Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.06.2018, Az.: 1 U 71/17

Anspruch auf Schmerzensgeld aufgrund fehlerhafter ärztlicher Behandlung; Einwilligung eines Patienten in eine fehlerhafte Behandlung; Kriterien für die Schmerzensgeldbemessung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.06.2018
Aktenzeichen
1 U 71/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 73770
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 23.08.2017 - AZ: 2 O 157/16

Redaktioneller Leitsatz

Die Einwilligung eines Patienten in eine fehlerhafte Behandlung ist grundsätzlich unwirksam.

In dem Rechtsstreit
Dr. med. L. K., ...,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
Geschäftszeichen: ...
gegen
M. B., ...,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
Geschäftszeichen: ...
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 5. Juni 2018 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird erwogen, die Berufung des Beklagten gegen das am 23. August 2017 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  2. 2.

    Der Beklagte erhält Gelegenheit, binnen drei Wochen zu der beabsichtigten Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

  3. 3.

    Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin macht [...] einen Anspruch auf Schmerzensgeld aufgrund fehlerhafter ärztlicher Behandlung des am 17.03.2016 verstorbenen [...] geltend.

Hinsichtlich der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 23. August 2017 (Bl. 281 ff. d. A.).

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens vom 07.02.2017 und dessen mündlicher Erläuterung durch den Sachverständigen Prof. Dr. S. sowie Anhörung der Klägerin einen groben Behandlungsfehler des Beklagten bejaht und diesen zu einer Zahlung von 500.000,00 € Schmerzensgeld sowie vorgerichtlicher Kosten, jeweils nebst Zinsen, verurteilt. Der Beklagte habe in grober Weise gegen den medizinischen Facharztstandard verstoßen. Das intramuskuläre Verabreichen der Medikamente Solu-Decortin und Diclofenac sei bereits behandlungsfehlerhaft. Die gleichzeitige Verabreichung der vorgenannten Medikamente entspräche nicht dem fachlichen medizinischen Standard, widerspreche den gängigen Leitlinienempfehlungen und erhöhe das allgemeine Risiko eines Spritzenabszesses. Der Beklagte könne die streitgegenständliche Behandlung nicht damit rechtfertigen, dass der Patient seit vielen Jahren derartige Injektionen bei Rückenschmerzen erhalten und deshalb eine solche Behandlung ausdrücklich gewünscht habe. Die - von Arzt und Patient gewünschte - schnelle Schmerzreduktion sei nach den Ausführungen des Sachverständigen mit Diclofenac auch durch die orale oder rektale Gabe zu erreichen. Die damit einhergehende geringe zeitliche Verzögerung der Wirkung sei bei der Abwägung der Risiken einer Injektion im Allgemeinen zu vernachlässigen. Danach vermöge auch ein noch so nachdrücklich vorgebrachter Patientenwunsch schon die einmalige Behandlung von Rückenschmerzen mittels Injektionen von Diclofenac (und erst recht die viermalige Injektion innerhalb einer Woche) nicht zu rechtfertigen. Danach sei der Vortrag des Beklagten zur hypothetischen Einwilligung des Patienten in eine solche Behandlung unbeachtlich.

