Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.09.2020, Az.: 1 Ws 205/20
Unzulässige Vollstreckung von Organisationshaft; Unterbrechung der Strafvollstreckung bei fehlendem Therapieplatz
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 04.09.2020
- Aktenzeichen
- 1 Ws 205/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 37407
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2020:0904.1WS205.20.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 20.07.2020 - AZ: 50 StVK 261/20
Rechtsgrundlage
- § 306 Abs. 1 StPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Verurteilter darf nur während der Zeit in Organisationshaft gehalten werden, die die Vollstreckungsbehörde nach Rechtskraft der erfolgten Anordnung bei unverzüglicher Vollstreckungseinleitung unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebotes benötigt, um einen Vollzugsplatz zu lokalisieren und den Verurteilten dorthin zu überführen.
- 2.
Wird gegen einen Verurteilten - ggf. nach Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 44b StVollstrO - zunächst Strafhaft in anderer Sache vollstreckt, so muss die Vollstreckungsbehörde diese Zeit nutzen, um eine sich unmittelbar anschließende Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug zu organisieren. Eine sich der Strafhaft anschließende Organisationshaft ist in solchen Fällen jedenfalls dann unzulässig, wenn aufgrund der vorangegangenen Strafhaft bereits ausreichend Zeit für die Organisation der Überstellung in den Maßregelvollzug zur Verfügung stand. Dies ist zumindest immer dann anzunehmen, wenn der nach der obergerichtlichen Rechtsprechung für längstens zulässig erachtete Zeitraum für eine Organisationshaft bereits erreicht ist.
- 3.
Der Vollzug von Organisationshaft ist auch dann unzulässig, wenn eine Aufnahme des Verurteilten im Maßregelvollzug trotz intensiver Bemühungen der Staatsanwaltschaft nicht fristgerecht erfolgen kann, weil keine ausreichenden Kapazitäten vorhanden sind. Denn es ist jedenfalls die Rechtspflicht der Verwaltung und der Haushaltsgesetzgeber in den Ländern, die praktische Vollstreckbarkeit von Strafurteilen sicherzustellen (Anschluss: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. Februar 2000 - 2 Ws 337/99).
- 4.
Die Regelungen in § 454b Abs. 2 und Abs. 4 StGB sind auch dann anzuwenden, wenn zunächst Freiheitsstrafe und im Anschluss daran aus einem anderen Verfahren eine Maßregel nach § 64 StGB und eine daneben verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Dies gilt auch dann, wenn der Vollzug der Maßregel noch nicht begonnen hat, weil ein geeigneter Therapieplatz für den Verurteilten nicht gefunden werden konnte. Ab dem Zeitpunkt, zu welchem die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus einem anderen Verfahren gemäß § 454b Abs. 2 StPO zu unterbrechen ist, besteht für deren weitere Vollstreckung ein Vollstreckungshindernis, bis die Vollstreckung der Maßregel erfolgt ist.
Tenor:
- 1.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 20. Juli 2020 aufgehoben, soweit das Landgericht die Anordnung einer Entlassung des Verurteilten abgelehnt hat.
Die weitere Vollstreckung der nach Verbüßung von jeweils zwei Dritteln der Strafen in den Verfahren 23 Js 6192/16 (StA Göttingen) und 105 Js 32936/19 (StA Göttingen) verbleibenden Strafreste ist derzeit wegen eines Vollstreckungshindernisses unzulässig. Der Verurteilte ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
- 2.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Göttingen wird als unbegründet verworfen.
- 3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
Das Rechtsmittel des Verurteilten hat Erfolg. Er ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Dagegen kann die Staatsanwaltschaft mit ihrem auf Fortdauer der Organisationshaft abzielenden Rechtsmittel nicht durchdringen.
I.
Der strafrechtlich bereits vielfach - vornehmlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Diebstahls und Betruges - vorbelastete 43 Jahre alte Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 5. September 2019 wegen (gemeinschaftlichen) Diebstahls in Tateinheit mit Betrug in zwei Fällen mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten belegt. Daneben wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Das Urteil ist seit dem 13. September 2019 rechtskräftig.
