Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 17.06.2008, Az.: 3 B 41/08

Rechtmäßigkeit von Auflagen in einer versammlungsrechtlichen Verfügung; Bestimmtheit einer Auflage; Öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung einer Versammlung oder eines Aufzugs

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
17.06.2008
Aktenzeichen
3 B 41/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 37247
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2008:0617.3B41.08.0A

Verfahrensgegenstand

Streitgegenstand: Versammlungsrecht

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 3. Kammer -
am 17. Juni 2008
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 15. Juni 2008 (3 A 193/08) gegen die Auflagen unter den Ziffern 4, 7, 9 und 10 der versammlungsrechtlichen Verfügung des Antragsgegners vom 12. Juni 2008 (Anmeldebestätigung und Auflagenbescheid) wird wiederhergestellt, soweit es Satz 2 der Auflage 9 betrifft (Wortlaut dieses Satzes: "Alkoholisierte Teilnehmer sind durch den Versammlungsleiter umgehend auszuschließen") und soweit es die Auflage 7 betrifft.

    Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen Auflagen in einer versammlungsrechtlichen Verfügung.

2

Am 21. Juni 2008 findet in der Nähe von Eschede auf einem privaten Hof eine Sonnenwendfeier statt, zu der bis zu 200 Rechtsextremisten erwartet werden. Der Antragsteller meldete für die Antifaschistische Aktion (Antifa) eine Versammlung mit Aufzug an. Der Aufzug soll nach den Vorstellungen des Antragstellers am 21. Juni 2008 am Bahnhof Eschede beginnen, durch verschiedene Straßen verlaufen und bis hin zu dem Hof, auf welchem die Sonnenwendfeier stattfindet, geführt werden, ehe der Aufzug zum Bahnhof zurück verläuft.

3

Mit Verfügung vom 12. Juni 2008 bestätigte der Antragsgegner die Veranstaltung, erließ jedoch verschiedene Auflagen. Danach wird im Wesentlichen die Strecke des geplanten Aufzuges erheblich abgeändert, und es wird geregelt, dass der Aufzug südlich der Bahnstrecke zu verbleiben und sich nicht über die Bahnstrecke nach Norden zu bewegen hat, wo der Veranstaltungsort der Sonnenwendfeier liegt. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.

4

Der Antragsteller hat am 15. Juni 2008 Klage erhoben gegen die Veränderung der Demonstrationsroute sowie gegen weitere Auflagen. Gleichzeitig hat er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt.

5

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach §80 VwGO ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.

6

Nach §80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nach §80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung in den Fällen, in denen - wie hier - die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse besonders angeordnet wird. Nach Abs. 5 Satz 1 und 2 a.a.O. kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung jedoch wiederherstellen. Im Rahmen des §80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht im Hinblick auf den Sofortvollzug eine eigene Ermessensentscheidung aufgrund der beiderseitigen Interessen zu treffen. Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, überwiegt das Interesse des Rechtsschutzsuchenden am Aufschub des Vollzuges, weil am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein öffentliches Interesse nicht besteht. Ist der angefochtene Verwaltungsakt demgegenüber offensichtlich rechtmäßig und besteht ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

7

Hiervon ausgehend hat der Antrag nur zum Teil Erfolg.

8

Die aufschiebende Wirkung der Klage ist wiederherzustellen, soweit es Ziffer 9 Satz 2 der Auflagen in dem Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juni 2008 betrifft, d.h. hinsichtlich der Auflage mit dem Wortlaut: "Alkoholisierte Teilnehmer sind durch den Versammlungsleiter umgehend auszuschließen". Diese Auflage ist inhaltlich zu unbestimmt, um vom Versammlungsleiter befolgt zu werden.

9

Die aufschiebende Wirkung ist auch hinsichtlich Ziffer 7 der Auflagen wiederherzustellen, weil diese Auflage bei einer Interessenabwägung unverhältnismäßig ist und nicht problemlos befolgt werden kann.

10

Im Übrigen kann die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wiederhergestellt werden. Denn die Auflagen in der Verfügung des Antragsgegners sind offensichtlich rechtmäßig, und am Sofortvollzug der Auflagen besteht ein besonderes öffentliches Interesse.

