Staatsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 08.08.2017, Az.: StGH 2/16

Bibliographie

Gericht
StGH Niedersachsen
Datum
08.08.2017
Aktenzeichen
StGH 2/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54285
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die zu der Dringlichen Anfrage einer Fraktion von einem Abgeordneten dieser Fraktion im Plenum verlesene Zusatzfrage im Sinne des § 48 Abs. 3 Satz 1 GO LT gilt als von der Fraktion gestellt. In einem Organstreitverfahren, in dem eine Verletzung der Pflicht der Landesregierung zur Beantwortung dieser Zusatzfrage nach Art. 24 Abs. 1 NV geltend gemacht wird, ist allein die Fraktion antragsbefugt.

2. Das Fragerecht nach Art. 24 Abs. 1 NV steht den einzelnen Mitgliedern des Landtages, aber auch den Fraktionen zu.

3. Das Fragerecht und die damit korrespondierende Antwortpflicht der Landesregierung nach Art. 24 Abs. 1 NV setzen voraus, dass es sich um eine nach (inner-)parlamentarischen Regeln zugelassene Frage handelt. Eine im Sinne der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages unzulässige Frage verlässt damit zugleich den Schutzbereich des Art. 24 Abs. 1 NV.

4. Eine Zusatzfrage genügt den Anforderungen des § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT nicht schon dann, wenn sie in einem allgemeinen thematischen Zusammenhang mit der Dringlichen Anfrage steht. Die Zusatzfrage muss vielmehr inhaltlich zur Sache gehören und darf die ursprüngliche Dringliche Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen.

5. Die Antwort der Landesregierung auf eine Zusatzfrage, die nach der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages unzulässig gewesen ist, ist nicht am Maßstab des Art. 24 Abs. 1 NV zu messen und insoweit auch einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Die Landesregierung kann sich im Organstreitverfahren über die Verletzung ihrer Antwortpflicht auf die Unzulässigkeit einer Zusatzfrage auch dann berufen, wenn sie die Zusatzfrage zuvor im parlamentarischen Raum beantwortet hat.

Tenor:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

Die Antragsteller machen geltend, die Landesregierung sei ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur unverzüglichen und vollständigen Beantwortung einer Zusatzfrage zu einer Dringlichen Anfrage der FDP-Fraktion nicht nachgekommen.

I.

In der Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtages vom 21. Januar 2016 beantwortete die Kultusministerin die eingebrachte Dringliche Anfrage der Fraktion der FDP "Wie sieht die Unterrichtsversorgung aktuell in Niedersachsen aus?" (LT-Drs. 17/4992). Die Dringliche Anfrage enthielt - nach einleitenden Vorbemerkungen - folgende drei Einzelfragen:

1. Wie hoch ist die rechnerische Unterrichtsversorgung an den jeweiligen Schulformen der allgemeinbildenden Schulen und an den berufsbildenden Schulen in Niedersachsen?

2. Wie erklärt die Landesregierung den Rückgang der Unterrichtsversorgung seit ihrer Regierungsübernahme?

3. Kann die Landesregierung an jeder Schule in Niedersachsen die theoretische Erteilung des Pflichtunterrichts, also ausgenommen Krankheitsfälle sicherstellen und, falls nein, an welchen Schulen nicht?

Nach der Beantwortung durch die Kultusministerin stellten die Fraktionen der FDP, SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen jeweils Zusatzfragen. Der der FDP-Fraktion angehörende Antragsteller zu 2. trug  abschließend folgende 5. Zusatzfrage vor:

"Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir von Frau Ministerin gehört haben, wie wichtig die aktuelle Maßnahme zu sein scheint, von den Gymnasien an andere weiterführende Schulen zu versetzen und abzuordnen, frage ich die Landesregierung, warum eine Lehrkraft im Gymnasiallehramt mit der Fächerkombination Deutsch/Sport und der Examensnote 3,3 von einer Oberschule, der Oberschule Badenhausen, jetzt ohne Zustimmung der Personalräte und ohne Einbindung der Landesschulbehörde, sondern auf direkte Weisung des Kultusministeriums an das Theodor-Heuss-Gymnasium nach Göttingen versetzt wird. Vorausgesetzt, dass die Frage beantwortet werden kann: Wer ist innerhalb des Kultusministeriums für die Weisung verantwortlich?"

Darauf antwortete die Kultusministerin im unmittelbaren Anschluss an die Zusatzfrage:

"…ich kann Fragen zu konkreten Einzelfällen jetzt hier im Plenum nicht beantworten. Aber ich kann das gerne nachliefern".

In der Plenardebatte des 22. Januar 2016 kam der Antragsteller zu 2. auf die zitierte Zusatzfrage und die vorläufige Antwort zurück und erklärte:

"Ich stelle fest, dass es diese Nachlieferung bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben hat. … Ich beanspruche, dass nach Artikel 24 Abs. 1 die Landesregierung unverzüglich zu dieser Frage die Antwort gibt. Diese Antwort muss auch möglich sein, weil mittlerweile nämlich im izn-Prognosemodul der Name dieser Lehrkraft beim Theodor-Heuss-Gymnasium in Göttingen bereits geführt wird. Also gehe ich davon aus, dass die Landesregierung hierzu auch Aussagen treffen kann. Das ist wichtig, damit die betreffende Lehrkraft dort vor Ort zum 1. Februar 2016 neutral starten kann, weil es mittlerweile Gerüchte vor Ort gibt, u.a. dass es sich bei dieser Lehrkraft um die Schwägerin der Wahlkreisbüroleiterin von der Ministerin handelt. Das muss ausgeräumt werden."

Eine weitere mündliche Beantwortung der Frage des Abgeordneten durch die Landesregierung erfolgte während der Plenarsitzung vom 22. Januar 2016 nicht. Allerdings erging noch am 22. Januar 2016 eine schriftliche Unterrichtung des Landtages durch die Kultusministerin (Drs. 17/5043), in der es heißt:

"Im Namen der Landesregierung teile ich hierzu Folgendes mit:

Zuständig für die Versetzung von Lehrkräften ist die Landesschulbehörde. Entgegen der Behauptung des Fragestellers ist diese Behörde mit dem Personalvorgang befasst und hat bislang eine Versetzung der vom Fragesteller angesprochenen Lehrkraft nicht ausgesprochen. Selbstverständlich ist davon auszugehen, dass seitens der Schulbehörden die im Niedersächsischen Personalvertretungsgesetz vorgesehenen Mitbestimmungstatbestände Beachtung finden.

