Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.11.2021, Az.: 12 W 124/21
Antrag auf Durchsuchungsanordnung nach dem AufenthG zur Durchführung einer Abschiebung; Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte; Öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art; Keine abdrängende Sonderzuweisung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 04.11.2021
- Aktenzeichen
- 12 W 124/21
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2021, 51919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 12.07.2022 - AZ: 3 ZB 6/21
Rechtsgrundlagen
- § 58 AufenthG
- § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO
Tenor:
Die Entscheidung wird durch den Rechtsunterzeichnenden als Einzelrichter auf den Senat in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 14.09.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 08.09.2021 - 249 Gs 1110/21 - wird zurückgewiesen.
Von einer Kostenerhebung wird abgesehen.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 07.09.2021 beim Amtsgericht Osnabrück zum Vollzug der Abschiebung des AA unter Bezugnahme auf die §§ 24, 25 Niedersächsisches Polizei- und Ordnungsbehördengesetz (NPOG) den Erlass einer richterlichen Durchsuchungs- und Betretenserlaubnis für dessen Meldeadresse Straße 1, Ort 1 beantragt. Zur Begründung hat der Antragsteller ausgeführt, dass der Betroffene nach Ablehnung seines Asylantrages durch Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.05.2017 seit dem 15.05.2020 vollziehbar ausreisepflichtig sei und insoweit eine Abschiebeandrohung vorliege. Eine freiwillige Ausreise sei nicht erfolgt. Zur Sicherstellung der Abschiebung sei nunmehr die beantragte Hausdurchsuchung und die gesondert ebenfalls unter dem 07.09.2021 beantragte Anordnung einer einstweiligen Freiheitsentziehung nach § 427 FamFG erforderlich.
In Bezug auf den beantragten Erlass einer Durchsuchungsanordnung hat das Amtsgericht Osnabrück durch den angefochtenen Beschluss vom 08.09.2021 entschieden, dass der Rechtsweg zum Amtsgericht nicht eröffnet sei und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Osnabrück verwiesen wird. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass sich die einschlägige Rechtsgrundlage für die beantragte Durchsuchungsanordnung in § 58 Abs. 6 bis 8 AufenthG finde und es sich damit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handele, für die mangels einer abdrängenden Sonderzuweisung der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Gegen den Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde. Der Antragsteller vertritt unter Hinweis auf die Entscheidung des OVG Lüneburg vom 10.03.2021, Az. 13 OB 1102/21, die Ansicht, dass für die Durchsuchungsanordnung in § 58 Abs. 8 AufenthG über § 58 Abs. 10 AufenthG eine neben der allgemeinen Regelung des § 40 Abs. 1 VwGO geltende gleichrangige eigenständige Zuständigkeitsregelung geschaffen worden sei, mit der es den Ländern im Sinne einer Öffnungsklausel ermöglicht werde, die bundesgesetzliche "Mindestbefugnis" in §§ 58 Abs. 6 und 8 AufenthG hinsichtlich des zuständigen Gerichts auszuführen oder auszufüllen. Dies sei mit den §§ 25 Abs. 1 Satz 2 und 3, 19 Abs. 4 NPOG geschehen, so dass für die Durchsuchungsanordnung die Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
Zur Entscheidung über das Rechtsmittel ist gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1.b) GVG das Oberlandesgericht berufen.
Gegen einen Beschluss durch den der beschrittene Rechtsweg für unzulässig erklärt wird, ist nach § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der jeweils anzuwendenden Verfahrensordnung gegeben. Der Antragsteller stützt seinen Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung durch das Amtsgericht auf die §§ 24, 25 NPOG so dass sich das gerichtliche Verfahren gemäß § 25 Abs. 1, 19 Abs. 4 NPOG nach den Bestimmungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) richtet und in der Folge die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für das Beschwerdeverfahren begründet ist.
Für die nach § 17a Abs. 4 Abs. 3 GVG statthafte Rechtswegbeschwerde gelten im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit die §§ 567 ff. ZPO entsprechend (vgl. OLG Köln, FGPrax 2020, 246f [OLG Köln 07.08.2020 - 2 Wx 178/20], Rn. 6 (juris); Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 1 Rn. 63; Zöller/Lückemann, § 17 a GVG Rn. 15). Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist form- und fristgerecht bei dem zuständigen Oberlandesgericht eingelegt worden. Für die Entscheidung über das Rechtsmittel ist gemäß § 568 ZPO grundsätzlich der Einzelrichter des Senats berufen. Dieser überträgt das Verfahren dem Senat in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung, weil die Sache besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art aufweist (§ 568 Satz 2 Nr. 1 ZPO).
