Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 26.11.1998, Az.: 1 U 31/98
Arzt; Aufklärungspflicht; Dokumentationspflicht; Arzthaftung; Schadensersatz; Behandlungsfehler; Ultraschall; Geburt; Kausalität
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 26.11.1998
- Aktenzeichen
- 1 U 31/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 15858
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1998:1126.1U31.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- 4 O 25/94 - LG Göttingen
Fundstellen
- NJW-RR 2000, 238-240 (Volltext mit amtl. LS)
- OLGReport Gerichtsort 2000, 36-37
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 11. März 1998 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 14.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Beklagten wird gestattet, die Sicherheit durch eine unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und schriftliche selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse zu stellen.
Der Wert der Beschwer der Klägerin und der Streitwert des Berufungsrechtszuges werden auf 70.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand:
Am 13.7.1989 wurde die damals 25 Jahre alte schwangere Klägerin mit Wehen in die Universitäts-Frauenklinik ... eingeliefert, die von der Beklagten betrieben wird. Bei der Entbindung am selben Tag kam es zu Komplikationen, weil sich die Nabelschnur des Kindes verschlungen hatte und das Kind zu ersticken drohte. Dies äußerte sich auch in abfallenden Herztönen (Herztondezeleration) des Kindes. Die Geburtshelfer bereiteten eine vaginale Entbindung mit einer Saugglocke (Vakuumextraktion) vor. Um einen zügigen Durchtritt des Kopfes zu erreichen, wurde bei der Klägerin ein Dammschnitt (Episiotomie) durchgeführt, der im Verlauf des Geburtsvorgangs noch erweitert wurde. Nach der Geburt wurde bei der anschließenden Kontrolle des Geburtskanals eine kleinfingernagelgroße Verletzung des Mastdarms (Rektum), ca. 1 1/2 bis 2 cm vom Sphinkter (Schließmuskel) entfernt, entdeckt und zweischichtig übernäht.
In den folgenden Tagen bildete sich in der Rektumnaht eine Fistel, die am 21.11.1989 durch eine Exzision entfernt wurde. In der Folgezeit klagte die Klägerin darüber, daß der Schließmuskel nicht mehr exakt schließe, so daß Kotteile unkontrolliert austreten könnten und es zu Nachschmieren bei und nach der Defäkation komme. Am 28.11.1990 wurde deshalb eine Operation bei der Stiftung Deutsche Klinik für Diagnostik GmbH in ... durchgeführt, um eine Rekonstruktion des Schließmuskels zu erreichen.
Die Klägerin hat vorgetragen:
Folge des Dammschnittes und des Dammrisses sei ein verzögerter Heilungsverlauf und die zusätzliche Operation in Wiesbaden gewesen; hierdurch habe die Klägerin bedeutende Schmerzen erlitten. Noch heute leide sie an Schmerzen bei hartem Stuhlgang, beim Geschlechtsverkehr, beim Radfahren und auch bei Wetterumschwung, was auf Narben im Bereich des Dammschnittes zurückzuführen sei.
Ursächlich hierfür seien Behandlungsfehler der Beklagten:
So sei schon nicht ersichtlich, weshalb im Vorfeld der Entbindung, z.B. durch Ultraschalluntersuchung, die Verschlingung der Nabelschnur des Kindes sowie Größe und Lage des Kindes nicht zuverlässig hätten festgestellt werden können. Es hätte dann noch rechtzeitig vor der Geburt ein Dammschnitt vorgenommen werden können. Ohne Zeitnot hätte ein Weiterreißen hätte vermieden werden können. Auch hätte die Möglichkeit eines Kaiserschnittes erwogen werden können.
Der Dammschnitt sei auch nicht in Übereinstimmung mit der ärztlichen Kunst ausgeführt worden. Dies ergebe sich schon daraus, daß der ursprüngliche Schnitt nicht ausgereicht habe und erweitert worden sei. Der Dammschnitt sei auch nicht deutlich genug korrigiert worden. Während der Geburt sei die verwendete Saugglocke abgerutscht.