Zur Kausalität hat das Landgericht ausgeführt, dass der Beklagte den nicht zu führenden Beweis erbringen müsste, dass die Behandlung nicht kausal für die Erkrankung des Patienten gewesen sei. Abgesehen hiervon habe die Kammer keinen Zweifel daran, dass es eine vom Beklagten gesetzte Spritze war, die zu der schweren Sepsis geführt habe, die für das gesamte Krankheitsgeschehen ursächlich gewesen sei. Die Spritzen in den Gesäßmuskel seien grundsätzlich - auch bei Einhalten der Hygienekautelen - geeignet, eine Infektion hervorzurufen. Durch die mehrfachen Injektionen von Diclofenac und Solu-Decortin sei das Gewebe vorgeschädigt gewesen, was einen Infekt durch Keime begünstige. Konkrete Anhaltspunkte für eine andere Ursache der Sepsis seien nicht ersichtlich. Nur fünf Tage nach der letzten vom Beklagten gesetzten Injektion habe es im Bereich der Einstichstelle deutliche Hinweise auf ein Infektionsgeschehen in diesem Bereich gegeben. Phlegmonöse Entzündungen des Subkutangewebes bei Infektionen verursacht durch den beim Patienten identifizierten streptococcus pyogenes seien nach den Erklärungen des Sachverständigen typisch, wobei eine lokale Infektion zu einer Sepsis führen könne. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung anschaulich erklärt, dass aus seiner Sicht kein Zweifel daran bestehen könne, dass durch die vom Beklagten gesetzten Injektionen das septische Geschehen verursacht worden sei. Dass die Möglichkeit des Beweises bestehe, die Sepsis des Patienten und der damit einhergehende Krankheitsverlauf sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf die Behandlung des Beklagten zurückzuführen, behaupte auch der Beklagte nicht.

Die Kammer hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € für angemessen erachtet. [...]. Sodann gibt das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung den Verlauf der Behandlung und die körperlichen Beschwerden sowie die extreme psychische Belastung einschließlich depressiver Symptomatik und Angstattacken wieder und führt weiter aus: [...]. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei zu berücksichtigen, dass der Patient bewusst das Leid seiner Ehefrau und seiner Kinder habe ertragen müssen. [...]. Sodann hat sich das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung zu Schmerzensgeldern in der Größenordnung von 500.000,00 € auseinandergesetzt. Der Bundesgerichtshof habe deutlich gemacht, dass eine wesentliche Ausprägung des immateriellen Schadens darin bestehen könne, dass der Verletzte sich seiner Beeinträchtigung bewusst sei und in besonderem Maße unter ihr leide. Dieser Aspekt sei hier bei der Bemessung des Schmerzensgeldes von deutlich größerem Gewicht als die Dauer des Leidens des Patienten. [...].

Das Oberlandesgericht Hamm habe bei einem hypoxischen Hirnschaden mit u.a. linksbetonter Parese sowie erheblichen Hirnleistungsstörungen einer erwachsenen Frau ein Schmerzensgeld von 500.000,00 € zugesprochen und dabei neben der Dauer den Umstand der Zerstörung der Persönlichkeit berücksichtigt. Dieser Aspekt sei hier nach Auffassung der Kammer von deutlich größerem Gewicht als die Dauer des Leidens. Das Landgericht Kiel habe einem zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses 3½- jährigen Kind ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € wegen einer Querschnittslähmung ab dem ersten Halswirbel zuerkannt. Auch wenn der Patient hier deutlich älter gewesen sei, rechtfertige dies aus Sicht der Kammer in der Gesamtschau kein geringeres Schmerzensgeld.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten, der die vollständige Klagabweisung verfolgt. Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtsfehlerhaft. Auch aus Sicht des Beklagten habe die Beweisaufnahme ergeben, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin infolge einer beim Beklagten durchgeführten Injektionstherapie infiziert worden sei. Die Aufklärung bei einer Injektion umfasse nicht die Aufklärung über das Risiko eines Spritzenabszesses. Selbst wenn dies erforderlich wäre, greife im vorliegenden Fall der vom Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung durch. Insofern habe das Landgericht den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. Den Beweisantritten durch das Zeugnis der Mitarbeiterinnen des Beklagten S. und M., ob Herr B. ausdrücklich die Behandlung mittels Injektion gewünscht habe, hätte das Gericht nachkommen müssen. Der Beklagte habe Herrn B. zur Therapie seiner Rückenschmerzen in den Jahren 1995-2015 die in der Berufungsbegründung aufgelisteten Injektionen verabreicht. Die Klägerin könne einen echten Entscheidungskonflikt nicht plausibel darlegen. Die Injektionen hätten Herrn B. nach eigenem Bekunden immer gut geholfen, er habe auch im Januar 2015 ausdrücklich eine Injektion verlangt. Aufgrund der guten Erfahrungen über mehr als zwei Jahrzehnte hätte er auch bei detaillierter Aufklärung immer die Injektionstherapie gewählt, die über mehr als 20 Jahre problemlos funktioniert habe. Es sei nicht plausibel zu behaupten, er hätte von dieser für ihn erfolgreichen und wohltuenden Therapieform Abstand genommen. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten und in seiner Anhörung zwar keinen Zweifel daran gelassen, dass die vom Beklagten im Januar 2015 injizierte Medikamentenkombination einen groben Behandlungsfehler darstelle. Dieser Behandlungsfehler sei aber nicht kausal für die Streptokokkeninfektion mit Blutvergiftung und anschließendem Multiorganversagen. Der durch die Beweislastumkehr infolge der Feststellung eines groben Behandlungsfehlers zu führende Entlastungsbeweis liege auf der Hand, da der Sachverständige allein die Injektion und nicht das injizierte Medikament als kausal für die schweren Folgen für Herrn B. identifiziert habe.

