Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 20.01.2005, Az.: 4 B 4787/04

Abstand; Baugenehmigung; Bebauungsplan; benachbartes Baugebiet; Bestimmtheit; Bootshaus; Drittschutz; Garage; Gebot der Rücksichtnahme; Grenzabstand; Grenzgarage; Lärm; Lärmbeeinträchtigung; Lärmpegel; Lärmschutz; Mittelwert; Nachbar; Nachbarschutz; Nachbarstreit; Ruderverein; Rücksichtnahmegebot; Sauna; Schallschutz; Sportanlage; Sportlärm; Stellplätze; Vereinshaus; Vorbelastung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
20.01.2005
Aktenzeichen
4 B 4787/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 51058
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des ausschließlich zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks ... in ... (Flurstück ... und ..., Flur ... der Gemarkung ...). Der Beigeladene ist Eigentümer des sich in nördlicher Richtung anschließenden Grundbesitzes ... (Flurstücke ..., ... und ...). Auf diesem Grundbesitz befindet sich das Vereinsgebäude des Beigeladenen mit Bootshallen, Hausmeisterwohnung und Nebengebäude. Die Grundstücke liegen im Bereich des Bebauungsplanes Nr. ... der Antragsgegnerin aus dem Jahre 1969.

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Unter dem 10. Oktober 2003 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen eine (erste) Baugenehmigung zur Erweiterung des Vereinsgebäudes. Genehmigt wurde die Errichtung eines ersten Obergeschosses auf der vorhandenen Bootshalle. Nach dem mit einem Grünstiftvermerk zur Baugenehmigung vom 10. Oktober 2003 versehenen Lageplan sind auf dem Grundstück des Beigeladenen insgesamt 22 notwendige Kfz-Einstellplätze ausgewiesen. Zwölf dieser 22 Einstellplätze liegen im südlichen Bereich des Grundstücks des Beigeladenen und sind nach dem Lageplan 9 m von dem Wohnhaus der Antragstellerin entfernt. In einem im Rahmen dieses Baugenehmigungsverfahrens erstellten Lärmschutzgutachten des Architekten ... kommt dieser u.a. unter Berücksichtigung der Sportanlagenlärmschutzverordnung - 18. BImSchV - und der Parkplatz-Lärmstudie des Bayerischen Landesamts für Umweltschutz aus dem Jahre 1989 zu dem Ergebnis, dass gegen die vorgesehene Nutzung des Parkplatzes hinsichtlich der Schallimmissionen keine Bedenken bestünden.

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Diese (erste) Baugenehmigung vom 10. Oktober 2003 ist bestandskräftig.

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Mit Bauantrag vom 10. November 2003 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer weiteren (zweiten) Baugenehmigung zur nochmaligen Erweiterung des Vereinsgebäudes, die im Wesentlichen die Aufstockung der vorhandenen Bootshalle um ein zweites Obergeschoss mit einem 73,2 m2 großen Trainingsraum und einem 40 m2 großen Saunabereich vorsieht. Am 18. Februar 2004 erteilte die Antragsgegnerin die zweite Baugenehmigung. Die Antragstellerin erhob Widerspruch und beantragte zudem die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

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Mit Beschluss vom 25. Mai 2004 (4 B 981/04) ordnete die Kammer die aufschiebende Wirkung des Widerspruches der Antragstellerin gegen die zweite Baugenehmigung an. Es sei zweifelhaft, ob die Baugenehmigung gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme wahre. Die Genehmigung enthalte keine hinreichenden Sicherungen dafür, dass die für ein reines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte von 45 dB(A) tagsüber innerhalb der Ruhezeiten eingehalten würden. Auch in materieller Hinsicht bestünden Rechtmäßigkeitsbedenken unter Berücksichtigung des Lärmschutzes, da sich die zum Bestandteil der Baugenehmigung gemachten Gutachten und der mit einem Grünstiftvermerk versehene Lageplan im Hinblick auf die zwölf zum Grundstück der Antragstellerin gelegenen Parkplätze entfernungsmäßig widersprechen würden. Damit unterliege die Anwendbarkeit des im September 2003 erstellten Gutachtens auf die zweite Baugenehmigung erheblichen Zweifeln. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer im Übrigen auf die den Beteiligten bekannte Begründung im Beschluss vom 25. Mai 2004.

