Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 26.08.2009, Az.: 5 B 84/09
Abschiebestopp; Abschiebestopperlass; Abschiebung; Ausländer; Ausweisung; Duldung; Erlass; inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis; Irak; Kurdenprovinz; nichtkurdische Provinz; Rückführung; Straftäter; Tamim
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 26.08.2009
- Aktenzeichen
- 5 B 84/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50660
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60a Abs 2 S 1 AufenthG 2004
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein nach § 60a Abs. 2 AufenthG beachtliches inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis lässt sich nicht aus dem Erlass des Nds. MI vom 29.03.2007 - 42.15-12231/3-6 IRQ - über die Aussetzung von Rückführungen in den Irak herleiten, wenn im konkreten Einzelfall der betroffene Ausländer trotz Vorliegens der im Erlass zitierten Voraussetzungen tatsächlich in eine nicht kurdische Provinz des Irak zurückgeführt werden kann.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und eigenen Angaben zufolge von kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er ist am 01.07.1970 in Kirkuk (Nordirak) geboren und hat dort gelebt. Er reiste - wiederum nach eigenen Angaben - 1996 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.09.1996 wurde sein Asylantrag abgelehnt, jedoch festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Diese Feststellung widerrief das Bundesamt mit Bescheid vom 17.11.2004. Zugleich wurde festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wies die Kammer - Einzelrichter - durch Urteil vom 14.02.2005 - 5 A 693/04 - rechtskräftig ab.
Im Hinblick auf die zuvor festgestellten Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG wurden dem Antragsteller durch die zuständigen Ausländerbehörden fortlaufend Aufenthaltsbefugnisse erteilt, die mit dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 gemäß § 101 Abs. 2 AufenthG als Aufenthaltserlaubnis, zuletzt gültig bis zum 05.01.2006, fortgalten. Am 19.12.2005 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Ihm wurde an diesem Tage eine Fiktionsbescheinigung, gültig bis zum 18.05.2006 und später verlängert bis zum 18.11.2006, erteilt. Der Antragsteller lebte zu diesem Zeitpunkt mit seiner Lebensgefährtin, mit der er nach islamischem Ritus verheiratet ist, und seinen vier in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 2001, 2003, 2005 und 2007 geborenen Kindern bis zu seiner Festnahme aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters am BGH vom 28.09.2006 am 10.10.2006 zusammen. Die Familie war ununterbrochen zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen.
Mit Anklageschrift vom 12.06.2007 klagte der Generalbundesanwalt den Antragsteller an, in 28 rechtlich selbständigen Fällen für eine terroristische Vereinigung im Ausland, deren Zweck und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit zu begehen, um Mitglieder oder Unterstützer geworben zu haben, indem er über das Internet zur Rekrutierung von Mitgliedern oder Unterstützer der Al-Qaeda und der Al-Qaeda im Zweistromland Audio- und Videobotschaften bekannter Rädelsführer terroristischer Vereinigungen verbreitete. Das Oberlandesgericht Celle verhängte daraufhin gegen den Antragsteller mit Urteil vom 19.06.2008 - 2 StE 5/07-4 - wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer ausländischer terroristischer Vereinigungen in 22 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Zu den Strafzumessungsgründen führt das Oberlandesgericht unter anderem aus, der Antragsteller besitze eine verblendete extremistische Einstellung, die er auch in seinem Schlusswort noch einmal offenbart habe. Er habe sich als uneinsichtiger, fanatischer Kämpfer für eine Andersgläubige missachtende Ideologie dargestellt, der sein Handeln aufgrund eines angeblich den Islam bekämpfenden und zu versklaven suchenden Kreuzzuges der westlichen Mächte zu rechtfertigen versuche. Die hiergegen eingelegte Revision des Antragstellers hat der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 25.11.2008 - 3 StR 444/08 - als unbegründet verworfen. Der Antragsteller hat gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs und das Urteil des Oberlandesgerichts Celle mit Schriftsatz vom 02.01.2009 Verfassungsbeschwerde erhoben, über die - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden ist.
