Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.02.2003, Az.: 12 UF 123/02
Erforderlichkeit einer Entscheidung über den Ausgleich betrieblicher Versorgungsanwartschaften ; Anwendbarkeit der Barwertverordnung (BarwertVO); Möglichkeit der Verfahrensaussetzung im Hinblick auf eine Neuregelung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 04.02.2003
- Aktenzeichen
- 12 UF 123/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 14960
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2003:0204.12UF123.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Meppen 15 F 178/01 S vom 02.10.2002
Rechtsgrundlagen
- § 1587a BGB
- § 621e ZPO
Fundstellen
- EzFamR aktuell 2003, 188
- EzFamR aktuell 2003, 170
- FamRB 2004, 7 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 2003, 613-614 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2003, 169-170
- ZFE 2003, 127 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zur Zeit ist eine Entscheidung über den Ausgleich betrieblicher Versorgungsanwartschaften nur durchzuführen, wenn ein sonst drohender Nachteil eine sofortige Regelung erforderlich macht. In anderen Fällen kommt eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung in Betracht.
Die erforderlichen Ermittlungen können dem erstinstanzlichen Gericht übertragen werden.
Tenor:
Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 02. Oktober 2002
verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Meppen im Ausspruch über den Unterhalt und die Kosten (Ziffer 3 und 4 des Tenors) geändert.
- 1.
Zum Unterhalt
- 2.
Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich wird abgetrennt.
- 3.
Auf die Rechtsmittel beider Parteien wird das Urteil des Amtsgerichts zum Versorgungsausgleich (Ziffer 2 des Tenors) aufgehoben. Insoweit wird die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten der Rechtsmittel zum Versorgungsausgleich zu befinden hat.
Die erstinstanzlichen Kosten hinsichtlich Scheidung und Unterhalt werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Berufungsverfahrens hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat mit dem Urteil vom 02. 10. 2002 die Ehe der Parteien geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsgegner verurteilt, an die Antragstellerin ab Rechtskraft der Ehescheidung monatlichen Unterhalt von 200 EUR (statt geltend gemachter 323, 04 EUR ) zu zahlen.
Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich haben beide Parteien angegriffen. Die Antragstellerin beanstandet, dass bei dem Ausgleich der Versorgungsanwartschaften eine Anwartschaft des Antragsgegners aus einer betrieblichen Altersversorgung unberücksichtigt geblieben ist. Der Antragsgegner erstrebt eine Herabsetzung der auf seine Ehefrau zu übertragenden Rentenanwartschaft von 211, 09 EUR auf 201, 09 EUR.
II.
Zum Unterhalt
III.
Zur Entscheidung über den Versorgungsausgleich war die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Die Rüge des Antragsgegners greift allerdings nicht durch. Auf Seiten der Antragstellerin hat das Amtsgericht die nach Auskunft der B. . . vom 20. 03. 02 bestehenden Rentenanwartschaften i. S. v. § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB von monatlich 427, 71 EUR sowie die nach Auskunft der V. . . vom 06. 02. 02 bestehende zusätzliche Rentenanwartschaft i. S. v. § 1587 a Abs. 2 Nr. 4 b, c BGB von monatlich 224, 80 DM (114, 94 EUR) und die nach Auskunft der S. . . vom 26. 11. 01 erworbene Anwartschaft aus einer Leibrente berücksichtigt, deren Deckungskapital, bezogen auf die Ehezeit, 2. 359, 61 EUR beträgt. Dies erweist sich als zutreffend. Entgegen der Annahme des Antragsgegners hat das Amtsgericht die ermittelte volldynamische Rentenanwartschaft von 40, 91 DM zutreffend in 20, 92 EUR umgerechnet.
Anders verhält es sich hingegen bei der Beschwerde der Antragstellerin. Das Amtsgericht hat auf Seiten des Antragsgegners nur Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung i. S. d. § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB berücksichtigt, die nach Auskunft der B. . . vom 08. 01. 02 monatlich 882 EUR betragen. Die nach Auskunft der R. . . H. . . KG vom 09. 11. 01 erworbenen Anwartschaften des Antragsgegners auf eine betriebliche Altersversorgung i. S. v. § 1587 a Abs. 2 Nr. 3 BGB von jährlich 9. 000 DM (4. 601, 63 EUR) hat das Amtsgericht dagegen übersehen. Dies bedarf der Korrektur.