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Am 30. Juli 2004 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer (dritten) Baugenehmigung zur Aufstockung des Vereinsgebäudes und der Erstellung von drei Fertiggaragen unter Verzicht auf die Rechte aus der zweiten Baugenehmigung vom 18. Februar 2004. Nach der Betriebs- und Nutzungsbeschreibung vom 20. Juli 2004 seien zur Nutzung der Liegenschaft ausschließlich Vereinsmitglieder berechtigt. Die geplante Erweiterung des Vereinsgebäudes durch ein zweites Obergeschoss habe keine Auswirkungen auf den Ruderbetrieb. Der Zahl der Bootslagerplätze und damit auch die Anzahl der verfügbaren Ruderplätze bleibe unverändert. Der Ruderbetrieb werde auch nach der geplanten Erweiterung des Vereinsgebäudes unverändert fortgesetzt. Der Ergometerraum solle im Zuge der geplanten Erweiterung in das zweite Obergeschoss des Vereinsgebäudes verlegt werden. Die Anzahl der Trainingsgeräte bleibe unverändert. Es handele sich lediglich um eine Verlagerung, nicht um eine Ausweitung der Trainingskapazitäten. Der bisherige Ergometerraum im Erdgeschoss des Altbaus werde für Zwecke der Verwaltung des Vereins umgenutzt. Dort könne nunmehr das Vereinsarchiv zusammengeführt werden. Weiter könne der Raum gelegentlich als Quartier für Wandergäste und Teilnehmer von Trainingseinheiten für Leistungsruderer genutzt werden. Auswirkungen auf die bisherige Besucher- und Nutzerfrequenz habe die Nutzungsänderung im Altbau nicht. Über das bisherige Angebot des Vereines hinaus sei im Zuge der Erweiterung geplant, im zweiten Obergeschoss eine Kleinsauna mit fünf Saunaplätzen einzurichten. Dazu gehöre ein Ruheraum und jeweils eine Damen- und Herrendusche. Auch diese Einrichtungen dürften ausschließlich von Vereinsmitgliedern genutzt werden. Die Flachdachfläche vor der Kleinsauna sei nur von entsprechend autorisiertem Personal zu Reinigungs- und Revisionszwecken zu betreten.

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Mit Bescheid vom 29. Oktober 2004 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Das schalltechnische Gutachten von Herrn Prof. Dipl.-Ing. ... (Gutachten Nr. ...) vom 26. Oktober 2004 ist danach Bestandteil der Baugenehmigung. Weitere Auflagen sehen u.a. vor, dass der Saunabereich nur von Mitgliedern des Beigeladenen genutzt werden dürfe und die drei Fertiggaragen geschlossen zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin auszuführen seien. Darüber hinaus setzte die Antragsgegnerin für Ruhezeiten werktags und an Sonn- und Feiertagen einen Mittelwert in Höhe von 50 dB(A) fest. Die Nachbarschaft zwischen dem im WA-Gebiet liegenden Ruderverein und dem im WR-Gebiet liegenden Wohnhaus der Antragstellerin bestehe seit Jahrzehnten. Der Ruderverein sei an dem jetzigen Standort in den 30er Jahren entstanden, die später hinzugekommene Wohnbebauung im Jahre 1949. Aufgrund der direkt aneinandergrenzenden unterschiedlichen Gebietsarten und unter Berücksichtigung des langjährigen nachbarschaftlichen Miteinanders sei hier das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme anzuwenden.

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Die Antragstellerin erhob Widerspruch und beantragte unter dem 6. Dezember 2004 die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

