Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 14.06.2018, Az.: 5 U 17/18

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.06.2018
Aktenzeichen
5 U 17/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 31380
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 20.12.2017 - AZ: 7 O 85/17

Fundstellen

  • EWiR 2018, 597
  • InsbürO 2018, 482-483
  • NJW-Spezial 2018, 565-566
  • NZI 2018, 642-643
  • ZInsO 2018, 2189-2191
  • ZVI 2018, 478-480

In dem Rechtsstreit

V. B. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer S. V., ...,

Beklagte, Berufungsklägerin und Anschlussberufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...,

Geschäftszeichen: ...

gegen

Rechtsanwalt Dr. C. W. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der V. K. (auch handelnd unter K. K.), ...,

Kläger, Berufungsbeklagter und Anschlussberufungskläger,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...,

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2018 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 20. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 20. Dezember 2017 teilweise geändert:

Ziffer 2. des Tenors des angefochtenen Urteils ("Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit hinsichtlich der Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 27. September 2017 in der Hauptsache erledigt hat.") wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Wert des Berufungsverfahrens: 30.000 €

Gründe

I.

Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der V. K. (auch handelnd unter K. K.) die Beklagte auf Feststellung in Anspruch, dass der Widerspruch des Klägers gegen die in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der V. K. angemeldeten und in die Insolvenztabelle eingetragen Forderungen in Höhe von 285.998,23 € und in Höhe von 3.218,62 € begründet sind. Darüber hinaus hat der Kläger von der Beklagten die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids des Amtsgerichts H. (Az.: ...) vom 12. August 2016 begehrt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die Feststellungen des angefochtenen landgerichtlichen Urteils inhaltlich Bezug genommen. Da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 27. September 2017 vor dem Landgericht keinen Antrag gestellt hat, hat das Landgericht ein Versäumnisurteil erlassen, in dem es sowohl den Widerspruch des Klägers gegen die Forderungsanmeldung der Beklagten für begründet erklärt als auch die Beklagte zur Herausgabe der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheids verurteilt hat. Die Beklagte hat den Vollstreckungsbescheid herausgegeben. Das Landgericht hat sodann nach Einlegung des Einspruchs durch die Beklagte das Versäumnisurteil vom 27. September 2017 hinsichtlich der Ziffern 1 und 3 (Kostenentscheidung) aufrechterhalten. Zudem hat es festgestellt, dass sich der Rechtsstreit hinsichtlich der Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 27. September 2017 in der Hauptsache erledigt habe. Bezüglich der Einzelheiten der Begründung des Ausspruches wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils inhaltlich verwiesen.

Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie meint, entgegen der Auffassung des Landgerichts wirke sich die unstreitig fehlerhafte Angabe eines falschen Rechtsgrundes nicht zum Nachteil der Beklagten aus. Sie führe weder zur Verpflichtung, den Vollstreckungsbescheid an den Kläger herauszugeben, noch zur Begründetheit des vom Kläger eingelegten Widerspruches gegen die von der Beklagten angemeldeten Forderungen. Ein im Rahmen des Mahnverfahrens angegebener falscher Rechtsgrund führe nicht zur Unwirksamkeit eines auf diese Weise erlangten Vollstreckungsbescheides. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe dazu ausgeführt, dass zur Individualisierung eines Anspruchs die irrtümliche Bezeichnung im Mahnbescheid genügen könne, wenn der Antragsteller zugleich auf ein vorprozessuales Anspruchsschreiben Bezug nehme, das dem Antragsgegner vermittele, auf welche Forderung sich der per Mahnbescheid geltend gemachte Anspruch beziehe. Unabhängig davon, dass das Landgericht die BGH-Entscheidung nicht berücksichtigt habe, habe es auch übersehen, dass der Schuldnerin allein schon aufgrund der im Rahmen des Mahnverfahrens erfolgten ausdrücklichen Bezugnahme auf das vorgerichtliche anwaltliche Aufforderungsschreiben der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 24. Mai 2016, per Telefax versandt am 25. Mai 2016, hinreichend bekannt gewesen sei, welche konkrete Forderung von der Beklagten per Mahnbescheid geltend gemacht werde und welche Forderung damit im hier streitgegenständlichen Vollstreckungsbescheid tituliert worden sei. Das Vordergericht habe sich damit nicht auseinandergesetzt, obwohl bereits im Schriftsatz vom 21. September 2017 vorgetragen worden sei, dass der Schuldnerin das Schreiben vom 24. Mai 2016 ausweislich des vorliegenden Faxprotokolls am 25. Mai 2016 um 09:07 Uhr vorab per Telefax übersandt und zusätzlich per Post zugesandt worden sei. Allein die Behauptung des Klägers, ein Steuerberater habe in den Buchungsunterlagen der Schuldnerin dieses Schreiben nicht gefunden, widerlege nicht den Zugang dieses Schreibens. Vom Vordergericht sei auch ignoriert worden, dass im Rahmen des erstinstanzlich angesprochenen vorgerichtlichen anwaltlichen Aufforderungsschreibens vom 24. Mai 2016 wiederum ausdrücklich auf die unmittelbar vorangegangene Korrespondenz der Beklagten mit der Schuldnerin Bezug genommen worden sei und damit auch auf die E-Mail vom 11. Mai 2016, in der genauer erläutert worden sei, wie sich die geltend gemachte Forderung zusammensetze. Nach Einleitung des gerichtlichen Mahnverfahrens sei mit dem Rechtsanwalt der Schuldnerin korrespondiert worden. Dieser habe nicht nur die Zahlung der Schuldnerin zugesichert, sondern den Widerspruch gegen den Mahnbescheid zurückgenommen. Daraus werde deutlich, dass die Schuldnerin trotz der falschen Bezeichnung der Anspruchsgrundlage bestens gewusst habe, welche Forderung von der Beklagten per Mahnbescheid geltend gemacht werde.