Es ist daher eine Neuberechnung des Versorgungsausgleichs erforderlich. Diese ist jedoch derzeit nicht möglich.
Die Anwartschaft des Ehemannes auf eine betriebliche Altersversorgung ist - ebenso wie die der Ehefrau aus der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst - nicht "dynamisch" und muss in gleicher Art und Weise nach § 1587 a Abs. 4, Abs. 3 Nr. 2 BGB "dynamisiert" werden, um mit den Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung i. S. v. § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB verglichen und ausgeglichen werden zu können. Bisher geschah dies dadurch, dass zunächst ein Barwert nach der Barwertverordnung errechnet wurde, der den in der Ehezeit erworbenen nicht dynamisierten Rentenanwartschaften entsprach. Sodann wurde ermittelt, welche Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erlangt werden, wenn dieser Betrag auf einmal eingezahlt wird. Diese Berechnung ist derzeit nicht möglich, weil eine taugliche Grundlage fehlt. Die Barwertverordnung kann - jedenfalls ab dem 01. 01. 2003 - nicht mehr angewendet werden. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 05. 09. 01 zur Sache XII ZB 121/99 (FamRZ 2001, 1695 [BGH 05.09.2001 - XII ZB 121/99]= MDR 2001, 1411) festgestellt, dass die Barwertverordnung mit ihren konkreten Umrechnungswerten nicht verfassungsgemäß ist. Ihr liegen veraltete biometrische Daten zugrunde. Dies führt zu einer Unterbewertung der nach der Barwertverordnung umzurechnenden Anteile. Dieser Entscheidung ist zu folgen. Da "Ersatztabellen" anstelle der Barwertverordnung nicht herangezogen werden können ( vgl. BGH aa; BGH FamRZ 202, 1401), fehlt es an der gemäß § 1587a Abs. 3 Nr. 2 BGB erforderlichen Grundlage.
Diese nötige Entscheidungsgrundlage kann nicht anderweit geschaffen werden. Eine Anwendung der Barwertverordnungüber den 31. 12. 2002 hinaus scheidet aus. Zwar ist der Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidung von der Annahme ausgegangen, dass bis Ende 2002 eine Neuregelung in Kraft tritt. Diese Prognose war verfehlt, da der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber den Hinweis der Judikative nicht umgesetzt hat. Dies berechtigt die Gerichte aber nicht, die Barwertverordnungüber den genannten Zeitpunkt heranzuziehen. Die Verfassungswidrigkeit der Verordnung hat zur Folge, dass sie ab sofort nicht mehr angewendet werden kann (vgl. von Mangoldt/KleinStarck/Vosskuhle, GG, 4. Aufl. Art. 93 Rdn. 47; Sachs, GG 2. Aufl. Art. 20 Rdn. 95). Selbst wenn man annimmt, dass der Bundesgerichtshof eine an sich nur dem Bundesverfassungsgericht zustehende Weitergeltungsanordnung treffen und aus praktischen Gründen die Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Verordnung gestatten durfte, so ist die Anwendbarkeit für die Instanzgerichte jedenfalls mit dem vom Bundesgerichtshof angenommenen Zeitpunkt entfallen.
Andere Möglichkeiten kommen für die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht in Betracht. Zwar ist es denkbar, den Barwert der auszugleichenden Versorgungsanwartschaft individuell mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zu ermitteln. In Betracht käme auch ein schuldrechtlicher Teilversorgungsausgleich unter Verzicht auf einen öffentlich-rechtlichen Ausgleich aufgrund einer Parteivereinbarung. Beide Wege scheiden aber aus. Eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich haben die Parteien nicht getroffen. Der Weg über ein Gutachten ist deswegen nicht sachgerecht, weil eine gesetzliche Neuregelung bevorsteht. Es ist möglich, dass sich hiernach ein anderer Wert ergibt, als er vom Sachverständigen errechnet wird. Eine derartige Abweichung verbietet sich schon aus Gründen der Gleichbehandlung. Die durch das Fehlen einer gesetzlichen Regelung entstandene Lücke darf daher in der Schwebezeit - auch zur Vermeidung einer späteren Abänderung seiner Entscheidung nach § 10 a VAHRG - auf diesem Wege allenfalls dann geschlossen werden, wenn ein sofortiger Versorgungsausgleich zur Abwendung konkreter Nachteile für eine Partei geboten ist. Dies ist nicht der Fall. Für keine der Parteien droht im Moment ein Nachteil. Auf beiden Seiten ist der Versorgungsfall weder eingetreten noch steht er unmittelbar bevor.