Um die Zusatzfrage umfassend beantworten zu können, bedarf es der Vorlage der Vorgänge der Landesschulbehörde beim Ministerium. Nach Auswertung der Vorgänge wird eine ergänzende Auskunft an den Landtag erfolgen."

Am 26. Januar 2016 erfolgte eine weitere schriftliche Unterrichtung des Landtages durch die Kultusministerin (LT-Drs. 17/5050):

"Im Namen der Landesregierung teile ich hierzu - in Ergänzung meiner Ausführungen vom 22.01.2015 - Folgendes mit:

Mit Blick auf die o. a. Zusatzfrage hat das Kultusministerium die Versetzung einer Lehrkraft von einer Oberschule (in Harznähe) zu einem Gymnasium oder einer Gesamtschule im Raum Göttingen geprüft.

Die Lehrkraft mit dem Lehramt für Gymnasium ist seit August 2013 in der Oberschule tätig und hatte seither mehrere Versetzungsanträge bei der Landesschulbehörde gestellt mit dem Ziel, an ein Gymnasium, eine IGS oder eine KGS im Raum Göttingen versetzt zu werden. Als Grund für den Schulwechsel führte die Lehrkraft gegenüber der Landesschulbehörde nachvollziehbare persönliche (familiäre) Gründe an. Die Landesschulbehörde lehnte die Versetzungsersuchen unter Verweis auf die Unterrichtsversorgung der OBS ab.

Im November 2015 wandte sich die Lehrkraft über ihren Vater an ein Mitglied des Landtages mit dem Ziel, über das Ministerinbüro des Kultusministeriums die Versetzung zum 01.02.2016 zu erwirken. Offenbar hatte die Lehrkraft die Befürchtung, dass ihrem Antrag erneut nicht gefolgt werde. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem mit Runderlass des MK vom 02.04.2014 (SVBl S. 206) beschriebenen Verfahren für Lehrkräfte, die nicht gemäß dem ihrer Lehrbefähigung zugeordnetem Einstiegsamt eingestellt wurden und auf eine diesem Einstiegsamt entsprechende Stelle wechseln möchten. Als Beispiel: Einstellung als Realschullehrkraft in der Besoldungsgruppe A12 mit dem Ziel Studienratsstelle in der Besoldungsgruppe A13

Nach einer kursorischen Prüfung der Sachlage durch die Leiterin des Ministerinbüros informierte diese in einer kurzen mündlichen Erörterung die Kultusministerin über den Sachverhalt, jedoch ohne Namensnennung. Dabei wurde gegenüber der Ministerin ausgeführt, die Beschäftigung am Standort der Oberschule stelle für die Lehrkraft eine sehr starke persönliche Belastung dar.

Nach diesem kurzen Gespräch hielt es die Ministerin aus Fürsorgegründen für angemessen, die Möglichkeit einer Versetzung an eine Schule im Raum Göttingen prüfen zu lassen. Entscheidend sei, so die Ministerin, dass die Unterrichtsversorgung an der betroffenen OBS nicht leide und ggf. notwendige Personalmaßnahmen zur Kompensation durch die Landeschulbehörde geprüft und durchgeführt würden. Die zu versetzende Lehrkraft war und ist der Kultusministerin persönlich nicht bekannt. Es gibt auch keine verwandtschaftlichen oder schwägerlichen Beziehungen - weder zu der Ministerin, noch - wie gerüchteweise verbreitet wurde - zu ihrem Umfeld. Dies schließt auch das Wahlkreisbüro der Landtagsabgeordneten D ein.

Nach dem Gespräch mit der Ministerin bat die damalige Leiterin des Ministerinbüros den zuständigen Referatsleiter im Kultusministerium darum, die Versetzung an ein Gymnasium oder eine Gesamtschule im Raum Göttingen zu veranlassen. Der entsprechende Referatsleiter wies die Leiterin des Ministerinbüros darauf hin, dass dies aus seiner Sicht ein unübliches Verfahren sei. Die Leiterin des Ministerinbüros bat dennoch um weitere Veranlassung und wies gleichzeitig auf die zu sichernde Unterrichtsversorgung hin.

Der Referatsleiter hat anschließend die Landesschulbehörde angewiesen, ein entsprechendes Versetzungsverfahren einzuleiten. Er machte in diesem Zusammenhang gegenüber der Landesschulbehörde deutlich, dass notwendige Personalmaßnahmen zur Sicherung der Unterrichtsversorgung an der ggf. abgebenden Schule durch die Landeschulbehörde zu prüfen und bei Bedarf durchzuführen seien.

Die Landesschulbehörde verwies daraufhin fernmündlich gegenüber dem MK auf die Besonderheit dieses Vorgangs und die Unterrichtsversorgung an der abgebenden Schule. Gleichwohl wurde die Landesschulbehörde gebeten, die Angelegenheit weiter zu verfolgen.

Die Landesschulbehörde begann daraufhin damit, eine Versetzungsmöglichkeit für die betreffende Lehrkraft zu suchen, und stellte der OBS eine Einstellungsermächtigung zur Kompensation zur Verfügung. Eine Versetzung zum 01.02.2016 stand insofern unter der Vorgabe der Kompensation zur Sicherung der Unterrichtsversorgung an der ggf. abgebenden Schule. Allerdings konnte die OBS diese und auch eine weitere zur Verfügung stehende Stelle nicht besetzen.

Parallel gab es die Bemühungen der Landesschulbehörde, eine aufnehmende Schule zu finden. Ins Auge gefasst wurde schließlich ein Gymnasium in der Stadt Göttingen. Die Personalvertretung des aufnehmenden Gymnasiums, die im üblichen Beteiligungsverfahren eingebunden war, äußerte Vorbehalte gegen die geplante Versetzung. Befürchtet wurden ungünstige personalwirtschaftliche Auswirkungen, die sich aus dieser Versetzung ergeben würden. Der Schulbezirkspersonalrat hatte hingegen keine Bedenken.