Bereits zuvor war der Verurteilte mit Urteil vom 15. Mai 2018 (Az.: 24 Js 1789/18 StA Göttingen) durch das Amtsgericht Einbeck wegen Steuerhinterziehung und vorsätzlichen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten belegt worden. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Verurteilten änderte das Landgericht Göttingen die vorgenannte Entscheidung mit Berufungsurteil vom 5. November 2018 (Az.: Ns 24 Js 1789/18 (34/18)) teilweise ab und fasste diese dahingehend neu, dass der Verurteilte wegen vorsätzlichen Gestattens des Gebrauchs eines Fahrzeuges ohne bestehende Haftpflichtversicherung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde. Dieses Urteil ist seit dem 26. März 2019 rechtskräftig.
Mit Beschluss vom 18. Februar 2020 bildete das Amtsgericht Einbeck aus den beiden vorgenannten Entscheidungen eine nachträgliche Gesamtstrafe von einem Jahr, neben der es bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verblieb.
Der Verurteilte wurde darüber hinaus mit Urteil des Amtsgerichts Bad Gandersheim vom 15. Februar 2012 (Az.: 2 Ds 659 Js 46412/11 VRs, StA Braunschweig) wegen Diebstahls mit einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten belegt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er wurde ferner mit Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 30. August 2016 (Az. 3 Ds 23 Js 6192/16) - u.a. wegen Trunkenheit im Verkehr - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (beides ursprünglich unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung) sowie mit weiterem Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 9. Dezember 2019 (Az.: 3 Ds 105 Js 32936/19) wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Von der Strafe aus dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 15. Mai 2018 - in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts Göttingen vom 5. November 2018 - wurden ab dem 11. Juli 2019 zwei Drittel bis zum 30. September 2019 vollstreckt. Vorangegangen war der Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls (am 13. Juni 2019), weil der Verurteilte sich zum Strafantritt nicht gestellt und seine Lebensgefährtin gegenüber der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, er wolle sich in den Kosovo absetzen, um der Strafvollstreckung zu entgehen. Anschließend wurde die Strafe von zwei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Bad Gandersheim (Az.: 2 Ds 659 Js 46412/12) in der Zeit vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. November 2019 (vollständig) vollstreckt. Ab dem 1. Dezember 2019 bis zum 10. Mai 2020 wurden sodann zwei Drittel der Strafe aus dem Urteil des Amtsgericht Einbeck vom 30. August 2016 (3 Ds 23 Js 6192/16) sowie ab dem 11. Mai 2020 zwei Drittel (zugleich die Mindeststrafe gemäß § 454b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO) der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 9. Dezember 2019 (Az.: 3 Ds 105 Js 32936/19) vollstreckt, nachdem die Staatsanwaltschaft Göttingen unter dem 17. Dezember 2019 und dem 13. Januar 2020 gemäß § 44b StVollstrO die Vorabvollstreckung der genannten Strafen bis zum sog. "2/3-Termin" angeordnet hatte.
Die Vollstreckung der Strafen aus den Verfahren 105 Js 32936/19 VRs (Strafrest: 31 Tage von ursprünglich drei Monaten) und 23 Js 6192/16 VRs (Strafrest: 82 Tage von ursprünglich acht Monaten) ist am 10. Mai 2020 und am 10. Juli 2020 gemäß § 454b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO unterbrochen worden.
