Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.06.2018, Az.: 5 V 123/18
Aussetzung der Vollziehung eines Umsatzsteuerbescheides wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 07.06.2018
- Aktenzeichen
- 5 V 123/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 73697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO
- § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO
Tenor:
Die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2009 vom ... 2018 wird in Höhe eines Betrages von ... € bis einen Monat nach Bekanntgabe des Einspruchsbescheides ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten.
Gründe
I.
Streitig ist die Frage, ob der Änderung des Umsatzsteuerbescheides der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegensteht.
Die Antragstellerin, eine Tischlerei, erbrachte im Jahre 2009 Bauleistungen - konkret: Errichtung einer Treppenanlage - an die Firma I, einem Bauträgerunternehmen. Die Vertragspartner gingen entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung davon aus, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulde. Aus diesem Grunde wies die Antragstellerin in der Rechnung vom ... 2009 mit einem Rechnungsbetrag von ... € keine Umsatzsteuer aus. Dementsprechend war der entsprechende Umsatz in dem Zahlenwerk, welches der am ... Dezember 2010 beim Antragsgegner eingereichten Umsatzsteuererklärung 2009 zugrunde lag, nicht enthalten. Der Antragsgegner stimmte der Umsatzsteuererklärung 2009 am ... 2011 zu, so dass die Erklärung nach § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstand. Entsprechend verfuhr die Antragstellerin hinsichtlich zweier weiterer Umsätze, die sie in den Jahren 2011 und 2012 an die Firma I erbrachte.
Im Anschluss an das Urteil des BFH vom 22. August 2013 V R 37/10, BStBl. II 2014, 128, beantragte die Firma I mit Schreiben vom 30. Dezember 2014 die Erstattung der seinerzeit als Steuerschuldnerin gezahlten Umsatzsteuer.
Mit Schreiben vom ... 2015 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, eine berichtigte Umsatzsteuererklärung für 2009 (und für 2011 und 2012) einzureichen. Auf die Möglichkeit, den zivilrechtlichen Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger an das Land Niedersachsen abzutreten, wies der Antragsgegner die Antragstellerin hin.
Hinsichtlich der Umsätze der Jahre 2011 und 2012 schloss die Antragstellerin mit dem Land Niedersachsen einen Abtretungsvertrag über den Zahlungsanspruch gegen den Leistungsempfänger, nicht aber für 2009. Insoweit vertrat die Antragstellerin die Auffassung, dass Festsetzungsverjährung eingetreten sei und der Umsatzsteuerbescheid 2009 nicht mehr geändert werden könne.
Mit gem. § 164 Abs. 2 AO geändertem Umsatzsteuerbescheid 2009 vom ... 2018 erhöhte der Antragsgegner die Umsätze zum Regelsteuersatz um ...- €.
Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den der Antragsgegner bislang noch nicht entschieden hat, und beantragte zunächst beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom ... 2018 ab.
Die Antragstellerin begehrt nunmehr bei Gericht vorläufigen Rechtsschutz. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass der Umsatzsteuerbescheid 2009 nicht mehr geändert werden könne, weil mittlerweile Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Antragstellerin habe ihre Steuererklärung im Jahre 2010 eingereicht, so dass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2014 geendet habe. § 171 Abs. 14 AO sei nicht einschlägig. Auch die Vorschrift des § 27 Abs. 19 UStG führe zu keiner anderen Beurteilung.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 2009 vom ... 2018 in Höhe eines Betrages von ... € bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner weist darauf hin, dass die in § 27 Abs. 19 UStG geregelte Korrektur der Umsatzsteuerfestsetzung in Bauträgerfällen nach der jüngsten Rechtsprechung des BFH verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Seien Unternehmer und Leistungsempfänger seinerzeit von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgegangen und habe sich diese Annahme im Nachhinein als unrichtig erweisen, sei die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG für noch nicht festsetzungsverjährte Besteuerungszeiträume zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordere, die er in der Erwartung, Steuerschuldner zu sein, entrichtet habe.