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Zur Begründung ihres Antrages macht sie u.a. geltend: Die Baugenehmigung sei hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale unbestimmt. Das schalltechnische Gutachten könne nicht Grundlage der Baugenehmigung sein, weil der Gutachter eigene Feststellungen nicht getroffen und Angaben des Beigeladenen nicht verifiziert habe. Die höhere Verkehrsbelastung des Parkplatzes werde im Wesentlichen durch die Abschirmwirkung der geplanten Garagen ermöglicht. Diese seien indes baurechtswidrig und könnten demnach nicht abschirmend berücksichtigt werden. Nach § 12 Abs. 1 S. 2 NBauO seien Garagenbauten innerhalb des Bauwichs nur zulässig, wenn sie eine Grundfläche von 36 m2 nicht überschreiten würden. Der Lageplan weise demgegenüber eine Grundfläche von 47,36 m2 aus. Es entbehre darüber hinaus jeder Logik, dass die Besucherfrequenzen durch die Erweiterung der Trainingsmöglichkeiten nicht steigen würden. Auch die Anzahl der Ergometer könne ohne weiteres aufgrund des Raumangebotes erhöht werden, da die Anzahl der aufzustellenden Geräte in der Baugenehmigung nicht als Auflage vermerkt sei. Die Nichtbehandlung der Stellplatzfrage in der Baugenehmigung stelle zudem einen Verstoß gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme dar. Daraus folge, dass die gesamte Lärmschutz- und Stellplatzproblematik im Nachbarschaftsverhältnis in Wahrheit von unvollständigen und unzutreffenden Erwägungen getragen sei. Die Auflage, die Sauna dürfe nur von Vereinsmitgliedern genutzt werden, sei eine leere Worthülse, nachdem eine Kontrolleinrichtung weder in den Auflagen erwähnt noch in den Bauvorlagen beschrieben werde. Nach dem Bebauungsplan sei der Betrieb des Beigeladenen nur ausnahmsweise zulässig. Die Grenze des Zumutbaren sei bereits mit Erteilung der ersten Baugenehmigung erreicht gewesen. Im Übrigen liege ihr Grundstück am Rande eines Landschaftsschutzgebietes und würde beeinträchtigt, wenn auf dem Baugrundstück noch eine weitere Zunahme der Nutzungsmöglichkeiten zu besorgen sei. Dem könne man nicht mit der Bildung eines „Mittelwertes“ begegnen. Bis 1950 habe das „Vereinsgebäude“ des Beigeladenen lediglich aus einem Bootsschuppen bestanden. Erst danach sei eine Erweiterung vorgenommen worden. Ihr Wohnhaus sei demgegenüber bereits 1949 errichtet worden. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung und der Bauleitplanung müssten die Interessen des Beigeladenen hinter ihren zurücktreten. Angesichts der offenkundigen Zunahme der Besucherfrequenz sei der Verkehrsinfarkt vorprogrammiert.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 18. November 2004 gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2004 zur Aufstockung des Vereinsgebäudes des ... und Erstellung von drei Fertiggaragen anzuordnen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Sie trägt u.a. vor: Das Bootshaus des Beigeladenen sei bereits 1927 auf dem Baugrundstück errichtet worden. Aus dem Jahre 1947 datiere eine Genehmigung für die Errichtung eines kleinen Gebäudes für die Unterbringung eines Umkleideraumes und eines Hauswarts. Im Jahre 1948 habe die Antragstellerin beantragt, ein Wohnhaus südlich des Geländes des Beigeladenen errichten zu dürfen. Der vorgeschriebene Mindestgrenzabstand für ein weichgedecktes (Reetdach-) Haus habe nach den damaligen bauordnungsrechtlichen Anforderungen 15 m betragen. Mit Zustimmung des Beigeladenen sei dann das Wohngebäude der Antragstellerin mit einem auf 8 m verringerten Grenzabstand errichtet worden. Die Genehmigung des Wohnhauses der Antragstellerin sei nicht selbstverständlich gewesen und erst erfolgt, nachdem sich der damalige Bauausschuss mit der Angelegenheit befasst habe und durch einen eigens angefertigten Gartenplan die Außenbereichsverträglichkeit des Bauvorhabens nachgewiesen worden sei. Die dem Beigeladenen erteilte (dritte) Baugenehmigung verletze keine nachbarrechtlich relevanten Vorschriften. Die 22 Stellplätze seien mit der ersten Baugenehmigung aus dem Jahre 2003 bestandskräftig genehmigt worden, ein Mehrbedarf an Parkplätzen durch den Bauantrag zur dritten Baugenehmigung ergebe sich nicht. Die genehmigten drei Fertiggaragen wirkten sich schallmindernd auf das Wohnhaus der Antragstellerin aus. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien die drei Fertiggaragen abstandsrechtlich nicht zu beanstanden. Nicht die Gesamt-Grundfläche sei maßgebend, sondern nur der Flächenteil der Garagen, der in dem an sich freizuhaltenden Abstandsbereich von 3 m liege, wie sich aus der des § 12 Abs. 1 S. 2 NBauO ergebe. Die im Abstandsbereich gelegene Grundfläche der drei Garagen betrage 16,79 m2 und sei demzufolge zulässig. Im Übrigen sei nicht zu beanstanden, dass sie das schalltechnische Gutachten zum Bestandteil der angefochtenen Baugenehmigung gemacht habe. Der Gutachter habe festgestellt, dass tagsüber außerhalb der Ruhezeiten die durch den Parkverkehr verursachten Schallimmissionen absolut unkritisch seien. In der Nachtzeit finde zudem keine Nutzung statt. Bei den Berechnungen sei der Gutachter von den ungünstigsten Annahmen ausgegangen und habe einen Wert von 44,1 dB(A) für die Ruhezeit von 20.00 bis 22.00 Uhr prognostiziert, der demnach innerhalb des zulässigen Immissionsrichtwertes von 45 dB(A) liege. Zu berücksichtigen sei zudem, dass die Emissionen ausschließlich aus nördlicher Richtung auf das Grundstück der Antragstellerin einwirken würden, so dass die besonders schützenswerten südlich belegenen Freiflächen und Gartenanlagen auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht tangiert würden. Ein weiterer Gesichtspunkt sei, dass das Wohnhaus der Antragstellerin mit einem verminderten Grenzabstand errichtet worden sei. Lediglich mit dem Einverständnis des Beigeladenen habe die Antragstellerin bis auf 8 m an die Grenze heranbauen dürfen. Obwohl die Antragstellerin mit Lärmbelästigungen durch den Sportbetrieb des Beigeladenen habe rechnen müssen, sei sie bestrebt gewesen, ihr Wohnhaus möglichst grenznah zum Grundstück des Beigeladenen bebauen zu können. Schließlich sei auch die Grundflächenzahl durch den Beigeladenen exakt eingehalten worden. Es sei eine Gesamtgrundstücksfläche von 2.013 m2 zugrunde zu legen. Die Summe der bebauten Grundfläche belaufe sich nach den Bauvorlagen auf insgesamt 604,27 m2, womit die zulässige GRZ von 0,3 exakt eingehalten werde.