Die Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgericht Einbeck vom 5. September 2019 angeordneten - und mit der nachträglichen Gesamtstrafenentscheidung des Amtsgerichts Einbeck vom 18. Februar 2020 aufrechterhaltene - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat bislang nicht begonnen, weil ein Platz in einer Entziehungsanstalt für den Verurteilten noch nicht gefunden werden konnte. Insoweit hatte die Staatsanwaltschaft Göttingen bereits unter dem 9. Oktober 2019 bei den niedersächsischen Maßregelvollzugseinrichtungen angefragt, ob der Verurteilte ab dem 10. November 2019 aufgenommen werden könne. Unter dem 14. Oktober 2019 teilte das A. Klinikum H. der Staatsanwaltschaft Göttingen mit, dass die Anfrage nach einem Belegungsplatz für den Verurteilten an die Zentrale Belegungssteuerung für den Niedersächsischen Maßregelvollzug (zBS) am Maßregelvollzugszentrum Niedersachsen in Moringen weitergeleitet worden sei. Diese teilte unter dem 9. Oktober 2019 mit, dass alle Behandlungsplätze belegt und eine Aufnahme noch nicht absehbar sei, der Verurteilte aber dort auf die Warteliste gesetzt worden sei. Unter dem 30. Oktober 2019 unterrichtete die Staatsanwaltschaft Göttingen die Zentrale Belegungssteuerung darüber, dass gegen den Verurteilten nunmehr die Vollstreckung zweier widerrufener Bewährungsstrafen (Urteil des Amtsgerichts Bad Gandersheim vom 15. Februar 2012 und Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 30. August 2016) bis zum 10. Juni 2020 notiert sei. Nach Korrektur der vorgenannten Strafzeitberechnung bat die Staatsanwaltschaft Göttingen die Zentrale Belegungssteuerung mit Schreiben vom 17. Dezember 2019 um Zuweisung eines Unterbringungsplatzes für den Verurteilten zum 10. Mai 2020. In der Folgezeit teilte die Staatsanwaltschaft Göttingen der Zentralen Belegungssteuerung mit Schreiben vom 13. Januar 2020 mit, dass sich der Beginn der Vollstreckung der Maßregel durch eine Nachverurteilung auf den 11. Juli 2020 verschiebe, weshalb ein Maßregelplatz zur Verschubung am 10. Juli 2020 benötigt werde. Mit Schreiben vom 16. Januar 2020 teilte die Zentrale Belegungssteuerung der Staatsanwaltschaft Göttingen daraufhin mit, dass ein Aufnahmetermin zum 11. Juli 2020 für den Verurteilten nicht bestätigt werden könne und dieser auf die zentrale Warteliste für den niedersächsischen Maßregelvollzug gesetzt worden sei. Mit Schreiben vom 5. Mai 2020 wies die Staatsanwaltschaft Göttingen die Zentrale Belegungssteuerung sodann darauf hin, dass ab dem 11. Juli 2020 Organisationshaft notiert sei und ein Platz für die Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB am 10. Juli 2020 benötigt werde. Die Zentrale Belegungssteuerung teilte daraufhin mit, dass dieser Termin nicht garantiert werden könne, man sich jedoch bemühe, ihn einzuhalten. Schließlich bat die Staatsanwaltschaft Göttingen die Zentrale Belegungssteuerung nochmals mit Schreiben vom 1. Juli 2020 um Aufnahme des Verurteilten am 10. Juli 2020 zum Maßregelvollzug.
Seit dem 11. Juli 2020 befindet sich der Verurteilte in vorliegender Sache in Organisationshaft.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. Juli 2020 beantragte der Verurteilte bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen, die weitere sog. Organisationshaft für unzulässig zu erklären und ihn unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte unter dem 15. Juli 2020, den Antrag des Verurteilten als unbegründet zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 20. Juli 2020, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, hat das Landgericht Göttingen festgestellt, dass die gegen den Verurteilten vollstreckte Organisationshaft unzulässig sei. Zugleich ordnete es die Unterbrechung der Organisationshaft an. Der weitergehende Antrag des Verurteilten - mithin seine Entlassung aus der Haft - wurde zurückgewiesen.
Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Göttingen und dem Verteidiger des Verurteilten jeweils am 20. Juli 2020 zugestellten Beschluss haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Verurteilte am 21. Juli 2020 sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft beigetreten. Sie hat beantragt, auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Göttingen den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 20. Juli 2020 aufzuheben, den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen und die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 20. Juli 2020 als unbegründet zu verwerfen.
Der Verurteilte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. August 2020 sein Beschwerdevorbringen vertieft.
Auf Nachfrage des Senates teilte die Staatsanwaltschaft Göttingen am 2. September 2020 mit, es sei seitens der Zentralen Belegungssteuerung nunmehr eine Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug in der 37. Kalenderwoche in Aussicht gestellt worden. Derzeit befinde sich der Verurteilte weiterhin in Organisationshaft.