Mangels Kompensation einer Versetzung und bei der Betrachtung der gesamten Umstände kann es in diesem Fall zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu einer Versetzung kommen. Dennoch ist jeder Einzelfall mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen. Die Sicherung der Unterrichtsversorgung an allen Schulformen hat für die Kultusministerin und die Schulbehörden höchste Priorität. Abschließend lässt sich festhalten, dass die zuständige Landesschulbehörde mit der Prüfung des Versetzungsantrags befasst war und die personalvertretungsrechtlichen Gremien beteiligt waren. Die in Rede stehende Versetzung ist letztlich aus Gründen der Sicherung der Unterrichtsversorgung nicht durchgeführt worden.

D"

II.

Aus den Akten des Kultusministeriums ergibt sich, dass der Leiter des dortigen Referats 15 am 4. Dezember 2015 der Niedersächsischen Landesschulbehörde folgende Email übermittelte:

"… aufgrund einer Entscheidung hier im Hause ist Frau … zum 01.02.2016 von der Oberschule Badenhausen an eine integrierte Gesamtschule oder ein Gymnasium im Raum Göttingen zu versetzen. Bitte prüfen Sie, ob diese personalwirtschaftliche Maßnahme eine Stellenausschreibung an der OBS Badenhausen erfordert. Sollte dies der Fall sein, ist auch zu prüfen, ob eine noch unbesetzte Stelle - insbesondere im Raum GÖ an den beiden genannten SFO - vorhanden ist und somit eine Verlagerung dieser Stelle zur OBS Badenhausen gerechtfertigt ist. Ich bitte mir über die Umsetzung der Maßnahme "Versetzung von .. -Name geschwärzt- " und der Kompensation an der OBS Badenhausen bis zum 15.12.2015 zu berichten."

Am 22. Dezember 2015  hörte die Schulleitung der Oberschule Badenhausen die Lehrkraft formell zu der beabsichtigten Versetzung zum 1. Februar 2016 an. Die Schulleitung und der Personalrat der aufnehmenden Schule sowie der Schulbezirkspersonalrat wurden beteiligt.

Ausweislich der Akten des Kultusministeriums versandte am 21. Januar 2016 - dem Tag der Plenarsitzung des Landtages, in der die 5. Zusatzfrage gestellt wurde - um 19.36 Uhr der Leiter des Referats 15 im Kultusministerium folgende Email an die Landesschulbehörde:

"Betreff: Versetzung … in den LK Gö

… ich benötige in diesem Zusammenhang einen Sachstandsbericht. Dieser ist aufgrund von Dringlichkeiten umgehend zu erstellen und mir per Email zuzuleiten …"

Am 22. Januar 2016 um 08.31 Uhr antwortete die Landesschulbehörde:

"Folgender Sachstand …

Frau … wird seitens der NLSchB an das Theodor Heuß Gymnasium versetzt. Die Schulleiterin und der Personalrat der Schule haben der Versetzung nicht zugestimmt. Der SBPR stimmt aber zu."

Die Landesschulbehörde lehnte die Versetzung der Lehrkraft mit Bescheid vom 28. Januar 2016 ab.

III.

Am 24. Mai 2016 ist der Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens bei dem Staatsgerichtshof eingegangen.

Die Antragsteller machen geltend, die Kultusministerin habe die 5. Zusatzfrage des Antragstellers zu 2. nicht unverzüglich, nicht vollständig und nicht nach bestem Wissen beantwortet. Die Frage, warum die Lehrkraft auf direkte Weisung des Kultusministeriums versetzt werde, hätte die Kultusministerin bereits am 21. Januar 2016 beantworten können. Da sie selbst, ihre Büroleiterin und der Leiter des Referats 15 mit der Angelegenheit befasst gewesen seien, sei auch keine Nachforschung bei der Landesschulbehörde erforderlich gewesen. Das notwendige Wissen sei ihr selbst präsent oder wäre kurzfristig durch Rücksprache mit den im Landtag anwesenden Mitarbeitern zu verschaffen gewesen. Die Ministerin habe durch ihre ergänzende Antwort am 22. Januar 2016 ebenfalls nicht ihr präsentes Wissen offenbart. Die im Ministerium am 22. Januar 2016 vorhandenen Informationen hätten ausgereicht, die 5. Zusatzfrage vollumfänglich zu beantworten. Mit der Antwort vom 22. Januar 2016 habe die Ministerin zu Unrecht den Eindruck erweckt, dass es sich um ein Versetzungsverfahren handele, das ausschließlich bei der Landesschulbehörde geführt werde. Schließlich habe auch die Unterrichtung vom 26. Januar 2016 nicht das präsente Wissen offenbart. Mit der Antwort vom 26. Januar 2016 seien Tragweite und Bedeutung der politischen Einflussnahme des Abgeordneten auf das Büro der Ministerin verschleiert worden. Irreführend werde der Eindruck erweckt, es habe sich lediglich um ein ordnungsgemäßes Versetzungsverfahren gehandelt. In Wahrheit habe es bereits ein im November 2015 mit einer Ablehnung abgeschlossenes Versetzungsverfahren und sodann einen zweiten Versetzungsantrag gegeben. Außerdem sei die Anweisung durch das Kultusministerium an die Landesschulbehörde vom 4. Dezember 2015 verschwiegen worden. Damit sei der Eindruck erweckt worden, das Versetzungsverfahren werde ordnungsgemäß geführt, während intern die Entscheidung der Versetzung längst gefallen gewesen sei.

Die Antragsteller beantragen,

festzustellen, dass die Antragsgegnerin in der 86. Sitzung des Niedersächsischen Landtages der 17. Wahlperiode vom 21. Januar 2016 durch ihre Antwort auf die Zusatzfrage des Abgeordneten B zur Dringlichen Anfrage "Wie sieht die Unterrichtsversorgung aktuell in Niedersachsen aus?" der FDP-Fraktion (Drucksache 17/4992) und die darauffolgenden ergänzenden Unterrichtungen vom 22. Januar 2016 und vom 26. Januar 2016 ihre Auskunftspflicht aus Art. 24 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung verletzt hat.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin meint, die 5. Zusatzfrage des Antragstellers zu 2. habe nicht den parlamentarischen Regeln für Zusatzfragen zu Dringlichen Anfragen entsprochen und falle nicht unter den Schutzbereich des Art. 24 der Niedersächsischen Verfassung. Infolge der Häufung unzutreffender Voraussetzungen in der Frage sei die 5. Zusatzfrage nicht zur mündlichen Beantwortung geeignet. Außerdem fehle es an der Voraussetzung, dass die Frage nicht nur von örtlicher Bedeutung sein dürfe; hier gehe es nur um einen örtlichen Einzelfall. Die Frage stehe auch nicht im Zusammenhang mit dem Gegenstand der Dringlichen Anfrage, sondern weite diesen auf einen Einzelfall aus. Schließlich offenbare die Frage unbefugt eine dem Personaldatenschutz unterliegende Examensnote.