Das erstinstanzliche Urteil sei zumindest in Bezug auf die Bemessung des Schmerzensgeldes korrekturbedürftig. Das Schmerzensgeld sei deutlich überhöht festgesetzt. [...]. Es gebe keine vergleichbaren Fälle, in denen bei relativ kurzer Leidenszeit annähernd ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € zugesprochen worden seien. Bei den Fällen der laufenden Nrn. 2071-2074, 2076 und 2078 in Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2017, bei denen jeweils 17- bis 30-jährige Männer eine Querschnittslähmung erlitten und zeitlebens auf einen Rollstuhl und ständige Hilfe durch andere Personen angewiesen waren, habe die Rechtsprechung Schmerzensgeldbeträge in Höhe von 160.000,00 € bis zu 200.000,00 € zugesprochen.

Der Berufungskläger und Beklagte beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 23.08.2017, Az. 2 O 157/16, wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Hierbei ist auf die Bedeutung der Rechtsfragen, nicht auf die wirtschaftliche Bedeutung für die Parteien abzustellen, so dass hier trotz des sehr hohen Streitwerts eine Zurückweisung durch Beschluss ergehen kann (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 522 ZPO, Rn. 38). Eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Diese Voraussetzung des § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO soll dem Schutz des Berufungsführers dienen. Über die von ihm eingelegte Berufung soll, auch wenn sein Rechtsmittel letztlich ohne Aussicht auf Erfolg ist, mündlich verhandelt werden, wenn dies angebracht erscheint, insbesondere wenn die Rechtsverfolgung für ihn existenzielle Bedeutung hat wie z.B. in Arzthaftungssachen (vgl. Musielak/Voit/Ball ZPO § 522 Rn. 23a, zitiert nach beck-online). Im vorliegenden Berufungsverfahren ist jedoch Berufungskläger der beklagte Arzt. Dieser ist aufgrund der Eintrittspflicht seiner Haftpflichtversicherung nicht existentiell betroffen.

Die Berufung hat nach vorläufiger Beurteilung der derzeitigen Sach- und Rechtslage aus den folgenden Gründen offensichtlich keinen Erfolg:

Das Landgericht hat der Klage zu Recht in vollem Umfang stattgegeben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € aus §§ 630a, 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB, jeweils i.V.m. §§ 249, 253 Abs. 2 BGB und § 1922 BGB zu. Die Anspruchsvoraussetzungen hat das Landgericht unter Berücksichtigung des wechselseitigen Parteivortrags und mit zutreffender Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach Einholung eines Sachverständigengutachtens rechtsfehlerfrei bejaht.

1. Aufklärung

Das Landgericht hat die Verurteilung allein auf einen ärztlichen Behandlungsfehler gestützt, so dass es weder auf die Aufklärungsrüge der Klägerin, noch auf die Frage eines plausiblen Entscheidungskonflikts - den der Beklagte in seiner Berufungsbegründung bestreitet -, ankommt. Die Frage, ob im vorliegenden Fall über das Risiko eines Spritzenabszesses aufzuklären gewesen wäre, kann mithin offenbleiben.

