Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 17.05.2006, Az.: 11 A 2380/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
17.05.2006
Aktenzeichen
11 A 2380/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44744
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2006:0517.11A2380.05.0A

Fundstelle

  • ZAR 2006, 24

In der Verwaltungsrechtssache

Streitgegenstand:Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen

hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 11. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Blaseio, die Richter am Verwaltungsgericht Boumann und Keiser sowie die ehrenamtlichen Richter Mienits und Müller

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2005 wird aufgehoben.

    Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen zu erteilen.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die am 25. Juni 1980 geborene Klägerin zu 1) stammt aus dem Kosovo und ist nach eigenen Angaben Volkszugehörige der Ashkali.

2

Sie reiste am 25. März 1990 zusammen mit ihren Eltern und fünf Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie beantragte erfolglos ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Seither wird sie von der Beklagten geduldet.

3

Ihre Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vom 17. Dezember 1996 und vom 31. Oktober 2000 lehnte die Beklagte mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom 18. Februar 1998 und vom 3. April 2001 ab.

4

Der am 17. April 1982 in Belgrad geborene Kläger zu 2) ist serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger und gehört nach eigenen Angaben der Minderheitengruppe der Roma an.

5

Er reiste am 31. Oktober 1993 zusammen mit seinen Eltern und vier Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen am 8. November 1993 gestellten Asylantrag hat das Bundesamt mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 16. November 1993 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Er wird seitdem von der Beklagten geduldet.

6

Die Klägerin zu 3) ist die am 27. Januar 2003 in D. geborene gemeinsame Tochter der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2). Sie ist aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 25. Juni 2004, mit welchem ihr die Abschiebung angedroht wurde, vollziehbar ausreisepflichtig.

7

Am 22. Februar 2005 beantragten die Kläger die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen an: Wegen des Abschie- bestopps sei ihre Rückführung nicht möglich. Die freiwillige Ausreise sei ihnen unzumutbar.

8

Wegen der allgemeinen Gefahrenlage im Kosovo sei ihre Rückführung aus humanitären Gründen verboten. In das übrige Serbien-Montenegro könnten Sie mangels aktueller Papiere nicht hinein. Sie seien hier gut integriert. Kettenduldungen seien rechtswidrig.

9

Mit Bescheid vom 4. Mai 2005, zugestellt am 9. Mai 2005, lehnte die Beklage den Antrag ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setze die Erfüllung der Visum- und Passpflicht voraus; von letzterer könne auch nicht abgesehen werden. Der Lebensunterhalt der Kläger sei nicht gesichert. Rückführungen in den Kosovo würden in absehbarer Zeit möglich sein; Ashkali und Ägypter könnten bereits jetzt wieder abgeschoben werden. Einer freiwilligen Rückkehr stünden keine Hindernisse entgegen. Auf die subjektive Zumutbarkeit komme es nicht an.

10

Am 9. Juni 2005 haben die Kläger Klage erhoben.

11

Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger zu 2) besitze inzwischen einen neuen Pass von Serbien - Montenegro. Die Klägerin zu 1) habe am 10. April 2006 einen Pass beantragt. Auch für die Klägerin zu 3) lasse sich problemlos ein Pass beschaffen. Auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise komme es nicht an. Die Ausreise müsse auch zumutbar sein. Die Lage im Kosovo sei gefährlich. Ein aus Deutschland dorthin zurückgekehrter Ashkali sei bereits erschossen worden. Den Klägern sei die Ausreise nicht zumutbar. Sei seien hier integriert. Die Kläger zu 1) und 2) hätten erfolgreich Ausbildungen abgeschlossen. Die Klägerin zu 1) habe eine Arbeitserlaubnis für eine Teilzeittätigkeit. Sie sei wieder schwanger und bekomme voraussichtlich im August 2006 ein weiteres Kind. Wegen vorzeitiger Wehen habe sie sich im März in stationärer Behandlung befunden. Der Kläger zu 2) habe keine Arbeitserlaubnis, könne aber sofort eine Beschäftigung in seinem Ausbildungsbetrieb bekommen. Auch ein Betrieb in Bremen wolle ihn als Distributionsarbeiter einstellen. Er sei in psychischer Weise erheblich belastet und deshalb in psychologischer/psychotherapeutischer Behandlung und auf regelmäßige Tabletteneinnahme angewiesen. Sie sprächen perfekt deutsch; albanisch sei ihnen nur als Umgangssprache mit den Eltern bekannt. Eine erzwungene Ausreise wäre eine Verbannung in die Fremde. Die Mutter und Geschwister der Klägerin zu 1) hätten ebenso wie die Eltern und drei Geschwister des Klägers zu 2) Aufenthaltserlaubnisse. Die Klägerin zu 1) dürfe weder von Eltern und Geschwistern noch vom Kindsvater und dem Kind getrennt werden.