Behandlungsfehler seien auch bei der Versorgung der Rektumverletzung anzunehmen. Das zweischichtige Übernähen der Läsion hätte von einem Chirurgen ausgeführt werden müssen, was nicht geschehen sei. Die Nähte, die in der gynäkologischen Abteilung angebracht worden seien, seien bald wieder aufgegangen und die Narben und Wunden seien mit erheblichen Kotresten "verseucht" gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 1.11.1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen:
Es sei unüblich, im weiten Vorfeld der Entbindung zum Zwecke der Feststellung möglicher Nabelschnurumschlingungen Ultraschalluntersuchungen durchzuführen, die im übrigen keine verläßliche Vorhersage für die Situation der Geburt böten. Die Herztöne des Kindes seien bei der Einlieferung im Krankenhaus auch normal gewesen und hätten keine Veranlassung für eine Ultraschalluntersuchung geboten. Auch eine weiträumig vor der eigentlichen Geburt vorgenommene Episiotomie sei ebensowenig angezeigt gewesen wie eine Entbindung durch einen Kaiserschnitt.
Wegen des Herztonabfalls sei eine medio-laterale Episiotomie durchgeführt worden, um im Bedarfsfalle den Geburtsvorgang mit Hilfe einer Saugglocke zügig und kontrolliert unterstützen zu können. Aufgrund eines bei einem Preßversuch erneut aufgetretenen Herztonabfalls sei der Entschluß zur Vakuumextraktion getroffen und die Episiotomie entsprechend erweitert worden, um die Saugglocke ohne die Gefahr einer unkontrollierten Verletzung der Klägerin ansetzen zu können. Die Saugglocke sei während des Geburtsvorgangs nicht abgerutscht.
Dammrisse und Scheidenrisse gehörten zu den typischen Komplikationen bei einer Geburt. Der beste Schutz gegen einen Dammriß und andere Verletzungen im Bereich der Vulva sei die medio-laterale Episiotomie. Beim Durchtritt des kindlichen Kopfes während einer Vakuumextraktion könne es trotz optimalen Dammschutzes zu einer Sphinkterläsion oder sogar in seltenen Fällen zum Einriß der Rektumschleimhaut kommen.
Auch die Versorgung der Rektumläsion sei nicht fehlerhaft durchgeführt worden. Wenn es trotz ordnungsgemäßer Versorgung der Wunde zu stärkerer Narbenbildung nebst Verziehung des Analkanals gekommen sei, so habe dies nichts mit einer fehlerhaften Wundversorgung, sondern mit der individuellen Reaktion der Klägerin im Rahmen der Narbenausprägung und Narbenbildung zu tun.
Die infolge der Verletzung der Rektumschleimhaut aufgetretene Fistelbildung sei schicksalsbedingt und beruhe nicht auf einem Behandlungsfehler.
Der geltend gemachte Anspruch sei im übrigen der Höhe nach bei weitem übersetzt, selbst wenn, was bestritten werde, die Klägerin weiterhin starke Schmerzen verspüre. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, daß die Korrekturoperation am 28.11.1990 fehlerhaft durchgeführt worden sei.
Das Landgericht Göttingen hat Beweis erhoben aufgrund der Beweisbeschlüsse vom 5.7.1994 (Bl. 52 d.A.), 13.12.1995 (Bl. 117 d.A.) und vom 27.10.1997 (Bl. 169 d.A.) sowie der Beschlüsse vom 13.12.1995 (Bl. 111 d.A.), vom 3.6.1996 (Bl. 141 d.A.) und vom 8.12.1997 (Bl. 184 d.A.).
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle des Landgerichts ... vom 13.12.1995 (Bl. 111 d.A.), des Amtsgerichts M. vom 7.3.1996 (Bl. 126 d.A.) und des Amtsgerichts W. vom 9.5.1996 (Bl. 134 d.A.) sowie die schriftlichen Gutachten des Prof. Dr. P. Sch. vom 28.8.1995, vom 19.11.1997 (Bl. 175 d.A.) und vom 5.1.1998 (Bl. 197 d.A.) sowie das Gutachten des Dr. H. B. vom 14.9.1997 Bezug genommen.
