Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.05.2018, Az.: 6 A 6953/16
Dohuk; Faidah; Ninawa; Umstrittene Gebiete; Vorverfolgung bejaht; Yeziden; Gruppenverfolgung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.05.2018
- Aktenzeichen
- 6 A 6953/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 73973
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3b Abs 1 Nr 2 AsylVfG
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. November 2016 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger, irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Er verließ den Irak am 23. Dezember 2015 und reiste auf dem Landweg über ihm unbekannte Länder am 3. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er in der zuständigen Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag stellte.
Auf die Gründe seiner Ausreise angesprochen, gab der Kläger in seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 24. Oktober 2016 an, den Irak aus Angst vor der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) verlassen zu haben.
Zu seinen persönlichen Verhältnissen erklärte der Kläger, er habe bis zu seiner Ausreise im Dorfa Faidah gelebt, wo sich seine Eltern weiterhin aufhielten. Er habe zudem zwei Schwestern, von denen eine im Irak lebe, eine andere in Deutschland. Er selbst habe die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und im Anschluss erfolgreich ein Universitätsstudium als Agrar-Ingenieur absolviert. Im Anschluss habe er im Irak jedoch keine Arbeit gefunden, da er Yezide sei und zudem noch eine Behinderung habe, d.h. eine halbseitige Körperlähmung seit Geburt. Er habe für diese Erkrankung jedoch weder Medikamente noch eine ärztliche Behandlung erhalten. Den Irak habe er letztendlich wegen des Krieges verlassen, d.h. weil es dort für Yeziden keine Sicherheit gebe. Der IS habe yezidische Frauen und Kinder entführt und die Männer getötet. Nicht nur der IS habe die Yeziden verfolgt und bedroht, sondern auch die muslimischen Nachbarn.
Mit Bescheid vom 16. November 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger weder die Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) noch den subsidiären Schutzstatus (Nr. 2) zu und stellte fest, das Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 3). Zudem drohte es die Abschiebung des Klägers in den Irak an (Nr. 4). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) befristete es auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 5). Zur Begründung führte es u.a. aus, eine Gruppenverfolgung von Yezidischen Staatsangehörigen könne für die autonome Region Kurdistan, aus welcher der Kläger stamme, nicht angenommen werden.
Der Kläger hat am 28. November 2016 Klage erhoben und zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung führt er aus, die Beklagte habe im streitgegenständlichen Bescheid zu Unrecht auf die Sicherheitslage in dem Gebiet der autonomen Region Kurdistan abgestellt. Er stamme nämlich nachweislich nicht aus der heutigen Provinz Dohuk, sondern der Provinz Ninawa mit der Hauptstadt Mossul.
Die Ortschaft Faidah gehöre de jure zu dieser Provinz und liege südwestlich vom Mossul-Stausee und südlich der Grenze zum kurdischen Autonomiegebiet. Der Umstand, dass die territoriale Zuordnung dieses Grenzgebiets, in dem überwiegend Yeziden leben, zwischen der kurdischen Autonomieregierung und der irakischen Zentralregierung umstritten sei, wobei die kurdische Autonomieregierung Anspruch auf weite Gebietsteile erhebe, habe zur Folge, dass die Autonomieregierung zum Beispiel für Yeziden aus diesem Gebiet Personalausweisdokumente in Dohuk ausstelle. Selbst viele Yeziden aus der Ortschaft Faidah gingen davon aus, dass der Ort der Provinz Dohuk zuzuordnen sei, weil der Ort vor dem Sturz des Saddam-Regimes und der neuen Grenzziehung tatsächlich zum damaligen Distrikt Dohuk gehört habe. All dies ändere nichts daran, dass die Ortschaft Faidah in der (heutigen) Provinz Ninawa liege und zwischenzeitlich auch vom IS eingenommen worden sei. Die Terrororganisation sei bis unmittelbar vor die Stadt Alqosh gerückt, d.h. bis an die Grenze der kurdischen Autonomieregion. Auf Basis dieser Erkenntnisse habe das Bundesamt bereits auch der Schwester des Klägers, ebenfalls einer aus der Provinz Mossul stammenden Yezidin, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Weshalb im Falle des Klägers aus Sicht des Bundesamts etwas anderes gelten solle, sei nicht nachvollziehbar.
Das Gericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. September 2017 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen; dieser hat dem Kläger mit Beschluss vom 27. Februar 2018 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 5. März 2018 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Beklagte hat bereits mit Generalerklärung des Bundesamts vom 25. Februar und 24. März 2016 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. November 2016 zu verpflichten,
1. dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
2. hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
3. weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter sowie im Einvernehmen der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Bescheid vom 16. November 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO), weil der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die Beklagte ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkennt. Der angefochtene Bescheid ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.
1.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - GFK - (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen sind beim Kläger erfüllt.
Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3c AsylG kann die Verfolgung von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Staat eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Die Befürchtung einer Verfolgung ist grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn dem Ausländer für seine Person bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles solche Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Beachtlich im vorgenannten Sinne ist die Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung dann, wenn bei zusammenfassender Bewertung des Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33/07 -, juris Rn. 37). Dieser Maßstab entspricht dem für die Verfolgungsprognose unionsrechtlich einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab der "tatsächlichen Gefahr" ("real risk") eines Schadenseintritts, der unabhängig davon Geltung beansprucht, ob der Ausländer verfolgt oder unverfolgt ausgereist ist (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25/10 -, juris Rn. 22). Die Gefahr eigener Verfolgung kann sich dabei nicht nur aus gegen den Ausländer selbst gerichteten, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung). Diese ursprünglich für die staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar (BVerwG, Urteil vom 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13).
Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Person des Klägers erfüllt.
Der Kläger hat zwar nicht dargelegt, dass ihm im Falle der Rückkehr in den Irak aus individuellen, nur in seiner Person liegenden Gründen in Anknüpfung an eines der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgung droht. Er hat insbesondere nicht behauptet, aus derartigen Gründen sein Heimatland Irak verlassen zu haben. Jedoch ist er als Angehöriger der yezidischen Glaubensgemeinschaft in seiner Herkunftsprovinz Ninawa mit der Provinzhauptstadt Mosul weiterhin und damit auch im maßgebenden Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) der Gefahr einer Gruppenverfolgung in Anknüpfung an seine yezidische Religionszugehörigkeit ausgesetzt.
Dass der Kläger yezidischer Religionszugehörigkeit ist, wird vom Bundesamt nicht bezweifelt und steht im Übrigen auch zur Überzeugung des Einzelrichters fest, weil der Kläger in der Anhörung beim Bundesamt sämtliche Fragen zu den Besonderheiten des yezidischen Glaubens zutreffend beantwortet hat.
Dem Kläger kommt darüber hinaus bei der Beurteilung der Frage, ob ihm weiterhin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren im Irak drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12) die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 13.12.2011 (sog. Qualifikationsrichtlinie, ABl. Nr. L 337 S.9) zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
Der Nachweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie liegt der Gedanke zugrunde, dass es einem vor seiner Ausreise unmittelbar von Verfolgung bedrohten Ausländer nicht zuzumuten ist, das Risiko einer Verfolgungswiederholung zu tragen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rn. 26; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.03.2017 - 15a K 5929/16.A - juris Rn. 38). Für die Anwendbarkeit des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie ist dabei unerheblich, ob dem Ausländer vor der Ausreise eine interne Schutzmöglichkeit zur Verfügung gestanden hat. Die Beweiserleichterung greift vielmehr auch dann ein, wenn sich der Ausländer vor seiner Ausreise aus dem Heimatland nicht landesweit in einer ausweglosen Lage befunden hat (BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - juris Rn. 18; VGH Mannheim, Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1873/12 - juris Rn. 27).
Diesen rechtlichen Maßstab vorangeschickt, fällt der Kläger in den persönlichen Anwendungsbereich der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie. Die vor der Ausreise unmittelbar drohende religiöse Verfolgung des Klägers ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist.
Der Kläger war vor seiner Ausreise aus dem Irak von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die nach § 3 Abs. 1 AsylG geeignet sind, Flüchtlingsschutz zu begründen. Er hat bis Dezember 2015, d.h. nach dem Einmarsch der Kampftruppen des IS in die Provinz Ninawa im Sommer 2014, in dem Ort Faidah gelebt.
Aufgrund der glaubhaften und unbestrittenen Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt und dem Gericht steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger tatsächlich aus dem Ort Faidah im Nordirak stammt (alternative Schreibweisen: Faydah, Fa’idah). Dieser Ort befindet sich in der Gesamtschau der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel in der Provinz Ninawa.
In einer Stellungnahme vom 23. Juni 1999 (Az.: 1096/97b; Quelle: Asylfact, DokNr. 75727) führte das Auswärtige Amt auf Basis der zur damaligen Zeit geltenden Verwaltungsgliederung des Irak aus, Faidah befinde sich unter Kontrolle der irakischen Zentralregierung und liege etwa fünf bis zehn Kilometer südlich der Demarkationslinie zwischen dem von der irakischen Zentralregierung kontrollierten und verwalteten Gebiet der Provinz Dohuk und dem kurdisch kontrollierten und verwalteten Gebiet. Diese Auskunft deckt sich auch mit dem Vortrag des Klägers zur territorialen Zuordnung der Ortschaft Faidah vor dem Sturz des Regimes Saddam Husseins im Jahr 2003.