Es war daher geboten, derzeit nicht über den Versorgungsausgleich zu entscheiden. Entsprechend § 629 a Abs. 2 Satz 3, 628 Satz 1 Nr. 1 ZPO war die Sache abzutrennen. Dabei steht das Gebot der gleichzeitigen Entscheidung von Scheidungs- und Folgesachen gemäß §§ 623, 629 ZPO einer Abtrennung nicht entgegen. Der Verbund mit der Scheidungssache ist bereits aufgelöst worden, und zwar dadurch, dass die Parteien den Scheidungsausspruch hingenommen haben. Eine Abhängigkeit des Unterhalts vom Versorgungsausgleich besteht zur Zeit nicht. Andererseits bedarf der nacheheliche Unterhalt einer sofortigen Regelung. Die Abtrennung ermöglicht es, das Verfahren zum Versorgungsausgleich gemäß § 148 ZPO auszusetzen, bis eine Neureglung vorliegt.
Zur abschließenden Entscheidung war die Sache gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird auch darüber zu befinden haben, ob ausgesetzt werden soll.
Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich ist grundsätzlich Sache der ersten Instanz. Diese hat auch die erforderlichen Ermittlungen anzustellen. Ob hier noch weitere Ermittlungen nötig sind, wird sich herausstellen, wenn die erforderliche Neuregelung vorliegt. Allerdings wird für Entscheidungen in den Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die dem Rechtsmittel der befristeten Beschwerde gemäß § 621 e ZPO unterliegen, zur Aufhebung und Zurückverweisung allgemein auf § 538 Abs. 2 ZPO verwiesen (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 23. Auflage, § 621 e Rdn. 76-78, MüKo/Finger, ZPO, 2. Auflage, § 621 e Rdn. 64, letzterer allerdings unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Insbesondere ist dem Amtsgericht kein Verfahrensfehler unterlaufen. Die Anwendung der Barwertverordnung ist bis zum 31. 12. 2002 vom Bundesgerichtshof ausdrücklich gestattet worden, so dass trotz der Verfassungswidrigkeit der Regelung von einer willkürlichen Gesetzesanwendung nicht gesprochen werden kann. Andererseits kann jedoch aus dem Hinweis auf § 538 ZPO nicht entnommen werden, dass eine Zurückverweisung stets nur dann in Betracht kommt, wenn einer der dort genannten Tatbestände erfüllt ist. Bei dem Rechtsmittel der befristeten Beschwerde gemäß § 621e ZPO handelt es nicht nur nach seiner Bezeichnung, sondern auch von seiner historischen Herkunft und inhaltlichen Ausgestaltung her um eine Beschwerde aus dem Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Daher verweist § 621e Abs. 3 nur auf einzelne Bestimmungen des Berufungsrechts der ZPO, und zwar, um den erforderlichen Gleichklang mit der Berufung herzustellen. § 538 ZPO ist von dieser Verweisung ausgenommen. Für die Aufhebung und Zurückverweisung sind daher die Regeln heranzuziehen, die allgemein für Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten. Insoweit wird vertreten, dass die Entscheidung über die Zurückverweisung im pflichtgemäßen Ermessen des Beschwerdegerichts steht (vgl. BGH RdL 1952, 69; BGH FamRZ 1982, 152, 153 - Zurückverweisung bei völlig unzureichender Sachverhaltsaufklärung; Musielak/Borth, ZPO, 3. Auflage, § 621 e Rdn. 26, Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 24. Auflage, § 621 e Rdn. 15; aA wohl BayOLG BayerZ Bd. 3, 221). Dies entspricht auch der Regelung des § 572 Abs. 3 ZPO. Dem folgt der Senat.
Die Kostenentscheidung, soweit über die Sache abschließend entschieden ist, folgt aus §§ 93 a, 269 Abs. 2 S. 2 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.