II.
In der Sache hat die sofortige Beschwerde hingegen keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat zu Recht erkannt, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht eröffnet und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Osnabrück begründet ist.
Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 1, 1. Hs. VwGO. Seit dem 21.8.2019 existiert mit § 58 Abs. 6 - 10 AufenthG eine spezialgesetzliche Regelung für Durchsuchungen, die zur Durchführung einer Abschiebung erfolgen. Eine derartige Durchsuchung ist auch hier beantragt.
Es handelt sich dabei um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art (vgl. auch VG Braunschweig, Beschl. v. 22.01.2021 - 5 E 21/21 (juris); OLG Köln, aaO.). Diese ist nicht i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. VwGO durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen. Eine abdrängende Sonderzuweisung besteht insbesondere nicht in § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i. V. m. mit den Vorschriften in Buch 7. des FamFG, weil eine Durchsuchungsanordnung keine Freiheitsentziehung im Sinne dieser Vorschrift zur Folge hat (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 10.03.2021 - 13 OB 102/21, Rn. 6 (juris); VG Braunschweig, aaO., Rn. 4, m.w.Nachw.).
Auch enthält § 58 Abs. 10 AufenthG keine abdrängende Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO. Nach § 58 Abs. 10 AufenthG bleiben weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG betreffen, unberührt. Die Vorschrift des § 58 Abs. 10 AufenthG weist Anträge nach § 58 Abs. 8 AufenthG damit nicht ausdrücklich einer anderen Gerichtsbarkeit zu (vgl. OVG Lüneburg, aaO., Rn 7), sondern nimmt lediglich allgemein Bezug auf Regelungen der Länder zu Durchsuchungen.
Eine abdrängende Sonderzuweisung ergibt sich auch nicht aus § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach öffentliche öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden können. Um eine Streitigkeit nach Landesrecht handelt es sich bei einer Durchsuchung nach der bundesrechtlichen Bestimmung des § 58 Abs. 6 AufenthG nicht (vgl. OVG Lüneburg, aaO., Rn. 8; OLG Köln, aaO., Rn. 9).
Nach Auffassung des Senats hat der Bundesgesetzgeber - entgegen der Ansicht des OVG Lüneburg (aaO., Rn. 9ff) - durch § 58 Abs. 10 AufenthG auch keine neben § 40 Abs. 1 VwGO gleichrangige eigenständige Zuständigkeitsregelung geschaffen, mit der im Sinne einer Öffnungsklausel den Ländern ermöglicht wird, bereits bestehende Rechtswegregelungen für Wohnungsdurchsuchungen auf die Durchsuchung nach § 58 Abs. 6 AufenthG zu erstrecken oder hierfür neue landesrechtliche Rechtswegzuweisungen zu schaffen.
In § 58 Abs. 10 AufenthaltG ist festgelegt, dass weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, unberührt bleiben. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/10706, S. 14) heißt es dazu:
"Durch den Satz "Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt" wird geregelt, dass durch die Absätze 5 bis 9 bundeseinheitlich ein Mindestmaß für Betretensrechte bei Abschiebungen vorgegeben wird. Bestehende Regelungen der Länder, die weitergehende Befugnisse geben, gelten fort, ohne dass hierzu ein Rechtsakt der Länder notwendig wäre."