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Der Beigeladene beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er verweist u.a. darauf, dass die Angaben des Beigeladenen gegenüber dem Gutachter auf den ermittelten tatsächlichen Nutzerzahlen in den Jahren 2003 und 2004 beruhten. Die Zahlen seien in dem EDV-gestützten Fahrtenbuch festgehalten und jederzeit nachprüfbar. Die Einwendungen gegen das Gutachten würden verwundern, da selbst die privatgutachterliche Stellungnahme des ... vom 17. September 2004 die Plausibilität der Annahmen des Gutachters ... bestätigten. Der ungünstigste Ansatz sei gewählt worden, um aufzuzeigen, dass den Szenarien, die die Antragstellerin entwerfe, jegliche reale Grundlage fehle. Die Einwendungen der Antragstellerin zur angeblichen Baurechtswidrigkeit der Garagen gingen fehl, da sie die genannte Norm fehlinterpretiere. Die Flächenbegrenzung sei bei weitem nicht ausgeschöpft. Im Übrigen werde die schallabschirmende Wirkung der Garagen in dem Privatgutachten der Antragstellerin bestätigt. Der Beigeladene unterhalte bereits seit 1999/2000 einen Landesstützpunkt für das Leistungsrudern. Demnach habe dieser bereits lange vor der jetzt genehmigten Erweiterung des Vereinsgebäudes bestanden. Die genehmigte Erweiterung stehe daher ersichtlich weder im direkten noch indirekten Zusammenhang zu diesem Landesstützpunkt. Die Zahl der Aktiven, die im Rahmen des Landesstützpunktes betreut würden, schwanke. Im Jahre 2003 seien 20, im Jahre 2004 15 Ruderer betreut worden, im Jahre 2005 gehe man von 12 Personen aus. Ein Ausbau dieses Stützpunktes sei nicht beabsichtigt. Pro Jahr finde lediglich eine einzige Veranstaltung statt, an der die Mitglieder des „Teams Nord-West“ komplett teilnehmen würden. Der Sichtungslehrgang finde Ende August/Anfang September eines jeden Jahres statt, an dem ca. 35 Ruderer teilnehmen würden. Die Zahl der Bootsplätze werde durch den jetzt realisierten Erweiterungsbau nicht vergrößert. Es habe in der Vergangenheit keine unzulässigen Lärmbeeinträchtigungen und auch keinen „Verkehrsinfarkt“ gegeben. Solche Unzuträglichkeiten werde es auch in Zukunft nicht geben, nachdem die Parkplatzkapazität auf dem Vereinsgrundstück gegenüber dem vorherigen Zustand vervielfacht worden sei.

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Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, die Gerichtsakte zum Aktenzeichen 4 B 981/04 und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (5 Bde.) verwiesen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

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II. 1. Der nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilende Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

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Die zu treffende Entscheidung orientiert sich grundsätzlich an dem Ergebnis einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen an einer sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes einerseits und der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung andererseits. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgebend, wenn sie in der einen oder anderen Richtung offensichtlich sind. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt dann nicht in Betracht, wenn die Baugenehmigung unter dem Gesichtspunkt des Nachbarschutzes zu rechtlichen Beanstandungen erkennbar keinen Anlass gibt, der Rechtsbehelf also abweisungsreif ist. Stellt sich die Baugenehmigung demgegenüber bei der im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig dar oder fällt die Interessenabwägung zugunsten des den Rechtsbehelf führenden Nachbarn aus, so ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs an. Die hier vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, da gegenwärtig Überwiegendes dafür spricht, dass die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 29. Oktober 2004 sich in einem Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird.

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Die erfolgreiche Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn setzt nicht nur die Rechtswidrigkeit der Erlaubnis voraus, sondern vor allem, dass der Nachbar durch die Genehmigung in seinen Rechten verletzt wird. Daher kann er nicht jede Baurechtswidrigkeit mit Erfolg rügen, sondern nur Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften und dies auch nur insoweit, als eigene Rechtspositionen berührt werden. Jedes Bauvorhaben hat dabei auf die vorhandene Nachbarbebauung Rücksicht zu nehmen. Zwar ist dieses Rücksichtnahmegebot zunächst nur in einer objektiven Ausprägung entwickelt worden. Die Behörde muss hiernach bei der Erteilung der Baugenehmigung die gegenläufigen Nachbarinteressen gegeneinander abwägen und die Zumutbarkeit des Vorhabens für die Nachbarschaft mit berücksichtigen. Allerdings ist allgemein anerkannt, dass dem Gebot der Rücksichtnahme auch drittschützende Wirkung zukommen kann, wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28/91 -, BVerwGE 94, 151 ff.). In einem Plangebiet - wie hier - wird das Gebot der Rücksichtnahme u.a. durch § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO gesetzlich konkretisiert. Danach sind bauliche und sonstige Anlagen im Einzelfall auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

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Bedenken im Hinblick auf die Bestimmtheit der Baugenehmigung zur Bestimmung und Überprüfbarkeit nachbarschützender Rechte der Antragstellerin bestehen unter Berücksichtigung des Bauantrages des Beigeladenen vom 29. Juli 2004 und der eingereichten Bauvorlagen nicht.

