Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 01.10.2008, Az.: 1 Ws 500/08
Vollziehung einer Maßregel nach § 64 Strafgesetzbuch (StGB) gegen den Verurteilten in anderer Sache bei Entscheidung über den Widerruf einer Strafaussetzung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 01.10.2008
- Aktenzeichen
- 1 Ws 500/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 23528
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2008:1001.1WS500.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hildesheim - 16.09.2008 - AZ: 23 BRs 115/08
Rechtsgrundlagen
- § 64 StGB
- § 35 BtMG
Verfahrensgegenstand
Mord
Amtlicher Leitsatz
Wird gegen den Verurteilten in anderer Sache eine Maßregel nach § 64 StGB vollzogen, kann die Entscheidung über den Widerruf einer Strafaussetzung nicht bis zum Abschluss der Maßregel zurückgestellt werden - anders als in Fällen einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG.
In der Strafvollstreckungssache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten
gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim vom 16. September 2008
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Oberlandesgericht ...
am 1. Oktober 2008
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Mit Urteil vom 6. Dezember 1999 verhängte das Landgerichts Berlin gegen den Verurteilten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge unter Einbeziehung zweier weiterer Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren. Die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB unterblieb, weil das Landgericht eine Therapie für aussichtslos erachtete, nachdem bereits eine vom Amtsgericht Holzminden am 10. Februar 1997 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wegen fehlender Erfolgsaussichten für erledigt erklärt werden musste. Nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser Strafe setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover mit Beschluss vom 23. Februar 2006 den Strafrest zur Bewährung aus, nachdem ein psychiatrischer Sachverständiger dem Verurteilten ein "geringes Rückfallrisiko" attestiert hatte. Die dem Verurteilten zugleich erteilte Weisung, nach der Entlassung regelmäßig an einer Selbsthilfegruppe zur Alkoholentwöhnung oder einer ambulanten suchttherapeutischen Beratung teilzunehmen, hob die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 24. Mai 2006 auf, weil nach Mitteilung des Bewährungshelfers und der vom Verurteilten aufgesuchten Suchtberatungsstelle "kein weiterer therapeutischer Handlungsbedarf erkennbar" sei.
Am 16. Oktober 2006 beging der Verurteilte in alkoholisiertem Zustand einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wurde deswegen mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Hannover vom 25. Juni 2008 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Zugleich wurden seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und ein Vorwegvollzug von zwei Jahren der Freiheitsstrafe angeordnet, der nach Anrechnung der seit dem 17. Oktober 2006 vollzogenen Untersuchungshaft am 16. Oktober 2008 beendet sein wird.
Aufgrund dieser erneuten Verurteilung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hildesheim nach Übernahme der Bewährungsaufsicht die dem Verurteilten mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer Hannover vom 23. Februar 2006 bewilligte Strafaussetzung widerrufen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. Er hatte bereits im Vorfeld darum ersucht, die Entscheidung über den Widerruf bis zur Beendigung der Maßregel zurückzustellen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Auf Grund der innerhalb der Bewährungszeit begangenen Straftat sind die Voraussetzungen für den Widerruf der Strafrestaussetzung nach § 57 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Angesichts der Art und Schwere der erneuten Straftat sowie der Rückfallgeschwindigkeit nach Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft ist die seinerzeit gestellte positive Aussetzungsprognose nachhaltig und eindrucksvoll widerlegt. Es steht auch außer Zweifel, dass andere Maßnahmen nach § 56 f Abs. 2 StGB an Statt des Widerrufs der Strafrestaussetzung hier nicht ausreichen.
Dem Widerruf der bewilligten Strafrestaussetzung steht auch nicht entgegen, dass wegen der neuen Straftat neben der Freiheitsstrafe eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet worden ist. Zwar kann es in Fällen, in denen die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in anderer Sache zwecks Durchführung einer Drogentherapie gemäß § 35 Abs. 1 BtMG zurückgestellt worden ist, angezeigt sein, die Entscheidung über den Widerruf zunächst zurückzustellen und den weiteren Verlauf der Therapie abzuwarten, um einen bereits eingeleiteten Resozialisierungsprozess in der anderen Strafsache nicht von vornherein zu gefährden (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juli 2006, 1 Ws 355358/06. ebenso hiesiger 3. Strafsenat StV 1998, 216. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 29. Juni 1982, MDR 1983, 150. KG StV 1984, 341. OLG Düsseldorf StV 1989, 159. Fischer, StGB, 55. Aufl., § 56 f Rn. 19. Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 56 f Rn. 7). Dies gilt jedoch nicht, wenn in anderer Sache eine Maßregel nach § 64 StGB zu vollziehen ist (vgl. OLG Hamburg NStZRR 2005, 221. OLG Stuttgart, Beschl. v. 26. Februar 2008, 1 Ws 46/08, [...], mit krit. Anm. Groß, [...]PR-StrafR 11/2008. Fischer a. a. O.. LK-Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 56 f Rn. 48). Denn in einem solchem Fall besteht nicht die Gefahr, dass bei Widerruf der Strafrestaussetzung in vorliegender Sache die Anordnung der Maßregel widerrufen werden würde, wie es indes für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung auf Grund von § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zu erwarten wäre.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.