Das Landgericht hat sodann die Klage durch Urteil vom 11.3.1998 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Nach den Feststellungen des chirurgischen Sachverständigen Dr. B. sei die Behandlung der Fistel fehlerfrei erfolgt und funktioniere der Schließmuskel jetzt einwandfrei; dieses Ergebnis des Gutachten habe die Klägerin auch hingenommen. Die Klägerin habe auch ihr ursprüngliches Vorbringen nicht mehr aufrechterhalten, daß der Dammschnitt zu spät oder zu wenig lang bzw. tief angelegt gewesen sei. Jedenfalls ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sch., daß hierin keine Ursache für die Rektumverletzung zu sehen sei. Die Behauptung der Klägerin, die Saugglocke sei bei der Geburt abgerutscht, sei nicht bewiesen, so daß insoweit auch nicht von einem Dokumentationsmangel ausgegangen werden könne. Allein der Umstand, daß die Saugglocke beim ersten Ansetzen abgerutscht sein könnte, lasse auch nicht den sicheren Schluß darauf zu, daß beim Anlegen der Saugglocke zwischen dem kindlichen Köpfchen und dem Rand der Glocke ein Stück der Rektumwand mit hineingezogen worden sei. Daraus schließlich, daß die Klägerin noch heute aufgrund der Narbenbildung im Bereich der Dammnaht an Schmerzen leide, ergebe sich nicht schon ein ärztlicher Behandlungsfehler.
Gegen dieses ihr am 18.3.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.4.1998 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 15.6.1998 begründet.
Sie trägt vor:
Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Klägerin das Abrutschen der Saugglocke nicht bewiesen habe. Die Zeugen R. und Dr. D. hätten an den konkreten Vorgang der Geburt keine Erinnerung mehr gehabt, so daß der glaubhaften Aussage des Zeugen St. hätte gefolgt werden müssen, der sich an das Abrutschen der Saugglocke genau habe erinnern können. Das Abrutschen der Saugglocke hätte in den Unterlagen über die Geburt dokumentiert werden müssen; auch fehle in der Dokumentation der Hinweis, daß es sich bei Dr. D. um einen Anfänger gehandelt habe und dementsprechend eine Anfängerkontrolle durch den Oberarzt Dr. T. erforderlich gewesen sei. Den Unterlagen lasse sich auch nicht entnehmen, zu welchem Zeitpunkt Herr Dr. T. hinzugezogen worden sei, welche Gefahrenlage erkannt worden sei, welche verschiedenen Möglichkeiten zur Abwendung der Gefahrenlage diskutiert worden seien und wer die Entscheidung hinsichtlich des Einsatzes der Saugglocke getroffen habe. Das Fehlen dieser Umstände in der Dokumentation lasse die Aussage des Zeugen St. noch glaubhafter erscheinen. Infolge der Verletzung der Dokumentationspflicht kämen zugunsten der Klägerin Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast in Betracht, wobei auch zu berücksichtigen sei, daß die Geburt von Dr. D. als Assistenzarzt durchgeführt worden sei.
Die Klägerin sei auch nicht, wie dies erforderlich gewesen wäre, darüber aufgeklärt worden, daß die Entbindung einem Assistenzarzt in eigener Verantwortung übertragen worden sei und dieser bei der Entbindung erst dann einen Facharzt zur Aufsicht hinzuziehen werde, wenn sich Komplikationen ergäben. Wäre die Klägerin aufgeklärt worden, hätten die Klägerin und ihr Ehemann auf einer Behandlung durch den zuständigen Facharzt bestanden.
Das Landgericht habe den Sachverhalt auch nicht hinreichend aufgeklärt. Es sei dem Vortrag nicht nachgegangen, daß die Beklagte bereits im Vorfeld der Untersuchung die Komplikationen bei der Geburt habe erkennen können und hinsichtlich der Art der Behandlung habe abwägen müssen zwischen dem Risiko einer Kaiserschnittgeburt und dem Risiko einer normalen Geburt mit Dammschnitt. Es sei auch davon auszugehen, daß die Anlage eines Dammschnittes routinemäßig bei Einleitung der Geburt nicht lege artis sei, da die Verletzungsgefahr der Patientin bei Vorlage eines Dammschnittes größer sei als bei einem normalen Dammriß.