12

Die Kläger verweisen schließlich auf verschiedene Gerichtsentscheidungen (VG Braun- schweig, Urteil vom 29. Juni 2005 - 6 A 171/05 -; VG Stuttgart, Urteile vom 11. Oktober 2005 - 11 K 5363/03 - und vom 22. November - 12 K 2469/04 -; VG Darmstadt, Urteil vom 22. November 2005 - 4 E 2800/03 -, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - 8 G 2120/05 -; VG Köln, Urteile vom 8. Februar 2006 - 23 K 4033/03 - und - 23 K 6011/03 -). Sie haben zudem ärztliche Atteste von Dr. med. W. vom 31. März und 10. Mai 2006 vorgelegt und einen Kurzbericht des Klinikums D. eingereicht.

13

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen zu erteilen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den angefochtenen Bescheid und verweist auf die Rechtsprechung der erkennenden Kammer (Beschluss vom 28. Juni 2005 - 11 B 2413/05 -; Urteil vom 14. September 2005 - 11 A 3311/03 -). Der Mutter der Klägerin zu 1) sei eine Aufenthaltserlaubnis wegen bestehender Reiseunfähigkeit erteilt worden; die minderjährigen Geschwister teilten das rechtliche Schicksal der Schwester. Eine volljährige Schwester der Klägerin zu 1) habe eine Aufenthaltserlaubnis zur Beendigung der Berufsausbildung erhalten.

16

Einer weiteren volljährigen Schwester sei eine Aufenthaltserlaubnis wegen der Pflege der Mutter und Sorge für die minderjährigen Geschwister erteilt worden und besitze deshalb eine Niederlassungserlaubnis.

17

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen gem. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

19

Die Kläger, die gem. §§ 42 Abs.1, Abs. 2 Nr. 1 AuslG bzw. 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig sind, erfüllen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Ihre Ausreise ist nämlich aus rechtlichen Gründen unmöglich. Denn mit Rücksicht auf ihren langen Aufenthalt und die damit verbundene Integration der Kläger folgt aus Art. 8 EMRK ein rechtliches Ausreisehindernis.

20

Nach Abs. 1 der genannten Vorschrift wird u.a. das Privatleben geschützt. Abs. 2 ermöglicht aber Eingriffe u.a. dann, wenn dies gesetzlich vorgesehen und für die öffentliche Ordnung notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.

21

Grundsätzlich ist es hierbei das Recht der Vertragsstaaten über den Aufenthalt fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Die Regelungen des AufenthG begründen hiernach zulässige Schranken des Aufenthaltsbestimmungsrechts eines Ausländers. Sie dienen u.a. der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Nach § 4 AufenthG ist es deshalb grundsätzlich erforderlich, einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Dabei ist in den Bestimmungen des AufenthG im Einzelnen geregelt, unter welchen Voraussetzungen diese erteilt werden können. Dem steht es grundsätzlich entgegen, allein durch den faktischen Aufenthalt mit der hiermit häufig verbundenen Integration in die deutschen Lebensverhältnisse ein Bleiberecht zu begründen.

22

Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens lässt sich angesichts dieser Regelungskompetenz der Vertragsstaaten mithin nicht schon allein mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit geraumer Zeit im Vertragsstaat auf und wolle dort sein Leben führen (EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - [Dragan u.a. ./. Deutschland], NVwZ 2005, 10431045; Urteil vom 16. September 2004 - 11103/03 - [Ghiban./. Deutschland], NVwZ 2005, 1046). Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich vielmehr nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, bei realistischer Betrachtung nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann, also faktisch zum Inländer geworden ist. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur Reintegration in seinem Heimatland ab (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. April 2006 - 10 ME 58/06 -; Beschluss vom 18. April 2006 - 1 PA 64/06 -; OVG Koblenz, Beschluss vom 24. Februar 2006 - 7 B 10020/06.OVG -, VGH Kassel, Beschluss vom 15. Februar 2006 - 7 TG 106/06 - InfAuslR 2006, 217218).