In der Sache selbst verteidigt die Antragsgegnerin die Antworten der Ministerin als unverzüglich und vollständig. Die Büroleiterin habe die Ministerin im November 2015 in einer kurzen mündlichen Erörterung über den Sachverhalt ohne Namensnennung informiert. Dabei sei ausgeführt worden, die Beschäftigung am Standort der Oberschule stelle für die Lehrkraft eine sehr starke persönliche Belastung dar. Nach diesem kurzen Gespräch habe es die Ministerin aus Fürsorgegründen für angemessen gehalten, die Möglichkeit einer Versetzung prüfen zu lassen. Entscheidend sei für sie gewesen, dass die Unterrichtsversorgung an der betroffenen Oberschule nicht leide und etwa notwendige Kompensationsmaßnahmen geprüft und durchgeführt würden. Nach dem Gespräch mit der Ministerin habe die Büroleiterin den zuständigen Referatsleiter gebeten, die Versetzung der Lehrkraft an ein Gymnasium oder eine Gesamtschule im Raum Göttingen zu veranlassen.

In der Plenarsitzung am 21. Januar 2016 habe die Ministerin über den Sachverhalt kein präsentes Wissen gehabt, da sie mit der Sache nur einmal sehr kurz befasst gewesen sei. Das Gespräch mit der Büroleiterin habe bei ihr keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Über den Fortgang der Sache sei sie nicht informiert worden. Eine Rückfrage bei dem im Landtag anwesenden Referatsleiter hätte am 21. Januar 2016 keine Aufklärung bringen können, da auch dieser nicht über die zur Beantwortung erforderliche umfassende Kenntnis verfügt habe. Ferner hätte die Ministerin nicht Personaldaten von Lehrkräften offenbaren dürfen. Es habe deshalb Anlass für Nachforschungen und eine verantwortungsvolle Prüfung bestanden.

Die zweite Reaktion der Ministerin vom 22. Januar 2016 habe ebenfalls verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Die Ministerin habe klargestellt, dass das Versetzungsverfahren noch laufe und die Landesschulbehörde eingebunden sei. Zwar sei am 22. Januar 2016 im Kultusministerium die von dort ergangene Weisung bezüglich der Versetzung bekannt gewesen. Diese vom Antragsteller zu 2. im ersten Teil der 5. Zusatzfrage behauptete Tatsache sei indessen nicht in Abrede genommen worden. Stattdessen habe die Ministerin angesichts der umfassend angelegten Fragestellung auf die Gesamtdarstellung verwiesen. Am 22. Januar 2016 habe noch Anlass zu weiteren Nachforschungen unter Auswertung der Vorgänge der Landesschulbehörde bestanden. Vor einer abschließenden Beantwortung der Frage habe sich die Ministerin einen umfassenden Überblick über das laufende Versetzungsverfahren verschaffen wollen.

Die Unterrichtung vom 26. Januar 2016 habe die verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Beantwortung der 5. Zusatzfrage erfüllt und teilweise sogar übererfüllt. Die Auffassung der Antragsteller, dass die Versetzungsentscheidung bereits mit der formularmäßigen Anhörung vom 22. Dezember 2015 gefallen sei, sei unzutreffend. Das Versetzungsverfahren habe erst mit der ablehnenden Entscheidung der Landesschulbehörde vom 28. Januar 2016 geendet.

IV.

Dem Niedersächsischen Landtag wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Er hat von einer Stellungnahme abgesehen.

B.

Der Antrag auf Durchführung des Organstreitverfahrens ist nach Art. 54 Nr. 1 der Niedersächsischen Verfassung - NV - vom 19. Mai 1993 (Nds. GVBl. S. 107), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2011 (Nds. GVBl. S. 210), und § 8 Nr. 6 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof - NStGHG - vom 1. Juli 1996 (Nds. GVBl. S. 342), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Oktober 2016 (Nds. GVBl. S. 238), statthaft.

Der Antrag beider Antragsteller bleibt aber ohne Erfolg. Der Antrag des Antragstellers zu 2. ist bereits unzulässig. Der zulässige Antrag der Antragstellerin zu 1. ist unbegründet.

I.

1. Der Antrag des Antragstellers zu 2. ist mangels eigener Antragsbefugnis unzulässig.

Nach § 30 NStGHG in Verbindung mit § 64 Abs. 1 BVerfGG ist antragsbefugt, wer geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch die Niedersächsische Verfassung übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.

Diese Voraussetzungen sind in der Person des Antragstellers zu 2. nicht gegeben. Der Antragsteller zu 2. hat die 5. Zusatzfrage nicht als einzelnes Mitglied des Landtages, sondern für die FDP-Fraktion gestellt.