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des mit der Berufung angefochtenen Urteils des Landgerichts Verden vom 20. Dezember 2017 das Versäumnisurteil vom 27. September 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussberufung beantragt er,

Ziffer 2. des Tenors des angefochtenen Urteils ("Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit hinsichtlich der Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 27. September 2017 in der Hauptsache erledigt hat.") aufzuheben.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung, soweit sie mit der Berufung angegriffen worden ist. Hinsichtlich der Anschlussberufung rügt der Kläger, dass das Landgericht die Vorschrift des § 91a ZPO nicht richtig angewandt habe. Das Landgericht hätte nicht die Feststellung treffen dürfen, dass sich der Rechtsstreit hinsichtlich der Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 27. September 2017 in der Hauptsache erledigt habe. An einer solchen Feststellung sei das Landgericht gehindert gewesen, weil die Parteien den Rechtsstreit in erster Instanz bezüglich der besagten Ziffer des Versäumnisurteils übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt hätten. Der Kläger habe die Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 10. November 2017 abgegeben, der die Beklagte nicht innerhalb der Notfrist des § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO widersprochen habe. Damit gelte das Schweigen der Beklagten als Zustimmung zur Erledigungserklärung des Klägers.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen bis zur mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2018 gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen inhaltlich Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Dagegen ist die Anschlussberufung des Klägers begründet.

1. Der Widerspruch des Klägers gegen die von der Beklagten angemeldete Forderung ist gemäß §§ 179 Abs. 2, 181, 183 Abs. 1 Alt. 2 InsO begründet.

Die Frage, ob die Falschbezeichnung des Rechtsgrundes im Mahnbescheid durch beigefügtes Schreiben "geheilt" werden kann, ist für den vorliegenden Rechtsstreit unbeachtlich. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kann gemäß § 181 InsO die Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle nach Grund, Betrag und Rang der Forderung nur in der Weise begehrt werden, wie die Forderung in der Anmeldung oder im Prüfungstermin bezeichnet worden ist. Der BGH (Urteil vom 21. Februar 2013 - IX ZR 92/12) hat entschieden, dass dann, wenn in der Forderungsanmeldung als Rechtsgrund ein Darlehensvertrag angegeben war, es sich in Wirklichkeit aber um eine Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung gehandelt hat, eine neue Forderungsanmeldung unter Angabe des zutreffenden Rechtsgrundes erforderlich ist. Die Individualisierung der Forderung dient dem Zweck, den Verwalter und die übrigen Insolvenzgläubiger in den Stand zu versetzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen. Mithin hat der Gläubiger bei der Anmeldung den Lebenssachverhalt darzulegen, der in Verbindung mit einem - nicht notwendig ebenfalls vorzutragenden - Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als begründet erscheinen lässt (BGH, a.a.O., Rn. 15, juris).