2. Einwilligung Der Beklagte beruft sich darauf, dass selbst im Fall der Verletzung von Aufklärungspflichten der Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgreife, und trägt hierzu vor, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin die Injektion ausdrücklich verlangt habe. Da ein Aufklärungsmangel nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils ist, geht der Senat davon aus, dass der Beklagte mit seinem Einwand geltend machen will, dass die erfolgte Einwilligung in die behandlungsfehlerhafte Maßnahme durch den Verstorbenen bzw. dessen ausdrückliches Verlangen nach den Injektionen die Haftung des Beklagten nicht nur für den Aufklärungsfehler, sondern auch für den Behandlungsfehler entfallen lasse. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

So ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der der Senat folgt, die Einwilligung eines Patienten in eine fehlerhafte Behandlung grundsätzlich unwirksam (vgl. OLG Köln, Urteil vom 25. Februar 1998 - 5 U 157/97 -, juris Rn. 43). Ein Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor, zumal auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Verstorbenen bewusst gewesen wäre, dass die Injektionsbehandlung nicht dem medizinischen Standard entsprochen hat. Auch ein nachhaltiges Verlangen des Patienten nach einer Injektionsbehandlung darf den Arzt nämlich nicht veranlassen, eine nicht sachgemäße Injektionsbehandlung vorzunehmen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. November 2000 - 8 U 101/99 -, juris Rn. 34; siehe auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 11. September 2002 - 7 U 102/01 -, juris-LS: Der Arzt darf auch dann kann keine kontraindizierte Behandlung durchführen, wenn der Patient dies nachhaltig wünscht). Ein derartiges Verlangen nach Durchführung einer solchen Behandlung kann auch nicht etwa ein Mitverschulden begründen (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, a.a.O., juris Rn. 40). Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen hierzu im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mithin waren entgegen der Auffassung des Beklagten die von ihm benannten Zeuginnen S. und M. nicht zu vernehmen.

3. Kausalität

Dass der verstorbene Ehemann der Klägerin infolge der beim Beklagten durchgeführten Injektionstherapie infiziert worden ist, wird vom Beklagten zunächst nicht in Abrede genommen. Er führt hierzu unter Ziffer 2 der Berufungsbegründung ausdrücklich aus, dass die Beweisaufnahme dies auch aus seiner Sicht ergeben habe. Auch die anhand der Ausführungen des Sachverständigen getroffene Feststellung eines groben Behandlungsfehlers wird vom Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Der Beklagte bestreitet jedoch sodann unter Ziffer 5 der Berufungsschrift die Kausalität des Behandlungsfehlers für die Streptokokkeninfektion mit Blutvergiftung und anschließendem Multiorganversagen. Für den Senat schwer nachvollziehbar beruft er sich in diesem Zusammenhang darauf, dass der durch die Beweislastumkehr infolge der Feststellung eines groben Behandlungsfehlers zu führende Entlastungsbeweis auf der Hand liege, da der Sachverständige allein die Injektion und nicht das injizierte Medikament als kausal für die schweren Folgen für Herrn B. identifiziert habe. Diese, teilweise widersprüchlichen Einwendungen des Beklagten greifen nicht durch.

Der Entlastungsbeweis - der eine gemäß § 630 h Abs. 5 BGB aufgrund des groben Behandlungsfehlers eintretende Beweislastumkehr ausschlösse -, ist nicht geführt. Vielmehr hat das Landgericht die Kausalität des Behandlungsfehlers für die schwere Sepsis, die für das gesamte Krankheitsgeschehen ursächlich war, rechtsfehlerfrei aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. sogar positiv bejaht. So hat der gerichtliche Sachverständige in seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 12.07.2017 eindeutig erklärt, dass er im vorliegenden Fall keine Zweifel daran habe, dass die Behandlung des Beklagten zu der Infektion mit dem Streptococcus pyogenes geführt habe, weil sich im Bereich der Injektionsstelle ein Abszess und eine phlegmonöse Veränderung gezeigt hätten. Hierzu hat er weiter erklärt, dass die gegebenen Medikamente den Boden für einen Infekt vorbereitet hätten. Insoweit hat der Sachverständige entgegen dem Vorbringen des Beklagten seine Ausführungen zur Kausalität auch auf die injizierten Medikamente bezogen und dies gut nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei erläutert. Diclofenac sei lokal gewebeschädigend. Das bedeute, dass es für einen Erreger einfacher sei, sich dort einzusetzen, zu vermehren und zu verbreiten. Das Glukokortikoid schwäche in diesem Bereich das Immunsystem. Wenn also ein gewebeschädigendes Medikament einerseits und andererseits in dem Bereich ein Medikament, das das System schwäche, gegeben werden, erhöhe dies die Wahrscheinlichkeit, dass es mit dem Eindringen eines Erregers zu einer Infektion komme.