Eine Verletzung des Fragerechts nach Art. 24 Abs. 1 NV setzt voraus, dass die Frage, deren Beantwortung nicht "nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 NV erfolgt sein soll, von dem Antragsteller des Organstreitverfahrens im parlamentarischen Raum selbst gestellt worden ist (vgl. VerfGH NW, Urt. v. 15.12.2015 - 12/14 -, juris Rn. 71 mit weiteren Nachweisen). Die Frage, deren Beantwortung nicht "nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 NV erfolgt sein soll, ist hier die in der Landtagssitzung am 21. Januar 2016 gestellte 5. Zusatzfrage zur Dringlichen Anfrage vom 18. Januar 2016. Diese Zusatzfrage ist ebenso wie die Dringliche Anfrage allein der FDP-Fraktion und nicht dem einzelnen Abgeordneten zuzurechnen, der diese Frage vorträgt. Eine Dringliche Anfrage im Sinne des § 48 der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages vom 4. März 2003 (Nds. GVBl. S. 135), zuletzt geändert am 15. Dezember 2014 (Nds. GVBl. S. 505), kann nach dessen Absatz 1 Satz 1 von einer Fraktion des Landtages in jedem Tagungsabschnitt an die Landesregierung gerichtet werden. Hiermit korrespondierend gestattet § 48 Abs. 3 Satz 1 GO LT jeder Fraktion, bis zu fünf Zusatzfragen zu stellen. Diese müssen in der Landtagssitzung, in der die Dringliche Anfrage durch die Fragesteller verlesen und durch die Landesregierung beantwortet wird (vgl. § 48 Abs. 2 GO LT), mündlich gestellt werden. Allein daraus, dass die Zusatzfrage von einem einzelnen Abgeordneten im Plenum vorgetragen wird, kann nicht geschlossen werden, dass es sich um eine Frage dieses Abgeordneten handelt. Die Frage kann nach den Geschäftsordnungsbestimmungen nur mündlich gestellt werden. Die Fraktion als verfassungsrechtliches Organ ist hierzu tatsächlich nicht in der Lage, sondern muss sich eines ihrer Abgeordneten bedienen. Demgemäß ist in der Landtagssitzung vom 21. Januar 2016 der Fraktion der FDP gestattet worden, die 5. Zusatzfrage zu stellen. Der die Sitzung leitende Vizepräsident E. hat wie folgt aufgerufen: "Die 5. und letzte Zusatzfrage für die FDP-Fraktion: Herr B., bitte!" (PlProt. 17/86, S. 8605). Angesichts der eindeutigen Zuordnung der Zusatzfragen zu den Fraktionen in § 48 Abs. 3 GO LT kann entgegen der Ansicht des Antragstellers zu 2. dem die Zusatzfrage der Fraktion einbringenden Mitglied des Landtages auch keine "Doppelfunktion" mit der Folge einer eigenen Rechtsbetroffenheit zugesprochen werden. In der Entscheidung vom 25. November 1997 - StGH 1/97 - hatte der Staatsgerichtshof die streitrelevante 5. Zusatzfrage zwar dem sie stellenden Abgeordneten zugerechnet. Vorausgegangen war dem aber keine Dringliche Anfrage einer Fraktion, sondern eine Kleine Anfrage zur mündlichen Beantwortung von drei einzelnen Abgeordneten, darunter der spätere Antragsteller im Organstreitverfahren.

2. Der Antrag der Antragstellerin zu 1. ist zulässig.

Antragsberechtigung und Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 1. ergeben sich aus Art. 19, 24 Abs. 1, 54 Nr. 1 NV in Verbindung mit §§ 8 Nr. 6, 30 NStGHG, § 64 Abs. 1 BVerfGG. Die Antragstellerin zu 1. ist als Landtagsfraktion mit dem eigenen verfassungsrechtlichen Recht ausgestattet, von der Landesregierung Auskunft zu beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs sind nicht nur die einzelnen Mitglieder des Landtages, sondern auch die Fraktionen Inhaber des Fragerechts nach Art. 24 Abs. 1 NV (Nds. StGH, Urt. v. 22.10.2012 - StGH 1/12 -, juris Rn. 49 ("Nord-Süd-Dialog")). In gleicher Weise legt § 48 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GO LT fest, dass jede Fraktion in jedem Tagungsabschnitt eine Dringliche Anfrage und bis zu fünf hierauf bezogene Zusatzfragen an die Landesregierung richten darf und reguliert damit das bereits durch die Verfassung den Fraktionen eingeräumte Fragerecht. Korrespondierend bestimmt § 48 Abs. 2 Satz 3 GO LT die Pflicht der Landesregierung, die Fragen mündlich zu beantworten. Die Antragstellerin zu 1. macht geltend, in ihrem Recht auf unverzügliche und nach bestem Wissen vollständige Beantwortung ihrer Anfrage verletzt zu sein. Bei der vom Antragsteller zu 2. vorgetragenen 5. Zusatzfrage zur Dringlichen Anfrage handelte es sich nach der Geschäftsordnung um eine Zusatzfrage der Antragstellerin zu 1. als Fraktion.

II.

Der zulässige Antrag der Antragstellerin zu 1. ist unbegründet.

Die Antwort der Antragsgegnerin auf die 5. Zusatzfrage unterliegt wegen Verstoßes dieser Zusatzfrage gegen § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT nicht der verfassungsrechtlichen Überprüfung im Organstreitverfahren. Die 5. Zusatzfrage unterfällt schon nicht dem Schutzbereich des Art. 24 Abs. 1 NV. Sie hat daher eine Antwortpflicht der Landesregierung, die durch eine nicht nach bestem Wissen unverzügliche und vollständige Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage verletzt worden sein könnte, nicht ausgelöst.

1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin fällt die 5. Zusatzfrage aber nicht bereits deshalb aus dem Schutzbereich des Art. 24 Abs. 1 NV, weil sie missbräuchlich gestellt worden ist (vgl. zu dieser Grenze des parlamentarischen Fragerechts: SächsVerfGH, Beschl. v. 29.9.2011 - Vf. 44-I-11 -, juris Rn. 29; HambVerfG, Urt. v. 20.5.2003 - 9/02 -, juris Rn. 76; SaarlVerfGH, Urt. v. 13.9.2002, - Lv 1/02 - , NVwZ-RR 2003, 81, 82 [VerfGH Saarland 31.10.2002 - Lv 1/02]; BayVerfGH, Entsch. v. 17.7.2001 - Vf. 56-IVa-00 -, NVwZ 2002, 715, 716; Weis, Parlamentarisches Fragerecht und Antwortpflicht der Regierung, in: DVBl. 1988, 268, 272). Ein solcher Missbrauch wird nur in restriktiv zu bestimmenden Ausnahmefällen gegeben sein, etwa dann, wenn ein hinreichendes Informationsbegehren des Fragestellers nicht zu erkennen ist (vgl. Nds. StGH, Beschl. v. 17.1.2008 - StGH 1/07 -, juris Rn. 60 f.: "rhetorische Frage ..., die als politische Äußerung in Frageform verstanden werden konnte") oder eine bereits beantwortete Frage häufig wiederholt wird (vgl. BayVerfGH, Entsch. v. 26.7.2006 - Vf. 11-IVa-05 -, juris Rn. 357; Hölscheidt, Frage und Antwort im Parlament, S. 37). Diese Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass das Fragerecht ausschließlich außerhalb seiner eigentlichen Funktion, dem Abgeordneten zur sachgerechten Erfüllung seiner Aufgaben Informationen zu verschaffen, ausgenutzt und dadurch die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der zur Antwort verpflichteten Regierung gefährdet wird (vgl. HambVerfG, Urt. v. 20.5.2003, a.a.O., Rn. 75 f.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Die von der Antragsgegnerin beanstandete "Häufung unzutreffender Voraussetzungen" in der 5. Zusatzfrage überschreitet die beschriebene Grenze zulässiger Fragen nicht. Die eigentliche 5. Zusatzfrage ist zwar von Vorhalten und Unterstellungen umrahmt, kann aber nicht als bloße Polemik ohne ein erkennbares Informationsbegehren angesehen werden, sondern ist noch auf eine Informationserteilung gerichtet und einer Sachbeantwortung zugänglich.

