Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.11.2022, Az.: L 16/4 KR 536/19

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
15.11.2022
Aktenzeichen
L 16/4 KR 536/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59318
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 18.09.2019 - AZ: S 86 KR 2589/18

Fundstelle

  • NZS 2023, 300-306

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Dem Votum der beratenden Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung (Apherese-Kommission) gemäß Ziffer 1 § 6 der Anlage I kommt eine rechtliche Bindung für die Krankenkasse nicht zu. Eine so weitreichende Folge der Kommissionsentscheidung lässt sich dem Wortlaut von § 6 Abs 1 beratenden Kommissionen und der Beratung der Indikationsstellungen bzw der Beratung der Einzelfall-Indikation nicht entnehmen. Allerdings kann angesichts der Komplexität des Genehmigungsverfahrens und der besonderen Kompetenz der Apherese-Kommission, in der sowohl in der Apherese fachkundige Ärzte als auch Ärzte des Medizinischen Dienstes (MD) vertreten sind, die Einschätzung der Kommission regelmäßig nicht durch ein einfaches weiteres Gutachten des MD widerlegt werden. Zur Entkräftung eines solch fachkundigen Votums bedarf es gewichtiger Gründe, die im zu entscheidenden Fall nicht vorlagen.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 18. September 2018 wird abgeändert. Der Tenor wird wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet war, die Klägerin im Zeitraum Dezember 2018 bis 9. August 2019 mit einer Lipoproteinapheresetherapie zu versorgen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versorgung der Klägerin mit einer Lipidapheresetherapie.

Die am J. 1944 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einer koronaren 3-Gefäß-Herzkrankheit. Im Jahre 2004 zeigten sich bei einer Herzkatheter-Untersuchung erstmalig Veränderungen der Koronararterien mit 30%igen bis 60%-igen Stenosen. Im Januar 2008 wurden zum ersten Mal Dilatationen und Stentimplantationen erforderlich. Im Februar 2015 wurde ein Bronchialkarzinom operativ entfernt. Anfang 2018 stellte sich die Klägerin bei zunehmender Angina-pectoris-Symptomatik erneut kardiologisch vor, wo ein deutlicher Progress der Koronaren Herzkrankheit (KHK) diagnostiziert wurde. Im Februar 2018 erfolgte daraufhin die erneute Rekanalisation einer subtotalen Stenose im Bereich der linken Koronararterie und im Mai 2018 aufgrund einer 75%igen Stenose die Dilatation und Stentimplantation der rechten Koronararterie.

Am 14. Juni 2018 beantragte ihr behandelnder Arzt, der Internist, Nephrologe, Lipidologe und Hypertensiologe Dr K., für sie bei der Apheresekommission der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) eine Lipidapheresebehandlung aufgrund medikamentös nicht zu beeinflussender Hyperlipoproteinämie und progredienter koronarer Herzkrankheit. Hierbei handelt es sich um ein Blutreinigungsverfahren, bei dem aus dem Blut bestimmte Blutfette entfernt werden. Mit Schreiben vom 5. Juli 2018 teilte die KVN der Beklagten mit, dass ihr die vollständigen Antragsunterlagen vorlägen und dass diese an die Sachverständigen der Apheresekommission übersendet worden seien und gab Gelegenheit zur Stellungnahme, die die Beklagte nicht wahrnahm. Mit Schreiben vom 10. August 2018 teilte die KVN der Beklagten mit, dass die Apheresekommission für die Klägerin die Indikation für eine Apherese gestellt habe und die Behandlung und Durchführung befürworte. Sie bat darum, die Klägerin über das Ergebnis zu informieren und einen entsprechenden Leistungsbescheid zu erstellen.

Am 14. August 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung eingeschaltet habe. Der MDK kam mit Gutachten vom 29. August 2018 zu dem Ergebnis, dass er eine Lipidapherese im Falle der Klägerin nicht befürworte. Zum Zeitpunkt des Progresses sei das LDL nicht leitliniengerecht eingestellt gewesen, das LDL-Ziel habe bei 70 mg/dl gelegen. Nicht medikamentöse Maßnahmen zur LDL-Korrektur (Ernährungsmedizin) seien den Unterlagen nicht zu entnehmen. Die medikamentösen Optionen seien nicht ausgeschöpft. Nach Präventionsleitlinie der DG Kardiol sei außerdem eine Teilnahme am Koronarsport oder Äquivalent angezeigt. Eine solche bewegungstherapeutische Maßnahme sei nicht zu erkennen. Es liege daher weder ein ultima-ratio-Fall noch ein therapierefraktärer Verlauf vor. Hinzu komme, dass der Progress nach zehn Jahren Ruhe im 74. Lebensjahr aufgetreten sei. Das spreche gegen die Relevanz des kardiovaskulären Risikofaktors LP(a) in diesem Einzelfall. Außerdem beeinträchtigten die zur Apherese regelmäßig erforderlichen Shuntanlagen die Herzfunktion. Da die Klägerin herzkrank sei, sei dies kontraproduktiv. Mit Bescheid vom 5. September 2018 lehnte die Beklagte den Antrag daraufhin ab.

Anfang September 2018 wurde bei abermaliger 80%iger Stenose erneut eine Koronarintervention mit PTCA (perkutane transluminale Coronar-Angioplastie) und Stenting erforderlich.

Gegen den Bescheid vom 5. September 2018 legte die Klägerin am 10. September 2018 Widerspruch ein und führte an, sie erfülle in allen Punkten die Voraussetzungen, welche die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung - Methoden-RL) an eine Erbringung der Lipidapheresetherapie zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stelle. Die zuständige Beratungskommission der KVN habe den Antrag uneingeschränkt positiv beurteilt. Über dieses Votum dürfe sich die Beklagte nicht hinwegsetzen. Die Beklagte habe den MDK, der an der Entscheidung der Apheresekommission bereits mitgewirkt habe, nicht zusätzlich mit einer Begutachtung beauftragen dürfen. § 275 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei angesichts der spezielleren Regelung der Methoden-RL nicht einschlägig. Es bestehe aber auch ein Anspruch in der Sache. Sie leide an einer schweren progredienten koronaren Herzerkrankung, ausgelöst durch eine Hyperlipoproteinämie (a) mit Lp(a)-Werten von bis zu 296,5 nmol/l (entspreche ca 112 mg/dl). Ihr LDL-Wert unter maximal möglicher Therapie sei zuletzt unbereinigt mit 94 mg/dl gemessen worden. Da bei den üblichen Methoden zur Bestimmung des LDL-Cholesterins das im Lp(a) transportierte Cholesterien dem LDL-Wert zugerechnet werde, müsse man den gemessenen LDL-Wert entsprechend um ca 30% nach unten bereinigen. Ihr LDL liege deshalb de facto aktuell mit nur 57 mg/dl im für sie geltenden Zielbereich. Der dramatisch erhöhte Lp(a)-Wert könne weder medikamentös noch durch andere Behandlungsansätze als die Apherese beeinflusst werden. Sie habe im laufenden Jahr 2018 bereits drei Koronarinterventionen durchleiden müssen. Die letzte perkutane transluminale Coronar-Angioplastie (PTCA) und Stenting seien nach vorheriger Ischämiediagnostik bei persistierenden klinischen Beschwerden Anfang September 2018 bei abermaliger 80%iger Stenose der LAD erfolgt. Sie sei Nichtraucherin, halte eine diätische sowie sportliche Lebensweise ein und ihre Hypercholesterinämie werde bereits seit 2006 leitliniengerecht medikamentös behandelt. Ihre Familienanamnese sei positiv, ihre Mutter habe ebenfalls bei bekannter Fettstoffwechselstörung an einer KHK gelitten und sei mit 75 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben, ihr Bruder habe mit nur 50 Jahren bei ebenfalls bekannter Fettstoffwechselstörung und KHK einen Herzinfarkt erlitten. Schließlich liege ein Leistungsanspruch auch aufgrund fiktiver Genehmigung vor. Der Antrag sei am 5. Juli 2018 gestellt worden. Die Bescheidung sei erst fast neun Wochen später erfolgt. Da sie weder über die Einschaltung des MDK noch über das Vorliegen eines hinreichenden Grundes informiert worden sei, gelte die beantragte Leistung als genehmigt.

