Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.12.1993, Az.: 7 L 4707/92
Teilwiderruf; Gaststättenerlaubnis; Lärmschutz; Freifläche; Nachbarbeschwerde
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.12.1993
- Aktenzeichen
- 7 L 4707/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 13655
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1993:1215.7L4707.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 19.02.1992 - AZ: 7 A 153/90
- nachfolgend
- BVerwG - 19.05.1994 - AZ: BVerwG 1 B 104.94
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer - vom 19. Februar 1992 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 200,-- DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen den Teilwiderruf einer Gaststättenerlaubnis. Sie betreibt aufgrund einer ihr am 26. August 1985 erteilten Erlaubnis eine Gaststätte im Erdgeschoß des Hauses ..., .... Diese Erlaubnis erstreckt sich u.a. auf eine 52 qm große Freifläche vor dem Hause. Für diese Fläche wurde in der Erlaubnis die Sperrzeit auf 22.00 Uhr festgelegt. Ferner enthält der Erlaubnisbescheid folgende Auflage:
"Alle Tische, Stühle, Blumenkästen, Sonnenschirme und dergl. sind bei Betriebsschluß von der Freifläche zu entfernen oder mittels Ketten, Seilen o.ä. so zu sichern, daß sie von Unbefugten nicht auf die übrigen Verkehrsflächen gebracht werden können.
Aus Gründen des Lärmschutzes hat das bis 22.15 Uhr zu geschehen.
Musik jeglicher Art (aus Radio, Tonträgern und Musikinstrumenten) darf auf der Freifläche nicht dargeboten werden."
Aufgrund von Nachbarbeschwerden über den von der Gaststätte ausgehenden Lärm überprüfte die Beklagte im Jahre 1989 den Betrieb und stellte dabei fest, daß die Freifläche wiederholt über 22.00 Uhr hinaus - teilweise bis 23.30 Uhr - bewirtschaftet wurde. Daraufhin widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 24. August 1989 die der Klägerin für die Freifläche erteilte Erlaubnis. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Hannover durch Bescheid vom 3. Juli 1990 zurück.
Hierauf hat die Klägerin Klage mit dem Antrag erhoben,
den Bescheid der Beklagten vom 24. August 1989 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 3. Juli 1990 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Durch Urteil vom 19. Februar 1992, auf das zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 22. Juli 1992 zugestellte Urteil am 18. August 1992 Berufung eingelegt. Sie trägt vor: Der Widerruf sei ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig, weil durch die Verstöße gegen die Sperrzeitregelung keine unzumutbaren Lärmbelästigungen für die Nachbarn hervorgerufen worden seien. Die durch die Benutzung der Freifläche verursachten Geräusche lägen unter der schutzmindernd in Rechnung zu stellenden Lärmvorbelastung der Nachbargrundstücke durch die stark befahrene ....
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 24. August 1989 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 3. Juli 1990 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf ihre Schriftsätze, wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im übrigen wird auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Widerspruchsvorgänge der Bezirksregierung Hannover Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid leidet weder an Rechts- noch an Ermessensfehlern.
Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Gaststättengesetzes (GastG) kann die Gaststättenerlaubnis u.a. dann widerrufen werden, wenn der Erlaubnisinhaber inhaltliche Beschränkungen der Erlaubnis nicht beachtet; diese Vorschrift schließt die Befugnis zum Teilwiderruf einer Erlaubnis ein (Michel/Kienzle, § 15 GastG, RdNr. 13). Die Klägerin hat die zeitliche Beschränkung des Betriebes auf der Freifläche nicht beachtet. Für die Erfüllung dieses Tatbestandes kommt es nicht darauf an, ob diese Beschränkung zu Recht festgesetzt worden ist; denn die Festsetzung ist bestandskräftig. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß sie nichtig sein könnte. Unerheblich ist ferner, ob die Bestimmungen des Erlaubnisbescheides über die einzuhaltenden Lärmgrenzwerte wirksam sind. Entscheidend ist, daß jedenfalls die Sperrzeitregelung für die Freifläche hinreichend bestimmt ist. Daß die Klägerin gegen diese Regelung verstoßen hat, belegen die Ergebnisse der wiederholten Kontrollen durch Mitarbeiter der Beklagten und wird von der Klägerin nicht bestritten.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, hat die Beklagte die Grenzen des ihr nach § 15 Abs. 3 GastG eingeräumten Ermessens nicht überschritten. Insbesondere ist der Widerruf mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren. Der Senat sieht gleichfalls kein milderes Mittel, um das mit der Sperrzeitregelung verfolgte Ziel zu erreichen, die Nachbarschaft vor dem von dem Schankbetrieb und den Gästen auf der Freifläche verursachten Lärm zu schützen. Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, daß eine bloße Abmahnung hierfür nicht ausgereicht hätte. Eine solche wäre in Betracht zu ziehen gewesen, wenn anzunehmen wäre, daß sich die Geschäftsführer der Klägerin und die mit der Führung des Gaststättenbetriebes betrauten Personen eine Abmahnung zur Warnung hätten gereichen lassen und künftig die Betriebsbeschränkungen beachtet hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Selbst nach der Anhörung der Klägerin zu dem beabsichtigten Widerruf und sogar nach Erlaß des Widerrufsbescheides sind Verstöße gegen die Sperrzeitregelung festgestellt worden. Dies läßt darauf schließen, daß es den für den Betrieb verantwortlichen Personen, an der Bereitschaft oder der Fähigkeit mangelte, die auferlegten Beschränkungen zu beachten, und daß eine bloße Ermahnung daran nichts geändert hätte. Angesichts dessen brauchte die Beklagte auch nicht in Erwägungen darüber einzutreten, ob eine Vorverlegung der Sperrstunde ausreichend gewesen wäre. Eine solche hätte ausgereicht, wenn die Sperrzeitüberschreitungen ausschließlich darauf zurückzuführen gewesen wären, daß es dem Personal der Gaststätte nicht gelang, die Gäste rechtzeitig zu bewegen, sich von der Freifläche zu entfernen. In diesem Fall hätte eine Vorverlegung der Sperrstunde der Klägerin Gelegenheit gegeben, die Freifläche zu räumen, bevor die Nachbarschaft durch die sich nach Sperrzeitbeginn noch darauf befindenden Gäste erheblich gestört wurde. Das hätte indessen die Bereitschaft der Klägerin vorausgesetzt, im Interesse der Nachbarschaft rechtzeitig mit der Räumung der Freifläche zu beginnen. Diese Bereitschaft konnte man bei ihr jedoch aufgrund des bisherigen Verhaltens ihres Personals nicht voraussetzen.
Der Widerruf ist schließlich nicht deswegen unverhältnismäßig, weil die Gaststätte der Klägerin an einer belebten Straße mit bis in die Abendstunden starkem Kraftfahrzeugverkehr liegt. Ob und inwieweit sich dieser Umstand schutzmindernd für die Nachbarn auswirkt, ist eine Frage der Berechtigung der der Klägerin auferlegten Beschränkung. Diese Frage ist hier nicht mehr zu prüfen, da die Beschränkung bestandskräftig ist und es nur noch darum geht, ob der Widerruf erforderlich und geeignet ist, den mit jener Beschränkung verfolgten Schutzzweck zu gewährleisten. Dies könnte nur dann zweifelhaft sein, wenn sich die Einstellung des Gaststättenbetriebes auf der Freifläche wegen der Verkehrsgeräusche im Ergebnis nicht lärmmindernd auswirkte. Das wäre der Fall, wenn die Gaststättengeräusche von dem Straßenlärm überdeckt würden oder in ihm aufgingen mit der Folge, daß sich die Situation der betroffenen Nachbarn nicht änderte, auch wenn sich auf der Freifläche keine Gäste mehr aufhielten. Derartiges ist von der Klägerin jedoch nicht behauptet worden und nach Lage der Dinge auch nicht anzunehmen. Denn die Störungen der Nachbarschaft gehen nicht von Geräuschen aus, die durch An- und Abfahrt von Gästen der Klägerin verursacht werden. Allenfalls für solche Geräusche könnte es zutreffen, daß sie sich von den allgemeinen Verkehrsgeräuschen nicht abhöben. Hingegen handelt es sich bei den Unterhaltungen der Gäste, dem Gelächter, Gläserklirren u.a. um Geräusche, die deutlich vom Verkehrslärm zu unterscheiden sind und eindeutig identifizierbare Lärmquellen darstellen, deren Beseitigung durchaus wahrnehmbar ist und zu einer spürbaren Minderung der Gesamtbelastung führt (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 15. 4. 1993, UPR 1993, 353).
Unerheblich ist, ob seit Erlaß des Widerspruchsbescheides weitere Verstöße gegen die Sperrzeitregelung festgestellt worden sind. Für die rechtliche Beurteilung der Widerrufsverfügung ist die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend; späteres "Wohlverhalten" der Klägerin, welches für die Zukunft eine günstigere Prognose rechtfertigen könnte, ist nur bei der Entscheidung über eine eventuelle Wiedererteilung der Erlaubnis zu berücksichtigen.
Die Nebenentscheidungen beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 167 VwGO sowie §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.
Beschluß
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,-- DM festgesetzt.
Czajka
Kalz
Rettberg