2. Auch die von der Antragsgegnerin beanstandete Offenbarung der Examensnote der Lehrkraft führt nicht zur Unzulässigkeit der 5. Zusatzfrage. Der damit verbundene Eingriff in die Rechte Dritter hat hier noch nicht einen Grad erreicht, der mit Blick auf den durch Art. 24 Abs. 3 NV bestimmten Maßstab (vgl. hierzu Nds. StGH, Urt. v. 24.10.2014 - StGH 7/13 -, juris Rn. 89) eine Begrenzung des Fragerechts rechtfertigen könnte.

3. Nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs setzen das Fragerecht der Mitglieder des Landtages und der Fraktionen sowie die damit korrespondierende Antwortpflicht der Landesregierung indes voraus, dass es sich um eine nach (inner-)parlamentarischen Regeln zugelassene Frage handelt. Eine im Sinne der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages unzulässige Frage verlässt damit zugleich den Schutzbereich des Art. 24 Abs. 1 NV (Nds. StGH, Beschl. v. 17.1.2008, a.a.O., Rn. 54). Es ist anerkannt, dass die mit dem verfassungsrechtlichen Status eines Abgeordneten verbundenen Rechte durch die Geschäftsordnung des Parlaments gestaltet und insofern auch eingeschränkt werden können (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.7.1991 - 2 BvE 1/91 -, BVerfGE 84, 304, 321; Urt. v. 13.6.1989 - 2 BvE 1/88 -, BVerfGE 80, 188, 219 und Leitsatz 3.a.). Die das parlamentarische Fragerecht betreffenden Vorschriften der Geschäftsordnung gehen danach über reine Ordnungsbestimmungen hinaus (vgl. zur Rechtsnatur und den Grenzen parlamentarischer Geschäftsordnungsvorschriften: BVerfG, Urt. v. 13.6.1989, a.a.O., S. 218 ff.; VerfG Bbg, Urt. v. 22.7.2016 - VfGBbg 70/15 -, juris Rn. 160 ff. und 185; BayVerfGH, Entsch. v. 9.5.2016 - Vf. 14-VII-14 u.a. -, juris Rn. 114; Mielke, in: Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, Art. 21 Rn. 23 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen). Sie sind zur Konkretisierung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Fragerechts erforderlich und mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Betriebs grundsätzlich auch angemessen (vgl. hierzu etwa SächsVerfGH, Beschl. v. 19.7.2012 - Vf. 160-I-11 -, juris Rn. 37 ff.). Dass für die hier in den Blick zu nehmenden Vorschriften über die Zulassung von Zusatzfragen zu Dringlichen Anfragen in § 48 in Verbindung mit §§ 45 Abs. 2, 47 GO LT ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragsteller nicht und ist für den Staatsgerichtshof auch sonst nicht ersichtlich. Ziel der genannten Vorschriften der Geschäftsordnung ist es auch, Zusatzfragen im Interesse der Einhaltung der Tagesordnung und der Beantwortung der angemeldeten mündlichen Anfragen in der zur Verfügung stehenden Zeit einzugrenzen und so die Beantwortung von zur Sache gehörenden Fragen zu sichern. Das verfassungsmäßig eingeräumte Fragerecht wird hierdurch nicht in unverhältnismäßiger Weise beschränkt (Nds. StGH, Beschl. v. 17.1.2008, a.a.O.).

Nach der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages war die 5. Zusatzfrage unzulässig. Sie verstieß gegen § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT. Nach dieser Bestimmung müssen Zusatzfragen zur Sache gehören und dürfen die ursprüngliche Dringliche Anfrage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen.

Gegenstand der Dringlichen Anfrage vom 18. Januar 2016 - LT-Drs. 17/4992 - war die aktuelle Unterrichtsversorgung in Niedersachsen. Auch wenn das Themenfeld der Unterrichtsversorgung in Niedersachsen sehr weit ist, war der konkrete Frageninhalt doch beschränkt: Die Antragstellerin zu 1. wollte aktuelle statistische Angaben zur landesweiten Unterrichtsversorgung erlangen (Fragen zu 1. und 3.) und Gründe für etwaige Änderungen in der Unterrichtsversorgung seit dem Regierungswechsel 2013 erfahren (Frage zu 2.). Gegenstand der 5. Zusatzfrage war hingegen, welcher Mitarbeiter des Kultusministeriums aus welchen Gründen die Weisung erteilt hat, eine konkrete Lehrkraft von der Oberschule in Badenhausen an das Theodor-Heuss-Gymnasium in Göttingen zu versetzen. Ein Zusammenhang zwischen der 5. Zusatzfrage und der Dringlichen Anfrage bestand allein darin, dass die Versetzung einer Lehrkraft stets auch die Unterrichtsversorgung an den betroffenen Schulen berührt. Ein allgemeiner thematischer Zusammenhang in diesem Sinne genügt aber nicht den Anforderungen nach § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT. Die Zusatzfrage muss vielmehr inhaltlich zur Sache gehören und darf die ursprüngliche Dringliche Anfrage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen. Als Zusatzfragen können danach regelmäßig nur Nachfragen im engeren Sinne zulässig sein, die infolge einer unzureichenden oder als unzureichend empfundenen Antwort auf die vorausgegangene Dringliche Anfrage gestellt werden. Nur dieses Verständnis wird dem in der Geschäftsordnung des Landtages angelegten System von Dringlicher Anfrage, Antwort und Zusatzfrage gerecht, das auf eine lebendige Debatte im Plenum ausgerichtet ist und die begrenzten zeitlichen Ressourcen der parlamentarischen Debatte berücksichtigt.