Die Beklagte holte ein weiteres Gutachten des MDK vom 12. November 2018 ein, in dem dieser die Indikation für eine Lipidapherese weiterhin verneinte. Es bestehe keine ultima ratio, da der sehr gewichtige und allgemein akzeptierte Risikofaktor LDL unzureichend eingestellt sei. Die Leitlinie sehe die Herausrechnung eines Lp(a)-Anteils nicht vor. Die Leitlinienzielwerte basierten auf Studien, bei denen das LDL so in Ansatz gebracht worden sei, wie in den Laboren gemessen. Das von der Klägerin angegebene Fitnesstraining sei im Übrigen nicht mit Koronarsport zu vergleichen.

Am 12. November 2018 hat die Klägerin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht (SG) Hannover gestellt (Az S 86 KR 1634/18 ER). Mit Beschluss vom 4. Dezember 2018 hat das SG die Beklagte verpflichtet, der Klägerin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 9. August 2019 eine Lipoproteinapheresetherapie als Sachleistung zu genehmigen. Dem kam die Beklagte ab Dezember 2018 nach. Die gegen den Beschluss eingelegte Beschwerde hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 7. Februar 2019 zurückgewiesen (Az L 4 KR 580/18 B ER).

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 5. September 2018 unter erneuter Verweisung auf eine vorrangige Erweiterung der medikamentösen Therapie zurück.

Am 24. Dezember 2018 hat die Klägerin Klage bei dem SG Hannover erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt hat. Zusätzlich zu ihrem Vorbringen im Widerspruchsverfahren hat sie ausgeführt, ein erheblich erhöhter Lp(a)-Wert gelte heute neben einem LDL-Cholesterinwert als gesicherter unabhängiger Risikofaktor der Arteriosklerose, die sich bereits fortschreitend bei ihr ausgebildet habe. Die Konzentration von Lp(a) sei genetisch determiniert und könne in der Menopause und durch Niereninsuffizienz ansteigen. Sie sei durch den Lebensstil nicht beeinflussbar und durch die derzeit in Deutschland zur Verfügung stehenden Medikamente nicht zu senken. Alle Vorgaben des § 3 Abs 2 der Ziff 1 Anlage I Methoden-RL seien damit erfüllt. Ohne wirksame Therapie bestünde die Gefahr einer rasanten weiteren Progression der Erkrankung bzw der Invalidisierung und/oder die Gefahr eines tödlichen Ereignisses in kurzer Zeit. Im Übrigen habe das Votum der Beratungskommission für die Beklagte Tatbestandswirkung. Die Einbindung einer Fachkommission der KV in das Genehmigungsverfahren bei LDL-Apheresen entspreche rechtlich betrachtet einem mehrstufigen Verwaltungsakt, der im Innenverhältnis auf einer früheren Stufe eine Indikationsstellung der Fachkommission voraussetze (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Februar 2018 – L 16 KR 52/18 B ER). Warum die Beklagte von der Empfehlung der Kommission, an der übrigens bereits MDK-Vertreter mitgewirkt hätten, plötzlich abweiche, sei unverständlich.

Die Klägerin hat den Antrag ihres behandelnden Arztes Dr K. bei der KVN sowie diverse Arztbriefe des Zentrums für Nieren-, Hochdruck- und Stoffwechselerkrankungen, der Kardiologischen Praxis L. und der Kardiologischen Abteilung des M. Krankenhauses N. eingereicht. Außerdem hat sie eine Bescheinigung ihrer Mitgliedschaft in einem O. Fitnessstudio seit dem 1. Januar 2012 beigebracht.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin bei Herrn Dr P., Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie mit der Zusatzbezeichnung Lipidologe. Dr P. ist zu dem Schluss gelangt, dass sämtliche vom GBA geforderten Voraussetzungen für die Durchführung der Lipoproteinapherese bei der Klägerin erfüllt seien. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Die Beklagte hat ein weiteres MDK-Gutachten vom 2. September 2019 zu den Akten gereicht, das die Indikation für eine Lipidapherese nach erneuter Prüfung weiterhin verneint hat. Entscheidend sei das LDL-Cholesterin zum Zeitpunkt des Progresses im Mai 2018 und Juni 2018. Hier habe der Wert bei 108 bzw 112 mg/dl gelegen. Bei einem Hochrisikoprofil wie bei der Klägerin sollten LDL-Werte von unter 70 mg/dl erreicht werden, welche auch am 19. Oktober mit 94,9 mg/dl nicht erreicht worden seien. In den aktuellen Dyslipidämie-Leitlinien würden sogar bei sehr hohem Risiko LDL-Cholesterinwerte von unter 55 mg/dl angegeben. Eine weitere Einstellung hätte daher zuerst durch Erhöhung des CSE-Hemmers auf 40 mg versucht werden können und sodann die Etablierung eines PCSK9-Hemmers. Des Weiteren wäre bei vorliegender Präadipositas eine Ernährungsumstellung mit körperlicher Betätigung zu empfehlen. Hinsichtlich der erforderlichen Abwägung der Indikationsstellung sei zudem die Erstellung eines Gesamtrisikoprofils erforderlich. Zur endgültigen Heilung des Bronchialkarzinoms bzw zu Staginguntersuchungen lägen keine Unterlagen vor. Es habe sich mutmaßlich um ein nicht-kleinzelliges Bronchial-Karzinom im Stadium IA oder IB gehandelt, deren postoperative 5-Jahresüberlebensraten bei 75-80% bzw 55-60 % lägen. Ein zusätzliches Mammakarzinom werde derzeit mit Chemotherapie behandelt und stelle sicherlich die dringlicher zu therapierende Erkrankung dar. Aufgrund der im Zusammenhang mit dem Tumorleiden und der Chemotherapie stehenden Nebenwirkungen müsste die apheretische Therapie evtl unterbrochen werden. Der für die Apherese notwendige Shunt stelle einliegendes Fremdmaterial dar, welches zu diesem Zeitpunkt sehr infektgefährdet sei. Ein Abschluss der Chemotherapie sollte vor weiterer Durchführung einer Apheresetherapie erfolgen. Außerdem sei zwingend eine Stellungnahme des behandelnden Onkologen bzw Gynäkologen einzuholen.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2019 hat die Beklagte auf einen weiteren Antrag der Klägerin bei der Apherese-Kommission und positivem Votum für den Folgezeitraum 10. August 2019 bis 9. August 2020 vorläufig unter dem Vorbehalt einer anderslautenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren die Kosten der LDL-Apherese übernommen.

