Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.01.2020, Az.: 4 Ws 3/20
Entscheidung über mögliche Entschädigung wegen Strafverfolgung erst im Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses; Verfahrensabschluss erst mit endgültiger Einstellung des Ermittlungsverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 29.01.2020
- Aktenzeichen
- 4 Ws 3/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 16543
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2020:0129.4WS3.20.00
Rechtsgrundlage
- § 304 Abs. 4 StPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bei einer Verfahrenseinstellung kommt die Feststellung einer Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nach dem Grundsatz der Verfahrenseinheit regelmäßig erst nach Abschluss des gesamten Verfahrens in Betracht. Dies gilt auch, wenn der verbliebene Teil zur Durchführung des weiteren Verfahrens an eine andere Stelle abgegeben wird.
- 2.
Im Falle einer Teileinstellung ist die Feststellung einer Entschädigung nur für solche Maßnahmen möglich, die sich isoliert auf denjenigen Verfahrensteil bezogen haben, welcher mit der Teileinstellung beendet worden ist.
Tenor:
Der Antrag des Beschuldigten auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für
a) die am 23. Mai 2018 durchgeführte Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten unter der Anschrift ...,
b) die Sicherstellung der beiden Mobiltelefone S. G. S4 (SGH-I337M) und H. Y560-L01, des Ausweisdokuments, der Kundenkarte Verbundtarif B., der drei Collegeblöcke sowie diverser handschriftlicher Notizen in der Zeit vom 23. Mai 2018 bis zum 4. Dezember 2019
wird als unzulässig zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Beschuldigte begehrt Entschädigung für die am 23. Mai 2018 durchgeführte Durchsuchung seiner Wohnung und die Sicherstellung der dabei aufgefundenen Sachen.
Die Bundesanwaltschaft leitete Ende des Jahres 2017 gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB ein. Dem lagen Angaben des Beschuldigten zugrunde, die dieser im Rahmen seines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 13. Oktober 2017 in B. getätigt hatte. Danach habe sich der Beschuldigte - möglicherweise gezwungenermaßen - ab März bzw. April 2015 für gut eineinhalb Monate in einem Ausbildungslager der in S. operierenden militant-islamistischen Gruppierung Al-Shabab aufgehalten und sei dort militärisch - insbesondere in der Erlernung von Enthauptungstechniken - unterwiesen worden.
Nach Abgabe des Verfahrens an die Generalstaatsanwaltschaft Celle erließ der Ermittlungsrichter beim Oberlandesgericht Celle am 6. April 2018 einen Durchsuchungsbeschluss betreffend die Person des Beschuldigten und seine Wohnung. Bei der am 23. April 2018 durchgeführten Durchsuchung wurden die im Tenor benannten Gegenstände sichergestellt.
Die Auswertung der sichergestellten Gegenstände haben keine Hinweise ergeben, die eine Mitgliedschaft oder Nähe des Beschuldigten zur terroristischen ausländischen Vereinigung der Al-Shabab belegten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat daher durch Verfügung vom 4. Dezember 2019 das Verfahren, soweit es eine Straftat nach §§ 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB oder wegen Vortäuschens einer Straftat nach § 145d StGB zum Gegenstand hatte, mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt und die noch sichergestellten Gegenstände freigegeben.
Aufgrund abweichender Angaben des Beschuldigten im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am 23. Mai 2018 zu seinen zuvor im Rahmen des Asylverfahrens getätigten Ausführungen sowie Auswertungen von auf den Mobiltelefonen gespeicherten Chatverläufen hat die Generalstaatsanwaltschaft hingegen im selben Zuge einen Anfangsverdacht wegen einer Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bejaht und deshalb unter dem Aktenzeichen 41 Js 34/19 ein - noch nicht abgeschlossenes - Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Verfahren ist im weiteren Verlauf an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig abgegeben worden (dortiges Az. 651 Js 69295/29).
Der Bescheid über die Teileinstellung des Verfahrens ist dem Beschuldigten am 7. Januar 2020 zugestellt worden. Mit am 21. Januar 2020 beim Senat eingegangenen Schreiben begehrt der Beschuldigte, die Entschädigungspflicht für die im Tenor benannten Maßnahmen festzustellen.
Die Generalstaatsanwaltschaft tritt mit Verfügung vom 23. Januar 2020 der Feststellung einer Entschädigungspflicht entgegen. Ihrer Ansicht nach sei eine Entschädigung aufgrund eines Ausschlussgrundes nach § 5 StrEG zu versagen, da der Beschuldigte seine Strafverfolgung durch seine Angaben vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zumindest grob fahrlässig verursacht habe.
II.
Der Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht für in diesem Verfahren erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen erweist sich bereits als (derzeit) nicht zulässig.