Die Klägerin hätte vor der Geburt auch über die Risiken eines Dammschnittes aufgeklärt werden müssen, damit sie sich zwischen einer Geburt mit Dammschnitt, einer Geburt ohne Dammschnitt mit der Folge eines Dammrisses oder eine Kaiserschnittgeburt hätte entscheiden können. Es habe ohnehin Anlaß bestanden, der Frage nachzugehen, ob nicht eine Entbindung durch Kaiserschnitt statt einer natürlichen Geburt mit Hilfe der Saugglocke erforderlich sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts ... Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 70.000,00 nebst 8 % Zinsen seit dem 1.11.1989 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, sowie
für den Fall einer Maßnahme nach § 711 ZPO anzuordnen, daß die Sicherheit durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentliche Sparkasse gestellt werden darf.
Die Beklagte trägt vor:
In der Nacht der Geburt sei diensthabender Arzt Dr. S. gewesen. Dieser habe wegen einer zunächst kurzzeitigen Herztondezeleration Dr. D. hinzugezogen, der nach kurzer Untersuchung seinerseits den Oberarzt Prof. Dr. T. hinzugezogen habe. Dieser sei um 5.05 Uhr eingetroffen und habe die Vorbereitung einer Vakuumextraktion und eine vorzeitige Infiltration des Dammes (= Injektion eines Lokalanästetikums) angeordnet. Um 5.09 Uhr habe Dr. Döhmen eine medio-laterale Episiotomie durchgeführt. Nachdem es erneut zu einem tiefen Herztonabfall gekommen sei, hätten sich die behandelnden Ärzte zur Vakuumextraktion entschlossen. Zur Entlastung des relativ niedrigen Dammes habe Dr. D. den Dammschnitt mehr lateral verlängert. Im Anschluß daran habe Dr. D. die Pelotte gelegt und den richtigen Sitz überprüft. Nach Aufbauen eines Vakuums sei ein wehensynchroner Probezug erfolgt, im Anschluß daran die wehensynchrone Entwicklung des kindliche Kopfes aus zweiter vorderer Hinterhauptlage in typischer Weise bei fester Nabelschnurumschlingung um den Hals. Dieser Geburtsablauf wie auch die nachfolgende, jetzt unstreitige Behandlung der Rektumläsion sei sowohl im OP-Bericht des Dr. D. wie in dem Protokoll der Hebamme R. vollständig dokumentiert worden.
Dr. Döhmen sei mit der Saugglocke nicht abgerutscht; die Beweiswürdigung des Landgerichts sei zutreffend.
Der Ausbildungsstand des Dr. D. habe nicht dokumentiert zu werden brauchen, wie auch die Klägerin über ein Beteiligung eines auszubildenden Arztes nicht habe aufgeklärt zu werden brauchen. Im übrigen habe das Kontrollsystem der Beklagte auch funktioniert, weil die beiden Stationsärzte bei Auftreten der Komplikationen den diensttuenden Oberarzt hinzugezogen hätte. Dr. D. habe bei der Geburt am 13.7.1989 im übrigen bereits über hinreichende Erfahrungen bei der Geburtsbetreuung verfügt und insoweit Facharztniveau besessen. Er habe seinen Dienst in der Universitäts-Frauenklinik am 1.1.1986 angetreten gehabt, habe also mehr als 3 1/2 Jahre der 5 Jahre dauernden Facharztausbildung hinter sich gehabt. Da im Hause der Beklagten - wie in allen anderen Universitätskliniken des Bundesgebietes - außer in Fällen der primären Indikation einer Sectio - zur Vorbereitung der Geburt ein Dammschnitt gelegt werde, habe der Zeuge Dr. D. seinerzeit mindestens 120 bis 139 Dammschnitte selbst gelegt und bei ebenso vielen Dammschnitten assistiert gehabt. Er habe aus mindestens 25 eigenen und 25 assistierten Geburten auch hinreichende Erfahrung mit einer Vakuumextraktion gehabt.
Über die Risiken einer Kaiserschnittgeburt im Vergleich zu den Risiken einer normalen Geburt mit Dammschnitt habe die Klägerin nicht aufgeklärt zu werden brauchen, weil nicht einmal eine relative Indikation für eine Sectio vorgelegen habe. Auch der Entschluß zu einer Vakuumextraktion sei in der konkreten Situation richtig gewesen. Jedenfalls im Jahre 1989 sei ein Dammschnitt eine unumstrittene Routineangelegenheit gewesen, so daß es auch keiner Aufklärung über den Dammschnitt bedurft hätte. Es wäre ein Behandlungsfehler gewesen, wenn die Ärzte auf den Dammschnitt verzichtet hätten.