Mit Urteil vom 18. September 2019 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, der Klägerin eine Lipoproteinapheresetherapie als Sachleistung zur Verfügung zu stellen und insofern die beantragte Lipoproteinapheresetherapie zu genehmigen. Der Klägerin stehe ein Anspruch aus § 27 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 1 SGB V iVm der Anlage I Methoden-RL zu. Gemäß § 1 Abs 2 der Anlage sollten Apheresen als extrakroporales Hämotherapieverfahren in Ausnahmefällen als „ultima ratio“ bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden. Sie könnten gemäß § 3 Abs 2 der Anlage bei isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen) durchgeführt werden. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin vor. Der zuletzt vor Erlass des Widerspruchsbescheides ermittelte Lp(a)-Wert habe bei über 269,5 nmol/l gelegen. Die ermittelte Einheit entspreche zwar nicht derjenigen der Richtlinie, gebe aber dennoch einen ausreichenden Aussagewert über die Höhe der Konzentration von Lp(a) im Blut. Nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie werde ab einem Lp(a) von 50 mg/dl von einem signifikant erhöhten kardiovaskulären Risiko ausgegangen, was nach dem „Standard der Therapeutischen Apherese“ einem Wert von 120 nmol/l entspreche. Diese Grenze werde weit überschritten, was auch vom MDK nicht infrage gestellt werde. Der Sachverständige habe umgerechnet einen Wert von 112 mg/dl ermittelt.

Die Kammer gehe auch von einem LDL-Cholesterin im Normbereich aus. Am 19. Oktober 2018 sei ein Wert von 94,9 mg/dl gemessen worden. Nach den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie sollte der LDL-C-Zielwert bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko zwar unter 70 mg/dl liegen; es handele sich dabei aber um eine Empfehlung, da sich das Ansprechen auf eine jeweilige lipidsenkende Maßnahme individuell erheblich unterscheide und Nebenwirkungen der Lipidtherapie zu berücksichtigen seien. Die von der Beklagten bei der Klägerin geforderte Höherdosierung des verabreichten Statins sei aufgrund von bereits aufgetretenen Muskelschmerzen nicht indiziert. Weitere Behandlungsvarianten (Nikotinsäure und monoklonare Antikörper) seien mangels ausreichenden Nachweises eines (zusätzlichen) Nutzens ebenfalls nicht angezeigt. Daneben könnte hierdurch ohnehin nur eine Reduktion des Lp(a)-Wertes von 20 bis 30 % erreicht werden, was angesichts der Höhe des Ausgangswertes nicht ausreichend wäre. Im Übrigen sei die Einhaltung des Normbereichs aufgrund der Eigenschaft einer bloßen Empfehlung des Zielwertes ohnehin als erreicht anzusehen. Dahinstehen könne vor diesem Hintergrund, ob bei der Bestimmung des LDL-C-Wertes 30% des gemessenen Wertes aufgrund einer Identität mit dem Lp(a)-Wert abzuziehen sei, wie der Sachverständige ausgeführt habe.

Schließlich seien bei der Klägerin auch koronare Herzerkrankungen ausreichend dokumentiert. Am 11. Januar, 22. Februar, 8. Mai und 4. September des Jahres 2018 seien jeweils eine PTCA mit Stentsetzung durchgeführt worden. Der Sachverständige habe eine diffuse, fortgeschrittene koronare Herzkrankheit (3-Gefäßerkrankung) festgestellt. In den durchgeführten Koronarangiographien sei eindeutig eine Progression der koronaren Herzkrankheit dokumentiert. Zusätzlich bestünden atherosklerotische Veränderungen im cerebrovaskulären Bereich und in der Gefäßperipherie. Auffällig sei daneben die familiäre Belastung.

Die Klägerin habe zudem vorgetragen, dass sie sich bereits entsprechend der Erkrankung ernähre und auch Sport treibe. Die Beklagte trage aber selbst nicht vor, dass durch solche Maßnahmen der Lp(a)-Wert reduziert werden könnte. Das Risiko durch einen etwaigen Shunt bestehe nicht, weil ein solcher zur Zeit überhaupt nicht eingesetzt werde. Die Krebserkrankung an Lunge und Brust stünden einem Anspruch nicht entgegen, weil lediglich über einen Anspruch auf eine Apherese-Therapie dem Grunde nach zu entscheiden gewesen sei. Etwaige Kontraindikationen aufgrund anderer Erkrankungen seien nicht streitgegenständlich. Daneben sei festzustellen, dass der Apheresekommission grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der medizinischen Indikation zustehe. Zwar sehe die Anlage I Methoden-RL eine Bescheidung durch die Krankenkasse und „nur“ eine beratende Funktion der Kommission vor; indes sei ein eigenständiges Prüfverfahren durch die Krankenkasse auch nicht ausdrücklich geregelt. Vor diesem Hintergrund könne eine abweichende Prüfungskompetenz nur in Ausnahmefällen, nämlich bei geänderter Sachlage, evidenter Fehlentscheidung oder einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation in Betracht kommen. Hierfür lägen hier keine Anhaltspunkte vor.

Gegen das ihr am 18. Dezember 2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte am selben Tag Berufung bei dem LSG Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung führt sie an, das SG berücksichtige bei der Verurteilung zur Genehmigung der LDL-Apherese nicht, dass gemäß § 8 Abs 1 der Anlage I Ziff 1 Methoden-RL die Genehmigung zur Durchführung im Einzelfall jeweils auf ein Jahr zu befristen sei. Vorliegend gehe es um den Jahreszeitraum 10. August 2018 (Entscheidung der Kommission) bis 9. August 2019. Das SG hätte demnach lediglich feststellen dürfen, dass für den genannten Zeitraum die Voraussetzungen für die Durchführung einer LDL-Apherese vorgelegen hätten und dabei Ausführungen zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse machen müssen. Ausführungen dazu, dass auch der Folgezeitraum 10. August 2019 bis 9. August 2020 Gegenstand des Verfahrens seien, fehlten. Insoweit sei am 23. Juli 2019 aufgrund des hiesigen Verfahrens eine vorläufige Zusage erteilt worden.

