Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.09.2010, Az.: 2 Ws 312/10

Verbot der Mehrfachverteidigung auch im Fall einer Verfahrensverbindung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.09.2010
Aktenzeichen
2 Ws 312/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 25647
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0916.2WS312.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 17.08.2010 - AZ: 10 KLs 7/10

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2010, 729
  • NStZ 2011, 236-237
  • StRR 2010, 442 (red. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Auch im Fall der Verfahrensverbindung nach § 237 StPO ist die Verteidigung mehrerer Angeklagter durch einen Verteidiger gemäß § 146 StPO unzulässig, wenn ein Interessenkonflikt nicht auszuschließen ist.

Tenor:

Die Beschwerden des Angeklagten Gerken und des Rechtsanwaltes L. H. gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Stade vom 17.08.2010, mit dem die Beiordnung von Rechtsanwalt H. als Verteidiger für den Angeklagten G. 12.03.2010 aufgehoben wurde, werden verworfen.

Die Beschwerdeführer haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

1

I. Der Angeklagte G. wurde am 11.03.2010 festgenommen aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Stade vom 04.03.2010 (34 Gs 550/10). Der Ermittlungsrichter ordnete mit Verfügung vom 12.03.2010 dem Angeklagten den weiteren Beschwerdeführer, Rechtsanwalt H., als Pflichtverteidiger bei. Auf die Anklage der Staatsanwaltschaft Stade vom 28.06.2010 u.a. gegen den Angeklagten G. eröffnete die 1. große Strafkammer des Landgerichts Stade mit Beschluss vom 09.08.2010 das Hauptverfahren. Außerdem ordnete sie gemäß § 237 StPO die gemeinsame Verhandlung dieses Verfahrens mit dem Verfahren 10 KLs 131 Js 2767/10 - 9/10 an, weil die Tatvorwürfe gegen die Angeklagten in beiden Verfahren, die sowohl hinsichtlich der Angeklagten als auch der Taten keine Überschneidungen aufweisen, im Wesentlichen auf die Angaben desselben Belastungszeugen gestützt sind. In diesem hinzuverbundenen Verfahren ist Rechtsanwalt H. einem der dortigen Angeklagten durch Verfügung des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Stade vom 11.03.2010 als Pflichtverteidiger beigeordnet.

2

Zugleich mit der Anordnung der gemeinsamen Verhandlung beider Verfahren hörte die Kammer die beiden Beschwerdeführer hinsichtlich einer Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt H. als Verteidiger des Angeklagten G. und hinsichtlich der Beiordnung eines anderen Pflichtverteidigers an. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.08.2010 hob die Kammer dann im Hinblick auf § 146 StPO die Beiordnung von Rechtsanwalt H. als Verteidiger des Angeklagten G. auf. Mit Verfügung vom 20.08.2010 ordnete der Vorsitzende der Kammer dem Angeklagten G. nun Rechtsanwalt D. als Pflichtverteidiger bei.

3

Gegen die Aufhebung der Beiordnung richten sich die Beschwerden des Angeklagten G. und des Rechtsanwalts H. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerden zu verwerfen.

4

II. Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.

5

Die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt H. ist nicht zu beanstanden. Die gleichzeitige Verteidigung des Angeklagten G. in diesem Verfahren sowie eines weiteren Angeklagten in dem verbundenen Verfahren verstößt gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung gem. § 146 StPO. Nach dem Wortlaut des § 146 Satz 2 StPO in der seit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 geltenden Fassung darf ein Verteidiger nicht gleichzeitig mehrere verschiedener Taten Beschuldigte verteidigen. Es ist allerdings umstritten, ob dies auch für den Fall einer Verbindung nach§ 237 StPO gilt (so KK-Laufhütte, StPO, 6. Aufl., § 146 Rn. 8), oder ob dafür eine Verbindung nach §§ 3 ff. StPO erforderlich ist (in diesem Sinne wohl OLG Stuttgart, NStZ 1985, 326; Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 146 Rn. 17), weil durch § 237 StPO nur die gleichzeitige Verhandlung möglich wird, aber keine Verfahrensidentität eintritt (vgl. Meyer-Goßner aaO. § 237 Rn. 1).

6

Nach Auffassung des Senats kann es allerdings für das Vertretungsverbot nach § 146 Satz 2 StPO nicht auf die formale Frage nach dem Grund der Verfahrensverbindung ankommen, sondern allein darauf, ob bei gleichzeitiger Verhandlung verschiedener Straftaten für den Verteidiger, der darin mehrere Angeklagte vertritt, ein Interessenkonflikt entstehen kann. Nur dies entspricht dem Sinngehalt von § 146 StPO, der den Beschuldigten vor typischerweise auftretenden Interessenkonflikten seines Verteidigers schützen soll (Meyer-Goßner, aaO. Rn. 1 m.w.N.).

7

Dafür spricht auch die Änderung des § 146 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987. Der Begründung des Gesetzgebers ist zu entnehmen, dass durch die Neufassung von § 146 StPO, der bis dahin lediglich allgemein eine Mehrfachverteidigung allgemeint verbot, die sukzessive Mehrfachverteidigung erlaubt werden sollte (BT-Drucks. 10/1313 S. 15 und 10/6592 S. 6, vgl. a. KK-Laufhütte aaO. § 146 Rn. 1). Der Umkehrschluss ergibt, dass jedenfalls eine gleichzeitige Verteidigung mehrerer Angeklagter im selben Verfahren nicht ermöglicht werden sollte, jedenfalls dann nicht, wenn ein Interessenkonflikt des Verteidigers im Rahmen der Mehrfachverteidigung nicht auszuschließen ist.

8

So liegt es hier, ein Interessenkonflikt ist nicht nur nicht auszuschließen, er steht vielmehr konkret im Raum. Da der Angeklagte G. und der in dem hinzuverbundenen Verfahren angeklagte weitere Mandant von Rechtsanwalt H. durch denselben Zeugen belastet werden, können bei beiden Angeklagten unterschiedliche prozessuale Interessen hinsichtlich der Anerkennung des Inhalts dieser Zeugenaussage entstehen. Für einen der beiden Angeklagten kann sich eine Verständigung auf der Grundlage der Zeugenaussagen anbieten, für den anderen nicht. Einem der beiden Angeklagten kann es im Verlaufe des Verfahrens auf eine möglichst geringe Bestrafung ankommen, während der andere einen Freispruch erstrebt. Jedes Einräumen einer Tat durch einen der Angeklagten aber würde die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen erhöhen und damit die Möglichkeit eines Freispruchs für den anderen Angeklagten verringern. Der dadurch eintretende Interessenkonflikt eines gemeinsamen Verteidigers liegt auf der Hand.

9

Damit ist die Entpflichtung von Rechtsanwalt H. als Verteidiger des Angeklagten G. zu Recht erfolgt. Die Beiordnung für den Angeklagten des verbundenen Verfahrens war früher erfolgt und es ist sachlich nicht zu beanstanden, die Frage, welches Mandat aufzugeben ist, nach der Dauer der Vertretung zu entscheiden (s. a. OLG Stuttgart aaO.).

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO.