Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.06.2015, Az.: 16 K 222/13

Umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft eines selbständigen Gutachters im medizinischen Dienst

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
25.06.2015
Aktenzeichen
16 K 222/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 27860
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2015:0625.16K222.13.0A

Fundstellen

  • EFG 2016, 322-323
  • Umsatzsteuer direkt digital 2016, 8-9

Amtlicher Leitsatz

Unternehmereigenschaft einer Gutachterin im medizinischen Dienst.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin als Gutachterin für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) im Streitjahr eine berufliche Tätigkeit selbständig ausübte und damit als Unternehmerin im umsatzsteuerlichen Sinne zu qualifizieren ist.

Die Klägerin war nach dem Vertrag vom 15. Juni 2007 für den MDKN als freie Pflegekraft tätig. § 1 (Vertragsverhältnis) hat folgenden Wortlaut:

"Frau X wird mit Wirkung vom 15. Juni 2007 für den MDKN als freie Pflegekraft tätig. Beide Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass es sich bei der Tätigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus diesem Vertrag um eine freie Tätigkeit handelt. Ein Anstellungsverhältnis entsteht nicht. Es kann auch kein Anspruch auf Anstellung aus dieser Tätigkeit hergeleitet werden. Von der in § 5 vereinbarten Vergütung wird keine Lohnsteuer einbehalten. Es werden keine Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet."

Der Klägerin oblag die Durchführung von Begutachtungen für den MDKN nach dem Pflegeversicherungsgesetz.

Für 2007 und 2008 reichte die Klägerin Umsatzsteuererklärungen ein und beantragte für die von ihr erbrachten Leistungen die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 14 UStG. Mit Bescheid vom 23. Juni 2011 setzte der Beklagte, das Finanzamt (FA), die Umsatzsteuer für 2009 fest und versagte die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 14 UStG. Hiergegen legte die Klägerin keinen Einspruch ein. In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin ihre Umsätze als Regelversteuerin als steuerbare und steuerpflichtige Umsätze. Das FA setzte die Umsatzsteuer mit Bescheid vom 28. Juni 2012 entsprechend der Erklärung fest.

Mit ihrem Einspruch vertrat die Klägerin die Ansicht, dass sie seit Mitte 2009 nicht mehr selbständig tätig sei, sondern in einem Beschäftigungsverhältnis zum MDKN stehe. Zur Begründung führte sie aus, seit diesem Zeitpunkt müsse sie einen Laptop vom MDKN leasen. Außerdem würden der Tourenplan und die Terminierungen nunmehr vollständig vom MDKN erstellt. Sie habe diese zu befolgen gehabt. Zudem habe sie ihre Abrechnungen nach einem vorgeschriebenen Vordruck monatlich zu erstellen gehabt, damit sie ihr Honorar erhalte. Sie habe Urlaub anmelden müssen und eine Pflicht zur Krankmeldung gehabt. Sie sei vollständig in den Betrieb des MDKN eingeordnet gewesen. Hierfür spreche auch, dass sie an Dienstbesprechungen, Schulungen und Fortbildungen des MDKN habe teilnehmen müssen. Die Kosten hierfür habe die MDKN getragen. Eine Vergütung für die Teilnahme habe sie nicht erhalten. Auch habe sie kein Unternehmerrisiko getragen, da es nach dem mit der MDKN geschlossenen Vertrag nahezu unmöglich gewesen sei, in ihrem Tätigkeitsbereich eine andere Tätigkeit auszuüben. Der Vertrag habe ihr nämlich verboten, Tätigkeiten auszuüben oder zu übernehmen, die geeignet sein könnten das Vertragsverhältnis zu berühren, z.B. durch die Übernahme von Aufgaben als Leistungerbringerin gegenüber den Pflegekassen. Seit Jahren sei sie für den MDKN tätig gewesen und habe gleichmäßig je Tag 6 Aufträge erhalten. Sie habe Aufträge nicht ablehnen können, da sie ansonsten habe fürchten müssen, keine Aufträge mehr zu erhalten.