Darüber hinaus seien die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 der Anlage I Ziff 1 Methoden-RL nicht erfüllt. Das SG habe auf die Schwierigkeiten der Umrechnung eines Lp(a)-Wertes von nmol/l auf mg/dl bereits hingewiesen. Das Gericht treffe überdies unzulässige hypothetische Annahmen bei der Betrachtung der Werte unter Durchführung der Therapie. Bereits am 25. Juni 2019 habe das Lp(a) der Klägerin im Übrigen bei 55 mg/dl gelegen und somit nicht mehr den erforderlichen Wert überschritten. Für weibliche Personen, die älter als 65 Jahre seien, sei zudem in einer Studie festgestellt worden, dass Lp(a) keinen unabhängigen kardiovaskulären Risikofaktor darstelle. Hinsichtlich des LDL-Wertes sei nochmals darauf hinzuweisen, dass die Klägerin den für sie geltenden Normbereich von 70 mg/dl überschritten habe. Dieser mittlerweile differenzierten Festlegung eines Normbereiches – ohne Anwendung einer Korrekturberechnung durch einen Lp(a)-Anteil – sei der Vorrang zu geben. Die Zielwerte seien dabei als Normwerte zu verstehen. Auch bei dem Standard der therapeutischen Apherese handele es sich nur um eine Leitlinie, bei der im Übrigen ein Mitglied der Beratungskommission maßgeblich mitgewirkt habe. Es müsse bei der Bestimmung des Normbereichs auf die jeweils aktuellen Erkenntnisse abgestellt werden, wonach laut European Society of Cardiology (ESC) seit September 2019 sogar nur von einem Wert von 55 mg/dl auszugehen sei. Des Weiteren sei fraglich, zu wann die Umstellung der Lipidtherapie der Klägerin erfolgt sei und ob sich dies noch bis zur Antragstellung bei der Kommission habe auswirken können. In Anwendung der Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 3. Dezember 2018 – L 5 KR 677/18 B ER) fehle es schließlich auch an einer Progredienz der kardiovaskulären Erkrankung. In dem Herzkatheter-Bericht vom 4. September 2018 sei für die bereits durchgeführten Stentimplantationen ein gutes Langzeitergebnis dokumentiert. Hierin sei eine Zäsur zu erblicken, dh es sei zu beurteilen, ob es ab diesem Zeitpunkt erneut zu einer Progredienz der inzwischen weiter therapierten Erkrankung gekommen sei. Erkenntnisse dazu lägen nicht vor.

Ihr müsse als Krankenkasse dabei generell eine Prüfkompetenz unabhängig von der Entscheidung der Apheresekommission zustehen. Zum einen sei das Verfahren der Kommission intransparent und es werde noch nicht einmal mitgeteilt, welche Indikation Grundlage der Befürwortung durch die Kommission sei. Außer dem Namen des Versicherten und dem Ergebnis der Beratung ohne jegliche Begründung lägen den Krankenkassen keinerlei Unterlagen vor. Auch sei es nicht möglich, eine Stellungnahme gegenüber der Kommission im Zuge des Beratungsverfahrens abzugeben, da die KVN auf eine Frist von 14 Tagen bestehe. Zudem entscheide die Kommission in der Regel nur im schriftlichen Verfahren, dh, es finde kein Austausch bei unterschiedlichen Auffassungen der Kommissionsmitglieder statt. Eine Bindung an das Beratungsergebnis der Kommission würde bedeuten, dass ein Gremium, das in seiner Funktion ausschließlich aus Leistungserbringern bestehe (die Ärzte des Medizinischen Dienstes seien dort nur beratend tätig und gegenüber der Beklagten nicht weisungsgebunden), im Einzelfall eine Entscheidung zulasten der betroffenen Krankenkasse treffe, die diese noch nicht einmal anfechten könne, da sie selbst ja den Leistungsbescheid erlassen müsse. Dies wäre nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern auch nicht systemkonform. In dieser engen Auslegung wäre die Methoden-RL jedenfalls im Zusammenhang mit der Umsetzung in Niedersachsen rechtswidrig. Die Krankenkassen dürften daher selbst den MDK einschalten. Die Voraussetzungen des § 275 Abs 1 SGB V seien erfüllt, da sich die Fälle unter „oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist“ subsumieren ließen. Zu prüfen seien auf entsprechendes Verlangen der Krankenkasse Voraussetzung, Art und Umfang der Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots.

In der mündlichen Verhandlung vom 15. November 2022 hat die Beklagte ihren Vortrag zudem dahingehend ergänzt, dass der Kommission bei ihrer Entscheidung eine lipidologische Beurteilung der Klägerin nicht vorgelegen habe.

Sie beantragt,

das Urteil des SG Hannover vom 18. September 2019 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für sachlich und rechtlich korrekt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei der Urteilstenor richtig. Eine weitere Konkretisierung des Genehmigungszeitraums sei nicht erforderlich gewesen, weil sich dieser aus dem Sachverhalt und den zugrundeliegenden Rechtsgrundlagen unzweifelhaft ergebe. Die Beratungskommission habe am 10. August 2018 entschieden, so dass die Beklagte zur Kostenübernahme bis zum 9. August 2019 verpflichtet sei. Dass hiervon auch die Beklagte ausgehe, zeige sich daran, dass die Beklagte für den Folgezeitraum 10. August 2019 bis 9. September 2020 eine neue (vorläufige) Kostenzusage erteilt habe.

Sofern die Beklagte bemängele, dass die Laborwerte der Klägerin nicht in mg/dl angegeben seien, ändere dies nichts daran, dass die Lp(a)-Grenzwerte unabhängig von der angewendeten Umrechnungsmethodik überschritten seien. Dies sei auch nicht ernsthaft bestritten worden. Hinsichtlich des LDL-Cholesterins lasse die Beklagte nach wie vor die notwendige Differenzierung zwischen Norm- und Zielbereich vermissen. Gefordert werde in § 3 Abs 2 der Anlage I Ziff 1 Methoden-RL lediglich ein „LDL im Normbereich“, den sie mit unter 100 mg/dl (bereinigt) deutlich erreiche. Davon abzugrenzen sei der sog Zielwert, der in kardiologischen Leitlinien oftmals genannt werde. Davon abgesehen habe ihr LDL-Cholesterinwert nicht nur im Norm-, sondern sogar im Zielbereich von 70 mg/dl gelegen. Der von der Beklagten genannte Wert von 55 mg/dl sei erst im Herbst 2019 publiziert worden und habe seinerzeit noch nicht gegolten. Die Einwendungen der Beklagten gegen eine Korrekturberechnung des LDL-Cholesterins könnten dabei nicht verfangen. Die Beklagte führe keinerlei wissenschaftliche Argumentation für ihre Meinung an, sondern leugne nur schlicht, während der Sachverständige und das SG die notwendige Korrekturberechnung unter Hinweis auf diverse Studien und Leitlinien belegten. Die bei der Klägerin vorliegende progrediente koronare Dreigefäßkrankheit sei durch zahlreiche Arztbriefe und bildgebende Befunde, die die von ihr erlittenen kardiovaskulären Ereignisse eindeutig belegten, nachgewiesen. Insofern unterscheide sich ihr Fall deutlich von dem angeführten Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen. Auch der MDK selbst gehe in seinem Gutachten vom 2. September 2019 im Übrigen von einer progredienten kardiovaskulären Erkrankung aus.

