Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 25.10.2012, Az.: 2 A 312/11

Abfindung; Entlassungsentschädigung; Jahreseinkommen; Ermittlung des Zurechnungszeitraums

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
25.10.2012
Aktenzeichen
2 A 312/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44471
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die mündliche Vereinbarung eines abweichenden Zurechnungszeitraums im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 WoGG reicht jedenfalls dann nicht aus, wenn die Abfindungsvereinbarung im Übrigen schriftlich abgefasst ist.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Wohngeld.

Er ist Eigentümer des Grundstücks E. 7 in F., das er mit seiner Familie bewohnt. Für dieses Haus beantragte er mit Wiederholungsantrag vom 31. Oktober 2011 bei der Beklagten die Bewilligung von Wohngeld. Mit Bescheid vom 18. November 2011 versagte die Beklagte die Leistungsbewilligung, weil das Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau zu hoch sei. Dabei berücksichtigte die Beklagte eine dem Kläger 2010 in Höhe von 50.000,00 zugeflossene Abfindung mit einem Drittel. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde. Der Kläger war Gesellschafter der A. B. Vertriebs GmbH, bestehend aus ihm und der Göttinger Tageblatt Transport und Verteilungsgesellschaft mbH. Zu dieser Gesellschaft hatte der Kläger seit dem 5. Mai 1994 ein Dienstverhältnis. Durch Aufhebungsvertrag vom 28. Mai 2010 wurde dieses Dienstverhältnis einvernehmlich zum 30. Juni 2010 beendet. In diesem Vertrag vereinbarten die Beteiligten, dem Kläger eine Abfindung in Höhe von brutto 50.000,00 Euro nach den steuerrechtlichen Bestimmungen zu zahlen. Regelungen, wie es zu diesem Abfindungsbetrag gekommen ist, enthält der Vertrag ebenso wenig wie Aussagen dazu, auf welchen Zeitraum sich die Abfindung bezieht.

Am 22. Dezember 2011 hat der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. November 2011 Klage erhoben.

Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er habe die aus der Abfindung erhaltene Summe im Wesentlichen für Haus- und Hausnebenkosten sowie für Sondertilgungen von auf dieses Haus aufgenommene Darlehnsverbindlichkeiten genutzt, es also nicht mehr zur Verfügung gehabt. Daneben habe er das Geld für den Lebensunterhalt seiner Familie eingesetzt. Es habe sich bei der Zahlung auch nicht um eine Abfindung im eigentlichen Sinne gehandelt, denn er sei Mehrheitsgesellschafter gewesen. Mündlich sei zwischen ihm und dem Geschäftsführer G. des anderen Gesellschafters vereinbart worden, dass durch die Abfindung der Lebensunterhalt für etwa ein Jahr ab Vertragsauflösung sichergestellt werden sollte; die Abfindung sei daher für ein Jahr gezahlt worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18. November 2011 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 30. September 2012 Wohngeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vortrag unter Hinweis auf § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des Wohngeldgesetzes (WoGG) entgegentretend,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2011 ist rechtmäßig, so dass der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung von Wohngeld für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 30. September 2012 gegen die Beklagte nicht hat.

Anspruchsgrundlage für den Wohngeldbezug ist § 1 WoGG vom 24. September 2008, derzeit in der Fassung durch Art. 22 des Haushaltsbegleitgesetz vom 09. Dezember 2010 (BGBl. I S. 1885, 1898). Danach wird Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Zuschuss zur Miete oder – darauf kommt es hier an - zur Belastung für den selbst genutzten Wohnraum geleistet.

Nach §§ 4 Nr. 3, 19 Abs. 1 WoGG richtet sich das Wohngeld - neben der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder und der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung - nach dem monatlichen Gesamteinkommen. Das monatliche Gesamteinkommen ist ein Zwölftel des jährlichen Gesamteinkommens, welches wiederum der Summe des Jahreseinkommens im Sinne des § 14 WoGG der zu berücksichtigenden Familienmitglieder abzüglich der Freibeträge des § 17 WoGG und der Abzugsbeträge für Unterhaltsleistungen nach § 18 WoGG entspricht, vgl. § 13 Abs. 1 und 2 WoGG.