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Der Inhalt einer Baugenehmigung, die gemäß § 75 Abs. 3 NBauO der Schriftform unterliegt, wird durch den Bauschein und die dort in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Anlagen bestimmt, die nach dem objektiv zu ermittelnden Regelungsgehalt das betreffende Vorhaben ausmachen sollen. Mit dem Bauantrag bestimmt der Bauherr, worauf sich die Prüfung der Bauaufsichtsbehörde erstrecken soll und was Gegenstand der Baugenehmigung sein soll. Die textliche Bezeichnung der Baumaßnahme reicht dazu ebenso wenig aus wie die Bezeichnung der Baumaßnahme in der Baugenehmigung. Vielmehr bedarf es der Konkretisierung der Baumaßnahme durch die Bauvorlagen. Erst der Lageplan, die Bauzeichnungen, die Bau- und Betriebsbeschreibung sowie die technischen Nachweise beschreiben den Gegenstand des Bauantrags in einer Weise, die der Bauaufsichtsbehörde eine abschließende Prüfung nach öffentlichem Baurecht erlaubt und den Regelungsgehalt der auf dem Bauantrag aufbauenden Genehmigung präzisiert (Schmaltz in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Kommentar zur NBauO, 7. Aufl. 2002, § 71 Rdnr. 8). Demnach lassen der Bauschein und die mit dem Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen erst zusammen das genehmigte Vorhaben erkennen. Zur Bestimmung des Regelungsgehalts der Baugenehmigung darf demnach nicht auf vom Bauherrn vorgelegte Unterlagen abgestellt werden, die nicht mit einem Genehmigungsvermerk versehen sind (Schmaltz, a.a.O., § 75 Rdnr. 15 m.w.N.).

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Hieran gemessen bestehen im Hinblick auf die Bestimmtheit der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung keine Bedenken. Der Beigeladene hat einen Bauantrag mit den erforderlichen Bauvorlagen, insbesondere einer dezidierten Betriebs- und Nutzungsbeschreibung vom 20. Juli 2004 zur Prüfung gestellt und damit den im Beschluss vom 25. Mai 2004 (4 B 981/04) zum Ausdruck gebrachten Bedenken bezüglich der Bestimmtheit der (zweiten) Baugenehmigung vom 18. Februar 2004 Rechnung getragen. Der Bauantrag und die Bauvorlagen bezeichnen die beabsichtigte Baumaßnahme eindeutig. Darüber hinaus sind die Bauvorlagen durch Grünstiftvermerk zum Gegenstand der Baugenehmigung vom 29. Oktober 2004 gemacht worden. Die Antragsgegnerin durfte zudem das Gutachten Nr. ... vom 26. Oktober 2004 bei Erteilung der Baugenehmigung berücksichtigen und in die Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung aufnehmen.

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Die Behörde muss Sachverständige hinzuziehen, wenn die Beurteilung eines Sachverhalts besondere Sachkunde erfordert, die kein Angehöriger der Behörde besitzt. Die Feststellung der für die Erstattung des Gutachtens erforderlichen Tatsachen kann die Behörde nach ihrem Ermessen grundsätzlich dem Sachverständigen überlassen. In diesem Zusammenhang ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken, insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben „sollen“ (vgl. § 1 NVwVfG i.V.m. § 26 Abs. 2 VwVfG). Der Bauherr bestimmt zudem - wie oben ausgeführt - mit dem Bauantrag und den Bauvorlagen den Gegenstand der Baugenehmigung.

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Insoweit bestehen gegen die Berücksichtigung des genannten Gutachtens keine durchgreifenden Bedenken. Um das Gutachten in einem angemessenen Zeitrahmen erstellen zu können, war der Gutachter auf die Angaben des Bauherrn angewiesen. Diese erscheinen der Kammer nach den vorgelegten Unterlagen und den Angaben in der Betriebs- und Nutzungsbeschreibung vom 20. Juli 2004 auch nicht als „aus der Luft gegriffen“, sondern werden im Wesentlichen durch die EDV-gestützten Angaben des Beigeladenen belegt. Zu Unrecht kritisiert die Antragstellerin in diesem Zusammenhang, dass der Gutachter die Lärmimmissionen durch die offensichtlich zahlreich genutzten Fahrräder im Gutachten nicht berücksichtigt hat. Die Fahrradabstellanlagen waren ebenso wie die 22 Kfz-Stellplätze bereits Gegenstand der ersten bestandskräftigen Baugenehmigung vom 10. Oktober 2003. Das Gutachten stellt nochmals schlüssig und nachvollziehbar dar, dass gegen die vorgesehene Nutzung des Parkplatzes hinsichtlich der Schallimmissionen keine Bedenken bestünden. Der maßgebliche Immissionsrichtwert nach der Sportanlagenlärmschutzverordnung von 45 dB(A) an Werktagen innerhalb der Ruhezeiten werde nicht überschritten. Die gegenüber dem ersten Gutachten höhere Verkehrsbelastung des Parkplatzes wird im Wesentlichen durch die Abschirmwirkung der mittlerweile errichteten drei Garagen ermöglicht.