Nach Anhörung wies der Antragsgegner den Antragsteller durch Bescheid vom 08.10.2008, zugestellt am 17.10.2008, unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete die sofortige Vollziehung dieser Ausweisung an, lehnte den Antrag des Antragstellers vom 19.12.2005 auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab, drohte die Abschiebung des Antragstellers in den Irak (Nordirak) oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat im Anschluss an die zu verbüßende Strafhaft an und ordnete für den Fall der Freilassung aus der Haft Überwachungsmaßnahmen an. Zur Begründung verwies der Antragsgegner unter Zugrundelegung der Feststellungen des Urteils des Oberlandesgerichts Celle vom 19.06.2008 darauf, dass der Antragsteller in 22 Fällen wegen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer ausländischer terroristischer Vereinigungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden sei. Er habe dadurch die Tatbestände des § 54 Nr. 5 bzw. § 54 Nr. 5 a AufenthG verwirklicht. Auf einen besonderen Ausweisungsschutz gem. § 56 Abs. 1 AufenthG könne er sich nicht berufen. Die beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers sei auch nicht im Hinblick auf Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Eine wirtschaftliche Integration des Antragstellers habe nicht stattgefunden. Bis zu seiner Verhaftung im Oktober 2006 sei er keiner geregelten Arbeit nachgegangen und sei zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen gewesen. Eine Verwurzelung in die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung sei trotz des langjährigen Aufenthaltes nicht eingetreten. Vielmehr lehne der Antragsteller alle Gesetze ab, die nicht auf der Offenbarung Allahs beruhten. Mithin sei davon auszugehen, dass er die hiesige Rechts- und Gesellschaftsordnung aus tiefster Überzeugung ablehne. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht im Hinblick auf Art. 6 GG bzw. Art. 8 Abs. 1 EMRK. Es sei dem Antragsteller zuzumuten, die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin, die alle die irakische Staatsangehörigkeit besäßen, im Heimatland zu führen. Aber selbst wenn die Lebensplanung der Lebensgefährtin und der Kinder darauf gerichtet sein sollte, in der Bundesrepublik Deutschland zu verbleiben, sei die Ausweisung des Antragstellers im Hinblick auf die Schwere des von ihm gezeigten Verhaltens gerechtfertigt. Auf das von ihm geltend gemachte Recht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG könne sich der Antragsteller bereits deshalb nicht berufen, weil dieses Recht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise durch das von ihm verletzte Strafgesetz (§ 129 b Abs. 1 i.V.m. § 129 a Abs. 5 Satz 2, 53 StGB) eingeschränkt sei. Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG abzulehnen. Der zunächst gewährte Abschiebungsschutz sei bestandskräftig widerrufen worden. Auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, weil dem Antragsteller eine freiwillige Ausreise und Rückkehr in den Irak im Anschluss an seine Haft möglich sei.
Mit seiner am 17.11.2008 erhobenen, unter dem Aktenzeichen 5 A 310/08 bei der Kammer weiterhin anhängigen Klage begehrt der Antragsteller die Aufhebung des Bescheides vom 08.10.2008 und die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. die bisherige zu verlängern. Zur Begründung verwies er zunächst auf das - seinerzeit - beim Bundesgerichtshof anhängige Revisionsverfahren, später auf die gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofes und des OLG Celle eingelegte Verfassungsbeschwerde und deren Begründung. Den vom Antragsteller mit Klageerhebung gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat die Kammer mit Beschluss vom 29.01.2009 - 5 A 310/08 - mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die hiergegen vom Antragsteller erhobene Beschwerde wies das Nds. OVG mit Beschluss vom 08.07.2009 - 13 PA 32/09 - als unbegründet zurück.