Der Verurteilte hatte über seinen Verteidiger zu der nunmehr in Kürze avisierten Aufnahme in den Maßregelvollzug rechtliches Gehör.
II.
Die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten sind gemäß §§ 463 Abs. 1, 462 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 19. August 2002 - 1 Ws 203/02, Rn. 12, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. Februar 2000 - 2 Ws 337/99, Rn. 7, juris) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht angebracht (§§ 306 Abs. 1, 311 StPO).
Das Rechtsmittel des Verurteilten hat auch in der Sache Erfolg. Er ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist dagegen unbegründet.
1. Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht die Vollstreckung der Organisationshaft gegen den Verurteilten für unzulässig erklärt.
a. Gemäß § 67 Abs. 1 StGB wird - sofern das Gericht keine Anordnung eines Vorwegvollzuges nach § 67 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB getroffen hat - die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63, 64 StGB vor einer daneben angeordneten Freiheitsstrafe vollzogen. Die Organisationshaft - d.h. die Freiheitsentziehung in einer Justizvollzugsanstalt, die gegen einen rechtkräftig Verurteilten bis zum Zeitpunkt seiner Überstellung in die zuständige Maßregelvollzugseinrichtung vorübergehend vollzogen wird (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2005 - 2 BvR 1019/01, Rn. 2, juris) - stellt deshalb grundsätzlich einen Verstoß gegen die richterlich angeordnete Vollstreckungsreihenfolge dar und ist als regelwidriges Institut der Freiheitsentziehung anzusehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Juni 1997 - 2 BvR 2422/96, Rn. 10, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 7. Mai 2019 - III-1 Ws 209/19, Rn. 11, juris). Denn nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG kann die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung dessen Formvorschriften beschränkt werden (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2005, a.a.O., Rn. 19 f., und Kammerbeschluss vom 18. Juni 1997, a.a.O., Rn. 9). Für die Vollstreckung von Organisationshaft sieht das einfache Recht eine Rechtsgrundlage aber nicht vor (OLG Hamm, a.a.O., Rn. 11). Insbesondere darf ein Abweichen von der durch § 67 Abs. 1 StGB vorgegebenen Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 und Abs. 3 StGB nur vom Richter, nicht aber von der Vollstreckungsbehörde angeordnet werden (OLG Hamm, a.a.O., Rn. 11; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. Februar 2000 - 2 Ws 337/99, Rn. 8, juris).
Weil indes aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen eine zeitliche Verzögerung bei der Vollstreckung einer durch Strafurteil angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB in der Regel unvermeidbar ist, liegt dann noch keine - gesetzeswidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende - Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge vor, wenn eine verurteilte Person sich für diejenige kurze Zeitspanne in "Organisationshaft" befindet, welche die Vollstreckungsbehörde nach Rechtskraft der erfolgten Anordnung unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebotes benötigt, um einen vorhandenen Vollzugsplatz - gegebenenfalls auch in einem anderen Bundesland - zu lokalisieren und den Verurteilten dorthin zu überführen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2005 - 2 BvR 1019/01, Rn. 30, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 7. Mai 2019 - III-1 Ws 209/19, Rn. 12, juris; OLG Celle, a.a.O., Rn. 23; Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 21 f.).