Im vorliegenden Fall ist solch eine neue Forderungsanmeldung schon deshalb erforderlich, weil für eine vermeintliche Forderung aus einem Kaufvertrag und einem Schuldbeitritt oder Schuldanerkenntnis kein Vollstreckungstitel vorliegt und dies erhebliche Auswirkungen auf das Verfahren der Forderungsfeststellung hat. Denn sobald eine Forderung, die mit dem Rechtsgrund "Kaufvertrag" oder "Schuldbeitritt" angemeldet wurde, bestritten würde, obliege es nicht mehr dem Kläger, sondern der Beklagten, die Feststellung der Forderung zu betreiben (§ 179 Abs. 1 InsO). Nicht der Kläger müsste die Beklagte, sondern die Beklagte müsste den Kläger auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle verklagen.

Die Rechtsprechung zur Auslegung des Mahnbescheides lässt sich auf die Anmeldung zur Insolvenztabelle auch deshalb nicht übertragen, weil eine im Insolvenzverfahren angemeldete Forderung nicht nur von dem Schuldner, sondern auch von dem Insolvenzverwalter und von jedem anderen Insolvenzgläubiger bestritten werden kann (vgl. § 176 Satz 2 InsO, § 179 Abs. 1 InsO). Da somit alle Beteiligten des Insolvenzverfahrens das Recht haben, die Forderung zu bestreiten, muss für alle Beteiligten und nicht nur für den Schuldner erkennbar sein, was der Rechtsgrund der Forderung ist. Da die Anmeldung eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung als Titel die Zwangsvollstreckung betreiben kann (§ 178 Abs. 3 InsO), muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden (BGH, Urt. v. 27. September 2001 - IX ZR 71/00). Die Individualisierung der Forderung dient daneben dem Zweck, den Verwalter und die übrigen Insolvenzgläubiger in den Stand zu versetzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu unterziehen. Mithin hat der Gläubiger bei der Anmeldung den Lebenssachverhalt schlüssig darzulegen, der in Verbindung mit einem Rechtssatz die geltend gemachte Forderung als begründet erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - IX ZR 3/08 -, Rn. 10, juris). Andernfalls hätten die Beteiligten keine Gewissheit darüber, um welchen Anspruch es sich handelt. Außerdem bestünde die Möglichkeit, dass die Beteiligten unterschiedliche Vorstellungen davon hätten, was der Rechtsgrund der angemeldeten Forderung sei.

Ein Gläubiger, der eine Forderung anmeldet, muss sich an den in der Forderungsanmeldung angegebenen Rechtsgrund festhalten lassen. Eine berichtigende Auslegung ist nicht möglich. Denn keinem Insolvenzverwalter darf das Recht vorenthalten werden, Widerspruch gegen eine angemeldete Forderung zu erheben. Dies ist den Insolvenzgläubigern aber nur dann möglich, wenn sie erkennen können, was der Rechtsgrund der angemeldeten Forderung ist.

2. Die Anschlussberufung ist begründet, weil das Landgericht übersehen hat, dass die Zustimmungsfiktion des § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO eingreift, weil die Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb der Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung des Schriftsatzes widersprochen, wobei sie zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist. Die Erledigungserklärung des Klägers zu Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 27. September 2017 im Schriftsatz vom 10. November 2017 ist der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 23. November 2017 gemeinsam mit der Verfügung des Landgerichts vom 15. November 2017 zugestellt worden, in der das Landgericht auf die Folgen hingewiesen hat. Da die Beklagte innerhalb der Notfrist der Erledigungserklärung nicht widersprochen hat, ist davon auszugehen, dass die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit hinsichtlich der Herausgabe des Vollstreckungstitels für erledigt erklärt haben. Das Landgericht hätte daher über die Kosten nach § 91a ZPO entscheiden müssen. Für die Feststellung, dass sich der Rechtsstreit zu Ziffer 2 des Versäumnisurteils vom 27. September 2017 in der Hauptsache erledigt habe, war mithin kein Raum. Daher ist Ziffer 2. des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91 a Abs. 1, 344, 97 Abs. 1 ZPO. Der Beklagten sind die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Anspruchs auf Herausgabe des Vollstreckungsbescheids nach billigem Ermessen aufzuerlegen, weil die Beklagte unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes unterlegen wäre. Sie war zur Herausgabe des Titels verpflichtet, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO liegen nicht vor.