Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 07.11.2022, Az.: L 6 U 17/22

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
07.11.2022
Aktenzeichen
L 6 U 17/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59464
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 05.11.2021 - AZ: S 2 U 22/20

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auferlegung von Verschuldenskosten nach § 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG bei mißbräuchlicher Rechtsverfolgung durch die Prozessbevollmächtigte.

Tenor:

Rechtsanwältin E. hat 225 Euro an die Staatskasse zu zahlen.

Gründe

Der Senat legt Rechtsanwältin E. Gerichtskosten iHv 225 Euro auf der Grundlage von § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG auf. Diese Entscheidung ergeht, da sie außerhalb einer mündlichen Verhandlung ergeht, durch die Berichterstatterin (§ 155 Abs 2 Nr 5, Abs 4 SGG).

Nach § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist.

Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter (§ 192 Abs 1 Satz 2 SGG, vgl zum Meinungsstand umfassend Loytved, jurisPR-SozR 9/2018 Anm 3 mwN), insbesondere dann, wenn dieser ohne Vollmacht handelt (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020 § 192 Rnr 2 mwN). Eine mißbräuchliche Rechtsverfolgung liegt in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zu § 34 BVerfGG (Beschluss vom 11. Dezember 2001 – 1 BvR 1821/01 -, 1 vom 19. Februar 2002 – 2 BvR 1255/02 -) ua dann vor, wenn das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet ist und die Fortführung des Rechtsstreits von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Dabei muss die Aussichtslosigkeit nicht bereits im Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels vorgelegen haben. Sie kann sich auch im Verlaufe des Verfahrens entwickeln (Stotz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 192 SGG (Stand: 15.06.2022) Rnr 38 f mwN). Weiterhin kann als missbräuchliche Rechtsverfolgung auch eine bewußte Irreführung oder vorsätzliche Täuschung des Gerichts in Betracht kommen, wenn der Beteiligte oder sein Bevollmächtigter bewusst falsche Angaben in das Verfahren einführt (Stotz aaO Rnr 46).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Rechtsanwältin E. hat auf die Ladung des Vorsitzenden vom 26. Oktober 2022 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 1. Dezember 2022 in ihren Schriftsätzen vom 2. November und 5. November 2022 bewusst irregeführt und durch ihr Verhalten die Fortführung des Verfahrens und damit Kosten verursacht, und zwar bis zur klarstellenden Äußerung der Erben des verstorbenen Versicherten, die ihr keine Vollmacht erteilt, sondern das Verfahren bereits im Februar 2022 für beendet erklärt hatten:

Mit der am 18. Januar 2022 eingelegten Berufung verfolgte der 1939 geborene Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigten – Rechtsanwälte F. – das Ziel, die Beklagte zu verurteilen, ihm aus Anlass der bereits anerkannten Berufskrankheit Nr 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung eine Sauerstofftherapie und Inhalationsgeräte zu gewähren. Der Kläger selbst ist 9 Tage später, am 27. Januar 2022, verstorben. Nach der persönlichen Rückmeldung der 1963 und 1966 geborenen Kinder des verstorbenen Klägers, die beide Erben sind, haben sie diese Information bereits im Februar 2022 den Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis gegeben. Weiterhin haben sie den Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass sie als Erben das Gerichtsverfahren nicht fortführen, sondern beenden wollen (Vermerk über das Telefongespräch zwischen dem Vorsitzenden und der Tochter des verstorbenen Klägers vom 7. November 2022 sowie deren Schriftsatz vom selben Tag).

Dem Gericht ist der Tod des Klägers allein mit dem Schriftsatz der Beklagten vom 11. Februar 2022 mitgeteilt worden. Auf die Übersendung dieses Schriftsatzes, verbunden mit der Frage der Berichterstatterin, ob die Berufung zurück genommen wird vor dem Hintergrund, dass Gegenstand des Verfahrens allein höchstpersönliche Dienst- und Sachleistungen sind, die mit dem Tode des Klägers erlöschen (Verfügung vom 16. Februar 2022), erfolgte keine Rückäußerung der Prozessbevollmächtigten.

Auf Grund vorausgegangener Erfahrungen des Senats in vergleichbaren Fällen mit den Rechtsanwälten E. erfolgte am 27. Oktober 2022 durch den Vorsitzenden die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 1. Dezember 2022. Die Ladung enthielt – farbig unterlegt – einen Hinweis auf den Schriftsatz der Beklagten vom 11. Februar 2022 und die Anregung zur Rücknahme der Berufung. Daraufhin hat Rechtsanwältin E. zunächst mit Schriftsatz vom 2. November 2022 einen Verlegungsantrag gestellt und als Grund hierfür ihre urlaubsbedingte Abwesenheit benannt. Auf die Aufforderung des Vorsitzenden vom 3. November 2022 zur Glaubhaftmachung ihrer und der Hinderungsgründe auch für Rechtsanwalt E. hat sie mit einem Schriftsatz vom 5. November 2022 zur Begründung ihres Verlegungsantrags eine Terminskollision mit einem früher geladenen Termin vor dem Sozialgericht Düsseldorf und weiterhin geltend gemacht, dass Rechtsanwalt E. aus Altersgründen keine Gerichtstermine mehr wahrnehme.