11

Die durch den Antragsgegner geregelten Auflagen, soweit sie Gegenstand des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz sind, finden ihre Rechtsgrundlage im Versammlungsgesetz - VersG -. Die Auflagen sind nach §15 Abs. 1 VersG inhaltlich gerechtfertigt.

12

Nach §15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Durch diese Vorschrift wird das Grundrecht des Art. 8 GG, wonach alle Deutschen das Recht haben, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, beschränkt. Die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit ist in Art. 8 Abs. 2 GG ausdrücklich vorgesehen.

13

Die Frage, ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist, unterliegt als polizeiliche Gefahrenprognose einer vollständigen gerichtlichen Überprüfung.

14

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, insgesamt die Integrität der Rechtsordnung, den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Organe.

15

Die Gefahrenprognose hat sich gemäß §15 Abs. 1 VersG auf die zur Zeit des Erlasses der Verfügung "erkennbaren Umstände" zu beziehen. Der Begriff Umstände umfasst Tatsachen, Verhältnisse, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten. Umstände sind "erkennbar", wenn sie offen zutage treten, oder wenn sie der zuständigen Behörde bei dem von ihr zu fordernden Bemühen um Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen. An die Gefahrenprognose dürfen keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die zuständige Behörde darf - anders ausgedrückt - eine die Versammlung einschränkende Verfügung erst erlassen, wenn bei verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände die Durchführung der Versammlung mit Wahrscheinlichkeit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung verursacht (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 - Brokdorf -). Dabei können an die Wahrscheinlichkeit um so geringere Anforderungen gestellt werden, je größer und folgenschwerer der drohende Schaden ist (Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 14. Aufl. 2005, §15 Rdnr. 30).

16

Zunächst:

17

Die Veränderung der Demonstrationsroute ist gerechtfertigt.

18

Bei einer Routenführung entsprechend den Wünschen des Antragstellers wäre die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet.

19

Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass zur Sonnenwendfeier auf dem privaten Hof bis zu 200 Rechtsextremisten erwartet werden. Der Antragsteller hat seine Gegenveranstaltung angemeldet für die Antifaschistische Aktion. Hier werden rund 250 Teilnehmer erwartet. Der Antragsgegner hat ausgeführt, dass Antifa und Rechtsextreme in erbitterter Gegnerschaft bestehen. Der Antragsgegner hat aus der letzten Zeit drei Kundgebungen genannt, bei denen es zu massiven Ausschreitungen zwischen der Antifa auf der einen Seite und freien Nationalisten und NPD-Mitgliedern auf der anderen Seite gekommen ist. Im Juli 2007 hätten 40 Antifaschisten den rechtsextremistischen Demonstrationszug mit Knallkörpern, Flaschen und Eiern angegriffen und die Marschroute der Rechten blockiert. Im Januar 2008 hätten 200 Linksextremisten den Bahnsteig in Meckelfeld blockiert. Im Mai 2008 in Hamburg sei es zu gewalttätigen Übergriffen auf Polizeibeamte gekommen, zu Brandlegungen an Reifenlagern, Müllcontainern und Autos. Rechtsextreme hätten auch versucht, mit Fahnenstangen auf linksautonome Personen einzuschlagen.

20

Vor dem Hintergrund dieser gewalttätigen Auseinandersetzungen rechnet der Antragsgegner mit Ausschreitungen auch in Eschede. Er befürchtet gewalttätige Auseinandersetzungen sowohl aus der rechtsextremen als auch aus der linksextremen Szene im Falle des direkten Zusammentreffens. Der Antragsgegner rechnet mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit mit Blockadeaktionen und gegenseitigen körperlichen Übergriffen. Der Antragsgegner verweist in diesem Zusammenhang auf Internetaufrufe mit Formulierungen wie: "Nazitreffen verhindern", "Sonnenwendfeuer löschen" und "Vernichtung des Faschismus". Hierin sieht der Antragsgegner die Ermunterung zu konkreten Handlungsaktionen gegen die Sonnenwendfeier der Rechtsextremisten.