Das FA wies den Einspruch der Klägerin mit Bescheid vom 29. Juli 2013 als unbegründet zurück. Nach § 1 des Werkvertrages zwischen dem MDKN und der Klägerin seien sich die Vertragsparteien einig gewesen, dass die Klägerin als freie Mitarbeiterin für den MDKN tätig geworden sei. Die Klägerin habe ihre Tätigkeit in fachlicher Unabhängigkeit ausgeführt. Sie habe für ihr Tätigkeit ein Vergütung von 36,55 € je Untersuchungsfall einschließlich der Erstellung des Gutachtens erhalten. Weiterhin habe sie eine Wegstreckenentschädigung erhalten. Es sei ihr zur Erfüllung ihrer Vertragspflichten erlaubt gewesen, Hilfspersonen einzusetzen. Eine gewisse Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit habe zwar bestanden, was aber nicht überbewertet werden dürfe. Der Ort sei zumeist schon durch den Aufenthalt des Pflegbedürftigen vorbestimmt gewesen, die Zeit sei mit dem Pflegepersonal und dem Pflegebedürftigen abzustimmen gewesen und der Inhalt der Tätigkeit durch die Einstufung für die Kranken- und Pflegekassen vorbestimmt. Feste Arbeitszeiten hätten nach dem Vertrag nicht bestanden. Die Klägerin habe auch keine festen Bezüge erhalten. Sie habe keinen Urlaubsanspruch und keinen Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall gehabt. Da sie nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei, habe sie auch keinen Anspruch auf Sozialleistungen gehabt. Eine Weisungsgebundenheit gegenüber dem MDKN ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin die Durchführung von Begutachtungen nach den nach dem SGB XI verbindlichen Richtlinien habe durchführen müssen. Auch daraus dass die Klägerin bei der Erstellung der Gutachten bestimmte Vordrucke bzw. Muster habe verwenden müssen, könne keine Weisungsgebundenheit abgeleitet werden. Es sei im Wirtschaftsleben normal, dass der Auftraggeber bestimme, bis wann eine bestimmte Leistung zu erbringen sei. Die Klägerin habe Unternehmerrisiko getragen, da die MDKN sie bei der Auftragsvergabe auch habe unberücksichtigt lassen können.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage, macht die Klägerin geltend, der Grundsatz der steuerlichen Neutralität sei verletzt. Neben der Klägerin seien auch Mitarbeiter im abhängigen Arbeitsverhältnis bei der MDKN mit der gleichen Tätigkeit beschäftigt gewesen. Diese Mitarbeiter hätten mit genau dem gleichen Mittel und zu dem genau gleichen Zweck Gutachten erstellt. Die Erstellung dieser Gutachten habe nicht der Umsatzsteuer unterlegen. Es könne nicht sein, dass das Angestelltenverhältnis über die Steuerbarkeit einer Tätigkeit entscheide.

Die Klägerin beantragt,

die Umsatzsteuer 2010 auf 0 € festzusetzen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es beruft sich im Wesentlichen auf die Begründung seiner Einspruchsentscheidung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Y und der Frau Z als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25. Juni 2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin war im Streitjahr Unternehmerin i.S.d. § 2 UStG.

1. Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG ist gewerblich oder beruflich jede Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind die einzelnen Merkmale, die für und gegen die Selbständigkeit i. S. v. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG sprechen, unter Berücksichtigung des Gesamtbilds der Verhältnisse gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteile vom 25.06.2009 V R 37/08, BStBl. II 2009, 873, unter II.1.b; und vom 10.03.2005 V R 29/03, BStBl II 2005, 730, unter II. a). Selbständigkeit in der Organisation und bei der Durchführung der Tätigkeit, Unternehmerrisiko, Unternehmerinitiative, Bindung nur für bestimmte Tage an den Betrieb, geschäftliche Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern sprechen für persönliche Selbständigkeit. Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolgs, Ausführung von einfachen Tätigkeiten, die regelmäßig weisungsgebunden sind, sprechen gegen die Selbständigkeit der Tätigkeit (BFH-Urteile vom 25.06.2009 a. a. O.; und vom 30.05.1996 V R 2/95, BStBl II 1996, 493).

Besondere Bedeutung kommt dem Handeln auf eigene Rechnung und eigene Verantwortung und dem Unternehmerrisiko (Vergütungsrisiko) zu. Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies für Selbständigkeit; ist der Steuerpflichtige von einem Vermögensrisiko der Erwerbstätigkeit grundsätzlich freigestellt, spricht dies gegen Selbständigkeit (BFH-Urteil vom 25.06.2009, unter II.1.b).

Die Frage der Selbständigkeit natürlicher Personen ist für die Umsatz-, die Einkommen- und die Gewerbesteuer grundsätzlich nach denselben Grundsätzen zu beurteilen (vgl. § 1 Abs. 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung). Dabei kommt der sozial-, arbeits- und einkommensteuerrechtlichen Beurteilung zwar indizielle Bedeutung zu. Eine rechtliche Bindung besteht dabei aber weder an die sozial- und arbeitsrechtliche noch an die ertragsteuerrechtliche Beurteilung. Die Frage, ob eine Tätigkeit selbständig oder nicht selbständig ausgeübt wird, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beantworten. Die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, sind gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteil vom 25.06.2009, unter II.1.c, mit weiteren Nachweisen).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das erkennende Gericht im vorliegenden Streitfall unter Würdigung und Abwägung der festgestellten Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin in den Streitjahren für den MDKN selbständig tätig war und damit die Voraussetzungen einer selbständigen Unternehmerin i. S. d § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG erfüllt hat. Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass ihre Tätigkeit auch einzelne Merkmale aufweist, die für ein Angestelltenverhältnis sprechen können; in ihrer Summe tragen jedoch die hier gegebenen Umstände die Annahme einer unselbständigen Tätigkeit der Klägerin nicht.