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Der Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung steht auch nicht entgegen, dass die Möglichkeit besteht, dass der Beigeladene sich nicht an seine Angaben im Bauantrag und in den Bauvorlagen hält. Denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur die erteilte Baugenehmigung unter Berücksichtigung des Bauantrages und der Bauvorlagen. Eine Baugenehmigung ist nämlich grundsätzlich nicht deshalb rechtswidrig, weil ihr Vollzug möglicherweise Aufsichtsmaßnahmen erfordert. Anzeichen für einen „Etikettenschwindel“, d.h., dass der Beigeladene die im Bauantrag und in den Bauvorlagen angegebene Nutzung einschließlich des Nutzungsumfanges in Wahrheit gar nicht beabsichtigt, sind nicht ersichtlich. Bei Verstößen gegen die Genehmigung stehen der Bauaufsichtsbehörde im Übrigen weitreichende Möglichkeiten - bis hin zur Nutzungsuntersagung - zur Verfügung.

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Ohne Erfolg wendet sich die Antragstellerin gegen die Berücksichtigung der Abschirmwirkung durch die drei errichteten Garagen. Diesbezüglich ist nämlich eine Verletzung des § 12 Abs. 1 NBauO nicht feststellbar.

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Nach § 12 Abs.1 S. 1 Nr. 1 NBauO sind auf einem Baugrundstück u.a. eine Garage oder - wie hier - eine Anlage, die aus mehreren aneinandergebauten Garagen besteht, ohne Grenzabstand oder mit einem bis auf 1 m verringerten Grenzabstand zulässig. Die Beschränkung auf höchstens 36 m² nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 NBauO ergreift aber bereits nach dem Wortlaut, worauf die Antragsgegnerin und der Beigeladene zu Recht hinweisen, nur die Grundfläche, die den Grenzabstand nach § 7 NBauO unterschreitet. Demnach ist hinsichtlich der jeweiligen Flächenbegrenzung nicht die Gesamt-Grundfläche des Gebäudes maßgebend, sondern der Flächenanteil des Gebäudes, der in dem an und für sich freizuhaltenden Abstandsbereich liegt (vgl. Lindorf, in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Kommentar zur NBauO, 7. Aufl., 2002, § 12 Rdnr. 32). Die im Abstandsbereich gelegene Grundfläche der drei Garagen beträgt hiernach 16,79 m2 und ist abstandsrechtlich nicht zu beanstanden.

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Die Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin nach der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach auch nicht in eigenen Rechten, soweit sie die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens betrifft. Da sich das Baugrundstück im Bereich des Bebauungsplanes Nr. ... der Antragsgegnerin vom 19. Dezember 1969 befindet, richtet sich diese zunächst nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes. Die Planzeichnung der Satzung setzt für das Grundstück des Beigeladenen ein allgemeines Wohngebiet fest. Zulässig sind nach § 2 Abs. 2 Lit. b) der Satzung ausnahmsweise auch Anlagen für Verwaltungen sowie für sportliche Zwecke (Nr. 3). Ein Verstoß gegen die Festsetzung des Bebauungsplanes ist insoweit nicht feststellbar. In diesem Sinne fallen nämlich unter den Anlagenbegriff für sportliche Zwecke auch Einrichtungen für besondere Sportarten (z.B. Bootshäuser) mit den Umkleideräumen und sonstigen erforderlichen Nebenanlagen (vgl. Fickert/Fieseler, Kommentar zur BauNVO, 10. Aufl. 2002, Vorbemerkung zu §§ 2 - 9, 12 - 14 Rdnr. 15.1, S. 262). Diese Anlagen sind in allgemeinen Wohngebieten nach der hier zu berücksichtigenden BauNVO 1968 ausnahmsweise - nach der nunmehr geltenden BauNVO 1990 nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO allgemein - zulässig, ohne dass sie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebietes dienen müssen (Reidt, in: Bauplanungsrecht, 6. Aufl. 2001, Rdnr. 1506). Ein Ruderverein mit Bootshaus und den erforderlichen Nebenanlagen ist demnach in einem allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich zugelassen und gebietsverträglich.

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Einen Verstoß gegen die Festsetzung der Grundflächenzahl (0,3) für das WA-Gebiet kann die Kammer ebenfalls nicht feststellen.

32

Festsetzungen im Bebauungsplan zum Maß der baulichen Nutzung nach § 16 BauNVO haben anders als die Festsetzung von Baugebieten kraft Bundesrecht grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion (Reidt, a.a.O., Rdnr. 2063). Ob und in welchem Umfang dies (ausnahmsweise) der Fall ist, hängt vielmehr vom Willen der planenden Gemeinde ab (BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215/95 -, NVwZ 1996, 888 m.w.N.).

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Nach dem vorliegenden Bebauungsplan Nr. 307 hat der Rat der Antragsgegnerin den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zwar nachbarschützende Funktion beigemessen, allerdings wird nicht hinreichend deutlich, dass dieser Nachbarschutz auch plangebietsübergreifend gelten soll. Der Begründung zum Bebauungsplan ist lediglich zu entnehmen:

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„Für den größten Teil der Bauflächen wird eine begrenzte bauliche Nutzung festgesetzt, um die Eigenart des Bebauungsplangebietes als Landschaftsschutzgebiet zu wahren und die öffentlichen Belange in dieser Hinsicht zu berücksichtigen.

