Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 11.02.2008, Az.: 18 A 616/07
Disziplinarverfahren; Disziplinarverfügung; Fahrer; Fahrzeugführer; Schaden; Straßenverkehr; Unfall; Verhandlung; Verhandlung, mündliche; Verweis
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 11.02.2008
- Aktenzeichen
- 18 A 616/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45461
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:0211.18A616.07.0A
Rechtsgrundlagen
- § 55 I NDiszG
- § 7 NDiszG
- § 101 Abs. 2 VwGO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Der 1961 geborene Kläger wendet sich gegen einen ausgesprochenen Verweis.
Er ist Polizeibeamter im Rang eines Polizeikommissars. Disziplinarisch ist der Kläger nicht vorbelastet.
Am 24.08.2006 kam es gegen 18:30 Uhr im Rahmen eines Dienstfahrt - Transport einer festgenommenen Person zu einer Dienststelle - zu einem Verkehrsunfall. Der Kläger als Fahrer eines Dienstwagens wollte an einer Ausfahrt des Deisterkreisels in Hannover die Fahrspur wechseln und übersah dabei ein anderes Fahrzeug auf dieser Spur. Beide Fahrzeuge berührten sich, es kam zu einem Sachschaden. Unstreitig traf die Schuld an diesem Unfall den Kläger.
Im Zeitraum seit Ende September 1998 hatte der Kläger schon fünf weitere Verkehrsunfälle verschuldet und dabei Dienstfahrzeuge beschädigt. Mit Verfügung vom 19.04.2001 wurde er wegen eines vorangegangen Unfalles ermahnt, nach einem Unfall Anfang März 2006 sprach die Beklagte mit Verfügung vom 13.06.2005 eine Missbilligung aus.
Aufgrund des erneuten Verkehrsunfalls im August 2006 leitete die Beklagte im November ein Disziplinarverfahren ein. Der Kläger äußerte sich durch seine jetzige Prozessbevollmächtigte. Wegen der nähren Einzelheiten wird auf diese Äußerung in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten Bezug genommen.
Mit Disziplinarverfügung vom 10.01.2007, zugestellt am 13.01.2007, sprach die Beklagte wegen des Unfalles im August 2006 gegenüber dem Kläger einen Verweis aus.
Der Kläger hat am 01.02.2007 Klage erhoben.
Er trägt vor: Er räume hinsichtlich des Unfalls am 24.08.2006 eine Sorgfaltspflichtverletzung ein, jedoch läge darin keine Dienstpflichtverletzung. Er sei in der Einsatzsituation besonders angespannt gewesen. Die Beklagte habe auch nicht berücksichtigt, dass er im Zeitraum vom 19.04.1991 bis 08.03.2005 völlig schadensfrei Dienstfahrzeuge geführt habe.
Der Kläger beantragt,
die Disziplinarverfügung vom 10.01.2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt sinngemäß
die Klage abzuweisen
Sie hält an ihrer Disziplinarverfügung fest und tritt der Klage entgegen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 20.09.2007 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO. Eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ist auch bei einer Klage gegen einen disziplinarrechtlichen Verweis mit Zustimmung der Beteiligten möglich.
Grundsätzlich findet das Klageverfahren gegen eine Disziplinarverfügung nach der Neuregelung des niedersächsischen Disziplinarrechts vor dem Verwaltungsgericht nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung statt, sofern das NDiszG keine Sonderregelungen enthält. § 55 Abs. 1 NDiszG schreibt vor, dass das Verwaltungsgericht über die Klage, wenn das Disziplinarverfahren nicht auf andere Weise abgeschlossen wird, aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entscheidet. Diese Grundsatzregelung entspricht weitestgehend der Grundsatzregelung in § 101 Abs. 1 VwGO. Allerdings heißt es in § 55 Abs. 1 NDiszG weiter, § 106 VwGO finde keine Anwendung. Die Erledigung eines Rechtsstreites im Disziplinarrecht durch gerichtlichen Vergleich ist nach alledem ausdrücklich vom Gesetz ausgeschlossen. Weitere Ausschlüsse enthält das Gesetz jedoch nicht.