Die Beklagte habe keinerlei Anhaltspunkte dafür anzuführen vermocht, dass die fachkundige Kommission nicht alle relevanten Informationen und Befunde berücksichtigt hätte. Es liege auch kein Hinweis auf ein willkürliches Entscheidungsprozedere vor. Daher habe die Beklagte die GBA-Entscheidung zu akzeptieren, dass die Frage der Indikationsstellung der Apherese nicht dem MDK alleine, sondern vielmehr einer fachkundigen Kommission zugewiesen sei. Dabei habe der MDK entgegen der Auffassung der Beklagten ein volles Stimmrecht. Die Vorlage medizinischer Unterlagen, Ausführungen oder medizinischer Begründungen an die Krankenkasse seien von der Methoden-RL nicht vorgesehen. Gemäß § 6 Abs 3 Satz 2 der Anlage I Ziff 1 Methoden-RL werde die Krankenkasse nur über das Ergebnis unterrichtet. Für die Honorarvergütung der Vertragsärzte seien die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig. Folgerichtig prüfe eine Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung, ob die Voraussetzungen für die Prüfung und Durchführung der Apherese vorlägen. Die in § 6 Abs 3 Satz 1 vorgesehene Möglichkeit der Krankenkasse zur Stellungnahme würde keinen Sinn machen, wenn das Beratungsergebnis der Kommission allenfalls die Qualität eines Vorschlags bzw einer Empfehlung ohne Bindungswirkung hätte. Dass nach § 7 der Leistungsbescheid gegenüber dem Versicherten von der Krankenkasse erteilt werde, trage allein dem Umstand Rechnung, dass ein Rechtsverhältnis nur zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse bestehe (LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 22. April 2020 – L 16 KR 153/20 B ER). Auch in anderen Leistungsbereichen der Qualitätssicherung (Schmerztherapie, Akkupunktur, Herzschrittmacherkontrolle etc) träfen fachkundig besetzte Kommissionen verbindliche Entscheidungen. Die Voraussetzungen des § 275 Abs 1 Nr 1 SGB V, wonach Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich sei, verpflichtet seien, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachterliche Stellungnahme des MDK einzuholen, lägen demgegenüber nicht vor. Es handele sich weder um einen „gesetzlich bestimmten Fall“ noch sei die Einholung einer Stellungnahme „erforderlich“ noch handele es sich um eine Beauftragung bei „Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung“.

Die Klägerin hat eine Stellungnahme der KVN vom 16. September 2020 zum Ablauf des Apheresekommissionsverfahrens aus einem Parallelverfahren eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten zum hiesigen Verfahren sowie zu dem Eilverfahren S 86 KR 1634/18 ER/L 4 KR 580/18 B ER und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist form- und fristgemäß eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber im Wesentlichen unbegründet. Zu Recht hat das SG Hannover einen Anspruch der Klägerin auf eine Lipidapherese bejaht.

Der streitgegenständliche Zeitraum ist auf die Zeit bis 9. August 2019 begrenzt. Gemäß § 8 Abs 1 der Anlage I Ziff 1 Methoden-RL ist die Genehmigung zur Durchführung der LDL-Apherese im Einzelfall jeweils auf ein Jahr zu befristen und erforderlichenfalls ein neues Genehmigungsverfahren einzuleiten. Dass auch die Beteiligten von einer solchen Beschränkung des Streitgegenstandes ausgegangen sind, ergibt sich daraus, dass für die Zeit ab dem 10. August 2019 ein weiteres Verfahren durchgeführt und auch ein neuer Bewilligungsbescheid erlassen worden ist.

Da Streitgegenstand damit eine Leistung in der Vergangenheit ist, die die Beklagte aufgrund der Verurteilung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits vorläufig gewährt hatte, ist statthafte Klageart die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 10/16 R –, BSGE 122, 181-191, SozR 4-2500 § 2 Nr 6, Rn 9). Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache, der Versagung des Anspruchs der Versicherten auf die Gewährung einer Lipidapherese. Vielmehr soll der Rechtsgrund für das "Behaltendürfen" festgestellt werden. Das für eine Feststellungsklage erforderliche berechtigte Interesse ist zu bejahen (BSG, aaO). Die Klägerin bedarf, um nicht Gefahr zu laufen, einer Erstattungsforderung der Beklagten ausgesetzt zu sein, der Feststellung (§ 55 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), dass die Beklagte die Leistungen zu Recht erbrachte. Eine Erstattung "zu Unrecht" erbrachter Leistungen nach § 86b Abs 2 S 4 SGG iVm § 945 Zivilprozessordnung (ZPO)/ggf § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) scheidet dann aus (vgl dazu BSGE 118, 40 = SozR 4-2500 § 51 Nr 3, RdNr 12; BSG Urteil vom 13. Dezember 2016 - B 1 KR 1/16 R – Rn 8). Das Feststellungsinteresse beschränkt sich damit allerdings auf die Zeit ab tatsächlicher Leistungserbringung im Dezember 2018. Der von der Klägerbevollmächtigten gestellte Leistungsantrag, war im wohlverstandenen Interesse der Klägerin entsprechend umzudeuten (§ 123 SGG). Der Tenor des SG war entsprechend zu berichtigen.

Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 5. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2018 war rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte einen Anspruch auf die begehrte Lipidapherese verneint. Gemäß § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die jeweiligen Leistungen dürfen aber nicht in einer beliebigen Qualität erbracht werden, sondern § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V bestimmt, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen haben. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen gemäß § 135 Abs 1 SGB V in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern und über die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung. Dies ist in der Anlage I der Method-RL geschehen.

Ziffer 1 der Anlage I regelt die ambulante Durchführung der Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren. § 3 der Ziff 1 Anlage I führt mit Hypercholesterinämie, isolierter Lp(a)-Erhöhung und aktiver rheumatoider Arthritis abschließend die Indikationen auf, für die Apheresen zugelassen sind. Gemäß § 3 Abs 2 können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Hererkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen). § 1 Abs 2 stellt zudem klar, dass für die in § 3 genannten Krankheitsbilder in der vertragsärztlichen Versorgung idR hochwirksame medikamentöse Standard-Therapien zur Verfügung stehen, so dass Apheresen nur in Ausnahmefällen als „ultima ratio“ bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden sollen.

Apheresen dürfen dabei nur von besonders qualifizierten Medizinern durchgeführt werden, die zunächst eine Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durch die Kassenärztliche Vereinigung erwirken müssen. Die Genehmigung ist nur Ärztinnen und Ärzten mit der Facharztbezeichnung „Innere Medizin und Nephrologie“, „Innere Medizin“ mit Schwerpunktbezeichnung „Nephrologie“ oder „Kinder- und Jugendmedizin“ mit der Zusatzbezeichnung „Kinder-Nephrologie“ sowie solchen Ärztinnen und Ärzten zu erteilen, die hinreichende Erfahrungen mit Apheresen aufweisen (§ 2 Abs 1).

Darüber hinaus macht die Richtlinie die Apheresebehandlung von einem vorherigen Genehmigungsverfahren abhängig. Die Kassenärztlichen Vereinigungen richten dabei zur Beratung der Indikationsstellungen zur Apherese fachkundige Kommissionen ein, an denen je Kommission insgesamt zwei von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen benannte fachkundige Ärzte des MDK beratend teilnehmen (§ 6 Abs 1). Zur Prüfung durch die Kommission nach Absatz 1 legt der indikationsstellende Arzt für jeden Einzelfall die vollständige Dokumentation gemäß § 5 und die ergänzende medizinische Beurteilung gemäß § 4 vor (§ 6 Abs 2 Satz 1), wobei § 5 umfangreiche Informationen zur Indikationsstellung wie die Begründung, Angaben zu Art und Umfang vorliegender Erkrankungen, bisherige Therapiemaßnahmen und Nachweise von bildgebenden Dokumentationen und Laborparametern vorsieht und § 4 ergänzende kardiologische/angiologische und lipidologische Beurteilungen. Bei der Beratung der Einzelfall-Indikation hat die Kommission der leistungspflichtigen Krankenkasse Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und ihr zu bestätigen, dass die für ihre Entscheidung notwendigen Befunde vorgelegen haben (§ 6 Abs 3 Satz 1). Über das Beratungsergebnis unterrichtet die Beratungs-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung die leistungspflichtige Krankenkasse unter Angabe des Pseudonyms (§ 6 Abs 3 Satz 2). Die Krankenkasse informiert ihrerseits den Versicherten über das Beratungsergebnis (§ 6 Abs 3 Satz 4). Die Durchführung und Abrechnung der Apherese im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ist in jedem Einzelfall erst dann zulässig, wenn die leistungspflichtige Krankenkasse dem Versicherten einen Leistungsbescheid erteilt hat (§ 7).