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Gleichzeitig sollen die niedrigen Maße der baulichen Nutzung und insbesondere die Festsetzungen von Mindestgrößen der Baugrundstücke auch den privaten Belangen dienen.“

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Hiernach ist die Annahme berechtigt, dass das niedrige Maß der baulichen Nutzung offenbar auf die Ausweisung des reines Wohngebiets südlich des Baugrundstücks des Beigeladenen bezogen war, das lediglich im Landschaftsschutzgebiet liegt. Für einen ausnahmsweise beabsichtigten plangebietsüberschreitenden Nachbarschutz liegen demgegenüber keine Anzeichen vor. Die Kammer musste dieser Frage aber nicht weiter nachgehen, da die Antragsgegnerin zutreffend darauf hinweist, dass die Grundflächenzahl von 0,3 nach nochmaliger Überprüfung der Bauvorlagen eingehalten ist. Danach ist von einer Gesamtgrundstücksfläche von 2.013 m2 auszugehen. Bei einer bebauten Grundfläche von insgesamt 604,27 m2 ist die GRZ von 0,3 eingehalten.

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Ist hiernach die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 29. Oktober 2004 grundsätzlich von den B-Plan-Festsetzungen i.V.m. den Vorschriften der BauNVO 1968 gedeckt, so war lediglich noch zu prüfen, ob die genehmigten Vorhaben nach § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO 1990 „im Einzelfall unzulässig sind, weil von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind...“. Die Eigenart des allgemeinen Wohngebiets ist hier durch die Nutzung des Baugrundstücks durch den Beigeladenen und den benachbarten Yachtclub gekennzeichnet. Dagegen gehört das im reinen Wohngebiet gelegene - benachbarte - Grundstück der Antragstellerin zur „Umgebung“, in der Belästigungen oder Störungen unzumutbar sein können.

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§ 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO stellt eine Ausprägung des Rücksichtnahmegebotes dar. Dem zunächst lediglich objektiv-rechtlich verankerten Gebot der Rücksichtnahme kommt dann eine drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises dritter Rücksicht zu nehmen ist. Das gilt für diejenigen Ausnahmefälle, in denen - erstens - die tatsächlichen Umstände handgreiflich ergeben, auf wen Rücksicht zu nehmen ist, und - zweitens - eine besondere rechtliche Schutzwürdigkeit des Betroffenen anzuerkennen ist. Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind gegeneinander abzuwägen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 - 4 C 49/82 -, NVwZ 1986, 642 f. m.w.N.).

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In Anwendung dieser Grundsätze sind die Bauvorhaben des Beigeladenen gegenüber der Antragstellerin nicht rücksichtslos. Gegen einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist zunächst anzuführen, dass die in § 2 Abs. 2 Nr. 4 der 18. BImSchV genannten Immissionsrichtwerte von 45 dB(A) in reinen Wohngebieten auch tags innerhalb der Ruhezeiten eingehalten werden. Um Anhaltspunkte durch den durch den Ruderbetrieb indizierten Pkw-Verkehr auf dem Baugrundstück zu erhalten, wurden nach Angaben des Gutachters die seit 2003 vom Beigeladenen geführten elektronischen Fahrtenbücher der Jahre 2003 und 2004 ausgewertet. Bei den Berechnungen ist der Gutachter von der ungünstigsten Annahme ausgegangen, dass nämlich zu Beginn der Ruhezeit um 20.00 Uhr alle Kfz-Stellplätze besetzt sind und die Stellplätze in der Zeit bis 22.00 Uhr geräumt werden. Demnach errechneten sich insgesamt 20 Pkw-Bewegungen, 10 Pkw-Bewegungen/Stunde und 0,5 Pkw-Bewegungen/Stunde und Stellplatz. Da die Reflektionen durch den vom Beigeladenen geplanten Schotterrasen niedriger sind, ist der Gutachter davon ausgegangen, dass durch den Parkplatz geringere als die berechneten Emissionen ausgehen. Die von dem Gebäude ausgehenden Schallimmissionen sind zudem nach den Ermittlungen und Messungen für die Höhe der Beurteilungspegel an den Immissionsorten nicht relevant und können vernachlässigt werden. Die Ausführungen des Gutachters zur Außen-Dachfläche im zweiten Obergeschoss im Bereich der Sauna können in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben, da sie nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens und der Baugenehmigung sind. Nach den Ausführungen des Gutachters wird der Immissionsrichtwert von 45 dB(A) - trotz Berücksichtigung einer Schallemission von der Dachfläche - innerhalb der Ruhezeiten nicht überschritten. Auch der Gutachter ... kommt in seinem Gutachten vom 17. September 2004 zu dem Ergebnis, dass der Immissionsrichtwert nicht überschritten wird. Zwar gelangt der Gutachter ... in einem Punkt zu einem Beurteilungspegel von genau 45,0 dB(A) und damit zu einer Punktlandung. Zu berücksichtigen ist aber, dass hierbei auch Geräusche berücksichtigt wurden, die von der Dachterrasse des Neubaus im zweiten Obergeschoss herrühren. Die Benutzung der Dachfläche ist aber - wie bereits ausgeführt - nicht Gegenstand der Baugenehmigung.

