Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 16.12.2014, Az.: 5 A 146/14

Bestattungskosten; Bestattungspflicht; Totenfürsorge; Unterhalt

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
16.12.2014
Aktenzeichen
5 A 146/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42644
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ist ein Verwandter nach § 1611 BGB von der Unterhaltspflicht befreit, führt dies nicht zugleich zu einem Entfallen der öffentlich rechtlichen Bestattungspflicht.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Kosten für die Bestattung ihres verstorbenen Bruders.

Am 31. Oktober 2013 verstarb in Dannenberg B., ein Bruder der Klägerin. Die Beklagte ermittelte im Weiteren Angehörige des Verstorbenen und fand hierbei heraus, dass der Verstorbene verheiratet war, die Ehe allerdings bereits 1995 geschieden worden war. Aus der Ehe ging ein Sohn - C., geboren 1988 - hervor.

Nachdem es der Beklagten nicht gelungen war, zeitnah Kontakt zum Sohn des Verstorbenen aufzunehmen, gab sie die Einäscherung des Verstorbenen bei dem Bestattungsunternehmen D. GmbH in Auftrag. Diese wurde am 18. November 2013 durchgeführt, wofür einschließlich weiterer Nebenleistungen Kosten in Höhe von 1.542,27 EUR anfielen.

Mit Bescheid vom 14. November 2013 forderte die Beklagte den Sohn des Verstorbenen auf, für die Bestattung der Urne seines Vaters Sorge zu tragen. Hierauf meldete sich eine Verfahrensbevollmächtigte des Sohnes mit Schreiben vom 22. November 2013. Sie teilte mit, dass zwischen dem Verstorbenen und dessen Sohn keine Eltern-Kind-Beziehung bestanden habe. Die Eltern hätten sich getrennt, als der Sohn drei Jahre alt gewesen sei. Bei der Scheidung der Ehe der Eltern im Jahr 1995 sei der Mutter das alleinige Sorgerecht zugesprochen worden. Anfängliche Kontakte des Verstorbenen zu seinem Sohn seien eingestellt worden, da der Verstorbene seinen Sohn nicht kindgerecht behandelt und ihm u.a. Bier zu trinken gegeben habe. Der Verstorbene habe seinem Sohn nie Unterhalt gezahlt. Aus diesem Grund habe der Altmarkkreis Salzwedel im Jahr 2008 auch festgestellt, dass der Anspruch des Verstorbenen gegen seinen Sohn auf Unterhalt gemäß § 1611 BGB verwirkt sei. Insgesamt bestehe eine Bestattungspflicht des Sohnes nicht, da diese unbillig wäre. Außerdem seien andere Angehörige vorhanden, die dem Verstorbenen nähergestanden hätten.

Mit Bescheid vom 26. November 2013 wendete die Beklagte sich an die Klägerin und forderte nunmehr diese auf, die Urne des Verstorbenen bis zum 18. Dezember 2013 beizusetzen.

Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, setzte die Beklagte die Urne durch die Kommunalen Dienste Elbtalaue bei. Hierdurch entstanden weitere Kosten in Höhe von 350,00 EUR.

Mit Schreiben vom 17. Juli 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr durch die Einäscherung und Bestattung des Verstorbenen Kosten in Höhe von insgesamt 1.892,27 EUR entstanden seien. Diese Kosten seien anteilig von allen Geschwistern des Verstorbenen zu tragen. Der Anteil der Klägerin belaufe sich auf 157,69 EUR, was einem Zwölftel des Gesamtbetrages entspreche. Der Klägerin wurde die Möglichkeit zur Äußerung gegeben.

Mit Bescheid vom 13. August 2014 zog die Beklagte die Klägerin zur Zahlung von 157,69 EUR heran. Zur Begründung wurde angeführt, die Klägerin sei neben ihren Geschwistern gemäß § 8 Abs. 3 des Niedersächsischen Bestattungsgesetzes bestattungspflichtig. Den Sohn des Verstorbenen treffe eine Bestattungspflicht nicht, da dieser mitgeteilt und nachgewiesen habe, dass es eine unbillige Härte darstellte, wenn er bestattungspflichtig wäre.

Gegen den Bescheid vom 13. August 2014 hat die Klägerin am 22. August 2014 Klage erhoben.