Die Festsetzungsverjährung sei im Streitfall nach § 171 Abs. 14 AO gehemmt. Danach ende die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch insoweit nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch noch nicht verjährt sei. Die Festsetzungsfrist werde dadurch bis zum Ablauf der Zahlungsverjährung für die Erstattung von rechtsgrundlos gezahlten Steuern verlängert. § 171 Abs. 14 AO erfasse auch Fälle, in denen der Rechtsgrund für die Festsetzung der Steuer später wegfalle. Schließlich müsse mit dem Steueranspruch, für dessen Festsetzung eine Festsetzungsfrist hinausgeschoben werde, ein sachlicher Zusammenhang bestehe. Das setze voraus, dass es sich um dieselbe Steuerart und denselben Besteuerungszeitraum handele und die Steuerfestsetzung einen unmittelbaren Anspruch betreffe, der sich aus dem entsprechenden Erstattungsanspruch ergebe. Nach Ansicht des Antragsgegners müsse auch keine persönliche Identität zwischen dem Adressaten der Steuerfestsetzung und dem Inhaber des Erstattungsanspruchs bestehen.
Im Streitfall sei ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Steueranspruch und dem Erstattungsanspruch gegeben, weil der Steueranspruch mit dem Erstattungsanspruch des Leistungsempfängers in Zusammenhang stehe.
II.
Der Antrag ist begründet.
Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. März 2014 V B 14/14, BFH/NV 2014, 999 und vom 19. März 2014 III S 22/13, BFH/NV 2014, 856 jeweils mit weiteren Nachweisen).
Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des geänderten Umsatzsteuerbescheides 2009 vom ... 2018. Im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen überschlägigen Prüfung erscheint es hinreichend wahrscheinlich, dass dem geänderten Bescheid der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegensteht.
Die Festsetzungsfrist beträgt bei der Umsatzsteuer nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO vier Jahre; sie beginnt gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Steuerpflichtige beim Finanzamt seine Steuererklärung eingereicht hat. Da die Antragstellerin ihre Umsatzsteuererklärung für 2009 am ... Dezember 2010 abgegeben hat, endete die Festsetzungsfrist regulär mit Ablauf des 31. Dezember 2014, d.h. im Zeitpunkt des Ergehens des Änderungsbescheides am ... 2018 war diese Frist bereits seit geraumer Zeit abgelaufen.
Etwas anderes würde sich dann ergeben, wenn der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt wäre. Es erscheint jedoch fraglich, ob im Streitfall die tatbestandlichen Voraussetzungen § 171 Abs. 14 AO, auf den sich der Antragsgegner beruft - ein anderer Tatbestand, der zur Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist führt, ist im Streitfall ersichtlich nicht einschlägig -, tatsächlich gegeben sind. Nach § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht zahlungsverjährt ist. Es muss folglich ein "Zusammenhang" zwischen Erstattungsanspruch und Steueranspruch bestehen. Zweck des mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1985 neu eingefügten Abs. 14 AO ist es, einem "Steuersparmodell" den Boden zu entziehen, welches darauf beruht, dass Steuerpflichtige nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist, aber vor Ablauf der fünfjährigen Zahlungsverjährung behaupten, ihnen sei der Steuerbescheid nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden und Erstattung der gezahlten Steuer begehren (BT-Drucksache 10/1636, S. 44; BFH Beschluss vom 16. November 2011 V B 34/11, BFH/NV 2012, 373). Der Finanzverwaltung soll es ermöglicht werden, in derartigen Situationen dem materiell-rechtlich bestehenden Steueranspruch noch einen verfahrensrechtlich wirksamen Bescheid "unterzuschieben". Vor dem Hintergrund dieser Zwecksetzung liegt es nahe, dass ein Erstattungsanspruch nur dann im Sinne des § 171 Abs. 14 AO mit dem Steueranspruch "zusammenhängt", wenn er sich als Reflex der - geänderten oder formal unwirksamen - Steuerfestsetzung darstellt. Ein derartiger Zusammenhang besteht aber nur zwischen der geänderten Steuerfestsetzung bei der Firma I und dem daraus resultierenden Steuererstattungsanspruch, nicht aber zwischen der Steuerfestsetzung bei der Antragstellerin und dem Erstattungsanspruch der Firma I. Der Steuererstattungsanspruch der Firma I ist nicht Folge einer geänderten Steuerfestsetzung bzw. beruht auf der Erkenntnis der Unwirksamkeit der Steuerfestsetzung bei der Antragstellerin; vielmehr ist umgekehrt die Steuerfestsetzung bei der Antragstellerin Folge der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch die Firma I. Dass ein derart weiter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Erstattungsanspruch des einen Steuerpflichtigen und einer Steuerfestsetzung bei einem anderen Steuerpflichtigen ausreicht, um die Hemmung des § 171 Abs. 14 AO auszulösen, hat bislang noch kein Finanzgericht entschieden. Unter diesen Umständen ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes AdV zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.