 3 c des Landgerichts Hannover entschieden, dass er der Beschwerde nicht abhelfe.

6

II. Die Beschwerde hat zum Teil (zumindest vorläufigen) Erfolg.

7

1. Das Rechtsmittel ist zulässig.

8

Gegen die Ablehnung der Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls ist das Rechtsmittel der Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO nach einhelliger Auffassung zulässig, soweit gerügt wird, dass die Entscheidung nicht im vorgeschriebenen Verfahren zustande gekommen sei oder sie auf rechtlich fehlerhaften Erwägungen beruhe (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2008 - 1 Ws 202/08; ebenso OLG Frankfurt StV 1993, 463; LR-Gollwitzer, 25. Aufl., § 271 StPO Rn. 65 ff.; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., § 271 Rn. 29). Diese Voraussetzungen erfüllt die vorliegende Beschwerde.

9

2. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie die Ablehnung des Berichtungsersuchens zu Nr. 4 der Antragsschrift (Gewährung des letzten Wortes) angreift.

10

Das Berichtigungsersuchen ist insoweit gescheitert. Das Protokoll der Hauptverhandlung ist nur zu berichtigen, wenn der Vorsitzende und der Urkundsbeamte darin übereinstimmen, dass es inhaltlich unzutreffend oder unvollständig ist (vgl. BGHSt 51, 298; 55, 31; OLG Düsseldorf StraFo 1998, 317; LR-Gollwitzer aaO. Rn. 47; KMR-Gemählich, § 271 Rn. 21). Das Gegenteil ist hier der Fall.

11

Soweit dem Antragsteller vor der angefochtenen Entscheidung nicht die Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den dienstlichen Erklärungen zu äußern, ist dieser Verfahrensmangel jedenfalls durch die entsprechende Nachholung des rechtlichen Gehörs vor der Nichtabhilfeentscheidung des Vorsitzenden geheilt.

12

Die angefochtene Entscheidung ist insoweit weder aus sachlich- noch aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben.

13

3. Dagegen ist die Beschwerde im Übrigen (Nrn. 1 bis 3 der Antragsschrift) begründet.

14

Mit der alleinigen Begründung, dass der Protokollberichtigungsantrag abzulehnen gewesen sei, weil er insoweit "keine wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 273 StPO" betreffe, beruht die angefochtene Entscheidung nämlich auf rechtlich fehlerhaften Erwägungen. Zwar wäre ein Antrag, mit dem die Aufnahme von Vorgängen in das Protokoll erreicht werden soll, die nach § 273 Abs. 1 StPOüberhaupt nicht protokolliert werden müssen, unzulässig (vgl. OLG Frankfurt StV 1993, 463; OLG Nürnberg MDR 1984, 1984, 74; LR-Gollwitzer aaO. Rn. 43). So liegt der Fall hier aber nicht.

15

Der Antrag zielt vielmehr darauf ab, bereits vorhandene Eintragungen im Protokoll, die nach Auffassung des Antragstellers unrichtig sind, zu korrigieren; das ist zulässig und kann nicht aus Rechtsgründen abgelehnt werden. Ist nämlich über den nach § 273 Abs. 1 StPO notwendigen Rahmen hinaus ein Geschehen in die Sitzungsniederschrift aufgenommen worden, so ist das Protokoll in gleicher Weise und in gleichem Umfange der Berichtigung oder Ergänzung unterworfen, wie es hinsichtlich des nach § 273 Abs. 1 StPO zwingend wiederzugebenden Prozessgeschehens der Fall ist. Hat der Vorsitzende die Aufnahme bestimmter Erklärungen oder Vorgänge in die Niederschrift als zweckmäßig erachtet, so darf es den Urkundspersonen nicht untersagt sein, etwaige Fehler der Beurkundung richtigzustellen, um mögliche Nachteile der Verfahrensbeteiligten zu verhüten (vgl. OLG Schleswig SchlHA 1990, 119; NJW 1959, 162 [OLG Schleswig 16.10.1958 - Ws 329/58]; LR-Gollwitzer aaO.; KMR-Gemählich, § 271 Rn. 17).

16

Abgesehen davon betrifft das Berichtigungsersuchen jedenfalls zu Nrn. 2 und 3 der Antragsschrift Vorgänge, die der Protokollierungspflicht unterliegen; denn nach § 273 Abs. 1 StPO muss das Protokoll nicht nur die Beachtung der wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, sondern auch "die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge" enthalten. Auf solche Anträge bezieht sich aber das Berichtigungsersuchen in diesen beiden Punkten.

17

Die angefochtene Entscheidung war danach insoweit aufzuheben. Gleichzeitig war die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landgericht zurückzuverweisen, da der Senat über den Berichtigungsantrag sachlich nicht entscheiden kann.