Landgericht Stade
Beschl. v. 09.11.2023, Az.: 6 O 257/23

Äußerungsrechtlicher Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
09.11.2023
Aktenzeichen
6 O 257/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 54026
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGSTADE:2023:1109.6O257.23.00

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
XXX
Antragstellerin,
Prozessbevollmächtigte:
gegen
XXX,
Antragsgegner,
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Stade am 09.11.2023 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Henne, den Richter am Landgericht Dr. Reineke und den Richter Johannsen beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag vom 07.11.2023 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Der Streitwert wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Der Antrag ist zulässig. Das LG Stade war insbesondere sachlich zuständig, da der Streitwert der Hauptsache 5.000,00 € übersteigt, § 937 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 3 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. Auch im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit des Antrags keine Bedenken.

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Es besteht bereits nach dem Vorbringen der Antragstellerin kein Anspruch gegenüber dem Antragsgegner auf Untersagung der Veröffentlichung und Verbreitung der Äußerung "Damals, als ich von Leuten wie XXX zu ,Fuchsbeobachtungen' nach Norddeutschland eingeladen wurde - vermutlich wegen der vorhandenen Nachtsichtgeräte und um dort aus jagdlichen Einrichtungen Brennholz zu machen.", weil ein Verfügungsanspruch nicht gemäß §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO dargelegt und glaubhaft gemacht worden ist.

Ein Unterlassungsanspruch der Antragstellerin hinsichtlich der zitierten Äußerung besteht nicht. Dieser folgt insbesondere nicht aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Artt. 2, Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, weil die Verbreitung der angegriffenen Äußerung die Antragstellerin nicht in rechtswidriger Weise in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Die angegriffene Äußerung ist als Meinungsäußerung zu bewerten, weshalb hinsichtlich der Frage, ob darin ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin liegt, eine Abwägung zwischen dem Recht des Antragsgegners auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und dem Recht der persönlichen Ehre und auf öffentliches Ansehen der Antragstellerin vorzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08).

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Insbesondere ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08, Rn. 11; BGH NJW 1996, 1131 [BGH 30.01.1996 - VI ZR 386/94]; BGH, NJW 1994, 2614 = VersR 1994, 1120, 1121; NJW 2005, 279 [BGH 16.11.2004 - VI ZR 298/03]; NJW 2009, 1872 [BGH 03.02.2009 - VI ZR 36/07] Rn. 11).

So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem - zu würdigenden - Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08). Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08, Rn. 11 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen ist die angegriffene Äußerung dem Schutz des Art. 5 GG zu unterstellen, weil es sich - auch bei Berücksichtigung des Gesamtkontextes - um eine Äußerung handelt, die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird.

Zwar ergibt sich grundsätzlich allein aus den relativierenden Einleitungen wie "Ich glaube nicht, ..." bzw. "Ich glaube, ..." nicht per se der Charakter einer Bewertung, die dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegt. Würden Formulierungen wie "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit", "sollen angeblich", "ich meine, dass" oder "offenbar" der Qualifizierung als Tatsachenbehauptungen prinzipiell entgegenstehen, würde der Ansehensschutz leerlaufen, weil es dann der Äußernde in der Hand hätte, allein durch solche Einschübe aus seinen Tatsachenbehauptungen zivilrechtlich weniger angreifbare Meinungsäußerungen zu machen (BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08, Rn. 13; vgl. BGH, NJW 2008, 2262 = VersR 2008, 971 Rn. 18 m.w.N.). Der bereits in der angegriffenen Äußerung enthaltene Zusatz "vermutlich" macht aber deutlich, dass sich der tatsachenbasierte Teil der Äußerung auf den Umstand beschränkt und beschränken soll, dass der Antragsgegner von der Antragstellerin eine Einladung nach Norddeutschland erhalten hat, was bereits nach dem Vortrag der Antragstellerin der Wahrheit entspricht. Den nach dem Gedankenstrich folgenden Satzteil kennzeichnete der Antragsteller mithin bereits in der angegriffenen Äußerung auch für den unbefangenen Leser erkennbar als eine Mutmaßung seinerseits. Durch die Verwendung des Wortes "vermutlich" hat der Antragsteller deutlich gemacht, dass er lediglich seine Auffassung zu der erhaltenen Einladung kundgeben wolle. Dabei ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller den relativierenden Zusatz lediglich deshalb hinzugefügt hat, um eine Untersagung der Äußerung zu erschweren. Vielmehr wird deutlich, dass es dem Antragsgegner darum ging, im Zusammenhang mit einer unstreitigen Einladung über eine von ihm ausgehende Mutmaßung zu berichten.

Überdies ist auch aus dem Kontext des inzwischen aktualisierten Blog-Beitrags, in dem die streitige Äußerung steht, ersichtlich, dass es sich bei der angegriffenen Äußerung im Schwerpunkt um die Kundgabe einer eigenen Bewertung handelt. Im der Äußerung hinzugefügten Update vom 03.11.2023 hat der Antragsgegner durch die Erklärung, dass er den Zweck der Einladung selbst aus dem Zusammenhang geschlossen habe, hinreichend deutlich gemacht, dass die Antragstellerin lediglich eine Einladung zu Fuchsbeobachtungen ausgesprochen hat. Weiter erklärt er dazu, dass er aus einem harmlosen Wort der Antragstellerin aufgrund einer "kognitiven Fehlleistung" seinerseits "etwas Illegales" gelesen habe.

Mit dem als bloße Vermutung ausgewiesenen Teil seiner Aussage und der auf unstreitiger Tatsachenbasis angestellten Überlegung, die Einladung sei zu dem Zweck erfolgt, jagdliche Einrichtungen zu beschädigen, wird die angegriffenen Äußerung im Gesamtzusammenhang insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt und ist mithin insgesamt als Meinungsäußerung grundsätzlich dem Schutz des Grundrechts aus Art. 5 GG zu unterstellen (BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08, Rn. 14.).

Um die Zulässigkeit der angegriffenen Äußerung zu beurteilen, sind daher die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei alle wesentlichen Umstände und die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08, Rn. 16.; BGH, NJW-RR 2008, 913 = VersR 2008, 695 Rn. 13; NJW 2009, 1872 Rn. 17). Im Rahmen einer Abwägung der beiderseitig betroffenen Interessen überwiegt das Interesse des Antragsgegners an der weiteren Verwendung und Verbreitung der angegriffenen Äußerung.

Gegen ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Untersagung der streitgegenständlichen Äußerung und zugunsten der Meinungsfreiheit des Antragsgegners spricht zunächst, dass die Äußerung lediglich die Sozialsphäre der Antragstellerin betrifft, weshalb die Grenzen zulässiger Äußerungen darüber bereits weiter gezogen sind.

Überdies ist zugunsten des Interesses des Antragsgegners zu berücksichtigen, dass seine Äußerung im Kontext eines Berichtes über die eigene zeitweise radikale und militante Betätigung im Wildtierschutz steht. Die angegriffene Äußerung beschreibt dabei auf der einen Seite schlicht die wahre Tatsache einer Einladung seitens der Antragstellerin zu Fuchsbeobachtungen und auf der anderen Seite erkennbar die eigene Interpretation des Antragsgegners, welchen Zweck er dieser Einladung aufgrund seiner damals radikalen Einstellung selbst beigemessen hat. Durch den Zusatz "vermutlich", jedenfalls aber im Rahmen des am 03.11.2023 hinzugefügten Updates hat der Antragsgegner auch für den unbefangenen Leser klargestellt, dass es sich bei dem Satzteil "- vermutlich wegen der vorhandenen Nachtsichtgeräte und um dort aus jagdlichen Einrichtungen Brennholz zu machen." um eine - nach seinen Worten - kognitive Fehlleistung handelte, mithin eine fehlerhafte Interpretation der harmlosen Einladung der Antragstellerin.

