Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.02.2016, Az.: 1 Ws 340/15
Zulässigkeit einer sich ausdrücklich nur gegen die Begründung einer Entscheidung richtenden Beschwerde; Bereinigung etwaiger Grundrechtsverletzungen durch die Begründung einer Entscheidung; Unzulässigkeit der allein gegen die Begründung einer Entscheidung eingelegten Beschwerde
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 08.02.2016
- Aktenzeichen
- 1 Ws 340/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 10819
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2016:0208.1WS340.15.0A
Rechtsgrundlagen
- § 454 Abs. 3 S. 1 StPO
- § 462 Abs. 3 S. 1 StPO
- § 463 Abs. 3 S. 1 StPO
- § 463 Abs. 6 S. 1 StPO
- StGB § 67d Abs. 2
- StPO § 304
- StPO § 454 Abs. 3
- StPO § 463 Abs. 3 S. 1
- GG Art. 1
- GG Art. 2 Abs. 1
Fundstelle
- StRR 2016, 2
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Beschwerde, die sich ausdrücklich nur gegen die Begründung einer Entscheidung richtet, ist mangels Beschwer unzulässig.
- 2.
Eine Beschwer kann sich nur aus dem Tenor einer Entscheidung, nicht jedoch aus deren Begründung ergeben.
- 3.
Die Bereinigung etwaiger Grundrechtsverletzungen durch die Begründung einer Entscheidung ist nicht Aufgabe des strafprozessualen Rechtsmittelsystems.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. vom 28. Oktober 2015 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts I. (VH I Bl. 1ff.) v. 15.05.2003 wegen Vergewaltigung und schwerer räuberischer Erpressung mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren belegt. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die durch den Sachverständigen Prof. Dr. med. K. beratene Strafkammer stellte fest, dass bei dem intellektuell minderbegabten Beschwerdeführer eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen Merkmalen sowie multiple Störungen der Sexualpräferenz mit fetischistischen, transvestitischen und sexuell-aggressiven Zügen vorliegt.
Der Beschwerdeführer fiel bereits 1965 erstmals und seitdem immer wieder strafrechtlich auf und hatte bis zur Inhaftierung im vorliegenden Verfahren seit dem 28.12.1971 30 Jahre und 4 Monate in der Fachklinik N. verbracht, nachdem er sich zuvor seit Februar 1967 freiwillig im LKH S. aufgehalten hatte. Jahrzehntelange Bemühungen der Ärzte, mit dem Beschwerdeführer ins Gespräch zu kommen und Therapieansätze zu bieten, blieben ohne Erfolg, da der Verurteilte sich Gesprächen und der Zusammenarbeit mit Ärzten oder Therapeuten verweigerte.
Über den Beschwerdeführer wurden in den letzten 47 Jahren mithin zahlreiche psychologische und psychiatrische, später auch kriminalprognostische Sachverständigengutachten erstellt und zwar in den Jahren 1968, 1971, 1981, 1982, 1994, zweimal in 2000, 2001 und 2002. Eine detaillierte Aufstellung der verschiedenen Begutachtungen und den jeweils gestellten Diagnosen findet sich in dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 25.11.2002 (Bl. 327 - 360 Sonderheft Gutachten) auf das Bezug genommen wird.
Die Unterbringung wird - nach Vorwegvollstreckung von mehr als 2/3 der Freiheitsstrafe - seit dem 16. September 2010 vollzogen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28.Oktober 2015 (VH II Bl. 544ff.) hat die 51. große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts G. die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. In ihrem Beschluss stützt sich die Strafvollstreckungskammer auf das von ihr in Auftrag gegebene forensisch-psychiatrische Gutachten der Sachverständigen Dr. med. W. vom 10.08.2015, welches in der mündlichen Anhörung vom 13.10.2015 erörtert worden ist und führt insoweit unter II. 1. (VH II Bl. 551R) des Beschlusses aus:
"Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten das Vorliegen der Symptomatik einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden, zwanghaften, paranoiden und dissozialen Anteilen (ICD 10: F61.0) sowie multiple Störungen der Sexualpräferenz (ICD 10: F65.6) festgestellt, wobei sie unter Ausdifferenzierung der ursprünglich festgestellten Störungsmuster nunmehr auch - jedoch im Hinblick auf die Legalprognose unerhebliche - zwanghafte und paranoide Anteile der Persönlichkeitsstörung belegt hat ."