Bei der Ermittlung des Jahreseinkommens nach § 14 WoGG wird gemäß § 15 Abs. 1 WoGG das Einkommen zugrunde gelegt, dessen Zufluss zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist. Nach der Sondervorschrift des § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 WoGG ist jedoch abweichend davon eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung, die im Zusammenhang mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zufließt (Entlassungsentschädigung) - bei Zufluss innerhalb von 3 Jahren vor Stellung des Wohngeldantrages - den dem Zufluss folgenden 3 Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses zuzurechnen, wenn nicht in der Vereinbarung, die der Entlassungsentschädigung zugrunde liegt, ein anderer Zurechnungszeitraum bestimmt ist. Wie bei der Vorgängernorm des § 11 Abs. 4 WoGG a. F. handelt es sich bei § 15 Abs. 2 WoGG um eine bloße Vorschrift über die Zurechnung von einmaligen Einkommen zu bestimmten Zeiträumen (So ausdrücklich im Gesetzesentwurf, Bundestags-Ds 16/6543, S. 98).

Die Vorschrift fingiert im speziellen Falle des § 15 Abs. 2 Satz 2 WoGG abweichend vom Einkommensteuerrecht, dass die Entlassungsentschädigung erst in den - auf das tatsächliche Zuflussjahr, in dem das Arbeitsverhältnis geendet hat, nachfolgenden - drei Jahren zufließt, mit der Folge, dass die Entlassungsentschädigung im tatsächlichen Zuflussjahr als wohngeldrechtliches Einkommen außer Betracht zu bleiben hat.

Ob und inwieweit ein einmaliger Zufluss im Sinne des § 15 Abs. 2 WoGG wohngeldrechtlich relevantes Einkommen ist, beantwortet sich dabei ausschließlich nach § 14 WoGG. Zu dem durch eine Zuteilung im Zurechnungszeitraum zu ergänzenden Jahreseinkommen können daher nach § 14 Abs. 1 WoGG i. V. m. § 2 Abs. 1 und 2 EStG sowohl steuerpflichtige Einkünfte als auch nach § 14 Abs. 2 WoGG steuerfreie Einnahmen gehören (vgl. OVG Münster, Urteil vom 23.4.2012 -12 A 2494/11-, DÖV 2012, 651).

Die Entlassungsentschädigung des § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 WoGG ist als eine einmalige steuerpflichtige Einkunft aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 14 Abs. 1 WoGG zu qualifizieren. Nach dieser Vorschrift besteht das (wohngeldrechtliche) Jahreseinkommen bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit aus der Summe der positiven Einkünfte i. S. v. §§ 1 und 2 EStG. Zu den steuerpflichtigen Einkünften i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG zählen - über die regelmäßigen Bezüge nach § 19 Abs. 1 EStG hinaus - gem. § 24 Nr. 1 b) EStG auch Entschädigungen, die u. a. gewährt worden sind für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit. Positive Einkünfte sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§§ 8 - 9a EStG). Fehlt es an dem Nachweis höherer Werbungskosten, ist gem. § 9a Satz 1 Nr. 1 lit. a EStG der - vom tatsächlichen Anfall von Werbungskosten unabhängige - Arbeitnehmerpauschbetrag i. H. v. 1000,00 Euro in Abzug zu bringen.

Die dem Kläger aufgrund des Aufhebungsvertrages vom 28. Mai 2010 zustehende Entlassungsentschädigung ist eine Abfindung im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 WoGG. Sie ist dem Kläger für die Beendigung seines Dienstvertrages mit der A. B. Vertriebs GmbH gezahlt worden. Dass der Kläger gleichzeitig (Mit-) Gesellschafter seines Arbeitgebers war, spielt für die Einordnung als Dienstverhältnis, aus dem Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt werden, keine Rolle. Folgerichtig hat der Kläger diese Einkünfte auch gegenüber dem Finanzamt als solche aus nichtselbständiger Arbeit erklärt.