Zwar heißt es in der Gesetzesbegründung zum damaligen § 56 Entwurf eines Niedersächsischen Disziplinargesetzes, durch diese Vorschrift, die dem Gesetz gewordenen § 55 NDiszG entspricht, sei die Anwendung des § 101 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen. Es mag durchaus sein, dass dies auch die Intention des historischen Gesetzgebers war, wenn auch eine Begründung für einen solchen Ausschluss nicht nachvollziehbar erscheint. Jedoch ist diese Absicht, die Anwendung des § 101 Abs. 2 VwGO auszuschließen, nicht Gesetz geworden. § 55 Abs. 1 Satz 1 NDiszG wiederholt zwar den auch schon in der VwGO enthaltenen Grundsatz einer Entscheidung nach mündlicher Verhandlung, spricht aber auch davon, dass das Verfahren auf andere Weise abgeschlossen werden kann. § 55 Abs. 1 Satz 2 NDiszG schließt nur die Anwendung des § 106 ausdrücklich aus. Hätte auch das Verbot der Anwendung des § 101 Abs. 2 VwGO im Verfahren nach dem NDiszG ausgesprochen werden sollen, hätte es nahegelegen, dies ebenfalls ausdrücklich im Gesetz zu fixieren. Dies ist jedoch nicht geschehen. Überdies wird das Gericht im Regelfall keinen Beteiligten zwingen, zu einem anberaumten Termin auch zu erscheinen. Wenn die Beteiligten zuvor übereinstimmend erklären, sie seien mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden und wollten nicht mündlich verhandeln, wäre es nur eine Farce, wenn dann die Beteiligten nicht erscheinen, das Gericht aber vor einem ansonsten leeren Gerichtssaal doch zusammentreten müsste, nur um die äußere Form zu wahren. Dies kann vom Gesetz so nicht gewollt sein. Im Einverständnis der Beteiligten ist nach alledem auch bei Streitgegenständen nach dem NDiszG ein Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO möglich.
Die Klage des Klägers ist auch zulässig, jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Beklagte durfte als zuständige Disziplinarbehörde gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 NDiszG einen disziplinarrechtlichen Verweis aussprechen. Der Kläger hat ein Dienstvergehen im Sinn des § 85 NBG begangen, in dem er schuldhaft - wenn auch nur fahrlässig - ihm obliegende Dienstpflichten verletzte. Zu seinen Pflichten gehört nach § 62 Abs. 1 Satz 1 NBG die volle Hingabe an den Beruf. Darunter fällt auch die Pflicht, sorgsam mit ihm anvertrauten Gegenständen im Eigentum seines Dienstherrn umzugehen.
Durch den fahrlässig von ihm herbeigeführten Unfall am 24.08.2006 hat der Kläger diese Pflicht verletzt. Das Gericht übersieht nicht, dass gerade der Führer eines Kraftfahrzeuges sehr schnell in Situationen kommen kann, in denen er einen Unfall zumindest mitverursacht und ihm dabei auch bereits Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Solche Fehler können selbst den sorgfältigsten Fahrern passieren und sind bei den heutigen Verkehrsverhältnissen niemals ganz auszuschließen.
Das hat aber auch die Beklagte so gesehen, wie sich bereits daran zeigt, dass sie vorangegangene vom Kläger verursachte Unfälle wohlwollend betrachtete und nicht bereits zum Anlass für disziplinarische Maßnahmen nahm. Zu Recht hat die Beklagte jedoch aufgrund der "Vorgeschichte" mit vorangegangenen Ermahnung bzw. Missbilligung bei einem erneut fahrlässig verschuldeten Unfall nunmehr zu der Disziplinarmaßnahme eines Verweises gegriffen. Denn es besteht der Bedarf, den Kläger nachhaltig - und zwar nachhaltiger, als dies mit rein beamtenrechtlichen Ermahnungen und Missbilligungen möglich wäre - an seine Sorgfaltspflichten zu gemahnen. Obwohl er eigentlich durch den bisherigen Lauf der Dinge hätte vorgewarnt sein müssen, verursachte er wieder einen Schaden bei einer Dienstfahrt. Gerade der Deisterkreisel ist in Hannover einschlägig als besonders kritischer Gefahrenpunkt bekannt. Hier hätte der Kläger entsprechend sorgfältig und umsichtig auf die Verkehrsführung und den Verkehr achten müssen, zumal wenn er merkte, dass er sich in der falschen Fahrspur befand (vgl. Stellungnahme des Klägers vom 13.12.2006 Bl. 17 der Verwaltungsvorgänge) und kurzfristig die Spuren wechseln wollte.
Im Übrigen folgt das Gericht der Begründung des angefochtenen und sieht gemäß § 117 Abs. 5 VwGO von der weiteren Begründung ab.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. § 59 Abs. 2 NDiszG, §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.