Diese Voraussetzungen lagen im Falle der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vor. Dies ergibt sich zwar noch nicht allein aufgrund des Votums der Kommission (hierzu unter 1.); die Klägerin erfüllte aber die medizinischen Voraussetzungen für eine Lipidapherese (hierzu unter 2.).

1. Im Falle der Klägerin hat die Apheresekommission auf Grundlage der von dem behandelnden Arzt Dr K. eingereichten Unterlagen die Indikation zur Apherese nach Maßgabe der Richtlinie gestellt und die Behandlung sowie Durchführung befürwortet. Eine rechtliche Bindung für die Beklagte kommt diesem Votum nicht zu (ebenso: SG Hildesheim, Urteile vom 27. Juli 2022 – S 54 KR 554/18; S 54 KR 1052/20 und S 54 KR 522/21; aA SG Hannover, Urteil vom 23. Februar 2022 – S 19 KR 969/18; Beschluss vom 22. Dezember 2021 – S 19 KR 1615/21 ER; Urteile vom 20. September 2021 – S 10 KR 767/18 und S 10 KR 1144/19; Beschluss vom 5. Februar 2020 – S 95 KR 80/20 ER). Eine so weitreichende Folge der Kommissionsentscheidung lässt sich der Ziff 1 der Anlage I der MethodenRL nicht entnehmen. § 6 Abs 1 spricht lediglich von der „beratenden Kommissionen“ und der „Beratung der Indikationsstellungen“ bzw der „Beratung der Einzelfall-Indikation“. Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Krankenkassen abgesehen von der (unverbindlichen) Möglichkeit zur Stellungnahme an der Entscheidungsfindung der Kommissionen nicht beteiligt sind und lediglich über das Ergebnis des Beratungsergebnisses informiert werden. Diese Einschränkung bezieht sich jedoch lediglich auf das Beratungsverfahren selbst und sagt über die Verbindlichkeit der Kommissionsentscheidung für den Leistungsbescheid der Krankenkasse nichts aus. Auch bei der Einschaltung des MDK in anderen Leistungsfällen prüft dieser selbstständig und teilt der Krankenkasse das Prüfergebnis mit, ohne dass es der Kasse (rechtlich) verwehrt wäre, in ihrer Leistungsentscheidung gegenüber dem Versicherten zu einer anderen Entscheidung zu gelangen. In den Tragenden Gründen zum Änderungsbeschluss der Richtlinie vom 17. Juli 2014 (Inkrafttreten zum 3. Oktober 2014), in dessen Vorwege das Bundesgesundheitsministerium um Überprüfung gebeten hatte, ob die festgelegte Vorabprüfung bei Apheresen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung noch erforderlich oder ob stattdessen eine vollständige Aufgabenübertragung auf den MDK oder eine nachgelagerte Qualitätssicherheitsmaßnahme nach § 137 SGB V möglich sei, kam der GBA zu dem Schluss, dass aus Gründen der Qualitätssicherung auf eine Vorabprüfung der Indikationsstellung nicht verzichtet werden könne. Eine fachliche Prüfung der korrekten Indikationsstellung sei für diese Ultima-Ratio-Therapie regelhaft notwendig; eine nachgelagerte Prüfung würde diesem Sachverhalt in Bezug auf den individuellen Patienten nicht gerecht werden. Diese Prüfung könne nur gewährleistet werden, wenn daran in der Durchführung von Apheresen erfahrene Ärzte beteiligt seien. Der MDK sei bereits nach der bisherigen Regelung an den beratenden Kommissionen beteiligt. Eine Übertragung dieser Aufgabe allein an den MDK scheide jedoch nicht zuletzt mit Blick auf das vorgenannte Erfordernis der laufenden Abstimmung mit praktisch tätigen Experten auf diesem Gebiet aus. Diesen Ausführungen ist zu entnehmen, dass im Zusammenhang mit der komplexen, fachlich anspruchsvollen Prüfung der Aphereseindikation eine vorherige Prüfung durch mit der Materie vertraute Mediziner ermöglicht werden soll. Beabsichtigt ist jedoch kein Weniger, sondern im Gegenteil ein Mehr an Prüfung, indem nicht der MDK allein, sondern eine ganze Kommission eingesetzt wird. Eine beabsichtigte Einschränkung der Kompetenzen der Krankenkassen ist hierin nicht zu erblicken. Soweit der Senat im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes hier zunächst eine Bindung an das Votum der Kommission vorläufig angenommen hat (Beschlüsse vom 26. Februar 2018 – L 16 KR 52/18 B ER – und 22. April 2020 – L 16 KR 153/20 B ER) hält er hieran – jedenfalls für den Fall eines positiven Votums – in dieser Form nicht mehr fest.

Eine andere Auslegung von § 6 Abs 1 würde auch einen Verstoß der MethodenRL gegen die Ermächtigungsgrundlage bedeuten. Die Krankenkassen sind gemäß § 275 Abs 1 Satz Nr 1 SGB V in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Es handelt sich insoweit bei den Kriterien um unbestimmte Rechtsbegriffe, die den Krankenkassen einen entsprechenden Beurteilungsspielraum einräumen. Die Krankenkassen haben also nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen, ob nach den genannten Kriterien eine Begutachtung erforderlich ist (Scholz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 275 SGB V (Stand: 15. Juni 2020), Rn 14). Nr 1 bezieht sich dabei als Generalklausel auf alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (Scholz aaO). Die Erforderlichkeit kann zB in der Optimierung der Leistungsgewährung oder in der Abwehr unberechtigter Leistungsbegehren begründet sein (BayLSGUrt vom 23. September 1998 – L 12 KA 533/96). Das Verfahren dient der Prüfung, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1) gewahrt ist (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 – 1 KR 27/13 R, NZS2015, 136 Rn 23; Krauskopf/Knittel SGB V § 275 Rn 8). Zur Einschränkung dieser originären Aufgabe der Krankenkasse ist der GBA nicht befugt. Der GBA steuert über seine Richtlinien zwar, unter welchen Voraussetzungen die zur ambulanten oder stationären Versorgung zugelassenen Leistungserbringer neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen, und konkretisiert gleichzeitig den Umfang der den Versicherten von ihrer Krankenkasse geschuldeten medizinischen Leistungen, dabei muss er sich aber im Rahmen seiner Ermächtigungsgrundlage halten und die maßgeblichen Verfahrens- und Formvorschriften sowie die Grenzen des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums beachten (BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 – B 6 A 1/08 R –, BSGE 103, 106-134, SozR 4-2500 § 94 Nr 2, SozR 4-2500 § 137c Nr 4, SozR 4-1500 § 10 Nr 2, Rn 45).