Der Hinweis des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 04.12.2017 auf die Ausführungen des von der Staatsanwaltschaft Lüneburg eingeholten forensisch-neuropathologischen Gutachtens vom 18.05.2017, dass der Verlauf als äußerst ungewöhnlich eingeschätzt werde und nicht vorhersehbar gewesen sei, sowie, dass es sich um die Verwirklichung eines behandlungsimmanenten, zwar geringen, jedoch typischen Risikos handele, begründet keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. in seinem allgemein medizinisch-wissenschaftlichen Gutachten vom 07.02.2017 und steht der Haftung des Beklagten nicht entgegen.

4. Schmerzensgeld

Das Landgericht hat der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € zugesprochen. Dies ist nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich des gerichtlichen Ermessens im Zusammenhang mit der Höhe des Schmerzensgelds ist vom Berufungsgericht lediglich nachzuprüfen, ob das erstinstanzliche Gericht alle maßgeblichen Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat, weil es grundsätzlich Sache des Tatrichters ist, alle maßgeblichen Umstände zu erfassen und zu bewerten (vgl. OLG München, Beschluss vom 19. September 2005 - 1 U 2640/05 -, juris Rn. 35). Derartige Rechtsfehler sind nicht zu erkennen. Das Landgericht hat die im vorliegenden Einzelfall relevanten Umstände umfassend gewürdigt und zutreffend gewichtet. Dabei hat es von seinem tatrichterlichen Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht und einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 500.000,00 € für angemessen erachtet.

a)

Der Anspruch auf Schmerzensgeld soll den vom Verletzen erlittenen immateriellen Schaden angemessen ausgleichen. Die Schmerzensgeldhöhe muss im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgebender Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 253 Rn. 4, 15). Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen; hier liegt das Schwergewicht (BGH, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16 -, juris Rn. 70).

b)

Die Lebensbeeinträchtigung des Verstorbenen war hier außerordentlich schwerwiegend. Das extreme Leiden des verstorbenen Ehemanns der Klägerin wird auch vom Beklagten nicht bestritten. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die ausführliche Darstellung im angefochtenen Urteil Bezug. Insbesondere ist hier von Bedeutung, dass der Verletzte sich seiner Beeinträchtigungen bewusst war und deshalb in besonderem Maße unter ihnen litt (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 13. Oktober 1992 - VI ZR 201/91 -, juris Rn. 29).

c)

Der Senat verkennt nicht, dass grundsätzlich die Dauer der Lebensbeeinträchtigung eine wesentliche Grundlage bei der Bemessung der Entschädigung bildet (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1992 - VI ZR 201/91 -, juris Rn. 30). Der Senat folgt aber den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts, dass im vorliegenden Einzelfall aufgrund der dargelegten besonderen Umstände die verhältnismäßig kurze Dauer des schweren Leidens des Verstorbenen nicht dazu führt, dass ein geringerer Schmerzensgeldbetrag als ausgeurteilt zuzusprechen wäre. [...].