Die subjektiven Beschwerden würden bestritten; die Schmerzensgeldforderung sei völlig überzogen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle und das landgerichtliche Urteil verwiesen.
Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. Sch. zur Erläuterung seiner schriftlichen Gutachten angehört. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 12.11.1998 (Bl. 280-282 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Ein Behandlungsfehler, der zu gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin geführt haben könnte, ist ebensowenig ersichtlich wie eine Verletzung der Aufklärungspflichten.
1.
Der Beklagten kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß sie nicht bereits im Vorfeld der Geburt eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt hat, um Komplikationen bei der Geburt voraussehen und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
Die Klägerin trägt selbst vor, daß bei der Einlieferung in die Klinik Komplikationen nicht ersichtlich gewesen seien und mit einer kurzfristigen natürlichen schnellen Geburt habe gerechnet werden können (Berufungsbegründung S. 3 = Bl. 236). Darüber hinaus hat der Sachverständige Prof. Dr. Sch. in der mündlichen Anhörung zur Überzeugung des Senats ausgeführt, daß Ultraschalluntersuchungen zwar im allgemeinen üblich seien, der Untersuchungsbefund jedoch keine Bedeutung für die zu wählende Geburtsart habe. Denn selbst dann, wenn bei der Ultraschalluntersuchung eine Nabelschnurumschlingung festgestellt würde, hieße dies noch nicht, daß die Umschlingung für die Geburt relevant würde. Das Unterlassen einer Ultraschalluntersuchung hat sich mithin auf den Ablauf der Geburt nicht ausgewirkt und ist nicht kausal geworden für die von der Klägerin vorgetragenen gesundheitlichen Komplikationen und Beschwerden. Sofern an andere Untersuchungsmethoden zu denken wäre, gilt auch insoweit, daß damit für die maßgebliche konkrete Situation der späteren Geburt keine verläßlichen Erkenntnisse getroffen werden könnten.
2.
Soweit die Klägerin vorträgt, sie hätte über die Risiken einer Geburt mit einem Dammschnitt aufgeklärt werden müssen, um sich gegebenenfalls auch für eine Geburt mit Kaiserschnitt entscheiden zu können, ist dem nicht zu folgen.
Es ist bereits gerichtsbekannt gewesen und durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. erneut bestätigt worden, daß eine Geburt durch Kaiserschnitt ein sehr viel höheres Risiko in sich birgt als eine vaginale Geburt und zwar auch dann, wenn bei dieser Geburt ein Dammschnitt erfolgt. Ist ein Kaiserschnitt nicht indiziert und stellt er somit keine echte Alternative zur vaginalen Geburt dar, braucht die Mutter deshalb auch nicht hierüber aufgeklärt zu werden (OLG Stuttgart VersR 1989, 519 [OLG Stuttgart 19.05.1988 - 14 U 34/87]).
3.
Der Dammschnitt selbst ist nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. vom 28.8.1995 (S. 5) und seinen Ausführungen in der mündlichen Anhörung vor einer vaginaloperativen Geburtsbeendigung anerkannter Standard, so daß das Anlegen der Episiotomie nicht fehlerhaft gewesen ist. Wenn die Notwendigkeit eines Dammschnittes in der medizinischen Literatur in jüngster Zeit in Zweifel gezogen worden ist, galt dies nach der gutachtlichen Äußerung des Prof. Dr. Sch. jedenfalls noch nicht für den Zeitpunkt der Geburt vom 13.7.1989. Hinzu kommt, daß die zwischenzeitlich erhobenen Bedenken sich noch nicht durchgesetzt haben und daher selbst heute noch ein Dammschnitt nach wie vor keinen Behandlungsfehler darstellt.
Es läßt sich auch nicht feststellen, daß der Dammschnitt fehlerhaft ausgeführt worden ist. Wie der Sachverständige Prof. Dr. Sch. mehrfach ausgeführt hat, kann darin, daß ein sich als "zu klein" erweisender Dammschnitt erweitert werden muß, kein ärztlicher Fehler gesehen werden. Dies gilt vorliegend um so mehr, als der Entschluß zur Episiotomie gefaßt wurde, als wegen der Nabelschnurumschlingung Eile geboten schien und den Ärzten mit der Dammschnitterweiterung etwa notwendig werdende Manipulationen erleichtert wurden.