Anders als das OVG Lüneburg versteht der Senat die Regelung des § 58 Abs. 10 AufenthG nach ihrem Wortlaut und der erläuternden Gesetzesbegründung so, dass die Vorschriften in § 58 Abs. 5 bis 9 AufenthG nur das bundeseinheitlich geltende - materiellrechtliche - Mindestmaß für Betretensrechte vorgeben und dementsprechend weitergehende, (materiellrechtliche) Eingriffsbefugnisse in landesrechtlichen Regelungen unberührt bleiben sollen (vgl. auch VG Braunschweig, aaO., Rn. 7ff. m.w.Nachw.). Hierfür spricht neben dem Wortlaut, namentlich der Bezugnahme auf einen "Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9", zu dem der bereits durch Art. 13 Abs: 2 GG vorgegebene Richtervorbehalt in § 58 Abs. 8 AufenthG letztlich nicht gehören dürfte, vor allem die Gesetzesbegründung, wonach sich der in § 58 Abs. 10 AufenthG benannte "Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9" ausdrücklich auf das dort beschriebene "Mindestmaß für Betretensrechte", also die materiellrechtlichen Anforderungen einer Durchsuchung, bezieht und nur insoweit landesrechtliche Regelungen, die (materiell-rechtlich) "weitergehende Befugnisse geben" fortgelten sollen. Derartige weitergehende Befugnisse in Bezug auf die Betretensrechte werden in den allgemeinen landesrechtlichen Vorschriften zur Wohnungsdurchsuchung (§§ 24, 25 NPOG) in Niedersachsen nicht begründet. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Durchsuchungen gem. § 25 Abs.1 S. 2 NPOG wird von § 58 Abs. 10 AufenthG weder erfasst noch mittels des § 24 NPOG "aktiviert".
Dass der Gesetzgeber mit den in § 58 Abs. 10 AufenthG benannten "weitergehenden Regelungen der Länder" darüber hinaus auch landesrechtliche Bestimmungen zum zuständigen Gerichts(zweig) oder zum anzuwendenden gerichtlichen Verfahren gemeint hat und damit eine von der bereits existierenden Bundesnorm (§ 40 Abs. 1 VwGO) abweichende landesrechtliche Rechtswegzuweisung fortgelten können sollte, vermag der Senat nach alledem der Regelung in § 58 Abs. 10 AufenthG nicht zu entnehmen (ebenso: OLG Köln, aaO. Rn. 14, m.w.Nachw., VG Braunschweig, aaO., Rn. 7). Dies gilt insbesondere mit Blick auf die (vom OVG Lüneburg für seine gegenteilige Ansicht herangezogene) Regelung in § 56a Abs. 9 AufenthG, in der für die richterliche Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung (von Ausländern) explizit die Zuständigkeit des Amtsgerichts begründet und für das Verfahren die Geltung des FamFG festgeschrieben wird. Das Fehlen einer entsprechenden Regelung für die Durchsuchungsanordnung nach § 58 Abs. 8 AufenthG spricht dafür, dass hier keine von § 40 Abs. 1 VwGO abweichende Rechtswegzuweisung beabsichtigt ist. Eine Fortgeltung landesrechtlicher Rechtswegbestimmungen, die - wie die §§ 24, 25 Abs. 1 NPOG - Bestandteil landesrechtlicher Normen sind, die keine über § 58 Abs. 5 ff. AufenthG hinausgehenden Eingriffsbefugnisse vorsehen, ist daher weder der bundesrechtlichen Neuregelung des Abschiebungsrechts einschließlich der zugrunde liegenden Begründung zu entnehmen, noch ist sie erforderlich (vgl. OLG Köln, aaO., Rn. 14). Mit § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthält das Bundesrecht eine allgemeine Rechtswegbestimmung für Streitigkeiten öffentlich-rechtlicher Natur, weshalb es einer speziellen Rechtswegregelung innerhalb des Abschiebungsrechts nicht bedurfte. Mangels Spezialzuweisung zu den ordentlichen Gerichten sind deshalb die Verwaltungsgerichte für Durchsuchungsanordnungen zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung zuständig (so auch Bergmann/Dienelt/Dollinger, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 58 AufenthG Rn. 40; Huber/Mantel (Gordzielik), AufenthG, 3. Aufl., § 58, Rn. 36; Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 40 Rn. 55) und die weitere im angefochtenen Beschluss zitierte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung). Diese Zuständigkeit ist für Niedersachsen als abschließend anzusehen. Es verbleibt folglich bei der Vorschrift des § 3 Abs. 1 S. 2 NPOG, wonach Vorschriften des Bundesrechts, in denen die Gefahrenabwehr oder andere Aufgaben besonders geregelt werden, dem NPOG vorgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 17 a Abs. 4 S. 3 GVG.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof war nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 und 5 GVG zuzulassen, da der Senat von der Entscheidung des OVG Lüneburg (Beschl. v. 10.03.2021, Az. 13 OB 102/21) abweicht und die Rechtsfrage der gerichtlichen Zuständigkeit für Durchsuchungsanordnungen zur Durchführung einer Abschiebung grundsätzliche Bedeutung hat.