Die vom Kläger aus dieser Abfindung getätigten Aufwendungen sind keine abzugsfähigen Werbungskosten, also Ausgaben zur Erzielung oder zum Erhalt der Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit; vielmehr gehören sie der – bei der Ermittlung des wohngeldrechtlichen Einkommens unbeachtlichen - Einkommensverwendung zu (ebenso für zurückgezahlte Darlehensschulden, VG Würzburg, Urteil vom 8. März 2012 – W 3 K
11.960 -).

Der Kläger hat schließlich mit der Abfindungsvereinbarung vom 28. Mai 2010 auch keine Vereinbarung im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 2 WoGG abgeschlossen, wonach ein anderer Zurechnungszeitraum bestimmt wird als die der Vereinbarung folgenden drei Jahre. Er behauptet, eine solche Vereinbarung (konkludent) mündlich abgeschlossen zu haben, weil seine Abfindung in etwa seinem Jahresgehalt entsprochen habe und sich die Vertragsparteien einig gewesen seien, dass die Abfindung für ein Jahr nach Auflösung des Dienstverhältnisses reichen sollte. Es kann offen bleiben, ob der Kläger und sein Vertragspartner damit überhaupt einen anderen Zurechnungszeitraum als drei Jahre nach dem Jahr der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben. Denn eine derartige, lediglich mündlich verabredete Zurechnung genügt nicht den Anforderungen des § 15 Abs. 2 Satz 2 WoGG. Schon der Wortlaut der Bestimmung fordert, dass eine solche Zurechnung „in der Vereinbarung“ getroffen werden muss. Zwar fehlt hier das Wort „schriftlichen“, durch die Präposition „in“ nimmt der Gesetzgeber jedoch auf einen gegenständlichen Ort Bezug, der sprachlich nicht eine mündliche Abmachung sein kann (deshalb stellt auch das Nds. Oberverwaltungsgericht offenkundig auf eine schriftliche Vereinbarung ab, vgl. Beschluss vom 3.5.2011 -4 LC 191/10-, DVBl 2011, 1051). Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien (a.a.O. S. 99) bestätigt. Die Regelung in § 15 Abs. 2 Satz 2 WoGG soll danach dazu dienen, die Inanspruchnahme öffentlich finanzierter Sozialleistungen trotz vorhandener ausreichender finanzieller Mittel zu verhindern. Bei aus Abfindungen und anderen ähnlichen Leistungen stammenden Mitteln handelt es sich zumeist um erhebliche Geldbeträge, die den zu berücksichtigenden Haushaltsmitgliedern zur Verfügung stehen; diese sollen auf einen angemessenen Zeitraum verteilt, angerechnet werden. Dem Gesetzgeber geht es erkennbar darum, Leistungsmissbrauch zu vermeiden. Weiter heißt es, diesem Zweck folgend, für die Geltung eines abweichenden individuellen Zurechnungszeitraums und die Zurechnung zu diesem Zeitraum nach Abs. 2 Satz 1 wird eine eindeutige Bestimmung in der zugrunde liegenden Vereinbarung gefordert. Ist eine solche Bestimmung der Vereinbarung nicht eindeutig zu entnehmen, gilt für die Zurechnung nach Absatz 2 Satz 2 eine Dreijahresfrist.

Eindeutig in diesem Sinne ist eine Vereinbarung nur dann, wenn sie von den Vertragsparteien schriftlich fixiert worden ist; mündlichen Abmachungen, zumal wenn sie wie vom Kläger vorgetragen, nur konkludenten Inhalt haben, fehlt diese Klarheit, die bei ihnen oft erst durch Beweisaufnahmen zu erlangen ist. Dies kann und soll nicht Aufgabe der Wohngeldbehörden sein. Jedenfalls, wenn die Parteien – wie hier - eine Abfindungsvereinbarung schriftlich regeln, kann es für die behauptete Festlegung eines abweichenden Zurechnungszeitraums nicht auf (ergänzende) mündliche Abreden ankommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 11 i.V.m. 711 ZPO.