2. Allerdings ist die Komplexität des Genehmigungsverfahrens und die besondere Kompetenz der Apherese-Kommission in tatsächlicher Hinsicht bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen zu berücksichtigen. Kommt ein mehrköpfiges Gremium, in dem sowohl in der Apherese fachkundige Ärzte als auch MDK-Ärzte vertreten sind, bei der Bewertung der umfangreichen Antragsunterlagen eines ebenfalls in der Apherese besonders versierten und gesondert zugelassenen Arztes zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Anforderungen an eine Apherese vorliegen, so kann diese Einschätzung regelmäßig nicht durch ein einfaches (weiteres) MDK-Gutachten widerlegt werden. Denn das Genehmigungsverfahren trägt der Einhaltung der Anforderungen an eine Apherese unter Beachtung des ultima-ratio-Charakters der Therapie bereits in besonderer Weise Rechnung. Hierauf weist auch der GBA in seinen Tragenden Gründen zum Beschluss vom 17. Juli 2014 hin, indem er ausführt, dass sich das Verfahren über den Lauf der Jahre bewährt habe, was sich unter anderem daran ablesen lasse, dass die Ablehnungsquoten bei Folgeanträgen im Vergleich zu denen von Erstanträgen niedriger seien. Dies weise auf eine sorgfältige und zutreffende Prüfung der Indikationsstellung von Erstanträgen hin. Auch eine Beteiligung des MDK hat im Genehmigungsverfahren bereits stattgefunden, wobei die Auffassung der Beklagten, dass der MDK nur beratend ohne Stimmrecht tätig sei, nicht zutrifft. „Beratend teilnehmen“ in § 6 Abs 1 bezieht sich lediglich auf die Tätigkeit der Kommission, die ebenfalls „zur Beratung der Indikationsstellungen“ eingerichtet ist. Innerhalb dieser Kommission haben die MDK-Mitglieder somit eine gleichberechtigte Stellung. Zur Entkräftung eines solch fachkundigen Votums bedarf es jedenfalls gewichtiger Gründe.

Solche Gründe liegen hier nicht vor.

Es bestehen zunächst keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaft abgelaufenes Verfahren der Apheresekommission. Soweit die Beklagtenvertreterin mehr als vier Jahre nach Abschluss des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals und ohne weitere Nachweise moniert, der Kommission habe bei ihrer Entscheidung eine lipidologische Beurteilung der Klägerin nicht vorgelegen, vermag der Senat diese Behauptung nicht nachzuvollziehen. Die KVN hat der Beklagten mit Schreiben vom 5. Juli 2018 entsprechend § 6 Abs 3 Satz 1 der Anlage I Ziff 1 ordnungsgemäß bestätigt, ihr lägen die vollständigen Antragsunterlagen vor und hat ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Diese hat die Beklagte nicht wahrgenommen und auch im weiteren Verwaltungs- und Gerichtsverfahren die Vollständigkeit der der Kommission vorliegenden Befunde nie angezweifelt. Zu weiteren Ermittlungen ins Blaue hinein musste der Senat sich vor diesem Hintergrund nicht veranlasst sehen. Dahinstehen kann daher auch, welche Anforderungen an eine ergänzende lipidologische Beurteilung zu stellen sind und ob ein etwaiges Fehlen noch später nachgeholt werden kann.

Es liegen des Weiteren keine Anhaltspunkte für eine Fehlentscheidung der Apherese-Kommission in der Sache vor. Bei der Klägerin bestand ausweislich der Unterlagen eine isolierte Lp(a)-Erhöhung. Im Zeitraum April 2018 bis Oktober 2018 wurden Werte von ca 240 bis 290 nmol/l gemessen, was laut dem behandelnden Arzt Dr K. Werten von um die 110 mg/dl entspricht. Der Grenzwert von 60 mg/dl nach § 3 Abs 2 der Anlage I Ziff 1 war also um fast 100% überschritten. Die Bedenken der Beklagten bei der Umrechnung der Lp(a)-Werte von nmol/l auf mg/dl teilt der Senat nicht. Denn auch wenn zutreffend ist, dass eine eins zu eins-Übertragung aufgrund der Vielzahl der unterschiedlich großen Isoformen des Lp(a) nicht möglich ist (siehe Standard der Therapeutischen Apherese 2018 der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Nierenzentren eV, Seite 34), so besteht im Falle der Klägerin angesichts der Höhe der gemessenen Werte kein Zweifel daran, dass das Lp(a) relevant erhöht war. Dies stellt auch der MDK in seinen Gutachten vom 29. August 2018, 7. November 2018 und 2. September 2019 nicht in Abrede. Dass der Lp(a)-Wert der Klägerin – wie von der Beklagten vorgetragen – im Juni 2019 mit 55 mg/dl den Grenzwert bereits wieder unterschritten hatte, ist unerheblich. Der zu genehmigende Zeitraum umfasst gemäß § 8 Abs 1 der Anlage I Ziff 1 jeweils ein Jahr. Der Lp(a)-Wert im Juni 2019 kann daher allenfalls für den Folgezeitraum eine Rolle spielen.

Das LDL-Cholesterin lag demgegenüber im Normbereich. Der Wert betrug unter medikamentöser Therapie bei Antragstellung im Juni 2018 108 mg/dl. Hiervon zieht der behandelnde Arzt Dr K. 30% ab. Er führt insoweit aus, dass aufgrund der signifikanten Lp(a)-Erhöhnung eine gesonderte Betrachtung erforderlich sei, da bei den üblichen Methoden zur Bestimmung des LDL-Cholesterins das im Lp(a) transportierte Cholesterin dem LDL-Cholesterin zugerechnet werde. Ohne Messung von Lp(a) könne dadurch der falsche Eindruck eines hohen LDL-Cholesterins entstehen. Von dem gemessenen LDL-Cholesterin-Wert sei daher ein Anteil von 30 % abzuziehen, so dass das tatsächliche LDL-Cholesterin um 75 bis 80 mg/dl betragen habe. Angesichts der von Dr K. genannten Belege für diese Vorgehensweise (Yeang et al Current Opinion in Lipodology 2015) und aufgrund des Umstandes, dass auch die Apheresekommission und der vom SG beauftragte Sachverständige dem folgen, bestehen gegen eine Korrektur des gemessenen LDL-Cholesterin-Wertes keine durchgreifenden Bedenken. Auch der Standard der Therapeutischen Apherese (Seite 35) sieht diese vor. Hiermit setzt der MDK sich in seinen Gutachten vom 29. August 2018 und 2. September 2019 in keiner Weise auseinander. Das Gutachten vom 7. November 2018 verneint die Zulässigkeit der Herausrechnung eines Lp(a)-Anteils zwar, führt zum Beleg allerdings lediglich die Leitlinien der ESC und European Atherosclerosis Society (EAS) zur Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien an. Diese geben jedoch lediglich LDL-Cholesterin-Zielwerte an. Zur Art der Ermittlung dieses Wertes im Speziellen bzw zur Lipidapherese als Therapieoption im Allgemeinen verhalten sie sich dagegen überhaupt nicht (siehe unter https://leitlinien.dgk.org/files/2017_PLL_Dyslipidaemie_Internet_ neu.pdf).

