Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 06.03.2009, Az.: 2 U 29/09

Formularmäßige Vereinbarung eines außerordentlichen Kündigungsrechts des Kfz-Herstellers gegenüber einem Vertragshändler

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
06.03.2009
Aktenzeichen
2 U 29/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 33843
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2009:0306.2U29.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - AZ: 22 O 2970/08

Redaktioneller Leitsatz

Ein dem Hersteller in einem Kfz-Händlervertrag eingeräumtes Recht zur außerordentlichen Kündigung des Vertrages im Falle der Insolvenz des Vertragshändlers ist rechtlich nicht zu beanstanden und widerspricht insbesondere nicht § 112 InsO.

Tenor:

B e s c h l u s s

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

RA K als Insolvenzverwalter der Autohaus H ./. V AG

wird darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht beabsichtigt, die Berufung des Verfügungsklägers gemäß § 522 Abs. 2 S.1 ZPO zurückzuweisen, weil nach der derzeitigen Bewertung des Senats die Berufung keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Auf die Frage, ob die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordert, kommt es im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht an, weil die Revision in diesem Verfahren gemäß § 542 II ZPO nicht stattfindet.

Die Berufung des Verfügungsklägers ist zwar entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten zulässig, denn ihr fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisende Beschluss vom 25.11.2008 ist nicht rechtskräftig geworden. Gegen diesen ihm am 27.11.2008 zugestellten Beschluss hat der Verfügungsbeklagte frist- und formgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdeschrift ist innerhalb der Frist per Fax am 11.12.2008 beim Oberlandesgericht eingegangen. Gemäß § 569 I 1 ZPO hat der Beschwerdeführer die Wahl, ob er die sofortige Beschwerde beim Gericht erster Instanz oder beim Beschwerdegericht einlegt.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Es kann dahin stehen, ob der von dem Verfügungskläger verfolgte Antrag bereits nicht den Anforderungen im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung genügt (vgl. Zöller/ Vollkommer 27.Aufl. § 940 ZPO Rn.3, § 938 ZPO Rn. 2, § 935 ZPO Rn. 4) oder ob der Antrag noch zu präzisieren wäre. Dem Verfügungskläger steht jedenfalls kein Verfügungsanspruch zu. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aus diesem Grund mit zutreffender Begründung zurückgewiesen.

Die Verfügungsbeklagte muss die im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bezeichneten Verträge nicht fortführen, denn die Verfügungsbeklagte hat diese Verträge mit Schreiben vom 31.10.08 wirksam gekündigt. Sie war dazu nach Artikel 19 Nr. 3 der Händlerverträge und Artikel 20 Nr. 3 der Servicepartnerverträge berechtigt. Nach diesen Vertragsbestimmungen liegt ein Grund für eine fristlose Kündigung des Händlervertrages wegen geschäftlicher Rufgefährdung oder Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Grundlagen des Vertrages unter anderem dann vor, wenn der Vertragshändler selbst einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt. Das war hier unstreitig am 28.10.2008 der Fall (Anlage A9). Gemäß Artikel 10 Abs. 1 der Agenturverträge endeten diese mit Beendigung der entsprechenden Händlerverträge.

Entgegen der Auffassung des Verfügungsklägers steht § 112 InsO der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann ein Miet- oder Pachtverhältnis durch den Vermieter oder Verpächter nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Verzuges mit der Entrichtung der Miete oder der Pacht oder der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Mieters oder Pächters nicht gekündigt werden. § 112 InsO findet nach seinem Wortlaut nur auf Miet- oder Pachtverhältnisse und darüber hinaus nach der Gesetzesbegründung auch auf Leasingverträge (Bundestagsdrucksache 12 / 2443, Seite 148; vgl. auch Oberlandesgericht Köln ZIB 2003, 543) Anwendung. Gegenstand von Miete und Pacht können hierbei nicht nur Grundstücke sondern auch bewegliche Sachen oder Rechte sein.