21

Die Prognose des Antragsgegners über die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist nicht fehlerhaft. Bei verständiger Würdigung der erkennbaren Umstände ist bei Durchführung des Aufzuges auf der vom Antragsteller geplanten Strecke mit Wahrscheinlichkeit mit einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu rechnen. Es ist der nachvollziehbare und nicht fehlsame Schluss gerechtfertigt, dass es durch gewaltbereite "Linksextreme" und "Rechtsextreme" im Falle des unmittelbaren Zusammentreffens mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Gewalttätigkeiten untereinander, aber auch zu gewaltsamen Aktionen gegen schlichtende Ordnungskräfte und Sachgüter kommen wird, wenn die Demonstration auf der vom Antragsteller geplanten Strecke durchgeführt wird. Eine versammlungsspezifische Gefahr (§15 Abs. 1 VersG) liegt somit vor.

22

Wenn der Antragsteller in diesem Zusammenhang einwendet, dass es bei den Störungen hinsichtlich der vom Antragsgegner aus der Vergangenheit ins Feld geführten Veranstaltungen an einem unmittelbaren Versammlungsbezug fehle, weil die Versammlungen selbst störungsfrei verlaufen seien, kommt es darauf nicht an: Denn die öffentliche Sicherheit kann auch dann gefährdet sein, wenn Rechtsgütergefährdungen nicht von der gesamten Versammlung selbst ausgehen, sondern nur von einer Minderheit oder von Dritten, die aus Anlass der Versammlung und gegebenenfalls parallel zu deren Zielsetzung zu Störern werden. Dies folgt aus dem Wortlaut des §15 Abs. 1 VersG unmittelbar. Wenn es dort heißt, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung "bei" Durchführung unmittelbar gefährdet ist, zeigt dies an, dass es nicht darauf ankommt, ob die Versammlung insgesamt, eine Minderheit der Versammlung oder Dritte, die sich außerhalb der Versammlung bewegen, für die Gefahr verantwortlich sind.

23

Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei einem unmittelbaren Zusammentreffen der "Linksextremen" und "Rechtsextremen" kann die Polizei nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln abwenden, weil ein sog. polizeilicher Notstand vorliegt. Dies rechtfertigt die geänderte Streckenführung und die Beschränkung des Demonstrationszuges auf den Bereich südlich der Bahnstrecke von Eschede.

24

Die Annahme eines polizeilichen Notstandes setzt im Versammlungsrecht voraus, dass die von störenden Dritten ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit auf andere Weise - als durch das Vorgehen gegen "Nichtstörer" und die Einschränkung ihres Versammlungsrechtes ggf. auch durch geänderte Streckenführung wie hier - nicht oder nicht rechtzeitig abgewehrt werden kann, oder Maßnahmen gegen Störer keinen Erfolg versprechen, oder die Behörde nicht über ausreichende eigene Mittel verfügt, um die gefährdeten Rechtsgüter wirksam schützen zu können. Das Gebot, vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern und einer Einschränkung ihres Versammlungsrechtes eigene Kräfte der Polizei gegen die Störer einzusetzen, steht indes unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit solcher Kräfte. Es liegt in der Entscheidung der Polizeibehörde, wie sie die Vielzahl ihrer konkreten Aufgaben bewältigt (BVerfG, Beschl. v. 26.3.2001 - 1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, 1411). Die Frage, ob ein polizeilicher Notstand vorliegt, ist stets auch eine Frage der allgemeinen Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen (Tolle, NVwZ 2001, 153, 155). Sie ist weiter eine Frage des Ermessens, das der Behörde nach §15 VersG eingeräumt ist, und das vom Verwaltungsgericht im Rahmen des §114 VwGOüberprüft werden kann. Der polizeiliche Notstand im Versammlungsrecht ist letztlich kein Rechtsinstitut, das der Polizei ein freies Auswahlermessen einräumt, entweder den Störer oder den Nichtstörer in Anspruch zu nehmen. Die Polizei kann Maßnahmen gegenüber den Nichtstörern durch Einschränkung ihrer Versammlungsfreiheit nicht schon allein deshalb ergreifen, weil Maßnahmen den Nichtstörern gegenüber einfacher und leichter zu vollziehen und durchzusetzen sind als Maßnahmen gegenüber den Störern (Rühl, NVwZ 1988, 577, 583). In die Abwägungen, ob ein polizeilicher Notstand vorliegt, sind nicht nur polizeitaktische Erwägungen einzubeziehen, sondern auch das Verhältnis zwischen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes und der Schwere des befürchteten Schadens. Schlagwortartig und zugespitzt ist der polizeiliche Notstand dadurch gekennzeichnet, dass die Polizei letztlich nur die Wahl hat, die Gefahr durch die Inanspruchnahme des Nichtstörers oder gar nicht abzuwehren (Rühl, a.a.O.), wenn die Polizei nicht in der Lage ist, Störungen der öffentlichen Sicherheit wegen der großen Zahl der Teilnehmer oder wegen ungünstiger örtlicher Verhältnisse zu verhindern, oder wenn ein Einschreiten gegen Störer unangemessen (unverhältnismäßig i. e. S.) wäre. Der Schutz der Versammlungsfreiheit darf Polizeikräfte nicht so massiv binden, dass die Wahrnehmung sonstiger zumindest gleichwertiger polizeilicher Aufgaben in Frage gestellt wird (Dietel/u.a., a.a.O., §15 Rdnr. 42).