Welche Zeitspanne für diesen verwaltungstechnischen Vollzug der Überstellung des Verurteilten in die Maßregeleinrichtung als (noch) zulässig anzusehen ist, lässt sich nicht generell bestimmen, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2005, a.a.O., Rn. 34; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 12: jedenfalls nicht mehr ab sechs Wochen nach Eintritt der Rechtskraft; OLG Celle, a.a.O., Rn. 21: längstens drei Monate). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es von Verfassungs wegen nicht geboten ist, dass bereits zum Zeitpunkt des im Einzelfall nicht vorhersehbaren Vollstreckungsbeginns ein für den jeweiligen Verurteilten geeigneter Platz in einer Maßregeleinrichtung vorgehalten wird (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2005, a.a.O., Rn. 33). Es müssen aber durchaus derart ausreichende Kapazitäten vorhanden sein, als dass die Vollstreckungsbehörden auf den von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und in beschleunigter Weise die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung herbeiführen können (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 26. September 2005, a.a.O., Rn. 34). Die Zeit, während derer die Vollstreckungsbehörde lediglich noch in erzwungener Untätigkeit auf das Freiwerden eines - auch nur vage in Aussicht gestellten - Vollzugsplatzes wartet, fällt nicht unter die zur Organisation der Überstellung in die gerichtlich angeordnete Maßregelunterbringung unerlässliche Zeitspanne (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 22; in diesem Sinne auch: OLG Celle, a.a.O., Rn. 25). Es ist jedenfalls die Rechtspflicht der Verwaltung und der Haushaltsgesetzgeber in den Ländern, die praktische Vollstreckbarkeit der Bundesrecht konkretisierenden Strafurteile sicherzustellen (BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78, Rn. 9, juris), und zwar, soweit dies vom Vorhandensein finanzieller Mittel abhängt, unter Hintansetzung anderer, politisch zwar erwünschter, aber nicht in diesem Sinne unerlässlicher Vorhaben. Wird dies versäumt, so liegt hierin über eine bloße "Regelwidrigkeit" hinaus eine Verletzung des Rechts, und zwar auch des Rechts möglicher Verletzter auf staatlichen Schutz (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 22). Dieses Verhalten darf sich nicht zum Nachteil des Verurteilten im Einzelfall auswirken.
b. Ausgehend von diesen Grundsätzen verletzt die gegen den Verurteilten vollstreckte Organisationshaft diesen in seinen Grundrechten aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 GG.
Der Senat konnte insoweit dahinstehen lassen, welcher Zeitraum zur Organisation der Überführung eines rechtskräftig Verurteilten in den Maßregelvollzug längstens noch als zulässig erachtet werden kann. Denn seit Rechtskraft des die Unterbringung anordnenden Erkenntnisses des Amtsgerichts Einbeck vom 5. September 2019 - dem 13. September 2019 - war bereits bei Beginn der Organisationshaft am 11. Juli 2020 ein Zeitraum von knapp zehn Monaten verstrichen. Wird gegen eine rechtskräftig zu einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verurteilte Person aber zunächst noch - ggf. nach Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 44b StVollstrO - für eine nicht nur unerhebliche Zeit - die im vorliegenden Fall auch die von der obergerichtlichen Rechtsprechung längstens für zulässig erachteten drei Monate weit überschritten hat - Strafhaft vollstreckt, ist für eine sich hieran anschließende Organisationshaft kein Raum. Vielmehr kann - und muss - diese Zeit von der Vollstreckungsbehörde genutzt werden, um eine sich unmittelbar anschließende Überführung des Verurteilten in den Maßregelvollzug zu organisieren.
Dass die Staatsanwaltschaft vorliegend beginnend ab dem 9. Oktober 2019 in der Tat bereits frühzeitig und umfassend mit der Suche nach einem freien Maßregelplatz begonnen und ihre Bemühungen in der Folgezeit auch in nicht zu beanstandender Weise fortgesetzt hat, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Senat teilt zwar die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft, dass nach Einrichtung der zentralen Belegungssteuerung für den niedersächsischen Maßregelvollzug die Staatsanwaltschaft nicht gehalten war, die einzelnen Entziehungsanstalten auch unmittelbar anzuschreiben. Darüber hinaus hält der Senat es auch für unschädlich, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht darum bemüht hat, für den Verurteilten nach einem Platz im Maßregelvollzug auch in anderen Bundesländern zu suchen, weil dies angesichts der bekannten Überlastung der Maßregelvollzugseinrichtungen nach § 64 StGB insgesamt nicht erfolgversprechend war. All dies vermag aber nichts daran zu ändern, dass für die Organisation der Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug direkt im Anschluss an den erfolgten Strafvollzug bereits mehr als ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden hatte. Dass dies gleichwohl nicht möglich war, weil es der für die Vergabe von Plätzen im niedersächsischen Maßregelvollzug zuständigen zentralen Belegungssteuerung trotz des beträchtlichen zeitlichen Vorlaufs - offensichtlich mangels ausreichender Kapazitäten - nicht gelungen war, dem Verurteilten einen Platz im Maßregelvollzug zur Verfügung zu stellen, ist unerheblich.