Diesem Verständnis entspricht die 5. Zusatzfrage nicht. Sie stellt sich nicht als Folge einer unzureichenden oder als unzureichend empfundenen Antwort auf die vorausgegangene Dringliche Anfrage dar. Die 5. Zusatzfrage führte vielmehr einen speziellen Einzelfall und damit einen neuen Sachverhalt in die Debatte ein, der über den Gegenstand der Dringlichen Anfrage ersichtlich hinausging. Das Thema Unterrichtsversorgung diente nur als äußerer Anknüpfungspunkt für einen inhaltlich anderen Gegenstand der 5. Zusatzfrage ohne inneren Zusammenhang zur allgemeinen Unterrichtsversorgung. Die Frage sollte - wenn man den Kern der Frage und die Kritik der Antragstellerin zu 1. an dem Antwortverhalten der Ministerin berücksichtigt - nicht die Erörterungen zur allgemeinen Unterrichtsversorgung vertiefen, sondern einzelfallbezogene Vorgänge im Kultusministerium beleuchten. Insbesondere sollte die 5. Zusatzfrage eine vermutete Weisung des Ministeriums in einem konkreten Versetzungsfall in die Parlamentsöffentlichkeit bringen. Dieser Zielrichtung der 5. Zusatzfrage entspricht es, dass die Antragstellerin zu 1. in ihrer Antragsschrift rügt, die Ministerin habe mit ihrer Antwort "versucht, die Bedeutung der politischen Einflussnahme über den Abgeordneten F. und das Büro der Ministerin herunterzuspielen". Die Einflussnahme eines Abgeordneten auf das Ministerbüro und die Anweisung an die Landesschulbehörde in einem konkreten Versetzungsverfahren ist ein anderer Gegenstand als die landesweite Unterrichtsversorgung. Damit hebt sich der Gegenstand der 5. Zusatzfrage inhaltlich so weit von demjenigen der Dringlichen Anfrage ab, dass  die Zusatzfrage nicht der nach den innerparlamentarischen Regeln zugelassene Weg war, um das Anliegen der Antragstellerin zu 1. in die Parlamentsöffentlichkeit zu bringen. Die Antragsteller hätten andere Möglichkeiten im Rahmen der parlamentarischen Regeln nutzen müssen, um ihr Informationsbegehren hinsichtlich des angesprochenen Versetzungsverfahrens zu verfolgen.

Gehört die 5. Zusatzfrage zu der Dringlichen Anfrage danach nicht zur Sache und dehnt sie die ursprüngliche Frage auf andere Gegenstände aus, verstößt sie gegen § 48 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 GO LT und löst die Antwortpflicht der Landesregierung nach Art. 24 Abs. 1 NV nicht aus.

4. Eine gleichwohl gegebene Antwort der Landesregierung ist einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Die Landesregierung kann sich im Organstreitverfahren wegen Verletzung ihrer Antwortpflicht auf die Unzulässigkeit einer Zusatzfrage auch dann berufen, wenn sie die Zusatzfrage zuvor im parlamentarischen Raum beantwortet hat.

Dem steht im vorliegenden Fall auch das Verbot widersprüchlichen Verhaltens nach dem Grundsatz des venire contra factum proprium nicht entgegen. Der allgemeine Grundsatz des venire contra factum proprium, der bedeutet, sich bei der Rechtsausübung nicht zu seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen zu dürfen, gilt zwar auch im Verfassungs- und Verfassungsprozessrecht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.6.1998 - 1 BvR 380/92 -, NVwZ 1999, 61; Beschl. v. 29.8.1994 - 2 BvR 1890/91 u.a. -, juris Rn. 1). Seine Anwendung im Bereich des parlamentarischen Fragerechts könnte zur Folge haben, dass sich eine Regierung, die eine an sie gerichtete parlamentarische Frage nicht als unzulässig rügt, sondern inhaltlich beantwortet, im Nachhinein, insbesondere in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren, nicht mehr auf die Unzulässigkeit der parlamentarischen Frage berufen könnte und die mit ihrer Antwort selbst gesetzte Tatsache stets gegen sich gelten lassen müsste.

Weder hat die Antragsgegnerin die 5. Zusatzfrage im Landtagsplenum als geschäftsordnungswidrig gerügt noch die Beantwortung abgelehnt. Den wiederholten Hinweisen auf die durch die Frage ausgelöste Antwortpflicht nach Art. 24 Abs. 1 NV ist die Antragsgegnerin im Plenum nicht entgegengetreten. Der Abgeordnete G, FDP, (PlProt. 17/87, S. 8729) hatte geäußert: "Ich fordere die Landesregierung weiter auf, die noch ausstehende Antwort der Kultusministerin von gestern auf die Frage des Kollegen B., die nachgeliefert werden sollte und die bis heute noch nicht geliefert worden ist, nämlich wer im Ministerium - Minister, Staatssekretär, Ministerbüro - die Versetzung der Lehrerin ohne Beteiligung von Personalrat etc. nach Göttingen angewiesen hat, ebenfalls nachzureichen. Frau Ministerin, Sie werden sich daran erinnern können. Sie müssen Fragen unverzüglich beantworten …") und auch der Antragsteller zu 2. (PlProt. 17/87, S. 8795) hatte eine Antwort angemahnt: "Ich stelle fest, dass es diese Nachlieferung bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben hat. … Ich beanspruche, dass nach Artikel 24 Abs. 1 die Landesregierung unverzüglich zu dieser Frage die Antwort gibt."; PlProt. 17/91, S. 9074: "Wir stellen fest, dass die Unterrichtung bewusst irreführend ist und der Sachverhalt nicht zutreffend dargestellt worden ist, indem wichtige, dem Ministerium bekannte Details weggelassen worden sind. Damit hat die Landesregierung entsprechend dem sogenannten Bartling-Urteil gegen Artikel 24 der Niedersächsischen Verfassung verstoßen. … Wir erwarten eine wahrheitsgemäße und vollständige Unterrichtung durch die Landesregierung in diesem Tagungsabschnitt."