Unter III. 1. a) (VH II Bl. 553R f.) begründet die Strafvollstreckungskammer ihren Fortdauerbeschluss wie folgt:
" Der Verurteilte leidet fortdauernd an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen (ggf. auch zwanghaften sowie paranoiden) Anteilen (ICD 10: F61.0) und multiplen Störungen der Sexualpräferenz (ICD 10: F65.6), die dem Anlassdelikt entsprechen.
Das Gericht hat keine vernünftigen Zweifel am Vorliegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen Anteilen (ICD 10: F61.0), von deren Vorliegen sowohl die Sachverständige Dr. W. als auch der Vorgutachter und die Einrichtung ausgehen. Soweit die Sachverständige Dr. W. unter weitergehender Ausdifferenzierung der Persönlichkeitsstörung auch vom Vorliegen von paranoiden und zwanghaften Anteilen ausging, kann dahinstehen, ob diese lediglich Akzentuierungen darstellen oder bereits Krankheitswert entfalten, da sie jedenfalls für die Legalprognose unerheblich wären. Maßgeblich sind die zweifelsfrei vorliegenden schizoiden und dissozialen Anteile der schweren, jedoch noch nicht behandelten Persönlichkeitsstörung und die anhaltenden multiplen Störungen der Sexualpräferenz."
Gegen diesen dem Beschwerdeführer und seiner Verteidigerin jeweils am 03.11.2015 zugestellten Beschluss hat die Verteidigerin am 08.11.2015 sofortige Beschwerde eingelegt (VH II Bl. 559) und mit weiterem Schriftsatz vom 26.11.2015 begründet. Darin wird ausgeführt, dass sich die Beschwerde nicht dagegen richte, dass die Kammer die Fortdauer der Unterbringung angeordnet habe, sie sich vielmehr dagegen richte, dass in dem angefochtenen Beschluss behauptet werde, die Sachverständige Dr. W. habe zwanghafte und paranoide Anteile der Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers belegt und dass diese als gegeben erachtet werden. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, er habe einen Anspruch darauf, dass die aus seiner Sicht unzutreffenden Diagnosen nicht in dem Beschluss genannt werden. Dieser Anspruch ergebe sich aus der Unantastbarkeit seiner Menschenwürde aus Art. 1 GG und aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Wegen der Einzelheiten Beschwerdebegründung wird auf VH II Bl. 566 - 570 verwiesen.
Der Beschwerdeführer beantragt,
die Sache an das Landgericht G. zurückzuverweisen mit der Maßgabe, mit Rücksicht auf die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in der Begründung des Beschwerdebeschlusses auf die Erwähnung der unzutreffenden und ohnehin nicht entscheidungserheblichen Diagnosen der Sachverständigen, die Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers enthalte Anteile einer zwanghaften und paranoiden Persönlichkeitsstörung, zu verzichten bzw. sie als nicht zutreffend zu charakterisieren.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig,
da es an einer Beschwer des Beschwerdeführers fehle (VH II Bl. 582ff.).
Die Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 22.01.2016 ergänzend Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf VH II Bl. 593ff. verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 463 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 S. 1, 454 Abs. 3 S. 1, 462 Abs. 3 S. 1 StPO) und sowohl form- als auch fristgerecht angebracht worden (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel ist jedoch unzulässig, weil die erforderliche Beschwer fehlt. Das Vorliegen einer Beschwer ist Zulässigkeitsvoraussetzung eines jeden Rechtsmittels (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl.,Rn. 8 vor § 296).