2. Der Verurteilte ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Denn es ist nicht nur - wie vorstehend ausgeführt - die Vollstreckung von Organisationshaft gegen ihn unzulässig; auch die Vollstreckung der Strafreste aus den Urteilen des Amtsgerichts Einbeck vom 30. August 2016 (Az.: 3 Ds 23 Js 6192/16) und vom 9. Dezember 2019 (Az.: 3 Ds 105 Js 32936/19) darf derzeit nicht erfolgen, weil insoweit ein Vollstreckungshindernis besteht.
Sind mehrere Freiheitsstrafen nacheinander zu vollstrecken, unterbricht die Vollstreckungsbehörde gemäß § 454b Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StPO die Vollstreckung der zunächst zu vollstreckenden Freiheitsstrafe, wenn zwei Drittel, mindestens jedoch zwei Monate, der Strafe verbüßt sind.
Dieser Verpflichtung entsprechend wurde die Vollstreckung der Strafe von acht Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 30. August 2016 am 10. Mai 2020 und die sich anschließende Vollstreckung der Strafe von drei Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Einbeck vom 9. Dezember 2019 am 10. Juli 2020 unterbrochen. Nach der gesetzlichen Regelung muss sich nunmehr die Vollstreckung des Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Einbeck vom 18. Februar 2020 - und mithin gemäß § 67 Abs. 1 StGB die Vollstreckung der Maßregel - anschließen. Denn die Regelungen in § 454b Abs. 2 und Abs. 4 StGB sind auch dann anzuwenden, wenn - wie vorliegend - zunächst Freiheitsstrafe und im Anschluss daran aus einem anderen Verfahren eine Maßregel nach § 64 StGB und eine daneben verhängte Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist (OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. Mai 2020 - 1 Ws 101/20, unveröffentlicht, und Beschluss vom 17. Januar 2014 - 1 Ws 400/13, Rn. 7, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 3 Ws 56-58/08, Rn. 8, juris), und zwar unabhängig davon, ob der Vollzug der Maßregel vor der Freiheitsstrafe erfolgt oder ein Vorwegvollzug nach § 67 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB angeordnet ist.
Dass der Vollzug der Maßregel noch nicht begonnen hat, weil die Staatsanwaltschaft - trotz intensiver Bemühungen - keinen Therapieplatz für den Verurteilten finden konnte, vermag an der gesetzlich bestimmten - und hier auch tatsächlich erfolgten - Unterbrechung der Strafvollstreckung gemäß § 454b Abs. 2 Satz 1 StPO nichts zu ändern (OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. Mai 2020 - 1 Ws 101/20; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. November 1995 - 3 Ws 224/95, NStZ-RR 1996, 60; OLG Stuttgart, Beschluss vom 15. November 1990 - 3 Ws 270/90, NStZ 1991, 150). Denn anderenfalls würde dem Verurteilten ein Nachteil daraus erwachsen, dass der Staat die notwendigen Aufnahmekapazitäten zur Vollstreckung gerichtlich angeordneter Maßregeln nicht geschaffen hat. Dies darf indes nicht geschehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. September 2005, a.a.O., Rn. 33).
Zum derzeitigen Zeitpunkt steht der Vollstreckung der Strafreste aus den Urteilen des Amtsgerichts Einbeck vom 30. August 2016 und vom 9. Dezember 2019 deshalb ein Vollstreckungshindernis entgegen.
Aus gegebenem Anlass weist der Senat ergänzend darauf hin, dass derzeit auch keine Entscheidung über eine Aussetzung der vorgenannten Strafreste zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB zu erfolgen hat, weil eine solche gegen das Konzentrationsgebot des § 454b Abs. 4 StPO verstieße.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO sowie § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO.