Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 30.04.2002, Az.: 9 W 47/02

Prüfungskompetenz des Registergerichts bei Fragen zur Mindestkapitalausstattung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH); Anwendung des § 8 Abs. 2 GmbHG bei einer offenen Vorratsgründung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.04.2002
Aktenzeichen
9 W 47/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 30454
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2002:0430.9W47.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Bückeburg - 22.03.2002

Fundstellen

  • DNotI-Report 2002, 182
  • FGPrax 2002, 183-184
  • GmbHR 2002, 1066 (amtl. Leitsatz)
  • OLGReport Gerichtsort 2002, 221-223

Tenor:

In dem Handelsregisterverfahren

...

wird die weitere Beschwerde vom 15. April 2002 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 22. März 2002 dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

Gründe

1

Der Senat teilt die Auffassung der Vorinstanzen und möchte deshalb die weitere Beschwerde zurückweisen. Er sieht sich hieran jedoch durch die Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 24. März 1999 (BayObLG GmbHR 1999, 607) und des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. vom 14. Mai 1991 (GmbHR 1992, 456) gehindert, von denen er in diesem Fall abweichen würde. Die Sache ist deshalb gem. § 28 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen.

2

Entgegen einer verschiedentlich vertretenen, vom BayObLG und vom OLG Frankfurt/M. in den zitierten Entscheidungen geteilten Auffassung

vgl. etwa Bärwaldt/Schabacker, GmbHR 1998, 1005, 1008 ff.; Banerjea, GmbHR 1998, 814, 815; Meller-Hannich, ZIP 2000, 345, 347 ff.; einschränkend Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 3 Rn. 8, der lediglich die neuen Gesellschafter der Differenzhaftung unterwerfen will), aber mit der wohl herrschenden Ansicht (vgl. AG Duisburg Rpfleger 1997, 219; OLG Frankfurt GmbHR 1999, 32, 33; LG Frankfurt/O. DB 2001, 692; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 3 Rn. 39; Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl., § 3 Rn. 22; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 17. Aufl., § 3 Rn. 15; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 4 III 3, S. 74 ff.; Priester, DB 1983, 2291, 2295 ff.; Ulmer, BB 1983, 1123, 1125 f.; Ihrig, BB 1988, 1197, 1201 ff.; Schick, GmbHR 1997, 982, 984 ff.
3

hält der Senat eine Prüfungskompetenz des Registergerichts jedenfalls insoweit für gegeben, als es um die Mindestkapitalausstattung einer GmbH geht, deren Gesellschaftszweck, Firma, Sitz pp. aus Anlass der Übernahme einer "offenen Vorratsgesellschaft" geändert werden sollen. In diesen Fällen sind nach der Ansicht des Senats bei der registergerichtlichen Prüfung nach § 54 GmbHG die Vorschriften der §§ 8 Abs. 2, 7 Abs. 2 GmbHG entsprechend anwendbar.

4

I.

Eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften ist geboten, weil das Gesetz diesen Fall der Änderung des Gesellschaftsvertrages einer als offene Vorratsgesellschaft gegründeten GmbH nicht besonders geregelt hat, eine planwidrige Regelungslücke vorliegt und die Interessenlage mit derjenigen bei einer Neugründung der GmbH jedenfalls insoweit vergleichbar ist, als es um die Gewährleistung der Mindestkapitalausstattung geht.

5

1.

Zwar liegt formal keine Neugründung einer GmbH vor. Der Sache nach handelt es sich jedoch um eine solche ("wirtschaftliche Neugründung"), sodass zumindest die Vorschriften über die Mindestkapitalausstattung, die Mindesteinzahlung, die Sacheinlagen und die Gründungsprüfung anzuwenden sind (Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl., § 3 Rn. 22), da der Schutzzweck dieser Vorschriften ansonsten nicht eingehalten würde (zu dem dann im Hinblick auf die Strenge der Kapitalaufbringungsvorschriften auftretenden Wertungswiderspruch vgl. Börner, Anm. zu OLG Frankfurt GmbHR 1999, 32, S. 34 l. Sp.). Ob dies für jeden Mantelkauf gilt, und ob Bezugspunkt für die Kapitalsicherung das gesellschaftsvertraglich fixierte Grundkapital ist oder das gesetzlich geforderte Mindestkapital (vgl. dazu die Nachweise bei BayObLG GmbHR 1999, 607 r. Sp.), bedarf für die Entscheidung dieses Falles keiner abschließenden Bewertung.

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Jedenfalls für die hier vorliegende offene Vorratsgründung ist eine Anwendung von § 8 Abs. 2 GmbHG erforderlich, um einen möglichst weitgehenden Schutz der Gläubiger sicherzustellen. Zwar führt die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des GmbHG (§§ 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 und 2, 8 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, 9, 9 a und 11 Abs. 2) nicht so weit, dass man bei der Errichtung eines "Mantels" die Nichtigkeit dieses Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB - oder § 117 BGB - annehmen müsste. Vielmehr ist die offene Vorratsgründung als zulässig anzusehen (vgl. BGHZ 117, 323 = GmbHR 1992, 454 [BGH 16.03.1992 - II ZB 17/91]), weil für den Erwerber ein wirtschaftlich anerkennenswertes Bedürfnis besteht, die Dauer des Eintragungsvorgangs zu verkürzen und so über eine Kapitalgesellschaft verfügen zu können, die ihren Geschäftsbetrieb umgehend aufnehmen kann (BGHZ 117, 323, 332 [BGH 16.03.1992 - II ZB 17/91] = GmbHR 1992, 451, 454 r. Sp.). Trotzdem handelt es sich um die Aufspaltung eines Vorgangs, den das Unternehmen "an sich" einheitlich hätte durchlaufen müssen. Gesetzgeberisches Leitbild ist nämlich der typische enge zeitliche Zusammenhang zwischen Gründung sowie Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister und der Aufnahme der Geschäfte. Wenn diese Vorgänge nunmehr - jedenfalls bei der offenen Vorratsgründung aufgrund planmäßigen Handelns - auf unbestimmte Zeit aufgespalten werden, weil die ursprüngliche Gesellschaft inaktiv war, also kein Unternehmen betrieb, mag dies für den Erwerber eines bloßen Mantels insbesondere wegen der Zeitersparnis attraktiv sein. Dies ist jedoch kein Grund, die das Unternehmen betreibenden Personen von den Erfordernissen der Kapitalaufbringungsvorschriften zu befreien, denen sie unterworfen gewesen wären, wäre die Gesellschaft neu gegründet worden. Denn sie würden anderenfalls hinsichtlich der einzuhaltenden Anforderungen gegenüber denen privilegiert, die sich des vom Gesetz im Interesse der Gläubigersicherung vorgesehenen Weges zur Gründung einer GmbH bedienen; dem ist durch eine entsprechende Anwendung der Gründungsvorschriften bei der späteren wirtschaftlichen Neugründung - als die sich die Mantelverwendung darstellt - zu begegnen (BGH a.a.O. - obiter -).

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2.

Die von der Gegenauffassung angeführten Argumente überzeugen nicht. Zwar ist es zutreffend, dass das Gesetz die Ausstattung mit einem Mindesthaftungsfonds nur bei der ersten Eintragung, nicht aber bei späteren Änderungen verlangt (BayObLG GmbHR 1999, 607, 608 l. Sp.), sodass von einer nur "punktuellen Kontrolle der Kapitalaufbringung" gesprochen werden kann. Indes geht es hier nicht darum, die gesetzgeberische Entscheidung für diese Kontrolle zu erweitern und gleichsam eine Kapitalbestandsgarantie dadurch einzuführen, dass bei jeder beim Registergericht anzumeldenden Änderung geprüft wird, ob der Kapitalsicherungspflicht genüge getan ist. Es soll lediglich gewährleistet sein, dass eine registergerichtliche Kontrolle in dem Moment erfolgt, in dem die GmbH tatsächlich erstmals eine wirtschaftliche Tätigkeit zu entfalten beabsichtigt; dieser Zeitpunkt ist bei der offenen Vorratsgründung mit unternehmenslosem Mantel unzweifelhaft erst dann gegeben, wenn der Gesellschaftsvertrag entsprechend geändert wird.

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Damit wird im Übrigen deutlich, dass nicht jede "einschneidende Änderung" (vgl. BayObLG GmbHR 1999, 607, 608) vom Registergericht überprüft zu werden braucht. Vorliegend geht es ausschließlich um eine wirtschaftliche Neugründung, die im Anschluss an eine "offene Vorratsgründung" erfolgt, und in dem noch kein Unternehmen von der Gesellschaft betrieben worden ist; über Fälle von Um- oder Reorganisation einer aktiven oder aktiv gewesenen GmbH ist hier nicht zu befinden.

9

3.

Nicht durchschlagend ist daher der Einwand, es ergäben sich bei der Anwendung der überwiegenden Auffassung praktische Schwierigkeiten bei der Kontrolle, insbesondere im Zusammenhang mit der Abgrenzung einer Mantelverwendung zu einer bloßen Fortführung (siehe dazu BayObLG GmbHR 1999, 607 l. Sp. unten). Inwiefern die entsprechende Anwendung für bestimmte Arten von Unternehmensfortführungen gefordert werden muss, braucht nicht entschieden zu werden. Der Senat bezieht dieses Erfordernis - nur darauf kommt es im vorliegenden Fall an - auf die Übernahme eines als offene Vorratsgesellschaft gegründeten GmbH-Mantels, unter dem keine Geschäftstätigkeit aufgenommen worden ist, sondern der sich auf die "Verwaltung eigener Vermögenswerte" (§ 2 des Gesellschaftsvertrags) beschränkt hat. Diese Qualifizierung wird das Registergericht unschwer vornehmen können. Im Übrigen hat der BGH (BGHZ 117, 323, 331 [BGH 16.03.1992 - II ZB 17/91] = GmbHR 1992, 451, 454 r. Sp.) die Zulässigkeit der Mantel- oder Vorratsgründung mit der Überlegung angenommen, die Bedenken dagegen bezögen sich nicht auf die Gründung, sondern auf Gefahren im Zusammenhang mit der späteren Verwendung des Mantels, was - wie bereits erwähnt -, dafür spreche, ihnen bei der späteren wirtschaftlichen Neugründung durch eine sinngemäße entsprechende Anwendung der Gründungsvorschriften Rechnung zu tragen; entschieden hat der BGH diese Frage in der zitierten - oder, soweit ersichtlich, einer späteren - Entscheidung jedoch noch nicht. "Die dabei auftretende Schwierigkeit, Mantelverwendungen zu erkennen und in geeigneter Form zu kontrollieren, dürfte für das Registergericht im Ergebnis nicht wesentlich größer sein als diejenige festzustellen, ob es sich bei der zur erstmaligen Eintragung angemeldeten Gesellschaft um eine verdeckte Mantelgründung handelt" (BGH a. a. O). Für die hier vorliegende offene Vorratsgründung, deren Zulässigkeit der BGH angenommen und hinsichtlich derer er die Angabe des Gesellschaftszweckes "Verwaltung des eigenen Vermögens" für ausreichend hält (s. den Leitsatz zu b) der Entscheidung BGHZ 117, 323 = GmbHR 1992, 451 [BGH 16.03.1992 - II ZB 17/91] [Leitsatz zu 2]), dürften sich mithin solche Abgrenzungsschwierigkeiten nicht ergeben.

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4.

Die Überlegungen zu 3. entkräften ebenfalls das Argument des BayObLG (GmbHR 1999, 607, 608 [BayObLG 24.03.1999 - 3 Z BR 295/98] r. Sp.), auch das Interesse potentieller Gläubiger lasse eine Analogie nicht als notwendig erscheinen, weil deren Risiko sich nicht zwingend dadurch erhöhe, dass Gesellschafter und Geschäftsführer wechselten und Sitz und Unternehmensgegenstand geändert würden. Zwar trifft dies - allgemein gesprochen - zu. Für den vorliegenden Fall kommt es jedoch auf eine Risikoabwägung gerade bei der Übernahme der Anteile an einer offenen Vorratsgesellschaft an. Es liegt auf der Hand, dass bei dieser Konstellation, die dadurch charakterisiert ist, dass erstmals der Geschäftsbetrieb aufgenommen und Verbindlichkeiten begründet werden, das Risiko für die Gläubiger steigt.

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Hinzu kommt, dass die Gefahr für die Gläubiger einer offenen Vorratsgesellschaft - sollte das bar eingezahlte Stammkapital bereits verbraucht sein - ungleich höher ist als für die Gläubiger einer werbenden Gesellschaft. Bei letzterer ist nämlich davon auszugehen, dass sie zwar - im Wege entgeltlicher Umsatzgeschäfte - Kapital verliert, dadurch aber in der Regel werthaltige Gegenstände erwirbt und somit dem haftenden Vermögen zuführt, während nicht erkennbar ist, inwiefern bei der bloßen Vorratsgesellschaft ein Geldabfluss kompensiert werden könnte. Da es aber andererseits bei der offenen Vorratsgesellschaft - jedenfalls bei Beachtung des "Gesellschaftszwecks" - einen Kapitalabfluss nicht geben kann, müsste es für den (neuen) Geschäftsführer um so leichter sein, die Erklärung nach § 8 Abs. 2 GmbHG abzugeben; kann er dies nicht, weil - aus welchen Gründen auch immer - das Mindestkapital nicht (mehr) gedeckt ist, so ist es gerechtfertigt und geboten, die Eintragung abzulehnen.

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5.

Die Annahme, eine registergerichtliche Kontrolle der Kapitalausstattung bei der Verwendung von Mantel- oder Vorratsgesellschaften unterliefe das als berechtigt anerkannte Motiv, den Zeitverlust zu vermeiden, der sich unter anderem aus der Dauer des Eintragungsvorgangs ergebe (BayObLG GmbHR 1999, 607, 609 l. Sp.), trifft nicht zu. Hier steht die Anwendung des § 8 Abs. 2 GmbHG in Frage. Es soll eine Erklärung seitens der Geschäftsführerin abgegeben werden über Verhältnisse, die ihr ohne weiteres bekannt sein müssen. Jedenfalls bei der offenen Vorratsgesellschaft sollte dies der Fall sein, weil das Vermögen regelmäßig unangetastet bleibt. Ist dies so, wird der Geschäftsführer die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG unschwer zügig abgeben können. Zeitliche Verzögerungen sind also nicht zu befürchten.

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6.

Durch das hier skizzierte Verständnis wird also die Kapitalsicherung wenigstens verbessert. Die Einwände, die daraus hergeleitet werden, dass die Strafbewehrung einzelner Gründungsvorschriften eine Analogie ausschließe (vgl. dazu BayObLG GmbHR 1999, 607 f.; siehe auch Bärwaldt/Schabacker, a.a.O., S. 1010 l. Sp.) greifen nicht durch. Zwar trifft es zu, dass die strafrechtlichen Sanktionen (etwa § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG und § 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG) am Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen sind. Einerseits nimmt jedoch § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG - anders als etwa § 82 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG - nicht eine andere (unmittelbar anzuwendende) Vorschrift des GmbHG in Bezug, so dass sich jedenfalls ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht aufdrängt. Im Übrigen mag wegen dieser Bedenken der Druck zur Einhaltung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften reduziert sein; dass die Warnfunktion dieser Normen - gerade im Hinblick auf die von diesen Überlegungen nicht betroffene zivilrechtliche Sanktion des § 9 a GmbHG - jedoch völlig aufgehoben wird, wird man nicht annehmen können.

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II.

Der Beschwerde ist im Übrigen auch nicht zu folgen, wenn sie meint, es handele sich hier bei der vom Registergericht geforderten Erklärung nach § 8 Abs. 2 GmbHG im Hinblick darauf um eine Formalie, dass sich aus den Kontoauszügen die erforderliche Kapitalausstattung ergebe. Die Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG hat nämlich die Funktion, durch eine abschließende Erklärung nach außen zu dokumentieren, dass das volle Stammkapital der Gesellschaft zur freien Verfügung steht. Dadurch werden auch Umstände abgedeckt, die sich negativ auf den Vermögensbestand der GmbH auswirken, indes aus einem (bzw. gerade diesem) Kontoauszug nicht ersichtlich sind. Keinesfalls sind die neuen Geschäftsführer einer GmbH durch die Anforderung des Registergerichts in diesem Fall unbillig benachteiligt. Handelte es sich tatsächlich lediglich um eine "Formalie" - was das Registergericht nicht beurteilen kann -, so ist kein Grund ersichtlich, warum die Erklärung nicht umgehend abgegeben wird.