23

Nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.; s. auch VGH Kassel a.a.O.; wohl auch VGH Mannheim, Beschluss vom 2. November 2005 - 1 S 3023/04 - InfAuslR 2006, 7071), der die Kammer folgt, kann unter Berücksichtigung der oben zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und den obigen grundsätzlichen Ausführungen allerdings von einer erfolgreichen Integration des Ausländers in aller Regel nicht ausgegangen werden, wenn er sich in der Zeit vor der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Sein Status ist dann so ungesichert, dass er nicht schutzwürdig darauf Vertrauen kann, in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu dürfen. Eine andere Betrachtung würde im gewaltengeteilten Staat (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) auch die den Ausländerbehörden bzw. den Verwaltungsgerichten zugewiesenen Kompetenzen, die im Vollzug und der Auslegung von Rechtsvorschriften bestehen, überschreiten. Es würde ohne - die von Art. 8 EMRK grds. respektierte - gesetzgeberische Erklärung oder politische Entscheidung der obersten Landesbehörden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern (§ 23 AufenthG) der Verbleib größerer Personengruppen, die die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erfüllen, ermöglicht.

24

Dass es solcher politischer Entscheidungen bedarf, zeigt zudem der Umstand, dass diese Stellen durch hinreichend eindeutige Kriterien bestimmen müssten, welche der betroffenen Ausländer ein Aufenthaltsrecht erhalten.

25

Etwas anderes kann deshalb nur in besonderen atypischen Konstellationen gelten, wenn sich auf Grund der Umstände des Einzelfalles ganz ausnahmsweise ergibt, dass der Ausländer trotzdem faktisch zum Inländer geworden ist und deshalb jede andere Entscheidung als die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verständlich wäre. Anderenfalls würde auch ein nicht hinzunehmender Wertungswiderspruch zu der Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG eintreten, wonach selbst die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis außerhalb der gesetzlichen Vorgaben nur in Sonderkonstellationen zulässig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 14/00 - InfAuslR 2001, 7274).

26

Bei der Prüfung, ob ein atypischer Sonderfall vorliegt sind im Anschluss an die Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.; vgl. auch OVG Koblenz a.a.O. und VGH Kassel a.a.O.) vor allem folgende Kriterien zu berücksichtigen, die grundsätzlich sämtlich für einen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland sprechen müssen: Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Die Frage einer möglichen Reintegration im Heimatland bemisst sich nach Kriterien wie der Kenntnis der dortigen Sprache, der Existenz dort lebender Angehöriger sowie sonstiger Bindungen an das Heimatland.

27

Ein atypischer Sonderfall kommt dabei eher in Fällen in Betracht, in denen der Aufenthalt des Ausländers in der Vergangenheit zumindest zeitweise rechtmäßig gewesen ist (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juni 2005 - 60654/00 [Sisojeva./.Lettland], InfAuslR 2005, 349).

28

Dann können - je nach Dauer und Zweck des erlaubten Aufenthalts - an die zu Gunsten des Ausländers sprechenden o.g. Gesichtspunkte in gewissem Umfang geringere Anforderungen gestellt werden, müssen aber auch dann noch ganz erheblich überwiegen.

29

In Anwendung dieser Maßstäbe ist nach Ansicht der Kammer im vorliegenden Fall von einer besonders atypischen Sondersituation auszugehen. Die Kläger haben zwar zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel besessen und beziehen derzeit auch Leistungen nach dem AsylbLG. Jedoch haben die Kläger zu 1) und 2), die seit 16 bzw. fast 13 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland leben, nach ihrem Schulabschluss jeweils eine Berufsausbildung erfolgreich absolviert.

30

Die Klägerin zu 1) ist Friseurin und der Kläger zu 2) Maler und Lackierer. Durch ihre Ausbildungen haben sie auch den Realschulabschluss erreicht. Die Klägerin zu 1) hat auch etwa zwei bis drei Jahre lang in Vollzeit als Friseurin in D. und Bremen gearbeitet. Es ist daher davon auszugehen, dass den Klägern eine wirtschaftliche Integration bereits weitgehend gelungen war. Die Klägerin zu 1) musste ihre Arbeit aufgeben, weil sie schwanger war. Nach der Geburt der Klägerin zu 3) hat sie noch ca. 1 ? Jahre lang sechs Stunden in der Woche gearbeitet.

31

Eine höhere Stundenzahl war nach ihren Angaben, die die Beklagte nicht in Frage gestellt und an denen auch die Kammer keine Zweifel hat, allein aus betrieblichen Gründen nicht möglich. Derzeit arbeit die Klägerin zu 1) wegen der bestehenden Risikoschwangerschaft - sie befindet sich in der 27. Schwangerschaftswoche - nicht. Die Bemühungen des Klägers zu 2) um Arbeit sind erfolglos geblieben, weil er keine Arbeitserlaubnis besitzt. Er hat jedoch vorgetragen, dass er die ihm angebotene Stelle beim Gesamthafenbetriebsverein in Bremen auch jetzt noch bekommen würde, wenn er eine - bisher abgelehnte - Arbeitserlaubnis besäße. Die Kammer hat keine durchgreifenden Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung. Beide Kläger beherrschen - wie die mündliche Verhandlung ergeben hat - die deutsche Sprache gut. Sie sprechen zwar auch umgangssprachlich albanisch. Von einer Bindung an ihr Heimatland kann jedoch nicht ausgegangen werden, zumal auch fast alle Familienangehörigen der Kläger über Aufenthaltsrechte in Deutschland verfügen. Die Mutter der Klägerin zu 1) ist dauerhaft reiseunfähig und besitzt ebenso wie die beiden minderjährigen Geschwister eine Aufenthaltserlaubnis.

32

Auch die volljährigen Geschwister A. und A. haben Aufenthaltserlaubnisse. Ihre Schwester A. besitzt eine Niederlassungserlaubnis. Sofern die Schwester A. erwartungsgemäß nach Beendigung ihrer Ausbildung am 1. August 2006 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis steht, wird auch sie eine Niederlassungserlaubnis erhalten (vgl. die im Verfahren 11 A 1792/06 erteilte Zustimmung der Beklagten). Auch die Eltern und vier Geschwister des Klägers zu 2) verfügen über Aufenthaltstitel. Nach Abwägung aller Umstände wäre ein Eingriff in das Recht aus Art. 8 EMRK, d.h. die Verweigerung der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen gem. Abs. 2 der Norm nicht verhältnismäßig.

33

Aufgrund des Schutzes der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) kommt auch eine Trennung der dreijährigen Klägerin zu 3) von ihren Eltern nicht in Betracht; sie teilt deren aufenthaltsrechtliches Schicksal.

34

Sofern es im Hinblick auf möglicherweise fehlende Pässe, die Einreise ohne Visum oder die vollständige Sicherung des Lebensunterhalts an der Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG fehlen sollte, hätte die Beklagte hiervon gem. § 5 Abs. 3 2. Halbsatz AufenthG abzusehen. Weil es sich bei den Klägern um sogenannte faktische Inländer handelt, wäre ihnen die (nachträgliche) Erfüllung dieser Voraussetzungen unzumutbar, so dass insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen wäre (vgl. auch Nr. 5.3.3, 25.5.2.5 der Vorl.Nds.VV-AufenthG).

35

Sind - wie hier - die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift erfüllt, soll gem. § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Letzteres ist hier der Fall, da die Kläger bereits seit Dezember 1992 bzw. Oktober 1994 bzw. Juni 2004 von der Beklagten geduldet werden und diese Zeiten vor Inkrafttreten des AufenthG am 1. Januar 2005 gem. § 102 Abs. 1 AufenthG auch anzurechnen sind. Das Ermessen der Beklagten ist daher regelmäßig - so auch hier - dahin auszu- üben, dass die Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (vgl. dazu Nr. 25.5.2.5 der Vorl.Nds.VVAufenthG).

36

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124 a Abs. 1 Satz 1, 154 Abs. 1, 167 VwGO, 709 ZPO. Die Sache hat im Hinblick auf die Anwendung des Art. 8 EMRK bei langjährig geduldeten Ausländern grundsätzliche Bedeutung.