Auch die Entzündung im Bereich des Dammschnittes läßt einen Rückschluß auf eine fehlerhafte Ausführung des Dammschnittes nicht zu, weil derartige Entzündungen ebenso wie die Folgebeschwerden auch bei völlig korrekter Nahttechnik auftreten (vgl. Gutachten Prof. Dr. Sch. vom 5.1.1998, S. 2 = Bl. 198).
Es bedurfte auch keiner Aufklärung über mögliche gesundheitliche Folgen eines Dammschnittes, denn war einerseits ein Kaiserschnitt nicht indiziert und gehörte andererseits der Dammschnitt bei der vaginalen Geburt zum medizinischen Standard, war der Dammschnitt eine dem Arzt zu überlassende Behandlungsmethode und das Risiko von der Klägerin als notwendige Folge einer vaginalen Geburt zu tragen.
4.
Der Entschluß zur Durchführung einer Vakuumextraktion ist nach den Ausführungen in dem Sachverständigengutachten vom 28.8.1995 ebenfalls nicht zu rügen, was auch von der Klägerin in der Berufungsbegründung nicht mehr in Zweifel gezogen wird. Die Klägerin macht vielmehr geltend, daß die Saugglocke bei einem ersten Versuch abgerutscht sei und damit die Rektumläsion im Zusammenhang stehe.
Es kann dahinstehen, ob die Saugglocke tatsächlich abgerutscht ist oder nicht. Denn durch das Abrutschen der Saugglocke an sich kann eine Rektumläsion nicht entstehen, sondern nur dadurch, daß beim Anlegen der Saugglocke zwischen das kindliche Köpfchen und den Rand der Saugglocke ein kleiner Zipfel der Scheide bzw. der Rektumwand hineingezogen wird. Das Abrutschen der Saugglocke kann deshalb für die Rektumläsion nicht unmittelbar kausal sein; es ist auch kein Indiz für ein fehlerhaftes Ansetzen der Saugglocke, weil ein Zusammenhang insoweit nicht besteht. Hinzu kommt, daß der Sachverständige Prof. Dr. Sch. in seiner Anhörung vor dem Senat ausgeführt hat, daß es auch bei sorgfältiger Vorgehensweise dazu kommen kann, daß ein kleiner Zipfel etwa der Rektumswand beim Anlegen der Saugglocke mit eingezogen wird. Das bloße Abrutschen der Saugglocke indiziert also noch nicht einen Behandlungsfehler.
Die aus der Dammschnittnaht resultierenden Beschwerden der Klägerin können ohnehin nicht aus dem Abrutschen der Saugglocke erklärt werden.
5.
Soweit die Klägerin vorträgt, sie sei verspätet auf die chirurgische Abteilung verlegt worden, läßt sich ein Behandlungsfehler insoweit nicht feststellen, so daß es auf die Frage nicht ankommt, ob hiermit die geklagten gesundheitlichen Beschwerde überhaupt in Verbindung gebracht werden können. Es fehlt zu diesem Punkt bereits an einem hinreichend substantiierten Vortrag, denn der Hinweis darauf, daß auf der Chirurgie gefragt worden sei, weshalb die Klägerin erst so spät komme und daß ursprünglich eine Verlegung schon für den 14.7.1989 beabsichtigt gewesen sei, kann die Fakten nicht ersetzen, die den Schluß darauf zuließen, daß aufgrund der gesundheitliche Befunde eine Verlegung eher angezeigt gewesen ist. Hinzu kommt, daß die Klägerin nach der Geburt vom Donnerstag, dem 13.7.1989, bereits am Montag, dem 17.7.1989, an die Chirurgie überwiesen wurde (vgl. Bl. 153 d.A.). Da die Fistel sich erst gebildet haben muß, um erkannt zu werden, sind schon die Zeitabläufe derart, daß ein Behandlungsfehler nicht bejaht werden kann. Im übrigen war die Infektion der Rektumswunde, die nach den überzeugenden Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. während der Geburt eingetreten sein muß, ohne daß ein Behandlungsfehler mitgewirkt hat, durch eine schnellere chirurgische Behandlung nicht zu beseitigen. Es hätte nur der Schmerz gelindert werden können.