Nachdem der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof mit Bescheid vom 06.08.2009 einem Absehen von der weiteren Strafvollstreckung gem. § 456a StPO mit Wirkung frühestens zum 20.08.2009 und unter der Bedingung der sofortigen Abschiebung des Antragstellers in den Irak aus der Strafhaft heraus zugestimmt hatte, hat der Antragsteller am 19.08.2009 bei der Kammer die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner anhängigen Klage beantragt. Zur Begründung verweist er auf das bisherige Vorbringen im Hauptsacheverfahren und ergänzt, seiner Abschiebung stünde der Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres und Sport vom 29.03.2007 entgegen, der im Lichte der Entscheidung des BVerwG vom 24.06.2008 auszulegen sei. Seine Rückführung in seine Geburtsstadt Kirkuk, in der er auch aufgewachsen sei, sei danach nicht möglich. Die Voraussetzungen des Erlasses für eine Rückführung in den Nordirak seien in seiner Person nicht gegeben, sodass ein inländisches Vollstreckungshindernis bestehe. Es bestehe kein öffentliches Interesse am Sofortvollzug einer Ausweisung, wenn feststehe, dass ihre tatsächliche Umsetzung durch Aufenthaltsbeendigung nicht möglich sei. Mit weiterem Schriftsatz vom heutigen Tage rügt er das Nichtvorliegen der im Erlass des Nds. Innenministeriums vom 21.08.2009 erwähnten Zusicherungen der kurdischen Behörden. Es bleibe unklar, wie sich die Reise vom Nordirak in seine Heimat Kirkuk gestalten solle. Die Angaben des Iraq Body Count stützten die Einschätzung des Antragsgegners zur mangelnden Intensität eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes nicht. Einstweiliger Rechtsschutz sei im Wege der Folgenabwägung im vorliegenden Verfahren auch bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen zu gewähren.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner mit Schriftsatz vom 17.11.2008 erhobenen Klage hinsichtlich der mit angefochtenem Bescheid des Antragsgegners vom 08.10.2008 verfügten Ausweisung wiederherzustellen und im Übrigen anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, sein Vorbringen im anhängigen Hauptsacheverfahren sowie die Gründe der Beschlüsse der Kammer und des Nds. OVG im Prozesskostenhilfeverfahren. Ergänzend hierzu nimmt er Bezug auf den Erlass des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration (Nds. MI) vom 21.08.2009, wonach beabsichtigt sei, den Antragsteller auf dem Luftweg nach Erbil in den Nordirak zu befördern. Aufgrund diplomatischer Absprachen mit den Behörden der autonomen Region Kurdistans habe das Bundesinnenministerium die Zusicherung erhalten, dass der Antragsteller in den Nordirak einreisen könne. Die kurdischen Behörden würden den Antragsteller an die Grenze des Zentralirak begleiten, sodass dieser von dort aus in seine Heimat Kirkuk (Provinz Tamim), in der u.a. seine Eltern und einige Geschwister lebten, weiter reisen könne. Es handele sich bei dieser Maßnahme um eine auf diplomatischem Weg vorbereitete Rückführung, die nur diesen Einzelfall betreffe. Der Erlass des Nds. MI vom 29.03.2007 stehe einer Rückführung deshalb nicht entgegen; die kurdischen Behörden hätten der Rückführung des Antragstellers ausdrücklich zugestimmt. Schließlich bestehe auch kein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. In der Provinz Tamim bestehe nach Angaben des Iraq Body Count kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt; das erforderliche Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit der bewaffneten Auseinandersetzungen werde dort nicht erreicht.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltenden Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn bei der vom Gericht vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen, vom Vollzug der behördlichen Verfügung vorerst verschont zu bleiben, das letztgenannte überwiegt. Maßgeblich - aber nicht ausschließlich - ist hierbei auf die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs abzustellen, soweit diese sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung überschauen lassen. Erweist sich hiernach der angefochtene Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig, ist dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben, denn am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig und seine Vollziehung eilbedürftig ist. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kommt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 08.10.2008 verfügte Ausweisung nicht in Betracht. Die Ausweisung ist bei summarischer Prüfung offensichtlich rechtmäßig. Zur Begründung nimmt die Kammer Bezug auf die Ausführungen in ihrem Beschluss vom 29.01.2009 - 5 A 310/08 - und die das Beschwerdevorbringen des Antragstellers berücksichtigenden Gründe des Beschlusses des Nds. OVG vom 08.07.2009 - 13 PA 32/09 -. Hierbei verbleibt es auch nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, § 70 Abs. 1 NdsVwVG, § 64 Abs. 4 Satz 1 NdsSOG keine aufschiebende Wirkung entfaltenden Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung anordnen, wenn bei der vom Gericht vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen, vom Vollzug der behördlichen Verfügung vorerst verschont zu bleiben, das letztgenannte überwiegt. Maßgeblich - aber nicht ausschließlich - ist hierbei auf die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs abzustellen, soweit diese sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung überschauen lassen. Bestehen hiernach - in Anlehnung an den für das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO geltenden Maßstab - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des in der Hauptsache angefochtenen Verwaltungsaktes, ist dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattzugeben, denn am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Rechtmäßigkeit ausgesetzt ist, denn mit seinem Vollzug soll nach der gesetzgeberischen Wertung des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG bzw. § 64 Abs. 4 Satz 1 NdsSOG aufgrund der im Ausländer- bzw. Verwaltungsvollstreckungsrecht gegebenen Eilbedürftigkeit nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zugewartet werden müssen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die mit Bescheid vom 08.10.2008 verfügte Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis und gegen die Abschiebungsandrohung nicht in Betracht, denn beide Entscheidungen begegnen keinen ernstlichen Zweifeln an ihrer Rechtmäßigkeit. Auch diesbezüglich wird auf die Ausführungen der Kammer in ihrem Beschluss vom 29.01.2009 - 5 A 310/08 - und die das Beschwerdevorbringen des Antragstellers berücksichtigenden Gründe des Beschlusses des Nds. OVG vom 08.07.2009 - 13 PA 32/09 - verwiesen. Soweit der Antragsteller das Vorliegen von inlandsbezogenen Vollstreckungshindernissen bzgl. des Nordirak einwendet, berühren diese - ihr Vorliegen zugunsten des Antragstellers hier unterstellt - die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht. Sie können allenfalls einen (temporären) Anspruch auf Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vermitteln (Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 59 AufenthG Rn. 20).
Die Kammer geht zugunsten des Antragstellers davon aus, dass dieser wegen der von ihm geltend gemachten Vollstreckungshindernisse einstweiligen Rechtsschutz auch im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorübergehenden Duldung im Bundesgebiet begehrt.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nacheile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller den Anordnungsanspruch und die Dringlichkeit der Entscheidung (Anordnungsgrund) gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen.
Die Dringlichkeit der begehrten Entscheidung (Anordnungsgrund) hat der Antragsteller aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Abschiebung glaubhaft gemacht.
Er hat jedoch keinen Anspruch auf Unterlassung der Abschiebung und Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht (Anordnungsanspruch). Gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung des Antragstellers ist weder tatsächlich noch rechtlich unmöglich.
Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis folgt nicht aus dem Erlass des Nds. MI vom 29.03.2007 - 42.15-12231/3-6 IRQ -, wonach Rückführungen von ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen, die in Deutschland wegen der Begehung von Straftaten verurteilt wurden und die innere Sicherheit in Deutschland gefährden, nur in die Autonomieregion Kurdistan-Irak (Provinzen Sulaimaniya, Erbil und Dohuk) erfolgen, wenn der betreffende Ausländer dort geboren wurde, vor seiner Ausreise dort gelebt hat und die kurdischen Behörden der Rückübernahme zugestimmt haben; ausreisepflichtige Iraker, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, hingegen weiterhin Duldungen erhalten, weil ihre Abschiebung zur Zeit tatsächlich unmöglich ist. Dieser Erlass trägt lediglich der Tatsache Rechnung, dass Abschiebungen in den Irak in allen anderen Fällen tatsächlich unmöglich sind. Ein rechtliches Abschiebungshindernis in Form eines Anspruchs auf Duldung lässt sich hieraus indes für ausreisepflichtige Ausländer, die abweichend von den im o.g. Erlass zitierten Voraussetzungen im Einzelfall dennoch in den Irak zurückgeführt werden können, nicht herleiten (vgl. zur Rückführung von Ausländern in den Kosovo mit Zustimmung der UNMIK: Nds. OVG, Beschluss vom 24.10.2005 - 8 LA 123/05 -, ZAR 2006, 31). Der Antragsgegner hat unter Vorlage des Erlasses des Nds. MI vom 21.08.2009 - 42.2-12361/4 - dargelegt und glaubhaft gemacht, dass im Falle des Antragstellers abweichend von der im Erlass vom 29.03.2007 vorgesehenen Verfahrensweise die kurdischen Behörden einer Einreise auf dem Luftweg nach Erbil und einem begleiteten Weitertransport des Antragstellers an die Grenze zur Nachbarregion Tamim auf diplomatischem Wege ausdrücklich zugestimmt haben. Am Vorliegen und der Richtigkeit dieser diplomatischen Zusicherungen zu zweifeln hat die Kammer aufgrund des pauschalen Einwands des Antragstellers keine Veranlassung. Unerheblich ist auch, wie sich konkret der Weitertransport des Antragstellers vom Flughafen in Erbil an die Grenze zur Region Tamim vollziehen wird, sofern sich - wie vorliegend - hierdurch keinerlei konkrete Anhaltspunkte auf eine Gefährdung von Leib und Leben des Antragstellers ergeben.
Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Antragsteller zitierten Urteilen des BVerwG vom 24.06.2008 - 10 C 42, 43, 44, 45/07 -, BVerwGE 131, 198. Das BVerwG hat entschieden, dass Abschiebestopp-Erlasse der Länder der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht entgegenstehen, wenn die Voraussetzungen von Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie erfüllt sind. Denn der subsidiäre Schutzstatus nach der Richtlinie führe regelmäßig zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, während die Abschiebestopp- Erlasse nur die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) vorsehen. Es dürfe deshalb auch bei Vorliegen eines Abschiebestopp-Erlasses nicht von der Prüfung abgesehen werden, ob sich allgemeine Gefahren im Herkunftsland im Falle der Kläger zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung verdichtet haben. Eine solche Prüfung hat der Antragsteller indes bis zum heutigen Tage vom hierfür zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht begehrt; insbesondere hat er nach bestandskräftigem Widerruf seiner Asylanerkennung im Jahre 2005 keinen Asylfolgeantrag mit dem Ziel der Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gestellt. Hierfür hatte er - auch aus der Haft heraus - ausreichend Gelegenheit. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.11.2004 das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG im Falle des Antragstellers verneint; diese Entscheidung gilt auch mit Inkrafttreten der Nachfolgevorschrift des § 60 AufenthG in der jetzigen Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes fort. Der Antragsgegner als zuständiger Ausländerbehörde ist an diese Entscheidungen gebunden, § 42 Satz 1 AsylVfG. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bundesamt und der Ausländerbehörde gilt auch für alle Folgeentscheidungen wie z.B. Abänderung, Widerruf und Wiederaufnahme (Nds. OVG, Beschluss vom 08.07.2009 - 13 PA 32/09 - unter Hinweis auf Renner, AuslR, 8. Aufl., § 60 AufenthG Rn. 60).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt die Vorwegnahme der Hauptsache.