Die Klägerin arbeitete nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Streitjahr in eigener Verantwortung und trug das Unternehmerrisiko. Wie die Zeugin Z als stellvertretende Geschäftsbereichsleiterin im Bereich Pflege bei der MDKN aussagte, wurde aufgrund der Mitteilung der externen Begutachter Monatspläne erstellt, aus denen hervorging, wie viele Fälle der einzelne Externe an welchen Tagen erledigen wollte. Dabei wurden Wünsche der externen Gutachter in Form eines Standardprofils berücksichtigt. So wurde berücksichtigt, wann der Externe täglich seine Arbeit beginnen und beenden wollte oder ob es bestimmte Vorgaben für einzelne Wochentage gab. Zum Profil, das die Klägerin vorgab, gehörte unter anderem auch, wieviel an Fahraufwand also an Kilometern sie leisten mochte, und ob sie etwa in der Nähe ihres Wohnortes nicht tätig sein wollte. Die Tourenplanung hatte etwa einen zeitlichen Vorlauf von vier Tagen. Wenn ein externer Gutachter einen konkreten Fall aus diesem Tourenplan nicht begutachten wollte, so hatte er die Möglichkeit, diesen Fall abzulehnen und zwar, anders als interne Mitarbeiter, auch ohne weitere Begründung. Wenn ein externer Mitarbeiter in einer Vielzahl von Fällen eine Begutachtung ablehnte, so wurde regelmäßig mit ihm die Frage diskutiert, ob sein Standardprofil zu ändern sei, damit es in Zukunft zu weniger Ablehnung komme. Wenn sich dabei herausstellte, dass mit der Veränderung des Profils die Problematik nicht gelöst werden konnte, dann konnte es durchaus auch passieren, dass man das Vertragsverhältnis beendete.

Diese glaubhaften Ausführungen der Zeugin Z sind von der Klägerin unwidersprochen geblieben. Das Gericht hat auch keine Gründe an der Glaubwürdigkeit der Zeugin zu zweifeln. Danach steht fest, dass es allein in der Verantwortung der Klägerin lag, wieviel sie wann und wo arbeite wollte. Sie trug dabei auch das Unternehmerrisiko, da der MDKN das Vertragsverhältnis mit ihr beenden oder ihr weniger Fälle zuteilen konnte. Es mag so sein, dass die Klägerin für sich beschlossen hatte, möglichst viele Fälle anzunehmen, weshalb nach dem äußeren Erscheinungsbild ihr Tagesablauf dem eines Vollzeitangestellten bei der MDKN entsprach. Anders als ein interner Gutachter war die Klägerin aber nicht gezwungen, ihre gesamte Arbeitskraft dem MDKN zur Verfügung zu stellen. Sie hätte durchaus auch weniger arbeiten können. Sie konnte die Begutachtung eines Falles, anders als ein angestellter Mitarbeiter, auch ohne weitere Begründung ablehnen. Zwar trug sie hierfür dann das Vergütungsrisiko. Auch dies verdeutlicht indes ihre Stellung als freie Mitarbeiterin.

Weitere wesentliche Umstände, die dafür sprechen, dass die Klägerin als Unternehmerin tätig wurde, sind, dass der Klägerin nach dem Vertrag mit der MDKN keine Ansprüche auf Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hatte. Die Klägerin wurde nach ihrer eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung am 25. Juni 2005 gebeten mitzuteilen, wann etwa ein Jahresurlaub in Betracht komme. Die Länge des Urlaubs wurde ihr von der MDKN nicht vorgegeben. Diese hatte sie allein selber in der Hand. Wenn sie durch Krankheit an ihrem Dienst verhindert war, so musste dies sowohl gegenüber der Stelle in Oldenburg als auch nach Hannover per E-Mail melden. Die Einreichung eines Attests wurde von der Klägerin auch in Fällen längerer Krankheit jedoch nicht verlangt.

Danach war die Klägerin im Streitjahr Unternehmerin. Einzelne Umstände, die für ein Angestelltenverhältnis sprechen, wie eine gewisse Einbindung in die Organisation des MDKN, die sich allerdings zwangsläufig bereits aus der Notwendigkeit der Koordinierung eines großen Umfangs an Fällen ergab, sowie die Notwendigkeit der Nutzung eines von der MDKN geleasten Laptops treten hierhinter zurück.

Darin, dass die Klägerin ihre Umsätze zu versteuern hat, feste Angestellte des MDKN jedoch auf ihren Lohn keine Umsatzsteuer zahlen mussten, liegt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nach § 3 Abs. 1 GG. Mit der Anknüpfung an die Unternehmereigenschaft für die Umsatzsteuerpflicht hat der Gesetzgeber einen sachlichen Differenzierungsgrund gewählt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.