Vorliegend stellt die Fortdauerentscheidung zwar grds. eine Beschwer dar, jedoch richtet sich der Beschwerdeführer ausdrücklich nicht gegen diese sondern gegen bestimmte - aus seiner Sicht unzutreffende - Ausführungen der Kammer in der Entscheidungsbegründung. Soweit er begehrt, dass bestimmte Teile der Begründung des Beschlusses entfernt bzw. richtiggestellt werden, kann ihm dies im Wege der Beschwerdeentscheidung jedoch nicht gewährt werden. Denn die Aufhebung des Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer zum Zwecke der Abänderung der Beschlussbegründung ist unzulässig. Die in der Sache erforderliche Entscheidung hängt stets davon ab, worüber die Strafvollstreckungskammer entschieden hat. Dabei kommt es nicht auf die Begründung sondern nur auf den Spruch der angefochtenen Entscheidung an. Aus der unzutreffenden Begründung einer Entscheidung kann sich eine Beschwer somit nicht ergeben (st. Rspr. des RG und des BGH, so insb. RGSt 4, 355; 13, 324; 63, 185; 67, 317; 69, 13; BGHSt 7, 153; 13, 77; 16, 374; 27, 290; 34, 124; BGH NJW 1955, 639 [BGH 18.01.1955 - 5 StR 499/54]; 1986; 1820; OLG Braunschweig, MDR 1950, 629; OLG Celle, NdsRpfl. 1951, 149; 1961, 91; OLG Düsseldorf, NJW 1960, 1404 [OLG Düsseldorf 25.11.1959 - 1 Ws 390/59]; MDR 1979, 956 [OLG Celle 08.05.1979 - 1 Ss 109/79]; JMBlNRW 1982, 70; OLG Hamm, NJW 1953, 1484 [OLG Oldenburg 20.01.1953 - Ss 341/52]; OLG Karlsruhe, NJW 1984, 1975; OLG Schleswig, NJW 1957; 1487; Paul in KK, StPO, 7. Aufl., Rn. 5 a vor § 296 StPO; Zabeck in KK, a.a.O., § 309, Rn. 11).
Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 31. März 2014 eine Beschwer durch Ausführungen in einer Entscheidungsbegründung angenommen hatte, lag die Besonderheit darin, dass die Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung eine verbindliche Entscheidung unter III. der Begründung treffen wollte und auch getroffen hatte, ohne dass dies im Tenor der Entscheidung aufgenommen worden war (OLG Braunschweig, Beschluss vom 31. März 2014, 1 Ws 47/14, Rn. 10, zitiert nach ). Dies liegt hier anders. Die Strafvollstreckungskammer hat in ihrem Beschluss zweimal die in Rede stehende Diagnosen genannt, dabei jedoch jeweils ausgeführt, dass diese Diagnosen gerade nicht entscheidungserheblich seien sondern die Fortdauerentscheidung ausschließlich auf die Anlassdefekte der kombinierten Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen Anteilen (ICD 10: F61.0) und multiplen Störungen der Sexualpräferenz (ICD 10: F65.6) gestützt werde. Die Kammer hat stets zu erkennen gegeben, dass sie die fraglichen Diagnosen nicht als verbindlich ansieht. Sie hat auch ausdrücklich offengelassen, ob die zwanghaften und paranoiden Anteile bereits Krankheitswert entfalten.
Soweit sich der Beschwerdeführer auf einzelne Meinungen in der Literatur beruft, wonach auch eine Entscheidungsbegründung Grundrechte verletzen könne, weist der Senat darauf hin, dass die Bereinigung einer solchen Verletzung durch die öffentliche Gewalt nach geltendem Recht jedenfalls keine Aufgabe des strafprozessualen Rechtsmittelsystems ist, das ein spezielles "Urteils- bzw. Entscheidungsbereinigungsverfahren" nicht kennt (vgl. dazu Jesse in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor 296, Rn. 62).
Unabhängig davon hält es der Senat aber auch für ausgeschlossen, dass für den Beschwerdeführer rechtliche Nachteile durch die Entscheidungsbegründung entstehen könnten, indem zukünftige Sachverständige die fraglichen - aus seiner Sicht unzutreffenden - Diagnosen ungeprüft übernehmen könnten, diese damit für das weitere Verfahren quasi festgeschrieben werden. Wie schon die in Bezug auf den Beschwerdeführer in der Vergangenheit eingeholten Sachverständigengutachten zeigen, beurteilen sämtliche Sachverständige den Beschwerdeführer basierend auf ihrer eigenen Exploration. Sie übernehmen gerade nicht jeweils "unbesehen" die Vordiagnosen sondern setzen sich mit diesen stets kritisch auseinander. So hat z.B. der Sachverständige Prof. Dr. K. im Jahr 2002 eine von dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Ko. im Oktober 2001 (reversible Persönlichkeitsstörung) abweichende Diagnose gestellt.
Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung zu Recht angeordnet hat, da die Voraussetzungen für eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 S. 1 1. Alt. StGB nicht vorliegen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.