Nach einer Anfragebeantwortung des Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (Accord) vom 20. März 2009 („Informationen zum Ort Fehidiye bei Dohuk; liegt der Ort in der kurdischen Autonomieregion?“; https://www.ecoi.net/en/file/local/1193875/response_en_117090.html) ließ sich innerhalb der zur Recherche zur Verfügung stehenden Zeit nicht mit Sicherheit feststellen, ob Faidah innerhalb der kurdischen Autonomieregion liege. Allerdings führte Accord in diesem Zusammenhang aus:
„In einem von UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) im Dezember 2008 veröffentlichten Rapid Needs Assessment (RNA) von Binnenvertriebenen in der Provinz Dahuk wird erwähnt, dass der Unterbezirk Fayda ein umstrittenes Gebiet in der Provinz Ninewa sei, das allerdings von der kurdischen Regionalregierung (KRG) als Teil des zur Provinz Dahuk gehörenden Bezirks Sumel betrachtet werde:
“A few IDP families live in tents in Fayda sub-District, a “disputed area” in Ninewa Governorate, which is considered by the KRG to be part of the District of Sumel.” (UNCHR, Dezember 2008, S. 16)
The Times berichtet einige Monate nach Ausbruch des Kriegs im Irak im Mai 2003, dass Araber in Mosul vor dem Büro des Gouverneurs demonstriert hätten, weil kurdische Milizen sie nicht in ihre Häuser im Dorf Domez Faidah, 64 Kilometer nördlich von Mosul zurückkehren ließen. Laut Aussagen eines der Demonstranten hätten die arabischen Bewohner das Dorf Domez am 10. April 2003 verlassen, weil die Amerikaner irakische Positionen in der Nähe bombardiert hätten. Als sie versucht hätten zurückzukehren, seien die kurdischen Peshmerga dort gewesen und hätten verlangt, dass sie Beweise vorlegen sollten, dass sie die Besitzer der Häuser seien.“
Unter Verwendung der dem Einzelrichter vorliegenden Karte des Irak (National Geographic Reference Map, Januar 2010, Maßstab 1:1,778,000, 1 cm = 18 km) ergibt sich ebenso, dass Faidah noch innerhalb der Grenzen des Gouvernements Ninawa liegt, weil die (Fuß-)Wegstrecke zwischen Faidah und dem unstrittig innerhalb von Ninawa gelegenen Ortes Babire nach Auskunft von Google Maps ca. 11 km beträgt. Google Maps selbst verortet Faidah ebenfalls südlich der Provinzgrenze von Dohuk. Auch nach einem Lagebericht des niederländischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten betreffend die Sicherheitslage in Irak (Ambtsbericht Veiligheidssituatie in Irak, Oktober 2015, https://www.mensenhandelweb.nl/system/files/documents/16%20nov%202015/ ab-irak-veiligheidssituatie-extern-definitief-oktober-2015.pdf, S. 14, Fn. 63) befindet sich Faidah innerhalb der Provinz Ninawa, ebenso nach Auskunft der Website „geoview.info“ (http://iq.geoview.info/ faidah,2108980308n). Schließlich berichtet ein Artikel der TAZ vom 7. Oktober 2014 ausführlich von dem Schicksal einer yezidischen Familie, die vor den heranrückenden Truppen der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ aus Faidah floh (TAZ v. 7.10.2014, „Einmal Deutschland und zurück“, http://www.taz.de/!5031779/).
Die Kammer hat darüber hinaus bereits mit Urteil vom 15. August 2014 (6 A 9853/14 - juris Rn. 20 - 24) angenommen, dass große Teile der Provinz Ninawa mit der Hauptstadt Mossul im August 2014 unter der Kontrolle der Dschihadistengruppe Islamischer Staat - IS - gestanden haben und yezidischen Religionsangehörigen deshalb in der Provinz Ninawa mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Gruppenverfolgung in Anknüpfung an ihre Religionszugehörigkeit gedroht hat. Davon sind auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Urteil vom 2. September 2014 (18a K 223/13.A - juris), das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil vom 15. August 2014 (18 K 386/ 14.A - juris) und das Verwaltungsgericht Frankfurt in seinem Urteil vom 3. Juli 2014 (4 K 2317/ 13 F.A. - juris) ausgegangen. In jüngerer Zeit hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Urteil vom 08.03.2017 - 15 a K 5929/16.A - juris Rn. 76) abermals angenommen, dass yezidische Religionsangehörige, die aus der Provinz Ninawa stammen, jedenfalls im Sommer 2014 der Gefahr einer Gruppenverfolgung wegen ihrer yezidischen Religionszugehörigkeit ausgesetzt gewesen sind. Auch die Kammer geht in gefestigter Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 26.10.2017 - 6 A 9126/17 und 6 A 7844/17) weiterhin davon aus, dass yezidischen Religionsangehörigen in der Provinz Ninawa beginnend ab Sommer 2014 in Anknüpfung an ihre Religion die Gefahr einer Gruppenverfolgung gedroht hat.