Dementsprechend ist der vorliegende Fall nicht mit den Fällen zu vergleichen, in denen ein Geschädigter nur kurze Zeit überlebt und "alsbald" an den Folgen der Gesundheitsbeeinträchtigung verstirbt. Allerdings hat das Oberlandesgericht München sogar in einem derartigen Fall ausgeführt, es könne bei einer Schmerzensgeldbemessung zwar nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Verletzte nach dem Unfall nur noch wenige Wochen gelebt habe. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Beachtung der Zerstörung der Persönlichkeit dürfe der Umstand der verkürzten Lebenszeit aber nicht das entscheidende Gewicht haben. Denn andernfalls würde die Verkürzung der Lebenszeit, somit ein Umstand, der die besondere Schwere der zu entschädigenden Beeinträchtigung für den Betroffenen ausmacht, zum Anlass für eine wesentliche Minderung des Schmerzensgeldes genommen. Das widerspräche Sinn und Zweck der Schmerzensgeldregelung. Hätte nämlich der Schwerverletzte noch vor seinem Tod selbst auf Schmerzensgeld geklagt, hätte ihm grundsätzlich nicht entgegengehalten werden können, dass er wegen der Schwere der erlittenen Verletzungen nur noch eine kurze Zeit zu leben und deshalb nur ein besonders niedriges Schmerzensgeld zu beanspruchen hätte (vgl. OLG München, Beschluss vom 04. Oktober 1995 - 24 U 265/95 -, juris Rn. 3). [...].

d)

Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes ist der Gedanke zu berücksichtigen, dass für vergleichbare Verletzungen ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren ist (Palandt, a.a.O. Rn. 15). Als Ausgangspunkt ist es daher erforderlich, sich an in anderen Fällen von der Rechtsprechung zugebilligten Beträgen zu orientieren (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 111/68 -, juris Rn. 13). Auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Vergleichsrechtsprechung hält der Senat jedoch entgegen der Auffassung des Beklagten den hier vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag für angemessen.

Das Landgericht hat sich ausdrücklich und rechtsfehlerfrei an den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Hamm vom 21.03.2017 (Az. I-26 U 122/09, vom Landgericht zitierte Fundstelle: VersR 2017, 1017) und am Urteil des Landgerichts Kiel vom 11.07.2003 - 6 O 13/03 - juris) orientiert, mit denen jeweils ein Betrag von 500.000,00 € zugesprochen wurde. Im Fall des OLG Hamm, den der Senat ebenfalls für vergleichbar hält, war die 47-jährige Klägerin ein Schwerstpflegefall, stark körperlich und geistig behindert und dauerhaft auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen (a.a.O., juris-Rn. 3).

Soweit der Beklagte einwendet, dass beide Fälle wegen der wesentlich längeren Dauer des Leidens nicht vergleichbar sind, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen, nach denen der Dauer im vorliegenden Fall aufgrund der besonderen Umstände des Todes des früheren Ehemanns der Klägerin kein maßgebliches Gewicht zukommt.

Der angefochtenen Entscheidung entsprechend hat das OLG Köln in seinem Urteil vom 20.12.2006 (Az. 5 U 130/01 -, juris Rn. 15) ausgeführt, dass in der neueren Rechtsprechung allgemein und zu Recht in Fällen einer Schwerstschädigung bei maximaler Beeinträchtigung der physischen und psychischen Persönlichkeit ein Betrag von 500.000,00 € zuerkannt werde.