Die Antragsgegnerin hat dem zwar zunächst das Vorliegen von Weigerungsgründen nach Art. 24 Abs. 3 NV entgegengehalten. Der Ministerpräsident hatte erklärt (PlProt. 17/87, S. 8796): "Sie wissen, dass das Verfassungsrecht in der Staatskanzlei ressortiert. Wir hatten ja bereits einige Male Gelegenheit, den Umfang des Fragerechts im Einzelnen zu diskutieren. Lassen Sie mich deswegen Folgendes sagen: Einschränkungen bestehen nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs insbesondere in den Fällen, in denen Persönlichkeitsrechte zu berücksichtigen sind, und in laufenden Verfahren. Deswegen hat Frau D. gestern völlig zu Recht in dieser öffentlichen Sitzung keine Auskünfte geben können. Wenn ich eine Anregung geben dürfte: Vielleicht böte es sich an, eine Unterrichtung im Fachausschuss vorzunehmen, damit an dieser Stelle die notwendigen … Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Landesregierung zu diesem Sachverhalt jetzt in öffentlicher Sitzung sicherlich keine Unterrichtung vornehmen kann." In der Folge hat die Antragsgegnerin am 22. Januar und 26. Januar 2016 jedoch dann weitere Antworten auf die Frage gegeben und ihre Antwortpflicht nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Unter Berücksichtigung des Systems der Zusatzfragen zu Dringlichen Anfragen ist es indes nicht als widersprüchlich und damit rechtsmissbräuchlich anzusehen, dass sich die Antragsgegnerin im Organstreitverfahren nach näherer Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die Unzulässigkeit der 5. Zusatzfrage beruft. Es fehlt einerseits auf Seiten der Antragsgegnerin an einem vertrauensbegründenden Verhalten, andererseits auf Seiten der Antragstellerin zu 1. an einer Schutzbedürftigkeit.

Einen Vertrauenstatbestand hätte die Antragsgegnerin mit ihrer Antwort auf die 5. Zusatzfrage nur dann gesetzt, wenn im gegebenen System der Zusatzfragen zu Dringlichen Anfragen die umgehende rechtliche Prüfung der geschäftsordnungsmäßigen Zulässigkeit der Zusatzfrage der Antragsgegnerin zumutbar und zu erwarten gewesen wäre. Für eine Prüfungs- und Rügeobliegenheit der Landesregierung in Bezug auf die Zulässigkeit von Zusatzfragen nach der Geschäftsordnung besteht indessen keine verfassungsrechtliche oder gesetzliche Grundlage. Die Geschäftsordnung sieht keine Obliegenheit der Landesregierung vor, Antworten auf unzulässige Zusatzfragen unverzüglich zu verweigern, die Unzulässigkeit einer Zusatzfrage unverzüglich zu rügen oder einen entsprechenden Vorbehalt bei der Behandlung der Frage im Landtag zu erklären. Eine derartige Prüfungsobliegenheit ist dem System der Zusatzfragen zu Dringlichen Anfragen auch nicht immanent. Es wäre im Gegenteil wenig lebensnah und würde die Handlungszwänge und Notwendigkeiten des politischen Parlamentsbetriebes unberücksichtigt lassen, die Verweigerung der Antwort auf eine möglicherweise unzulässige Zusatzfrage zu erwarten oder zu verlangen. Die Einordnung und Bewertung der Zusatzfrage als unzulässig wird häufig näherer Abwägung und Prüfung bedürfen, für die im Parlamentsbetrieb kein Raum ist. Parlamentarische Anfragen sind auch ein Instrument politischer Auseinandersetzung. Vielfach tritt das reine Informationsbedürfnis hinter dem Interesse zurück, bestimmte, dem Fragesteller aus anderen Quellen bereits bekannte Vorgänge mittels einer Anfrage in die Parlamentsöffentlichkeit zu bringen. Die Landesregierung setzt mit einer Antwort auf eine – später als unzulässig erkannte – Zusatzfrage keinen Vertrauenstatbestand, der die spätere Berufung auf die Unzulässigkeit der Zusatzfrage treuwidrig erscheinen lässt. Es bleibt ihr unbenommen, die parlamentarische Anfrage auch noch im Zuge des Organstreitverfahrens einer Prüfung zu unterziehen und zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Anfrage in dieser Weise nicht hätte gestellt werden dürfen.

Es fehlt des Weiteren auch an der Schutzbedürftigkeit des Fragestellers, der mit seiner Zusatzfrage den Gegenstand der Dringlichen Anfrage verlassen und auf einen anderen Gegenstand ausgeweitet hat. Der Fragesteller muss damit rechnen, dass die Zulässigkeit seiner Frage im Zuge der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung um die gegebene Antwort noch geprüft wird und zu dem Ergebnis der Unzulässigkeit der Zusatzfrage führen kann. Das Vertrauen des Fragestellers darauf, die Antwort der Landesregierung auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen lassen zu können, ist im Falle einer unzulässigen Zusatzfrage nicht schutzbedürftig. Das Schutzbedürfnis setzt die eigene Regelkonformität voraus. Auch die Sachzusammenhangsregel des § 48 Abs. 3 Satz 4 GO LT hat ihren Zweck in der Fairness parlamentarischer Auseinandersetzung. Die Landesregierung soll nicht durch Zusatzfragen mit neuen, anderen Sachverhalten konfrontiert werden, auf die sie nicht vorbereitet ist und dadurch eine den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 NV entsprechende Antwort erheblich erschwert wird. Da der Fragesteller diese Regelungen kennt, kann er zwar in der politischen Auseinandersetzung erreichen, dass ihm dennoch eine Antwort gegeben wird, kann aber nicht beanspruchen, diese Antwort der verfassungsrechtlichen Kontrolle gem. Art. 24 Abs. 1 NV zu unterziehen. Den Antragstellern  hätten andere parlamentarische Auskunftsrechte zur Verfügung gestanden, um eine verfassungsgerichtlich überprüfbare Antwort auf ihre Frage zu dem Versetzungsverfahren zu erhalten. Es bedurfte insofern nicht des Weges über eine Zusatzfrage zu einer Dringlichen Anfrage.

C.

Das Verfahren ist nach § 21 Abs. 1 NStGHG kostenfrei; Auslagen der Beteiligten werden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 2 NStGHG nicht erstattet.