Mit einem weiteren Schriftsatz vom selben Tag hat sie ausdrücklich Hinterbliebenenleistungen beantragt und die Beklagte zur Rückäußerung aufgefordert.

Bereits aufgrund des Umstandes, dass die Prozessbevollmächtigten nicht bereits im Februar 2022 entsprechend ihrer anwaltlichen Sorgfaltspflichten dem Gericht die Beendigung des Verfahrens mitgeteilt haben sind dem Justizhaushalt Kosten durch die Vorhaltung des Verfahrens und die Ladung zum Termin entstanden, die letztendlich die Steuerzahler zu tragen haben. Anstatt auf die Ladung, die erneut mit entsprechenden Hinweisen versehen war, endgültig die prozessbeendende Erklärung abzugeben, hat Rechtsanwältin E. in ihren anschließenden Schriftsätzen bewusst falsche Angaben gemacht (Antrag auf Hinterbliebenenleistungen) und hierdurch ua den Eindruck erweckt, dass sie mit Vollmacht und im Auftrag der Erben tätig ist.

Weiterhin erwecken ihre schriftlichen Einlassungen und ihr Verhalten den Eindruck, dass tatsächlich kein wichtiger Grund für ihren Verlegungsantrag vorliegt und sie auch insoweit falsche und irreführende Angaben gemacht hat: darauf deuten zum einen die unterschiedlichen und sich widersprechenden Begründungen für den Verlegungsantrag in zwei Schriftsätzen, die nur 3 Tage auseinanderliegen hin. Hierfür spricht auch der Umstand, dass sie die Terminsmitteilung kommentarlos der Erbin Frau G. übersandt hat, versehen mit dem Zusatz, dass das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden sei, ohne auf ihre eigene – behauptete – Verhinderung hinzuweisen.

Erst als sich die Erbin Frau G. daraufhin persönlich beim Vorsitzenden meldete, um sich nach dem Hintergrund für die Ladung eines Verfahrens zu erkundigen, das sie bereits seit 10 Monaten für beendet hielt, konnte der tatsächliche Sachverhalt bzw Ablauf geklärt werden.

Letztendlich ist Rechtsanwältin E. auch mit der Verfügung des Vorsitzenden vom 3. November 2022 auf die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten wegen mißbräuchlicher Prozessführung nach § 192 SGG, und zwar auch und gerade in ihrer eigenen Person, ausdrücklich hingewiesen worden. Diesen Hinweis hat sie ausweislich ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 5. November 2022 auch gelesen und für unangemessen empfunden. Diese Auffassung teilt der Senat angesichts des dargestellten Ablaufs nicht.

Der Senat hat unter Wahrung der gesetzlichen Mindesthöhe (225 Euro, vgl § 184 Abs 2 SGG) den letztlich von den Steuerzahlern zu tragenden Kostenaufwand für die Bearbeitung der nach der Hinweisverfügung des Vorsitzenden vom 3. November 2022 eingehenden Schriftsätze von Rechtsanwältin E. vom 5. November 2022 geschätzt. Bei der Schätzung nach § 192 SGG sind grundsätzlich zu berücksichtigen die Kosten sämtlicher Richter und Mitarbeiter, die mit der Sache befasst sind, ebenso wie die allgemeinen Gerichtshaltungskosten. Die Kosten eines im Jahr 2022 eingegangenen Berufungsverfahren sind im Haushaltsplan des Landes Niedersachsen – Einzelplan 11 Justizministerium – mit 1909,50 Euro festgehalten. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält der Senat den Kostenaufwand iHv 225 Euro für die Bearbeitung der Schriftsätze der Rechtsanwältin vom 5. November 2022 zwar im untersten Bereich angesiedelt, aber noch für ausreichend und angemessen. Diese Kosten sind der Rechtsanwältin aufzuerlegen. Der Kläger selbst ist bereits im Januar 2022 verstorben, und seine Erben haben den Prozessbevollmächtigten bereits im Februar 2022 mitgeteilt, dass sie das Verfahren nicht fortführen wollen, sondern als beendet betrachten. Rechtsanwältin E. handelte daher ohne Vollmacht. Ihr vollmachtloses Handeln kann den Erben nicht zugerechnet werden (Schmidt, aaO § 192 Rnr 2 aE mwN sowie § 73 Rnr 76 mwN).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).