Dagegen sind die vom Beklagten zitierten Fälle hinsichtlich der Art und des Maßes der Lebensbeeinträchtigung nicht vergleichbar. So lag dem Urteil des OLG Hamm vom 26.11.1996 (Az. 9 U 174/95; Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 36. Auflage 2018, Lfd. Nummer: 36.1996 = 35.2071, zitiert nach juris), bei der ein Schmerzensgeld von 160.000,00 € (indexangepasst 213.464,00 €) bei einer Mithaftung von 20 % als angemessen erachtet wurde, zwar auch ein Fall einer Querschnittslähmung zugrunde; der 24-Jährige Geschädigte konnte aber, wenn auch auf einen Rollstuhl angewiesen, an einer Umschulung zum Industriekaufmann teilnehmen (Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 36. Auflage 2018, Lfd. Nr. 36.1996 = 35.2071, zitiert nach juris). Ebenso war es dem jungen Mann in dem Fall des LG Mosbach vom 30.04.2002 (Az. 2 O 198/00; Hacks/Wellner/Häcker, a.a.O., lfd. Nr. 35.2073 = 36.1998: indexangepasst 202.991,00 €) nach einem groben ärztlichen Behandlungsfehler möglich, mithilfe eines Rollstuhls, regelmäßigen Ansetzens eines Katheters und Medikamenten in praktisch allen Aktivitäten des täglichen Lebens selbstständig zu sein. Auch die weiteren vom Beklagten zitierten Entscheidungen des OLG Bamberg vom 31.05.2011 (Az. 5 U 173/10 - lfd. Nr. 35.2074, 36.1999: 165.000,00 € bei Mithaftung von 40 % bei kompletter Querschnittlähmung mit lebenslanger Abhängigkeit vom Rollstuhl und voraussichtlich lebenslangem Auftreten von Infektionen der Harnwege und des Mastdarms), OLG Frankfurt am Main vom 22.09.1993 (Az. 9 U 75/92- Lfd. Nummer 35.2076: indexangepasst 281.654,00 € für einen 24-Jährigen, der sich im Rollstuhl fortbewegen und für sein weiteres Leben auf fremde Hilfe angewiesen ist, jedoch einige Tätigkeiten in rollstuhlgerechter Umgebung selbstständig ausführen kann) sowie OLG Nürnberg vom 27.04.2001 (Az. 6 U 1812/00, lfd. Nr. 35.2078 = 36.2002: 200.000,00 €/indexangepasst 249.714,00 € für 30-Jährigen Querschnittsgelähmten, der sich im Rollstuhl mit Armkraft bei eingeschränkter Fingerbeugung fortbewegen kann, in der Lage ist, sich mit wenig Hilfe anzukleiden und sich häufig ohne Hilfe umzusetzen), sind nicht mit den vorliegenden besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen vergleichbar. Dem verstorbenen Ehemann der Klägerin war anders als in den vorgenannten Fällen jegliche Lebensperspektive in Bezug auf ein selbstbestimmtes Leben genommen worden. [...]. Anders als in den vom Beklagten benannten Fällen war es dem Verstorbenen nicht einmal möglich, abgesehen von außerordentlich quälenden und schmerzhaften kurzen Zeiten, einen Rollstuhl zu benutzen. Auch das Sprechen fiel ihm schwer. Gerade auch im Vergleich zu den genannten Fällen aus der Rechtsprechung erscheint ein deutlich höherer Betrag gerechtfertigt.

Bei dieser Beurteilung ist zu beachten, dass es eine absolut angemessene Entschädigung für nicht vermögensrechtliche Nachteile nicht geben kann, weil diese letztlich in Geld nicht messbar sind, dass der Tatrichter bei der Schmerzensgeldbemessung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen unterliegt, dass auch Präjudizien keine verbindlichen Vorgaben darstellen, sowie der Umstand zu berücksichtigen ist, dass die Rechtsprechung bei der Bemessung von Schmerzensgeld nach gravierenden Verletzungen inzwischen großzügiger verfährt als früher (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - I-5 U 75/14 -, juris Rn. 3). Die vom Beklagten angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält sich in dem danach vorgegebenen Rahmen. Insbesondere hat das Landgericht alle spezifischen Umstände des hier vorliegenden Streitfalles berücksichtigt, eigenständig bewertet und aus einer Gesamtschau dieser Umstände die angemessene Entschädigung für das sich darbietende Schadensbild gewonnen. Dieser vom Landgericht vorgenommenen und gut begründeten Abwägung schließt sich der Senat an.

Bei Gesamtbetrachtung und Gewichtung aller relevanten Umstände des konkreten Falls hält der Senat den vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 500.000,00 € nicht für übersetzt.

III.

Da die Berufung somit ohne Erfolg bleiben dürfte, sollte der Beklagte erwägen, das Rechtsmittel zurückzunehmen.

[...].