Sie ist der Auffassung, es müsse zunächst der Nachlass des Verstorbenen zur Begleichung der Bestattungskosten herangezogen werden. Dies gebiete auch § 1968 BGB. Der Sohn des Verstorbenen sei bestattungspflichtig. Im Hinblick auf sie selbst liege eine unbillige Härte vor, wenn sie zu den Kosten der Bestattung herangezogen würde, da sie zu dem Verstorbenen seit mehr als dreißig Jahren keinen Kontakt gehabt habe. Außerdem beziehe sie sich auf § 177 StGB.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. August 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt im Wesentlichen die Gründe des angefochtenen Bescheides. Ergänzend führt sie aus, dass die Inanspruchnahme des Sohnes des Verstorbenen unbillig bzw. grob fahrlässig gewesen wäre. Der Verstorbene habe seinem Sohn nicht nur keinen Unterhalt geleistet, sondern sich auch weitere gravierende Verfehlungen diesem gegenüber zu Schulden kommen lassen. So habe der Verstorbene dem dreijährigen Sohn beispielsweise Bier zu trinken gegeben, was eine Körperverletzung darstellen könne. Im Hinblick auf die Klägerin sei eine unbillige Härte nicht erkennbar. Die Klägerin habe keinen eine solche Härte begründenden Sachverhalt geschildert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten entscheiden kann (§ 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO), hat Erfolg, sie ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme der Klägerin kommt § 8 Abs. 4 Satz 2, 3 des Niedersächsischen Bestattungsgesetzes (NBestattG) in Betracht. Hiernach haftet ein vorrangig Bestattungspflichtiger der Gemeinde für Bestattungskosten, die dieser entstanden sind, weil sonst niemand für die Bestattung gesorgt hat. Die Gemeinde kann die Kosten im Wege des Erlasses eines Leistungsbescheides geltend machen. Vorliegend fehlt es indes an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Klägerin. Die Klägerin ist nicht vorrangig Bestattungspflichtige im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 2 NBestattG. Vorrangig bestattungspflichtig ist, wer nach der absteigenden Reihenfolge des § 8 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 6 NBestattG für die Bestattung des Verstorbenen zu sorgen hat (vgl. LT-Drs. 15/1150, S. 15; Horn, NBestattG, 2. Aufl. 2010, § 8, Ziff. 5a; Barthel, NBesattG, 3. Aufl. 2014, § 8, Ziff. 3.6). Vorliegend war der Sohn des Verstorbenen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 NBestattG) vor der Klägerin (§ 8 Abs. 3 Nr. 6 NBestattG) bestattungspflichtig.

Umstände, aufgrund derer die Bestattungspflicht des Sohnes des Verstorbenen entfallen wäre, liegen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor.

Ausnahmen von der Bestattungspflicht nach § 8 Abs. 1, Abs. 3 NBestattG sieht das Gesetz nicht vor. Ein Entfallen der Bestattungspflicht aus Billigkeitsgründen kommt daher nur in besonderen Ausnahmesituationen in Betracht, in denen einem Angehörigen schlichtweg unzumutbar ist, für die Bestattung des Verstorbenen Sorge zu tragen. Als Maßstab für die Unzumutbarkeit sind die zivilrechtlichen Bestimmungen, nach denen die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehegatten (§ 1579 BGB) oder Verwandter in gerader Linie (§ 1611 BGB) wegen grober Unbilligkeit eingeschränkt ist oder vollständig entfällt, nicht geeignet (vgl. VG Chemnitz, Urt. v. 28.01.2011 - 1 K 900/05 -, juris, Rn. 28; VG Halle, Urt. v. 20.11.2009 - 4 A 318/09 -, juris, Rn. 29). Anders als die Unterhaltspflicht stellt die Bestattungspflicht kein „Dauerschuldverhältnis“ zwischen Verstorbenem und bestattungspflichtigem Angehörigen dar. Bei der Pflicht zum Bestatten des Verstorbenen handelt es sich vielmehr nur um eine einmalige, mit von vornherein begrenzten Kosten verbundene Pflicht (vgl. VGH BW, Urt. v. 19.10.2004 - 1 S 681/04 -, juris, Rn. 24; Saarl. OVG, Urt. v. 27.12.2007 - 1 A 40/07 -, juris, Rn. 48; VG Schleswig, Urt. v. 16.10.2014 - 6 A 219/13 -, juris, Rn. 38; VG Koblenz, Urt. v. 14.06.2005 - 6 K 93/05.KO -, juris, Rn. 24; VG Köln, Urt. v. 20.03.2009 - 27 K 5617/07-, juris, Rn. 26; a.A. mit Blick auf § 14 Abs. 2 KostO NRW, der im niedersächsischen Landesrecht keine Entsprechung findet: OVG NRW, Urt. v. 30.07.2009 - 19 A 448/07 -, juris, Rn. 49, vgl. hierzu auch Hamb. OVG, Urt. v. 26.05.2010 - 5 Bf 34/10 -, juris, Rn. 33). Aus diesem Grunde darf und muss die Schwelle, ab derer von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist und die Bestattungspflicht auf den nächstrangig Bestattungspflichtigen oder, falls ein solcher nicht vorhanden ist, auf die Allgemeinheit übergeht, eine erheblich höhere sein.