Dass der IS in diesem Zusammenhang schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Sinne des § 3 a Abs. 1 Nr. 1 AsylG und damit die Gewährung von Flüchtlingsschutz rechtfertigende Verfolgungshandlungen begangen hat, liegt nicht nur der angeführten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde, sondern ist auch vom UN - Menschenrechtsrat angenommen worden. Der IS hat nach Auffassung des UN-Menschrechtsrats an den Yeziden Völkermord begangen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verübt (vgl. UN-Menschenrechtsrat, „They Came to Destroy“: ISIS Crimes Against the Yazidis, 15.6.2016, S. 1). Es kam zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen, Menschenhandel, Rekrutierung von Kindersoldaten, Zwangsvertreibungen und Massenmord (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 4; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.2.2017, S. 12).
Diese Verfolgungshandlungen haben auch im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG an die yezidische Religionszugehörigkeit und damit an einen in §§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG genannten Verfolgungsgrund angeknüpft. Der IS fokussierte seinen Angriff von Beginn an aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit auf die Yeziden und strebte systematisch ihre Vernichtung an (vgl. UN-Menschenrechtsrat, „They Came to Destroy“: ISIS Crimes Against the Yazidis, 15.6.2016, S. 1). Für die Extremisten des IS sind die Yeziden „Ungläubige“, sogenannte „Teufelsanbeter“, die mit dem Tod bestraft werden können (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7.2.2017, S. 18). Diese religiöse Deutung bestimmt(e) das Verhalten der IS-Kämpfer während des Angriffs auf die Sindschar-Region und die daran anschließende Misshandlung von yezidischen Männern, Frauen und Kindern. Die Tötung nicht konvertierender yezidischer Männer und Jungen, die sexuelle Ausbeutung und Versklavung von yezidischen Frauen und Mädchen, die Entführung, Indoktrinierung und Rekrutierung von yezidischen Jungen knüpfte nahtlos an den religiösen Auftrag der IS-„Gelehrten“ hinsichtlich der Behandlung von yezidischen Gefangenen an. Während und nach dem Angriff vom 03.08.2014 zerstörte der IS yezidische Heiligtümer und Tempel in der Sindschar-Region. Yezidische Häuser wurden als solche markiert und geplündert (vgl. UN-Menschenrechtsrat, „They Came to Destroy“: ISIS Crimes Against the Yazidis, 15.6.2016, S. 29-30).
Es liegen ferner derzeit keine stichhaltigen Gründe vor, welche aus der Sicht des Einzelrichters die Annahme rechtfertigen könnten, dass der Kläger im Falle der Rückkehr in den Irak keinen religiös motivierten Verfolgungsmaßnahmen mehr ausgesetzt sein würde (Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie).
Zwar steht die Region um Sindschar nicht mehr unter der direkten territorialen Kontrolle des IS. Dies reicht aber im Hinblick auf die massiven Rechtsgutverletzungen, die den Yeziden durch Angehörige des IS drohen, nicht aus, um die aus Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie abzuleitende Vermutung einer fortbestehenden Verfolgungsgefahr hinreichend zu entkräften. Die Verhältnisse in der Provinz Ninawa haben sich angesichts der massiven Rechtsgutverletzungen, die Yeziden durch Angehörige des IS drohen, derzeit noch nicht so stabilisiert, dass eine Wiederholung religiös motivierter Verfolgungshandlungen gegenüber Yeziden hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann. Angesichts des Ausmaßes der Gefahr kann bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen Furcht vor Verfolgung insbesondere auch dann hervorgerufen werden, wenn der IS (lediglich) in der unmittelbaren Umgebung der eigenen Herkunftsregion Gebiete kontrolliert. Gebietsgewinne und -verluste sind nämlich im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen jederzeit denkbar.
Auch in der bisherigen Rechtsprechung der Kammer ist noch in jüngster Zeit angenommen worden, dass Yeziden derzeit noch in der Provinz Ninawa die Gefahr droht, Opfer von religiös motivierten Übergriffen von Angehörigen des IS zu werden (VG Hannover, Urteil der Kammer vom 26.10.2017 – 6 A 9126/17). Sofern das Verwaltungsgericht Oldenburg (Urteil vom 27.02.2018 – 15 A 883/17 -) und das Verwaltungsgericht Lüneburg (Urteil vom 26.03.2018 – 5 A 472/17 -, n.v., s. 10 m.w.N.) in zwei jüngeren Entscheidungen ausführen, es sprächen nunmehr stichhaltige Gründe gegen eine erneute (Gruppen-)Verfolgung der Yeziden in der Provinz Ninawa, weil der IS nicht mehr über die für eine systematische Verfolgung erforderlichen Strukturen verfüge, schließt sich der Einzelrichter dieser Rechtsprechung nicht an.