Ob und inwieweit eine Entschädigung für die dem Beschuldigen durch bisherigen Strafverfolgungsmaßnahmen erlittenen Schäden aufgrund der gesetzlich geregelten Ausschlussgründe nach den §§ 5, 6 StrEG zu versagen ist, ist daher in der Sache nicht zu entscheiden.
1. Die Zuständigkeit des Senats für die Entscheidung über den Antrag ergibt sich aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 StrEG.
2. Zwar ist der Antrag fristgerecht binnen einen Monats nach Zustellung der Einstellungsmitteilung erhoben (§ 9 Abs. 1 S. 4 StrEG).
3. Gleichwohl war die Feststellung einer Entschädigungsverpflichtung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht veranlasst.
a) Im Falle einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft kommt eine Grundentscheidung über die Feststellung einer Entschädigung regelmäßig nur dann in Betracht, wenn es sich um eine endgültige Einstellung des Ermittlungsverfahrens und nicht lediglich um eine Teileinstellung handelt (vgl. MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 9 Rn. 6-7). Dies ist darin begründet, dass bei der Behandlung von Strafverfolgungsmaßnahmen der Grundsatz der Verfahrenseinheit gilt (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 252, NStZ 1991, 141; OLG Koblenz NStZ-RR 1999, 52 [OLG Koblenz 17.11.1997 - 1 AR 179/97]; MüKoStPO aaO). Denn Entschädigungsfragen lassen sich auch in einem auf verschiedene Tatvorwürfe gerichteten oder sogar in verschiedenen Teilabschnitten durchgeführten Straf- bzw. Ermittlungsverfahren regelmäßig erst nach Abschluss des gesamten Verfahrens einheitlich beurteilen. Eine isolierte Betrachtung von in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen scheidet für gewöhnlich aus, da am Ende des Verfahrens eine Gesamtabwägung zwischen den insgesamt verhängten Rechtsfolgen und sämtlichen Strafverfolgungsmaßnahmen vorzunehmen ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1982, 252 m.w.N.).
Anders liegt der Fall nur dann, wenn beispielsweise bei verschiedenen prozessualen Taten nach § 264 StPO eine eindeutige Ausscheidbarkeit im Sinne einer klaren Zuordnung der Maßnahme zu dem Verfahrensteil, der die Teileinstellung betrifft, möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1991, 141; Kunz, StrEG 4. Aufl. § 4 Rn. 8). Dies setzt jedoch voraus, dass sich eine Strafverfolgungsmaßnahme völlig isoliert auf denjenigen Verfahrensteil bezogen hat, welcher mit der Teileinstellung beendet worden ist.
b) So liegt der Fall hier jedoch nicht. Zwar betrifft der Verdacht einer möglichen mitgliedschaftlichen Betätigung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland aufgrund von Handlungen des Beschuldigten im März bzw. April 2015 eine andere prozessuale Tat als etwaige unrichtige Angaben im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 13. Oktober 2017 in B. Gleichwohl lassen sich sowohl die erfolgte Durchsuchung als auch die dabei sichergestellten Gegenstände nicht ausschließlich dem Verdacht einer mitgliedschaftlichen Betätigung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zuordnen. Vielmehr dienten als Grundlage des Tatverdachts für eine Straftat nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG neben den Angaben des Beschuldigten auch die Erkenntnisse, die aufgrund der Auswertung der bei der Durchsuchung erlangten Aufzeichnungen sowie elektronischen Geräte erlangt worden sind. Die Durchsuchung diente damit der weiteren Sachverhaltsaufklärung sowohl in Bezug auf einen Anfangsverdacht für eine Mitgliedschaft in der Vereinigung Al-Shabab als auch bezüglich unrichtiger Angaben im Rahmen des Asylverfahrens. Eine Trennbarkeit von Ermittlungshandlungen, welche eine Abweichung vom Prinzip der Verfahrensidentität rechtfertigen würde, liegt daher gerade nicht vor. Die Beurteilung des Gesamtvorgangs der Durchsuchung und der dabei sichergestellten Gegenstände lässt sich vorliegend mithin erst nach Abschluss des weiter anhängigen Strafverfahrens wegen des Verdachts nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG treffen.
c) Der Antragsteller ist deshalb gehalten, seinen Antrag auf Feststellung einer Entschädigungspflicht gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu stellen, wenn auch das derzeit noch anhängige Verfahren wegen eines Verstoßes nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG abgeschlossen ist. Zuständig für die dann zu treffende Entscheidung ist dass für das Verfahren wegen der Tat nach § 45 AufenthG zuständige Gericht. (§ 9 Abs. 1 S. 1 StrEG; vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1999, 52 [OLG Koblenz 17.11.1997 - 1 AR 179/97]).
III.
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsbehelf nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 09. Dezember 1975 - StB 28/75 -, BGHSt 26, 250-255, Rn. 1).