Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.12.2011, Az.: 10 UF 283/11
Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch eines nicht an dem Verfahren beteiligten Dritten als Justizverwaltungsakt oder als Akt der Rechtsprechung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.12.2011
- Aktenzeichen
- 10 UF 283/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 30973
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:1208.10UF283.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 31.08.2011 - AZ: 608 F 6830/09
Rechtsgrundlagen
- § 23 EGGVG
- § 58 Abs. 1 FamFG
Fundstellen
- FamFR 2012, 64
- FamRB 2012, 150
- MDR 2012, 184
- NJW 2012, 8
- ZKJ 2012, 157-158
Amtlicher Leitsatz
Die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch eines nicht an dem Verfahren beteiligten Dritten ist kein Justizverwaltungsakt gemäß § 23 EGGVG, sondern ein Akt der Rechtsprechung. Als eine das Einsichtsgesuch des Dritten abschließend bescheidende Endentscheidung i.S. des § 58 Abs. 1 FamFG ist diese mit der Beschwerde anfechtbar (im Anschluss an KG FGPrax 2011, 157 = FamRZ 2011, 1415).
In der Familiensache betreffend die Vormundschaft für das beteiligte Kind E. P., geb. am ... 2006, weitere Beteiligte: 1. J. P., Mutter-Kind-Haus M. B., ..., Beschwerdeführerin, Verfahrensbevollmächtigte: Anwaltsbüro W. & H., ..., Geschäftszeichen: ... 2. Landeshauptstadt Hannover, Amt für Jugend und Familie, Kommunaler Sozialdienst, ..., Geschäftszeichen: Vormund, hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W., den Richter am Oberlandesgericht G. und die Richterin am Amtsgericht R. am 8. Dezember 2011 beschlossen:
Tenor:
Das als Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 31. August 2011 auszulegende Rechtsmittel der Kindesmutter vom 12. September 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Kindesmutter.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf die Gebührenstufe bis 300 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist die Mutter des am ... 2006 geborenen Kindes E. P. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 8. November 2007 (608 F 5472/07 SO) wurde der Kindesmutter die elterliche Sorge für E. vorläufig entzogen und auf das Jugendamt der Landeshauptstadt Hannover als Vormund übertragen. Inzwischen lebt das Kind in einer Pflegefamilie, persönlicher Umgang mit der Kindesmutter findet regelmäßig einmal monatlich in begleiteter Form statt. Der Aufenthaltsort des Kindes ist der Kindesmutter nicht bekannt.
Mit Schriftsatz ihrer jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vom 31. Mai 2011 begehrte die Kindesmutter Einsichtnahme in die vorliegende Vormundschaftsakte. Dies wurde ihr durch die Rechtspflegerin des Amtsgerichts nach Anhörung des Vormundes zunächst gänzlich verweigert. Dieser hatte sich gegen eine Versendung der Akte ausgesprochen und eingewandt, die Kindesmutter solle die Anschrift der Pflegeeltern nicht erfahren. Dagegen legte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 1. August 2011 "Beschwerde" ein, die sie damit begründete, da der ohnehin stattfindende begleitete Umgang dem Kindeswohl nicht schade, bestehe auch kein Anlass zu der Annahme, dass die begehrte Akteneinsicht dem Kind schaden könne. Die Rechtspflegerin gewährte daraufhin Einsichtnahme in die Vormundschaftsakte mit Ausnahme der Blätter 7 und 11, deren Originale zum Schutz des Kindes entnommen und durch [teils geschwärzte] Kopien ersetzt worden seien. Daraufhin erklärte die Kindesmutter unmittelbar nach Erhalt der Akte, ihre Beschwerde bleibe, soweit Akteneinsicht nicht gewährt wurde, aufrechterhalten. Es sei nicht Aufgabe des Jugendamtes, über Akteneinsichtsgesuche zu entscheiden. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Akte. Dass das Jugendamt diese nicht für sinnvoll halte, weil sie nicht erfahren solle , wo sich das Kind aufhält, stehe ihrem Gesuch nicht entgegen, eine Beeinträchtigung des Kindeswohls sei durch das Jugendamt nicht behauptet worden.
Mit Beschluss vom 31. August 2011 wies die zuständige Familienrichterin des Amtsgerichts das als Erinnerung gegen die teilweise Nichtgewährung der Akteneinsicht ausgelegte Rechtsmittel vom 1. August 2011 zurück, wozu sie ausführte, die Erinnerung sei unbegründet, denn das Interesse an der Geheimhaltung der Wohnanschrift der Pflegeeltern und des Kindes sei höher zu bewerten als das Interesse der Kindesmutter an vollständiger Akteneinsicht.
Gegen diese ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 7. September 2011 zugestellte Entscheidung richtet sich die mit Schriftsatz vom 12. September 2011 erhobene, am 13. September 2011 beim Amtsgericht eingegangene "Gegenvorstellung" der Kindesmutter. Sie macht nunmehr geltend, die Versagung der Akteneinsicht sei mit der Beschwerde nach § 58 FamFG anfechtbar. Zu dem von der Rechtspflegerin als Begründung angeführten Schutz des Kindes sei nicht diese, sondern allein der Richter befugt.
Die Richterin des Amtsgerichts Hannover hat daraufhin mit Beschluss vom 3. November 2011 die Gegenvorstellung zurückgewiesen und der "Beschwerde vom 1. August 2011/ 12. September 2011" nicht abgeholfen. Sie hat ausgeführt, der Richtervorbehalt des§ 14 RPflG greife hier nicht ein, gemäß § 3 Nr. 2 a RPflG obliege die Überwachung des Vormundes dem Rechtspfleger, der daher gemäß § 4 RPflG auch über Akteneinsichtsgesuche in den ihm übertragenen Geschäften zu entscheiden habe. Die gegen die teilweise Versagung eingelegte Beschwerde sei unzulässig, weshalb der Rechtsbehelf in eine zulässige Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG umgedeutet worden sei. Über die nunmehr eingelegte Beschwerde nach § 58 FamFG habe das Oberlandesgericht zu entscheiden.
II.
1.
Das als "Gegenvorstellung" bezeichnete Rechtsmittel der Kindesmutter vom 12. September 2011 ist als Beschwerde gegen die richterliche Entscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 31. August 2011 auszulegen und als solche nach §§ 58, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1 FamFG zulässig.
a.
Mit ihrer vorgenannten Entscheidung hat die Familienrichterin über den von ihr zu Recht als allein gemäß § 11 Abs. 2 RPflG zulässige Erinnerung gegen die Entscheidung der Rechtspflegerin, die Akteneinsicht zu beschränken, behandelten Rechtsbehelf entschieden. Das Vormundschaftsverfahren als solches ist als auf die gesamte Dauer der Vormundschaft angelegtes Bestandsverfahren nicht auf einen Abschluss durch eine Endentscheidung in Gestalt eines instanzbeendenden Beschlusses gerichtet, welche im Wege der Beschwerde angefochten werden könnte, wodurch - inzident - auch eine Überprüfung der Versagung der begehrten Akteneinsicht ermöglicht würde. Darüber hinaus war die Kindesmutter zwar Beteiligte des vorangegangenen Sorgerechtsentziehungsverfahrens; Beteiligte des hier vorliegenden Vormundschaftsverfahrens i.S. von § 7 FamFG ist sie hingegen nicht. Daher blieb ihr gegen die Entscheidung der Rechtspflegerin gemäß § 11 Abs. 1 i.V. mit Abs. 2 RPflG als statthafter Rechtsbehelf allein die befristete Erinnerung.
Die auf diese ergehende richterliche Sachentscheidung ist zwar grundsätzlich gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 RPflG nach den Vorschriften über die Beschwerde anfechtbar. Da es sich bei der Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch jedoch grundsätzlich lediglich um eine nicht isoliert anfechtbare Zwischenentscheidung handelt, ist ein Rechtsmittel unmittelbar hiergegen regelmäßig nicht gegeben. Anders liegt der Fall jedoch, wenn - wie hier - das Akteneinsichtsgesuch eines nicht an dem Verfahren beteiligten Dritten abgelehnt wurde. Welches Rechtsmittel hiergegen statthaft ist, ist allerdings umstritten.