Die abstrakte Gefährdung, welche nach Maßgabe der vorgenannten Erkenntnismittel von Anhängern des IS für Andersdenkende ausgeht, entfällt insbesondere nicht aufgrund des Umstandes, dass der irakische Regierungschef Haider al-Abadi am 9. Dezember 2017 den Krieg gegen die IS-Terrormiliz in seinem Land für beendet erklärt hat (Artikel der Zeit vom 09.12.2017: „Irak verkündet Ende des Krieges gegen den IS“). Entsprechendes gilt hinsichtlich der Meldung der US-geführten Militärkoalition, der IS habe in dem von ihr kontrollierten Gebiet fast alle seine Kämpfer verloren, wobei sich nicht einmal 1000 Kämpfer in einem letzten Rückzugsgebiet an der Grenze zwischen Syrien und dem Irak aufhalten sollen (Artikel der Zeit vom 27.12.2017: „IS soll weniger als 1.000 Kämpfer haben“).
In diesem Zusammenhang ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Organisation des IS im Irak bereits zweimal, d.h. in den Jahren 2008 und 2011 vermeintlich zerstört wurde, sich jedoch tatsächlich jeweils in den Untergrund verlagerte und allmählich wieder erstarkte. Auch in der gegenwärtigen Situation gehen Beobachter davon aus, dass die Terrororganisation IS sich die personelle und finanzielle Basis für einen erneuten Aufstieg zu einem günstigen Zeitpunkt, d.h. bei einem Machtvakuum, einem Bürgerkrieg oder einer Unterdrückung der sunnitischen Minderheit, dadurch aufrechterhält, indem sie – wie in der Anfangsphase der Organisation bzw. seiner Vorgängerorganisationen - Drogenschmuggel, Menschenhandel, Entführungen oder illegale Finanzgeschäfte betreibt und parallel ihre religiöse Ideologie im Internet verbreitet. Derartige Aktivitäten kann der IS auch ohne einen territorialen Geltungsanspruch durchführen, zumal die staatliche Ordnungsmacht etwa im Westirak nach den verlustreichen Kämpfen zur Rückeroberung der vom IS besetzten Territorien weitestgehend abwesend ist (Artikel der Zeit vom 27.12.2017: „Dschihad der Staatenlosen“). Beispielsweise nahm die irakische Polizei im Januar 2018 in Falludscha Mitglieder einer IS-Zelle fest, welche von Nachbarn Schutzgeld in Höhe von mehreren Tausend US-Dollar erpresst hatte (Artikel des Spiegel vom 20. Januar 2018: a.a.O.). Nach Schätzungen des irakischen Parlaments ist es dem IS des Weiteren gelungen, ca. 400 Millionen US-Dollar aus seinem einstigen Herrschaftsgebiet herauszuschmuggeln, wobei die Organisation einen Teil der Summe mit Hilfe von Mittelsmännern in Bagdad und in anderen Landesteilen (z.B. in Wechselstuben) reinvestiert hat, um seinen Untergrundkampf zu finanzieren (Artikel des Spiegel vom 20. Januar 2018: „Ölquellen weg, Geldschrank voll“). Im Dezember 2017 verübte der IS im Irak zudem weiterhin Terroranschläge in der Nähe der Stadt Tikrit (Artikel des ZDF vom 24. Dezember 2017: „Tote bei Angriff im Irak“).
Die Zeitschrift Middle East Eye führt in Bezug auf die fortdauernde Gefahr durch den IS in einem Artikel vom 13. Juli 2017 aus, die Aussage über das Ende des IS im Irak sei Wunschdenken, welches die wahre Natur der Organisation nicht berücksichtige. Zwar sei es möglich, von einem zeitweisen Ende des politischen Projekts des IS zu sprechen, d.h. als ein Staat mit Regierungsstrukturen, einem territorialen Geltungsanspruch und einem Militärapparat, der sich auf konventionelle Kriegsführung gründe. Der IS werde jedoch schlichtweg zu seiner ursprünglichen Form zurückkehren, namentlich einer ideologischen Organisation mit Strukturen und Finanzierungswegen, welche auf den Prinzipien des Guerillakriegs und der damit einhergehenden Zermürbung staatlicher Strukturen basiere (The Middle East Eye, Artikel vom 13. Juli 2017, „The final defeat of IS in Mosul? Not by a long shot“, S. 2 f. der Druckversion). Dieses entspricht auch den Ergebnissen einer aktuellen Befragung von Kommandeuren des irakischen Militärs sowie der im Irak stationierten US-Regierungstruppen durch die Nachrichtenseite Defense One (Defense One, Artikel vom 22. März 2018, „The War in Iraq Isn’t Done. Commanders Explain Why and What’s Next“, S. 4 f. der Druckversion).