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Da der Immissionsrichtwert von 45 dB(A) in Ruhezeiten auf dem Nachbargrundstück des Beigeladenen eingehalten wird, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Festlegung des maßgeblichen Immissionsrichtwertes für die Ruhezeiten in Höhe von 50 dB(A) durch Bildung eines „Mittelwertes“ rechtmäßig ist. Die Kammer übersieht nicht und hat auch bereits im zitierten Beschluss vom 25. Mai 2004 ausgeführt, dass es der wechselseitigen Rücksichtnahme entspricht, wenn bei der Anwendung der einzelnen immissionsschutzrechtlichen Regelwerke sogenannte Mittelwerte gebildet werden (S. 11 des Beschlusses). Allerdings ist fraglich, ob bei dem von der Antragsgegnerin nunmehr festgesetzten Wert von 50 dB(A) überhaupt noch von einem „Mittelwert“ der Richtwerte der benachbarten Baugebiete gesprochen werden kann (vgl. zur Bildung eines Mittelwertes: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Mai 1998 - 1 B 93.3369 -, NVwZ-RR 1999, 232 ff. [VGH Bayern 29.05.1998 - 1 B 93.3369]; BVerwG, Beschluss v. 28. September 1993 - 4 B 151/93 -, NVwZ-RR 1994, 139 f. m.w.N.; grundsätzlich kritisch zur Relativierung der „Richt“-Werte der 18. BImSchV: Uechtritz, Zur baurechtlichen Bedeutung der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) besonders in Gemengelagen, NVwZ 2000, 1006 (1007 f.) m.w.N.). Das Problem der Bildung eines Mittelwertes in Gemengelagen kann und muss vorliegend aber nicht abschließend erörtert werden, weil - wie aufgezeigt - sogar der im reinen Wohngebiet geltende Immissionsrichtwert von 45 dB(A) in Ruhezeiten nach den Berechnungen des Gutachters eingehalten wird.

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Gegen einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme spricht weiter, dass der Beigeladene sich nach den der Kammer vorliegenden Unterlagen bereits lange vor der Errichtung des Wohnhauses der Antragstellerin auf dem Baugrundstück angesiedelt hatte. Insoweit war und ist das Grundstück der Antragstellerin durch die Anlage des Beigeladenen vorbelastet. Diese Vorbelastungen können dazu führen, dass dem Schutz des Wohnens ein geringerer Stellenwert zukommt und Beeinträchtigungen im weitergehenden Maße zumutbar sind als sie sonst in dem betreffenden Baugebiet hinzunehmen wären. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Sportlärm kann daher auch bedeutsam sein, ob die Wohnnutzung oder der Sportbetrieb eher vorhanden waren (BVerwG, Urteil vom 24. April 1991 - 7 C 17/90 - NVwZ 1991, 884; Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 77/87 -, BVerwGE 81, 197 (206)). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass das Baugrundstück des Beigeladenen bei Errichtung des (ersten) Bootshauses (wohl) im Außenbereich lag und das Grundstück der Antragstellerin erst später bebaut wurde, somit an die Anlage des Beigeladenen heranrückte und schließlich in den Jahren 1969/70 überplant wurde. Diese Konfliktsituation wurde demnach erst durch die spätere Wohnbebauung ausgelöst. Das darf bei der hier gebotenen Interessenbewertung nicht außer Betracht bleiben. Die Antragstellerin muss es deshalb grundsätzlich als schutzmindernd hinnehmen, dass ihr Grundstück infolge der zulässigerweise errichteten immissionsträchtigen Sportanlage auf dem Nachbargrundstück seit vielen Jahren einer nicht unerheblichen Situationsbelastung unterliegt und durch die Überplanung mit dieser Belastung Innenbereichsgrundstück in einem reinen Wohngebiet geworden ist. Das begründet für sie eine gesteigerte Duldungspflicht.

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Nicht außer Betracht bleiben können schließlich die Umstände der Errichtung des Wohnhauses der Antragstellerin im Jahre 1949. Nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Antragsgegnerin betrug der damals vorgeschriebene Mindestgrenzabstand für ein weichgedecktes Reetdach-Haus nach den damaligen bauordnungsrechtlichen Anforderungen 15 m. Damit das Wohngebäude der Antragstellerin mit einem auf 8 m verringerten Grenzabstand gebaut werden durfte, benötigte und erhielt sie die Zustimmung des Beigeladenen. Dieser erteilte unter dem 25. November 1948 sein Einverständnis für eine heranrückende Bebauung des Nachbargrundstückes. Mit dieser Zustimmung konnte das Wohnhaus der Antragstellerin weiter nach Norden ausgerichtet werden, um - diese Annahme ist gerechtfertigt - von einem größeren nach Süden ausgerichteten Gartengrundstück profitieren zu können.