Bei keinem der hier in Rede stehenden Verträge (Händlerverträge, Servicepartnerverträge, Agenturverträge) handelt es sich jedoch um ein Miet- oder Pachtverhältnis im Sinne des § 112 InsO. Hierbei wird nicht verkannt, dass sowohl die Händlerverträge als auch die Servicepartnerverträge insoweit teilweise auch pachtvertragliche Elemente enthalten, als der Insolvenzschuldnerin die Nutzung der Marke der Verfügungsbeklagten gestattet worden ist. Hierbei handelt es sich aber nur um eines unter vielen Elementen des Vertragshändlervertrages, der grundsätzlich als ein auf gewisse Dauer gerichteter Rahmenvertrag eigener Art anzusehen ist, durch den sich der Vertragshändler verpflichtet, Waren des Herstellers im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben, und durch den der Händler in die Verkaufsorganisation des Herstellers mit eingegliedert wird (BGH Z 54, 338, 340). Die Agenturverträge beinhalten ohnehin keine miet- oder pachtvertraglichen Elemente. Hierbei handelt es sich um Handelsvertreterverträge, die zweifellos nicht der Vorschrift des § 112 InsO unterfallen.

Mit dem Oberlandesgericht München (KTS 2007, 355) ist vor diesem Hintergrund davon auszugehen, dass sich das Vertragshändlerverhältnis über eine längere Vertragsdauer und durch eine Vielzahl von einzelnen Rechtsgeschäften begleitet durch zahlreiche Nebenpflichten beider Vertragsparteien realisiert. Der Verbleib in einem solchen Vertragsverhältnis ist dem Hersteller, nachdem der Vertragshändler Insolvenzantrag gestellt hat, angesichts der damit verbundenen Erschwernisse und Risiken nicht zumutbar.

Die Kündigungssperre gemäß § 112 InsO dient zwar dazu, die Sanierung und Fortführung des insolventen Betriebes zu ermöglichen (Braun InsO, 3. Auflage, § 112 Rn.1). Diesem Interesse hat sich aber nicht jeder Vertragspartner des Insolvenzschuldners schrankenlos unterzuordnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn - anders als bei Miet- oder Pachtverhältnissen, bezüglich derer der Gesetzgeber dem Rechtsinhaber zumutet, die vertraglich begründete Nutzung seiner Rechte auch im Insolvenzfall so lange weiter zu dulden, bis der Vertrag aus nicht insolvenzrechtlichen Gründen gekündigt werden kann - infolge der Vielfalt der vertraglichen Beziehungen der Parteien zueinander die andere Partei über die Nutzung ihrer Rechte hinaus auch sonst gezwungen würde, weiter mit dem Insolvenzschuldner zusammen zu arbeiten.

Auch hinsichtlich der Servicepartnerverträge kann der Rechtsauffassung des Verfügungsklägers nicht gefolgt werde. Mit diesen Verträgen hat die Insolvenzschuldnerin zahlreiche für einen Miet- oder Pachtvertrag untypische Pflichten übernommen, die es ausschließen, angesichts der insoweit bedrohten Rechtsstellung der Verfügungsbeklagten die Vorschrift des § 112 InsO anzuwenden: Vertriebspflichten der Insolvenzschuldnerin, Aufrechterhaltung bestimmter qualitativer Standards im Reparaturbetrieb sowie Pflege und Förderung der Marke der Verfügungsbeklagten (Artikel 1 Nr. 2, 3 und 5); Liquiditätserhaltung (Artikel 2 Nr. 2); Einhaltung von Einkaufsquoten an Originalteilen (Artikel 2 Nr. 3); Sicherstellung des Kundendienstes unter Beachtung der Vorgaben der Verfügungsbeklagten (Artikel 4 Nr. 1); Abwicklung von Gewährleistungsansprüchen (Artikel 5 Nr. 1 und 3); Vorhalten eines Ersatzteillagers (Artikel 6 Nr. 1); Werbung für die Verfügungsbeklagte nach bestimmten Regeln (Artikel 8 Nr. 4).