Wann das LDL im Normbereich liegt, ist in § 3 der Anlage I Ziff 1 nicht definiert. Der Standard der Therapeutischen Apherese geht bei einem Wert von <100 mg/dl von einem „normalen“ LDL-Cholesterin aus (Seite 35), der von der Klägerin bei Antragstellung im Juni 2018 erreicht wurde. Doch selbst wenn man mit der Beklagten und dem MDK unter Anwendung der ESC/EAS-Leitlinie angesichts ihres hohen Risikoprofils von einem anzustrebenden LDL-Wert von <70 ausginge (siehe aaO), so hätte die Klägerin diese Werte jedenfalls am 19. Oktober 2018 mit 94,9 mg/dl, bereinigt ca 57 mg/dl noch vor Beginn der Therapie erreicht. Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob, wie von der Klägerin und dem SG angenommen, bei der Betrachtung des LDL-Cholesterins ohnehin zwischen Norm- und Zielwert unterschieden werden muss. Der von der Beklagten im Berufungsverfahren aufgeworfene aktuelle Zielwert von 55 mg/dl in der Dyslipidämie-Leitlinie von 2019 (siehe unter https://leitlinien.dgk.org/2020/pocket-leitlinie-diagnostik-und-therapie-der-dyslipidaemien-version-2019/) galt seinerzeit mangels Veröffentlichung der Leitlinie noch nicht und kann daher keine Berücksichtigung finden.

Bei der Klägerin war auch eine progrediente kardiovaskuläre Erkrankung dokumentiert. Sie leidet mindestens seit dem Jahr 2008 an einer KHK. Progresse sind mehrfach aufgetreten und mussten jeweils mit PTCA und Stenting behandelt werden. Allein im Jahr 2018 wurden drei Koronarinterventionen nötig, die letzte am 4. September 2018 bei abermaliger 80%-iger Stenose. Selbst nach Antragstellung trat somit ein weiterer Progress auf. Warum die Beklagte das Vorliegen einer progredienten kardiovaskulären Erkrankung dennoch bestreitet, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar und nicht schlüssig. Selbst der MDK bestätigt einen Progress in allen drei seiner Gutachten. Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 3. Dezember 2018 – L 5 KR 677/18 B ER; siehe auch Beschluss vom 3. Juli 2020 – L 11 KR 181/20 B ER) ist auf den hiesigen Fall nicht übertragbar. Dort war eine koronare Gefäßkrankheit lediglich einmalig diagnostiziert und ein Progress gerade nicht dokumentiert worden.

Schließlich bestand bei der Klägerin auch eine ultima-ratio-Situation. Die vom MDK vorgeschlagene weitere Einstellung des LDL-Cholesterins durch Veränderung der Medikation war angesichts der bereits erreichten Norm- bzw Zielwerte nicht geboten. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, zu wann die Umstellung der Lipidtherapie der Klägerin erfolgte und ob sich diese Umstellung noch bis zur Antragstellung habe auswirken können, kommt es daher nicht an. Das Lp(a) selbst ist nach Aussage des Herrn Dr Q., die auch der MDK nicht infrage stellt, genetisch bedingt und lässt sich durch derzeit verfügbare Medikamente oder die Ernährung nicht beeinflussen. Dass die übrigen konventionellen kardiovaskulären Risikofaktoren ebenfalls eingestellt waren, hat der MDK bereits mit Gutachten vom 7. November 2018 bestätigt und mit Gutachten vom 2. September 2019 wiederholt. Insbesondere sei der BMI von 27,4 kg/m² als Präadipositas zu werten und somit kein konventioneller cardiovaskulärer Risikofaktor. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob herkömmlichem Fitnesstraining die gleiche Eignung zur Prävention vor Herzerkrankungen zukommt wie spezieller Koronarsport.

Auch die übrigen Bedenken der Beklagten bzgl der Vornahme einer Lipidapherese bei der Klägerin vermögen nicht zu verfangen. Soweit diese auf eine Studie verweist, wonach für weibliche Personen über 65 Jahre das Lp(a) gerade keinen unabhängigen kardiovaskulären Risikofaktor darstelle, verkennt sie, dass die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nach Maßgabe des § 135 Abs 1 SGB V nicht bei ihr, sondern beim GBA liegt. Dieser hat sich mit Beschluss vom 19. Juni 2008 trotz schwieriger Studienlage (siehe hierzu die Tragenden Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung in Anlage I: Apheresebehandlung bei isolierter Lp(a)-Erhöhung) für die Einbeziehung von Apheresetherapien bei isolierter Lp(a)-Erhöhung in die vertragsärztliche Versorgung entschieden und hieran trotz zwischenzeitlicher Ablehnung einer geplanten Studie durch die Ethikkommission festgehalten (siehe hierzu die Tragenden Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung MVV-RL: Dokumentationsvorgaben zur Indikationsstellung der Lp(a)-Apherese). Hierüber darf die Beklagte sich nicht hinwegsetzen und eigene Voraussetzungen zur Anerkennung einer Lipidapherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung aufstellen. Dasselbe gilt für die Ausführungen im MDK-Gutachten vom 29. August 2018, in dem der Gutachter seine ablehnende Entscheidung unter anderem darauf stützt, dass die oft für die Apherese benötigten Shuntanlagen für die herzkranke Klägerin eine zu große Belastung darstelle. Denn der GBA setzt für die Indikationsstellung einer LDL-Apherese bei isolierter Lp(a)-Erhöhung das Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung, hierunter ausdrücklich auch die KHK, gerade voraus.

Auch die beiden onkologischen Erkrankungen der Klägerin vermögen eine Kontraindikation für die streitgegenständliche Apheresetherapie nicht zu begründen. Bei dem Bronchial-Karzinom im Jahr 2015, das seinerzeit operativ entfernt wurde, ist bereits nicht ersichtlich, dass die Erkrankung überhaupt noch fortbesteht bzw wieder aufgetreten ist. Inwieweit sie drei Jahre später noch Einfluss auf die aktuelle Therapie einer anderen Erkrankung nehmen sollte, ist daher nicht ersichtlich und wird auch nicht weiter ausgeführt. Insbesondere kann in keiner Weise nachvollzogen werden, inwieweit die postoperative 5-Jahresüberlebensrate eine Rolle spielen sollte bei der Entscheidung für oder gegen eine Apheresetherapie. Soweit der MDK zu der im streitgegenständlichen Zeitraum akut bestehenden Brustkrebserkrankung mit laufender Chemotherapie ausgeführt hat, dass es hierbei zu Komplikationen (Neutropenie, vermehrte Infektanfälligkeit, starke Übelkeit/Erbrechen) kommen könne, aufgrund derer die apheretische Therapie unterbrochen werden müsste, ist dies sicher zutreffend. Dieser Umstand hat jedoch keinen Einfluss auf die Erforderlichkeit der LDL-Apherese als solcher. Die bestmögliche Abstimmung der beiden Therapien untereinander ist hiervon unabhängig und obliegt den behandelnden Ärzten in der jeweiligen Situation.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass der Senat das erstinstanzliche, zusprechende Urteil im Wesentlichen bestätigt und lediglich bei der Formulierung des Tenors Änderungen vorgenommen hat.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), insbesondere hinsichtlich der Frage nach der Bindungswirkung des Votums der Apheresekommission und nach dem Verhältnis von Entscheidungen des GBA zu § 275 SGB V zugelassen.