Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.01.2014, Az.: 1 Ws 400/13

Erfordernis einer Entscheidungskonzentration nach § 454b StPO wegen mehrerer zu vollstreckender Strafen bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
17.01.2014
Aktenzeichen
1 Ws 400/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 16255
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2014:0117.1WS400.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 11.11.2013

Amtlicher Leitsatz

1. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ändert nichts an dem Erfordernis der Entscheidungskonzentration gemäß § 454 b Abs. 3 StPO, wenn diese für erledigt erklärt wird und mehrere Strafen zu vollstrecken sind

2. § 454 b Abs. 2 S. 2 StPO bezieht sich nur auf "Strafreste" und nicht auf Strafen, die nach Widerruf der Strafaussetzung vollständig zu verbüßen sind.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen mit Sitz bei dem Amtsgericht Nienburg/Weser vom 11. November 2013 aufgehoben, soweit das Gericht die Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. September 2010 abgelehnt hat.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist vom Landgericht Hannover am 16. September 2010 wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Außerdem ist seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Braunschweig die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt für erledigt erklärt. Außerdem hat es die Kammer abgelehnt, die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Der Beschwerdeführer ist am 12. November 2013 in den Strafvollzug verlegt worden. Seither wird - dies ist nach dem aktuellen Vollstreckungsblatt bis zum 2. April 2014 geplant (vgl. VH II Bl. 4) - der Rest der Strafe aus dem genannten Urteil vollstreckt.

Neben der genannten Freiheitsstrafe ist eine weitere, wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verhängte Freiheitsstrafe von 3 Monaten aus einem Urteil des Amtsgerichts Burgwedel vom 20. Januar 2009 noch nicht vollstreckt. Die Vollstreckung dieser Strafe war ursprünglich zur Bewährung ausgesetzt worden. Die Strafe soll nach Widerruf der Strafaussetzung ab dem 3. April 2014 im Wege der Anschlussvollstreckung verbüßt werden; sie ist noch vollständig zu verbüßen (vgl. VH I Bl. 22, VH I Bl. 149, VH II Bl. 4).

Mit Schriftsatz vom 18. November 2013 - eingegangen per Fax am selben Tag - hat der Verurteilte gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt, die sich ausschließlich dagegen wendet, dass die Kammer die Aussetzung des Strafrestes abgelehnt hat. Wegen der Beschwerdebegründung wird auf VH I Bl. 263 ff. verwiesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Es sei insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Kammer über die Aussetzung der Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten gesondert entschieden habe. Bei der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Burgwedel vom 20. Januar 2009 handele es sich um eine nach Widerruf der Strafaussetzung zu vollstreckende Reststrafe und eine gemeinsame Entscheidung sei bei solchen Strafen wegen § 454 b Abs. 2 S. 2 StPO nicht geboten.

II.

1.

Das Rechtsmittel ist gemäß § 454 Abs. 3 S. 1 StPO als sofortige Beschwerde statthaft, form- und fristgerecht (die Zustellung erfolgte am 11. November 2013) eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sowie auch sonst zulässig.

2.

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache zumindest einen vorläufigen Erfolg, weil eine gesonderte Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgericht Hannover am 16. September 2010 wegen § 454 b Abs. 3 StPO nicht veranlasst war. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ändert nichts an dem Erfordernis der Entscheidungskonzentration, wenn mehrere Strafen zu vollstrecken sind (vgl. hierzu: OLG Hamm, Beschluss vom 06.02.2008, 3 Ws 56-58/08, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.06.2013, 1 Ws 126/13; OLG Braunschweig, Beschluss vom 05.09.2013, 1 Ws 234/13). Hier ist über die Aussetzung der Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgericht Hannover vom 16. September 2010 und des Amtsgerichts Burgwedel vom 20. Januar 2009 nach Verbüßung von zwei Dritteln (§ 57 Abs. 1 S.1 Nr. 1 StGB) gemeinsam zu entscheiden.

Im Gegensatz zur Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft steht § 454 b Abs. 2 S. 2 StPO einer gemeinsamen Entscheidung nicht entgegen. Ein Strafrest im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht vor, wenn eine vom erkennenden Gericht zur Bewährung ausgesetzte Strafe widerrufen wird. § 454 b Abs. 2 S. 2 StPO bezieht sich nur auf "Strafreste" und nicht auf Strafen, die nach Widerruf der Strafaussetzung noch vollständig zu verbüßen sind (OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.10.2001, 3 Ws 861/01, BECK RS 2001, 30213476 = NStZ - RR 2002, 28; Appl in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 454 b Rn. 19).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Strafzeitberechnung der Staatsanwaltschaft Hannover (VH I Bl. 157 a) nicht der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig entspricht. Nach der Senatsrechtsprechung ist in Fällen, bei denen neben einer Freiheitsstrafe die (nach § 67 Abs. 1 StGB vor der Freiheitsstrafe zu vollstreckende) Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wurde, zunächst gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB die vor Rechtskraft vollzogene Untersuchungshaft anzurechnen. Sodann ist nach § 67 Abs. 4 StGB die Zeit des Vollzugs der Maßregel bis zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt zu berücksichtigen und schließlich das Restdrittel der Strafe nur um etwaige Organisationshaft zu kürzen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 27.04.1999, Ws 123/99, juris, NStZ-RR 2000, 7 [Ls.], OLG Braunschweig, Beschluss vom 29.05.2013, 1 Ws 108/13, juris = NdsRpfl 2014, 30 m.w.N.). Es waren deshalb bei Verlegung in den Strafvollzug am 12. November 2013 (VH I Bl. 248) entgegen der Berechnung der Staatsanwaltschaft im Aufnahmeersuchen vom 18. November 2013 (VH I Bl. 250 f.) nicht nur 142 Tage offen, weil vom Restdrittel lediglich 19 Tage Organisationshaft (vgl. VH I Bl. 157 a, Bl. 251) abzuziehen sind.

Weil durch die Anrechnung nach § 67 Abs. 4 StGB indes jedenfalls zwei Drittel der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. September 2010 verbüßt waren, hätte die Staatsanwaltschaft Hannover zudem die Vollstreckung dieser Strafe gemäß § 454 b Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO sogleich unterbrechen und zunächst die Freiheitsstrafe von 3 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Burgwedel vom 20. Januar 2009 vollstrecken müssen. Dann wären bereits jetzt zwei Drittel jener Strafe vollstreckt. Diesem Umstand wird die Strafvollstreckungskammer in der Weise Rechnung tragen müssen, dass sie sogleich die gemeinsame Aussetzungsentscheidung nach § 454 b Abs. 3 StPO trifft (vgl. hierzu: KG Berlin, Beschluss vom 11.12.2001, 1 AR 1419., 1422 -1424/01 5 Ws 715-728/01, juris, Rn. 11 f.; Appl in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 454 b Rn. 5 ff.).

Sollte die Kammer eine Aussetzung erwägen, wird sie wegen der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. September 2010 zuvor nach §§ 454 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO, 66 Abs.1 S. 1 Nr. 1 b, Abs. 3 StGB ein Prognosegutachten einholen müssen, weil der Beschwerdeführer wegen eines Verbrechens (§ 249 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 2 Jahren verurteilt wurde.