Infolge des auf Zahlungsunfähigkeit gestützten Insolvenzantrages durfte die Verfügungsbeklagte mit Recht befürchten, die Insolvenzschuldnerin werde möglicherweise ihren vertraglichen Pflichten nicht mehr gerecht werden können. Auch wenn insoweit Masseverbindlichkeiten begründet werden würden, stünde doch gleichwohl nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass diese auch würden bedient werden können, denn der nach dem eigenen Vortrag des Verfügungsklägers mit moderner Technik und geschultem Personal arbeitende Betrieb war gleichwohl zahlungsunfähig geworden. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die ohnehin schon durch die Insolvenz in Mitleidenschaft gezogene Marke der Verfügungsbeklagten weiteren Schaden nehmen würde, sofern die Sanierungsbemühungen keinen Erfolg haben.

Auch wenn hier infolge der Insolvenzgeldvorfinanzierung durch die Bundesagentur für Arbeit für einen gewissen Zeitraum die Liquidität der Insolvenzschuldnerin optimiert gewesen sein mag, war dies für den Zeitraum danach und erstreckt bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache nicht ansatzweise gesichert.

Überdies ist auch nicht vereinzelt dargelegt, ob und gegebenenfalls mit Hilfe welcher Mittel die Insolvenzschuldnerin im Stande gewesen wäre, sonstige Masseschulden zu bedienen, die im laufenden Geschäftsbetrieb entstanden wären.

Die durch allgemeine Geschäftsbedingungen der Verfügungsbeklagten ausbedungenen Kündigungsmöglichkeiten für den Fall der Insolvenz halten auch der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand. Sie benachteiligen die Insolvenzschuldnerin nicht unangemessen. Jeder Gläubiger eines Insolvenzschuldners muss befürchten, dass sich die im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses auch künftig ergebenden Forderungen infolge der ungewissen wirtschaftlichen Situation des Insolvenzschuldners nicht werden realisieren lassen und dass mit Fortdauer des Schuldverhältnisses zunehmend derart ausfallgefährdete Forderungen angehäuft werden. Wenn angesichts dessen für den Fall eines Eigenantrages auf Insolvenzeröffnung fristlose Kündigungsmöglichkeiten durch AGB eröffnet werden, ist dies nicht zu beanstanden. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Unternehmer gegenüber dem Vertragshändler gesteigerte Treue- und Rücksichtnahmepflichten obliegen und dass aufgrund des wirtschaftlichen Ungleichgewichts der Vertragsparteien nur außerordentlich schwerwiegende Kündigungsgründe einer Überprüfung gemäß § 307 BGB standhalten (siehe dazu Ensthaler/ Genzow, HGB 7. Aufl. § 89a Rn. 30 mit weiteren Nachweisen). Ein solch außerordentlich schwer wiegender Kündigungsgrund ist im Insolvenzfalle regelmäßig anzunehmen.

Es liegt auch kein Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor. Zwar messen die §§ 103 ff. InsO dem Sanierungsbemühungen im Insolvenzfall in bestimmten Konstellationen einen Vorrang gegenüber den Interessen von Insolvenzgläubigern im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen bei. Das gilt aber nur für die im Gesetz benannten Dauerschuldverhältnisse, zu denen die hier in Rede stehenden wie bereits erörtert nicht gehören.

Entgegen der Ansicht des Verfügungsklägers kann die Insolvenzschuldnerin hier auch keinen Anspruch auf Fortführung der Verträge aus Nr. 26 der Gruppenfreistellungsverordnung von 31.07.02 (Verordnung EG Nr. 1400/202) herleiten. Diese Bestimmung verleiht zwar sämtlichen Marktbeteiligten einen Anspruch auf uneingeschränkten Zugang zu sämtlichen für die Instandsetzung und Wartung ihrer Kraftfahrzeuge technisch erforderlichen Informationen, zu Diagnose- und anderen Geräten und Werkzeugen einschließlich Software sowie zu fachlicher Unterweisung, die für die Instandsetzung und Wartung von Kraftfahrzeugen erforderlich ist. Daraus folgt jedoch kein Anspruch auf Durchführung des Servicevertrages.

Der Verfügungskläger erhält Gelegenheit, zu diesem Beschluss

binnen 2 Wochen

Stellung zu nehmen und gegebenenfalls seine Berufung zurückzunehmen.