In einem Artikel vom 18. September 2017 zitiert das Nachrichtenportal Vox den Außenminister der kurdischen Regionalregierung überdies mit den Worten: „Wir sollten nicht versucht sein, zu glauben, dass die Befreiung Mossuls das Ende von ISIS oder das Ende des Terrorismus bedeutet. Dies wird ein langfristiger Kampf sein, gegebenenfalls sogar ein Kampf für eine Generation.“ (Vox, Artikel vom 18. September 2017, „On the ground in Iraq, the war against ISIS is just getting started“, S. 2 der Druckversion). Ferner führt der Artikel aus, zahlreiche Anhänger oder stillschweigende Unterstützer des IS seien keine ausländischen Kämpfer gewesen, sondern im Irak gebürtige Sunniten, d.h. in den Worten des ehemaligen Ministers für Menschenrechte der kurdischen Regionalregierung: „Das Konzept [des IS] ist ein internationales Phänomen, aber die Rohmaterialien sind irakischer Herkunft.“ Einige der lokalen sunnitischen politischen Anführer oder Stammesoberhäupter, so der Artikel im weiteren Verlauf, seien vom IS unter Androhung von gewaltsamen Vergeltungsmaßnahmen zum Treueschwur gezwungen worden. Andere unterstützungsbereite Sunniten seien hingegen bereits frustriert gewesen aufgrund der langjährigen Marginalisierung durch die Hände der schiitisch dominierten, von den USA unterstützten Regierung in Bagdad, die mit dem Sturz der vorwiegend sunnitischen Baath-Regierung Saddam Husseins im Jahr 2003 begonnen habe. Die US-Übergangsregierung habe das Programm der „De-Baathifizierung“ implementiert und mit dem Baath-Regime affiliierte Offizielle aus dem Staatsdienst entfernt und von der Mitwirkung am politischen Prozess ausgeschlossen. Die hiermit einhergehende Entlassung von zehntausenden von Sicherheitsbeamten und sonstigen Staatsbediensteten, inklusive Lehrern, habe unter der sunnitischen Bevölkerung des Iraks für weitverbreitete Wut gesorgt. Bis 2014 hätten die jeweils aufeinander folgenden schiitischen (Zentral-)Regierungen ihre Macht durch die Verfolgung politischer Gegner und Massenarreste konsolidiert. Je mehr die irakischen Sunniten von der Führungsriege des Landes desillusioniert gewesen seien, desto mehr habe sich für zahlreiche von ihnen der IS als verlockende Alternative dargestellt, sei er doch eine sunnitische Gruppe, welche der schiitischen Zentralregierung des Iraks den Kampf angesagt habe (Vox, a.a.O., S. 3 der Druckversion).
Hiermit korrespondierend hatte beispielsweise ein bekannter politischer Kommentator mit sunnitischer Glaubenszugehörigkeit noch im Juni 2017, d.h. zu einer Zeit, als der IS bereits erhebliche Teile seines Herrschaftsgebiets verloren hatte, in einem Fernsehinterview das Vorgehen der Organisation als legitime Antwort auf den zunehmenden schiitischen Einfluss im Irak dargestellt, wobei er zugleich die Unterdrückung und Vertreibung der yezidischen Bevölkerung des Iraks mit den religiösen Vorgaben des Koran rechtfertigte (The Middle East Research Institute, Artikel vom 1. Juni 2017, „Iraqi Political Commentator Ali Al-Shamari: Iraqi Regime Left US No Choice But to support ISIS“). Ebenso führte der Bruder des geistlichen Oberhaupts der Yeziden, Ido Baba Sheikh, in einem aktuellen Interview gegenüber der Tiroler Tageszeitung im April 2018 aus, die Yeziden im Irak würden in der gegenwärtigen Situation weiterhin den Hass der Sunniten fürchten: „Das Problem ist die Ideologie des IS in den Köpfen.“ (Tiroler Tageszeitung, Artikel vom 25. April 2018, „Das Vermächtnis des IS in den Köpfen“, S. 2 der Druckversion). Auch das Auswärtige Amt warnt in seinem aktuellen Lagebericht zum Irak davor, dass das Gefühl einer politischen und gesellschaftlichen Marginalisierung vieler Sunniten wieder zum Erstarken extremistischer Gruppierungen führen könne (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2017), 12. Februar 2018, S. 15).
Eine ideologische Basis für den Wiederaufstieg des IS oder die Machtergreifung durch vergleichbar ausgerichtete sunnitische Terrororganisationen bildet dabei gegenwärtig insbesondere das Vorgehen der irakischen Sicherheitskräfte gegen die einheimische sunnitische Bevölkerung nach Rückeroberung der vom IS besetzten Gebiete. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt insoweit in seinem Länderbericht betreffend den Irak aus (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 108 f.):
„In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016).
Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen.
Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU regelmäßig ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen (UNHCR 14.11.2016).“
Auch in der internationalen Presse wird am Beispiel der Rückeroberung Mossuls über drastische Vergeltungsmaßnahmen der vornehmlich schiitisch dominierten PMF-Milizen gegen Sunniten berichtet, die als (vermeintliche) Anhänger des IS identifiziert wurden (vgl. etwa Independent, Artikel vom 13.07.2017, „Mosul's Sunni resi-dents face mass persecution as Isis 'collaborators'“; The Guardian vom 21.11.2017, „After the liberation of Mosul, an orgy of killing“).
Zur Gefahr eines Wiedererstarkens des IS erklärt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, a.a.O., S. 37, S. 58) überdies:
„Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).“
„Der IS stellt trotz der massiven Rückschläge, die er erlitten hat, im Irak weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar, und seine Transformation zu einer Organisation, die ihre Ressourcen zunehmend für Aufstände, Guerilla-Angriffe und terroristische Anschläge benutzt, hat bereits begonnen (Daily Star 10.7.2017). Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt ein (Wieder)-Erwachen von anderen aufständischen sunnitischen Gruppen, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden, vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten radikaler Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des Institutes for the Study of War zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich (ISW 7.2.2017). Terroristische Organisationen sind im gesamten Irak weiterhin imstande tödliche Anschläge durchzuführen.“
Spezifisch in Bezug auf die Provinz Ninawa und deren Hauptstadt Mossul heißt es im vorgenannten Bericht des Bundesamts weiterhin (BFA, a.a.O., S. 20):
„Die Organisation IS („Islamischer Staat“) wurde zwar massiv zurückgedrängt (s. Länderinformationsblatt inkl. bisherige Kurzinformationen), befindet sich aber weiterhin in Teilen der Provinzen Ninewa, Salah Al-Din und Anbar. Es muss dort weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und den irakischen Sicherheitskräften, regional-kurdischen Peschmerga, Milizen und auch mit US-Luftschlägen gerechnet werden. In der Provinz Ta’mim kommt es regelmäßig zu Kämpfen zwischen terroristischen Gruppen und kurdischen Peschmerga (AA 24.10.2017). Veröffentlichungen von Audiobotschaften des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zielen darauf ab, die Gerüchte rund um seinen Tod zu entkräften und die IS-Kämpfer in Syrien und Irak zur Standhaftigkeit aufzurufen. In Mosul etwa wurde der IS zwar vor drei Monaten besiegt, die Organisation stellt dort jedoch noch immer eine Bedrohung dar. Alleine im Zeitraum 19.9.2017 bis 13.10.2017 wurden dort zwölf Selbstmordattentäter getötet. In der Provinz Anbar versuchte der IS Ende September 2017 die Kontrolle über Teile der Stadt Ramadi wiederzuerlangen. Kurzzeitig konnten einige IS-Truppen tatsächlich Teile der Stadt besetzen, letztlich scheiterte der Versuch jedoch. Anbar war stets eine Hochburg von sunnitischen Aufständischen (IFK 13.10.2017).“
Mit diesen Informationen einhergehend verbreitet der IS auch zur gegenwärtigen Zeit im Irak neuen Terror. So hegen irakische Sicherheitsbehörden den begründeten Verdacht, dass die im Januar 2018 in der Provinz Ninawa verübte Ermordung von drei Rechtsanwälten, welche in Gerichtsprozessen mit Bezug zu ehemaligen IS-Mitgliedern aufgetreten waren, auf das Konto einer IS-Schläferzelle geht (Artikel von Kurdistan24 vom 2. Januar 2018: „Three lawyers working on IS-related cases killed in Iraq“). Laut Angaben eines arabischen Nachrichtenmagazins der Terror-Organisation will die Gruppierung darüber hinaus allein zwischen dem 9. und 18. April 2018 insgesamt 25 Mitarbeiter politischer Parteien und der staatlichen Wahlbehörde getötet haben. Zudem kündigte ein Sprecher der Organisation weitere Anschläge rund um die bevorstehende Parlamentswahl am 12. Mai 2018 an mit der Begründung, die Wahl sei unislamisch und diene ausschließlich dazu, den Schiiten die Macht im Irak zu verleihen (Spiegel Online, Artikel vom 25. April 2018, „Die Rückkehr des IS“, S. 1 der Druckversion). Des Weiteren richten sich jüngere Angriffe des IS nunmehr verstärkt gegen das Gebiet um die nordirakische Stadt Kirkuk, wobei die Terroristen u.a. von dem von der irakischen Zentralregierung forcierten Rückzug der Peschmerga aus Kirkuk profitieren. Seitdem hat sich die Sicherheitslage in der Provinz deutlich verschlechtert, wobei sich der IS bereits in Dörfern wieder zur Schutzmacht aufschwingt, der den Dorfbewohnern Sicherheit gegen Gehorsam und Schutzgeld verspricht (Spiegel Online, a.a.O., S. 2 der Druckversion).