6.
Soweit die Klägerin beanstandet, nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, daß die Entbindung einem Assistenzarzt in eigener Verantwortung übertragen worden sei, greift auch dieser Vorwurf nicht.
Einer Aufklärung bedurfte es nicht. Die Beklagte hat im einzelnen -unbestritten- ausgeführt, daß der Arzt Dr. D. bereits über eine längere Erfahrung verfügte und unmittelbar mit Beginn der ersten Komplikationen unter der Aufsicht des Facharztes Dr. T. agiert hat, wie dies auch den Anweisungen entsprach und im OP-Bericht dokumentiert ist. Unter diesen Umständen, die die Gewähr eine Aufsicht durch einen qualifizierten Arzt bot, war es weder ein Fehler, den Arzt Dr. D. agieren zu lassen noch war eine vorhergehende Aufklärung geboten (vgl. BGB RGRK/Nüßgens 12. Aufl. § 823 Anh. II Rn. 137)
7.
Der Klägerin stehen schließlich auch keine Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Dokumentationspflicht zu.
Insoweit ist zunächst zu beachten, daß eine unterlassene oder nur lückenhafte Dokumentation keine eigenständige Anspruchsgrundlage bildet (BGH VersR 1993, 836, 837; VersR 1995, 706, 707) [BGH 14.02.1995 - VI ZR 272/93]. Ein solcher Mangel kann nur dazu führen, daß dem Patienten zum Ausgleich der hierdurch eingetretenen Erschwernis, einen ärztlichen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine entsprechende Beweiserleichterung zugute kommt, um auch für die Prozeßführung eine gerechte Rollenverteilung im Arzt-Patienten-Verhältnis zu schaffen (BGH VersR 1995, 706, 707) [BGH 14.02.1995 - VI ZR 272/93]. Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung Dokumentationsversäumnisse rügt und hieraus Beweiserleichterungen für sich ableitet, leiden diese Ausführungen deshalb in weiten Teilen daran, daß es unterlassen wird, eine Beziehung zwischen der behaupteten Verletzung der Dokumentationspflicht und einem angeblichen Behandlungsfehler herzustellen. So läßt sich beispielsweise nicht nachvollziehen, was daraus hergeleitet werden könnte, daß nicht dokumentiert ist, "welche Gefahrenlage erkannt wurde und welche verschiedenen Möglichkeiten zur Abwendung dieser Gefahrenlage diskutiert worden sind und wer die Entscheidung hinsichtlich des Einsatzes der Saugglocke getroffen hat." (Berufungsbegründung, S. 5 = Bl. 238).
Zu den konkreten Punkten gilt im übrigen:
a.
Selbst wenn die Saugglocke tatsächlich abgerutscht und das Abrutschen nicht dokumentiert worden wäre, läßt sich daraus nichts herleiten. Ein solches Abrutschen mag als Zwischenfall, wie der Sachverständige angenommen hat, zwar dokumentationswürdig sein. Da das Abrutschen selbst, wie unter 4. bereits ausgeführt, kein Indiz für einen Behandlungsfehler darstellt, kann aus der Dokumentationslücke aber keine Beweiserleichterung für die Klägerin hergeleitet werden. Mangels Behandlungsfehlers kommt auch eine Kausalitätsvermutung nicht in Betracht.
b.
Der Umstand, daß der Operationsbericht keine detaillierte Angabe über die Technik der Versorgung der Episiotomie enthält ist, ist nicht zu rügen (vgl. Gutachten Prof. Dr. Sch. vom 5.1.1998, S. 2 = Bl. 198) und gibt keinen Anlaß, an der Ordnungsgemäßheit der Versorgung zu zweifeln.
8.
Die weiteren in erster Instanz behaupteten Behandlungsfehler sind vom Landgericht zu Recht verneint und von der Klägerin in zweiter Instanz nicht mehr aufgegriffen worden.
9.
Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen im übrigen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO sowie aus §§ 12 GKG, 3 ZPO.
Flotho
Töpperwie
Dr. Schmidt