In Erwägung zu ziehen ist ein Entfallen der Bestattungspflicht lediglich bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich bestattungspflichtigen Angehörigen oder bei einem vergleichbaren besonders schwerwiegenden elterlichen Fehlverhalten und einer daraus folgenden beiderseitigen grundlegenden Zerstörung des Eltern-Kind-Verhältnisses in Betracht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 18.12.2006 - 8 LA 131/06 -, juris,  Rn. 5; Saarl. OVG, Urt. v. 27.12.2007 - 1 A 40/07 -, juris, Rn. 87; Bay. VGH, Beschl. v. 09.06.2008 - 4 ZB 07.2815 -, juris, Rn. 7; VG Köln, Urt. v. 20.03.2009 - 27 K 5617/07 -, juris, Rn. 31; VG Stade, Urt. v. 18.06.2009 - 1 A 666/08 -, juris, Rn. 23). Derartige Ausnahmesituationen können etwa in Fällen erlittener Misshandlungen durch den Verstorbenen (VG Koblenz, Urt. v. 14.06.2005 - 6 K 93/05.KO -, juris, Rn. 24) oder bei einem dauerhaften Entzug des elterlichen Sorgerechts nach §§ 1666, 1666a BGB (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19.12.2012 - 8 LA 150/12 -, juris, Rn. 6 f.; Beschl. v. 01.08.2008 - 8 LB 55/07 -, juris, Rn. 20; Beschl. v. 18.12.2006 - 8 LA 131/06 -, juris, 4) vorliegen.

Nicht ausreichend sind demgegenüber Unterhaltspflichtverletzungen (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 09.06.2008 - 4 ZB 07.2815 -, juris, Rn. 7; Nds. OVG, Beschl. v. 01.08.2008 - 8 LB 55/07 -, juris, Rn. 20; VG Köln, Urt. v. 20.03.2009 - 27 K 5617/07 -, juris, Rn. 31), ein zerrüttetes Verhältnis des Verstorbenen zu dessen nahen Angehörigen, das zu einem über Jahrzehnte ausbleibendem Kontakt führt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 01.08.2008 - 8 LB 55/07 -, juris, Rn. 20), oder sonst gestörte Familienverhältnisse (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 09.06.2008 - 4 ZB 07.2815 -, juris, Rn. 5 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben führen die von der Beklagten vorgetragenen Umstände nicht zu einem Entfallen der Bestattungspflicht des Sohnes des Verstorbenen. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten, der Sohn des Verstorbenen habe zu diesem seit frühester Kindheit keinen Kontakt mehr gehabt, es habe nie ein Vater-Sohn-Verhältnis bestanden, vielmehr habe der Verstorbene für seinen Sohn nie Unterhalt gezahlt und seinerseits Unterhaltsansprüche gegen seinen Sohn gemäß § 1611 Abs. 1 BGB verwirkt, sondern auch, soweit die Beklagte anführt, der Verstorbene habe seinem Sohn Bier zu trinken gegeben, als dieser sich noch im Kindesalter befunden habe. Selbst wenn dieses Verhalten, wie die Beklagte meint, eine Körperverletzung darstellte, läge keine schwere Straftat vor, welche die Bestattungspflicht als Ausfluss der Totenfürsorge schlechthin unerträglich und in jeder Hinsicht unverhältnismäßig erscheinen ließe und eine - ungeschriebene - Ausnahme von der gesetzlich festgelegten Bestattungspflicht des Sohnes des Verstorbenen rechtfertigte (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 09.07.2013 - 8 ME 86/13 -, juris, Rn. 10 f.; Beschl. v. 19.12.2012 - 8 LA 150/12 -, juris, Rn. 8 f.; Beschl. v. 04.04.2008 - 8 LA 4/08 -, juris, Rn. 2, 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.