Angesichts dieser Sicherheitslage und der gravierenden Vorverfolgung der Yeziden in der Provinz Ninawa kann von einer eindeutigen Widerlegung der Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie keine Rede sein.
Ferner wird die Vermutungswirkung nach Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie auch nicht durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes (vgl. § 3e, § 3d AsylG) widerlegt.
Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten und damit auch der Yeziden weiterhin nicht hinreichend sicherstellen (§ 3d Abs. 1, Abs. 2 AsylG), wie auch das Auswärtige Amt wiederholt bestätigt hat. Nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl sind die irakischen Sicherheitskräfte (weiterhin) nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze sei nicht gesichert, zumal es ohnehin kein Polizeigesetz gebe. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen seien hierfür die Hauptursachen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2017), 12. Februar 2018, S. 8; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 70). Weite Gebiete des Landes befänden sich außerhalb der effektiven Kontrolle der Regierung und die Schutzfunktion des Staates sei als vermindert anzusehen. Die Menschenrechtslage sei vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und wegen des wenig ausgeprägten Gewaltmonopols samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der kurdischen Autonomieregion vergleichsweise etwas besser (BFA, a.a.O., S. 70 m.w.N.).
Der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes steht auch nicht die Bestimmung des § 3e Abs. 1 AsylG entgegen. Hiernach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind in Ansehung des Klägers nicht erfüllt. Insbesondere die Flüchtlingslager im Nordirak stellen keine solche interne Schutzmöglichkeit dar.
Die Kammer hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. VG Hannover, Urteil vom 26.10.2017 - 6 A 7844/17 und 6 A 9126/17) angenommen, dass yezidische Religionsangehörige aus der Provinz Ninawa in aller Regel keinen hinreichenden Schutz vor Verfolgung in anderen Landesteilen des Irak finden können.
Nichts anderes gilt dann, wenn man zugunsten des Klägers die Möglichkeit unterstellt, in das kurdische Autonomiegebiet reisen zu können, etwa im Hinblick auf Anhaltspunkte dafür, dass Yeziden unter erleichterten Bedingungen in die kurdische Autonomieregion gelangen können, ggf. auch ohne bereits Aufenthaltspapiere zu besitzen und ohne einen Bürgen (bzw. Paten oder Sponsor) nachweisen zu müssen (vgl. UK Home Office, Return and Internal relocation, S. 7, 46, 52-54; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.03.2017 – 15a K 5929/16.A -, juris Rn. 109). Die Zumutbarkeit einer internen Schutzmöglichkeit nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG hängt nämlich auch davon ab, ob an dem Ort, an dem der Ausländer vor einem ernsthaften Schaden sicher ist, auch das wirtschaftliche Existenzminimum des Ausländers gewährleistet ist und er dort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet. Im Falle fehlender Existenzgrundlage ist eine interne Schutzmöglichkeit nicht gegeben, selbst dann, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Das Vorhandensein einer Existenzgrundlage ist dabei in der Regel anzunehmen, wenn der Ausländer durch eigene Arbeit oder Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen kann. Das ist nicht der Fall, wenn der Ausländer am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts Anderes zu erwarten hat als ein Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (VG Saarlouis, Urteil vom 14.12.2017 - 6 K 1053/16 -, juris Rn. 30 f.; BVerwG, Beschluss vom 31.07.2002 - 1 B 128.02 -, InfAuslR 2002, S. 455; Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07, DVBl. 2008, S. 1251).
In Anwendung dieser rechtlichen Grundsätze kann von dem Kläger unter Berücksichtigung der gegenwärtigen humanitären Bedingungen in der autonomen Region Kurdistan-Irak vernünftigerweise nicht erwartet werden, sich in dieser Region niederzulassen. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass der Kläger, welcher an einer angeborenen körperlichen Behinderung leidet, in Anbetracht der Vielzahl der in den kurdischen Autonomiegebieten befindlichen Flüchtlinge und Binnenvertriebenen, der tiefgreifenden humanitären Krise und der lediglich beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten in der Lage wäre, dort zeitnah eine Erwerbstätigkeit zu finden.
Es ist schließlich weder ersichtlich noch vorgetragen worden, dass im vorliegenden Fall besondere Umstände vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, der Kläger könnte hinreichenden Schutz vor Verfolgung außerhalb der Region Kurdistan finden, d.h. in anderen Landesteilen des Irak.
Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2 und 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bestehen nicht.
2.
Die im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich der Bezeichnung Irak als Zielstaat gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ebenfalls aufzuheben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, was nach § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG der Bezeichnung des Staates Irak in der Abschiebungsandrohung entgegensteht. (BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 – 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251).
Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist mit der Aufhebung der Abschiebungsandrohung gegenstandslos geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.