Die streitgegenständliche Äußerung und der Bericht, in dessen Kontext sie steht, dient der Veranschaulichung, wie sich die Einstellung des Antragsgegners zum Wildtierschutz und der Rolle der Jagd gewandelt hat. In diesem Zusammenhang stellt die angegriffene Äußerung ein Beispiel dar, wie die Einstellung des Antragsgegners auch seine eigene Wahrnehmung beeinflusst hat. Dabei enthält die Äußerung weniger Kritik an der Antragstellerin, sondern ist vielmehr Mittel zum Zweck, um den Wandel in der Denkweise des Antragsgegners zu beschreiben. Dadurch steht die Äußerung trotz ihrer namentlichen Nennung weitestgehend losgelöst von der Antragstellerin. Dabei unterstellt die angegriffene Äußerung der Antragstellerin nach vorstehender Einordnung im Gesamtkontext weder die Begehung von Straftaten, noch wirft sie auf andere Weise erkennbar ein schlechtes Bild auf diese. Sowohl der Bericht über die Einladung als auch die Schilderung eines zwischen den Parteien vorherrschenden Missverständnisses ist nicht geeignet, die Antragstellerin in der öffentlichen Wahrnehmung herabzuwürdigen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

III.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Der Streitwert war nach freiem Ermessen im Wege der Schätzung zu bestimmen. Dabei sind das Interesse der Antragstellerin und die Bedeutung der Sache als Bewertungsmaßstäbe heranzuziehen. Ein Indiz kann auch der von der Antragstellerin angenommene Streitwert sein. Der seitens der Antragstellerin für das Verfügungsverfahren angenommene Streitwert von 10.000,00 € wirkt jedoch überhöht. Soweit die Antragstellerin für die Begründung des Streitwertes ausgeführt hat, die Pressekammern gingen pro massenmedial verbreiteter Äußerung sogar von einem Gegenstandswert von 15.000,00 € aus, rechtfertigt dies einen Gegenstandwert von 10.000,00 € nicht. Die angegriffene Äußerung findet sich auf einer nicht überdurchschnittlich frequentierten Website des Antragsgegners. Überdies hat die Kammer bei der Festsetzung des hiesigen Streitwerts für das Verfügungsverfahren auf 6.000,00 € berücksichtigt, dass die Äußerung jedenfalls nicht erkennbar geeignet war, finanzielle oder soziale Folgen für die Antragstellerin nach sich zu ziehen.

Diese Entscheidung kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. Sie ist einzulegen innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen bei dem Landgericht Stade, 21682 Stade, Wilhadikirchhof 1 oder dem Oberlandesgericht Celle, 29221 Celle, Schloßplatz 2.

Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. Richtet sich die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über die Kosten, ist sie nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € übersteigt. Ist die Beschwerde danach nicht zulässig, kann innerhalb von zwei Wochen bei dem Landgericht Stade, 21682 Stade, Wilhadikirchhof 1 Erinnerung eingelegt werden, für die im Übrigen dieselben Formvorschriften wie für die Beschwerde gelten. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle der genannten Gerichte eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei einem der genannten Gerichte ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

Die Einlegung kann auch in elektronischer Form erfolgen. Informationen zu den weiteren Voraussetzungen zur Signatur und Übermittlung sind auf dem Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) im Themenbereich zur elektronischen Kommunikation zu finden. Eine Einlegung per einfacher E-Mail ist unzulässig.

Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen. Die Beschwerde soll begründet werden.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig geworden ist oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Stade, 21682 Stade, Wilhadikirchhof 1 eingeht.

Wird der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung der Festsetzung bei dem Gericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde in diesem Beschluss zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

Henne
Dr. Reineke
Johannsen