Während teilweise vertreten wird, es handele sich bei der Ablehnung eines Akteneinsichtsgesuchs eines Dritten - auch im laufenden Verfahren - um einen Justizverwaltungsakt i.S. des § 23 EGGVG, weshalb der Rechtsbehelf des Antrags auf gerichtliche Entscheidung eröffnet sei (Keidel-Meyer-Holz, FamFG17, § 58 Rn. 33 sowie Anhang zu § 58 Rn. 31; Schulte-Bunert/Weinreich-Schöpflin,FamFG2, § 13 Rn. 23; MünchKommZPO32-Pabst, § 13 FamFG Rn. 11; Thomas/ Putzo-Reichold, ZPO3, § 13 FamFG Rn. 12), sieht die Gegenmeinung die Entscheidung über das Einsichtsgesuch als einen Akt der Rechtsprechung und als eine dieses abschließend bescheidende Endentscheidung i.S. des § 58 Abs. 1 FamFG an (KG FGPrax 2011, 157 = FamRZ 2011, 1415; Keidel-Sternal, FamFG17, § 13 Rn. 72; Bumiller/Harders, FamFG10, § 13 Rn. 18; ; Prütting/Helms-Jennissen, FamFG2, § 13 Rn. 50; Musielak/Borth, FamFG2, § 13 FamFG Rn. 6; Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, § 13 Rn. 13; Zöller-Lückemann, ZPO29, § 23 EGGVG Rn. 12; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 23 EGGVG Rn. 3, Stichwort "Einsichtnahme").
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Einen Justizverwaltungsakt i.S. von § 23 EGGVG stellt die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch eines Dritten in Familiensachen, die nicht zu den Familienstreitsachen i.S. des § 112 FamFG zählen, nicht dar, denn im Gegensatz zu der dort über § 113 Abs. 1 FamFG sowie in vor dem 1. September 2009 eingeleiteten Verfahren unmittelbar geltenden Bestimmung des § 299 Abs. 2 ZPO entscheidet in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit über das Einsichtsgesuch nicht der Vorstand des Gerichts und damit die Justizverwaltung, sondern das Gericht durch den Einzelrichter oder Vorsitzenden des Senats sowie im Falle eines - wie hier - dem Rechtspfleger übertragenen Geschäfts dieser in richterlicher Unabhängigkeit. Damit handelt es jedoch um einen Akt der Rechtsprechung. Da über den Antrag des am Verfahren nicht beteiligten Dritten durch die Entscheidung des Richters oder Rechtspflegers abschließend entschieden wird, steht diesem die Beschwerde gemäß § 58 FamFG offen.
b.
Diese wurde vorliegend auch form- und fristgerecht eingelegt (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 2 FamFG). Da es sich hier um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit handelt, ist es ferner nicht erforderlich, dass der Beschwerdewert die Wertgrenze des § 61 Abs. 1 FamFG erreicht.
2.
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Ein für die Gewährung der Akteneinsicht eines Dritten gemäߧ 13 Abs. 2 FamFG erforderliches berechtigtes Interesse hat die Kindesmutter weder dargetan noch glaubhaft gemacht. Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt insoweit nicht (Prütting/Helms-Jennissen, FamFG2, § 13 Rn. 26). Der Kindesmutter hätte es daher oblegen, Umstände darzutun und glaubhaft zu machen, aus denen sich erfahrungsgemäß nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ein berechtigtes Interesse ergibt (Keidel-Sternal, FamFG17, § 13 Rn. 32). Daran fehlt es hier, denn die Kindesmutter hat hierzu weder Näheres vorgetragen noch mit den Mitteln des § 31 FamFG glaubhaft gemacht.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf §§ 40, 42 Abs. 1 FamGKG.