25

Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Notstandes vor.

26

Der Polizei ist es nicht möglich, bei einem unmittelbaren Zusammentreffen von "Linksextremen" und "Rechtsextremen" den Schutz der öffentlichen Sicherheit zu gewährleisten.

27

Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass der Polizei nur eingeschränkt Personal zur Verfügung steht und nur 300 Beamte gestellt werden könnten. Diese Anzahl reiche nach dem Vortrag der Polizei nicht aus, Ausschreitungen zu verhindern, wenn die Demonstranten sich nördlich der Bahnstrecke befinden würden.

28

Diese polizeitaktische Einstellung kann nicht als offensichtlich fehlerhaft vom Gericht angesehen werden. Nach einem Vermerk vom 16. Juni 2008 haben Leitungskräfte der Polizeiinspektion Celle gegenüber dem Ordnungsamt des Antragsgegners folgendes erklärt:

29

Die Polizei ist nach erneuter Aussage von Herrn ... aber nur dann in der Lage, Leben und Gesundheit der Teilnehmer der Demonstration und der Sonnenwendfeier genügend zu schützen, wenn beide Gruppen mit ihren militanten Mitgliedern weiträumig voneinander getrennt werden. Das lässt sich aus polizeilicher Sicht nur dann sicherstellen, wenn die Antifademonstration auf den Bereich südlich der Bahnlinie beschränkt wird. Die Bahnlinie mit den wenigen Übergängen lässt sich nur mit dem vorhandenen Personal sicher überwachen. Auch wenn die Antifa jetzt die zweite Kundgebung nicht mehr auf der Kreuzung Hermannsburger Straße/Zum Finkenberg, sondern 50 Meter davor stattfinden lassen will, wären der Schutz der Rechtsgüter Leben und Gesundheit der linksextremen Demonstranten und der Rechtsextremisten mit den vorhandenen Kräften letztlich nicht wirksam zu schützen.

30

Diese polizeitaktische Einschätzung der Polizei ist nicht fehlsam, und sie begründet das Vorhandensein eines polizeilichen Notstandes. Konfliktfälle können mit dem vorhandenen Personalbestand nicht wirksam verhindert werden. Es kommt in diesem Zusammenhang entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht darauf an, ob sich die örtliche Polizei erfolglos bei anderen Bundesländern bzw, bei der Bundespolizei um weitere Kräfte bemüht hat. Zum einen hat der Antragsteller keinen Anspruch darauf, dass Polizeikräfte anderer Länder bemüht werden, um die Streckenführung des Aufzuges nach seinen Wünschen zu gestalten. Zum anderen hat der Antragsgegner in seiner Verfügung darauf hingewiesen, dass wegen eines Musikfestivals in Scheeßel und wegen der Übertragungen von Fußballspielen auf zentralen Plätzen verschiedener Städte Kräfte gebunden werden. Es ist daher im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass weitere Kräfte nicht zur Verfügung stehen.

31

Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass ein Aufzug auch bis kurz vor der Einmündung der Straße zum Finkenberg mit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbunden ist und die Sicherheit von der Polizei auch in einem solchen Fall nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu gewährleisten ist.

32

Die geänderte Streckenführung und die Beschränkung der Veranstaltung auf den Bereich südlich der Bahnlinien ist schließlich nicht unverhältnismäßig. Allerdings kommt es dem Antragsteller im Wesentlichen darauf an, in Höhe und Sichtweite zu dem Ort, gegen den sich die Demonstration richtet, die Versammlung durchzuführen. Gerade der Hof auf dem die die Sonnenwendfeier stattfinden soll, ist für den Antragsteller ein symbolhaltiger Ort. Gleichwohl müssen die Interessen des Antragstellers zurückstehen. Gegenüber der Bevölkerung von Eschede kann die ablehnende Haltung des Antragstellers gegen die Sonnenwendfeier der Rechtsextremisten südlich der Bahnlinie wirksamer zum Ausdruck gebracht werden als nördlich der Bahnlinie, da sich die Ortschaft im Wesentlichen südlich der Bahnlinie befindet. Der Protest des Antragstellers wird damit nicht ganz und gar unmöglich gemacht. Er hat keinen Anspruch darauf, seinen Protest unmittelbar den Rechtsextremisten gegenüber in Hör- und Sichtweite zum Ausdruck zu bringen, weil dies mit einer unmittelbaren Gefahr für die öffentlichen Sicherheit verbunden wäre, die von der Polizei auf Grund ihrer Prognose nicht mit der erforderlichen Sicherheit bewältigt werden könnte. Entgegen der Ansicht des Antragstellers muss auch nicht die Sonnenwendfeier als Privatfeier zurückstehen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist sein Versammlungsrecht aus Art. 8 GG kein stärkeres Recht als das Recht derjenigen, die die Sonnenwendfeier veranstalten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Sonnenwendfeier als Versammlung einen Schutz nach Art. 8 GG genießt oder - lediglich - dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 GG unterfällt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass allein die Veranstaltung des Antragstellers durch geänderte Streckenführung "örtlich verschoben" werden kann. Eine örtliche Verschiebung der Sonnenwendfeier auf dem privaten Anwesen ist nicht möglich und wird im Übrigen auch vom Antragsteller nicht gefordert.

33

Weiterhin:

34

Nach Nr. 9 der Auflage wird der Verkauf, Ausschank und Konsum von alkoholischen Getränken untersagt. Es ist nicht erkennbar, dass diese Auflage den Antragsteller beschwert. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass bei der Demonstration alkoholische Getränke verkauft, ausgeschenkt oder konsumiert werden sollen.

35

Ziffer 10 der Auflagen ist rechtmäßig. Danach darf sich die Versammlung nur auf öffentlichen Flächen bewegen, angrenzende private Grundstücke dürfen nicht betreten werden. Wenn der Antragsteller hier einwendet, es sei nicht seine Sache als Versammlungsleiter, zu verhindern, dass sich vereinzelte Personen aus der Versammlung entfernen und Privatgelände betreten, so ist dem entgegenzuhalten, dass sich Ziffer 10 der Auflagen nur auf die Versammlung insgesamt bezieht und nicht auf einzelne Personen, die sich aus der Versammlung lösen und sich des Schutzes des Art. 8 GG begeben.

36

Ein öffentliches Interesse für die sofortige Vollziehbarkeit der Verfügung ist gegeben, es ist von dem Antragsgegner auch hinreichend begründet worden (§80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Inhaltlich und von der Sache her besteht ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Auflagen. Ohne den Sofortvollzug hätte eine Klage aufschiebende Wirkung, und aus den Auflagen der Verfügung dürften keine tatsächlichen und rechtlichen Folgerungen gezogen werden. Die Auflagen wären dann zunächst nicht durchsetzbar, und mit der Durchführung der Versammlung in ihrem vom Antragsteller zunächst geplanten Verlauf bis hin zum Veranstaltungsort der Sonnenwendfeier wäre aufgrund der aufgeführten Gefahren die öffentliche Sicherheit massiv gefährdet und gestört.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf §155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Siebert
Sandgaard
Minnich