Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 12.01.2010, Az.: 12 U 67/09

Rechte des Erblassers bei Nichterfüllung oder Schlechterfüllung einer erbvertraglichen Pflegeverpflichtung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
12.01.2010
Aktenzeichen
12 U 67/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 29795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2010:0112.12U67.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 24.09.2009 - AZ: 9 O 1710/08
nachfolgend
BGH - 05.10.2010 - AZ: IV ZR 30/10
OLG Oldenburg - 29.05.2012 - AZ: 12 U 67/09
BGH - 19.12.2012 - AZ: IV ZR 207/12
BGH - 26.02.2013 - AZ: IV ZR 207/12

Amtlicher Leitsatz

Zu den Voraussetzungen, unter denen sich ein Erblasser von einem Erbvertrag lösen kann, in dem eine Verpflichtung des Vertragserben zur Pflege und Versorgung des Erblassers vereinbart worden ist.

In dem Rechtsstreit

E... H..., ...,

Klägerin und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...,

gegen

A... H..., ...

Beklagter und Berufungsbeklagter,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Amtsgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 05.01.2010 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 24.09.2009 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg geändert.

Es wird festgestellt, dass der notarielle Erbvertrag des Notars Dr. B... vom 15. April 1981 (UR 218/1981) unwirksam ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Erbvertrages.

2

Die Klägerin setzte den Beklagten mit dem streitgegenständlichen Erbvertrag vom 15.04.1981 zum Erben ein. Gleichzeitig verpflichtete sie sich, ihr Hausgrundstück ... in B... ohne Zustimmung des Beklagten weder zu veräußern noch zu belasten. Zur Absicherung dieser Verpflichtung vereinbarten die Parteien, dass der Beklagte bei einem Verstoß gegen das Verfügungsverbot die sofortige Übereignung des Grundstücks verlangen könne. Hierfür sollte eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen werden. Der Beklagte verpflichtete sich seinerseits, die Klägerin ´in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass dafür geldwerte Mittel von mir oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind.´

3

Der Beklagte bewohnte zunächst ab dem 01.06.1980 die Unterwohnung im Haus der Klägerin. Anfang 1993 zog er aus, nachdem die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 04.09.1992 die Räumung wegen ´ständiger Auseinandersetzungen´ und ´endgültiger Störung des Vertrauensverhältnisses´ verlangt hatte.

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Mit Schreiben vom 13.04.1999 forderte die Klägerin den Beklagten auf, seine ´erbvertraglichen Verpflichtungen´ wieder aufzunehmen. Am 20.06.2007 zog die Klägerin in ein Alten und Pflegeheim in B.... Mit notarieller Urkunde vom 18.01.2008 erklärte sie den Rücktritt vom Erbvertrag ´da der vertraglich eingesetzte Erbe, Herr A... H..., der eingegangenen Verpflichtung bisher - auch nach Aufforderung - nicht nachgekommen ist.´ Eine Ausfertigung dieser Urkunde wurde dem Beklagten am 28.01.2008 zugestellt.

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Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie sich wirksam vom Erbvertrag gelöst hat. Der Beklagte meint, die Klägerin sei nicht zum Rücktritt berechtigt. Dies folge schon aus Rechtsgründen. Zudem bestreitet er, dass die Klägerin 1999 pflegebedürftig gewesen sei. Sie habe zumindest noch bis Ende 2006 autofahren können. Er selbst habe jedenfalls keinen Anhalt für einen entsprechenden Bedarf gehabt. Davon, dass die Klägerin ins Altenheim gezogen sei, habe er erst im Januar 2008 erfahren.

6

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme zur Frage der Pflegebedürftigkeit der Klägerin und einer etwaigen Kenntnis des Beklagten hiervon abgewiesen. Es führt aus, eine Anfechtung des Erbvertrages nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB scheitere an der Nichteinhaltung der Jahresfrist (§ 2283 Abs. 1 BGB). Ein Rücktritt nach § 2295 BGB komme ebenfalls nicht in Betracht, da eine Aufhebung der Pflegeverpflichtung nicht vorliege. Eine Kündigung aus wichtigem Grund sei nicht in angemessener Frist erklärt worden (§ 314 Abs. 3 BGB). Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 2. Alt. BGB könne sich nur auf Zustimmung zur Aufhebung des Erbvertrages richten. § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) komme wegen der Vorranges der erbrechtlichen Vorschriften nicht zur Anwendung.

7

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihr Klagebegehren weiter. Sie wiederholt ihren Rechtsstandpunkt, dass sie den Erbvertrag anfechten bzw. von ihm zurücktreten könne. Eine Fristversäumnis könne ihr nicht zur Last gelegt werden. Denn erst mit dem Einzug ins Altenheim am 20.06.2007 habe sie sicher gewusst, dass sie die im Vertrag zugesagte Pflege vom Beklagten nicht mehr erhalten werde.

8

Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 24.09.2009 zu ändern und festzustellen, dass der notarielle Erbvertrag des Notars Dr. B..., UR ..., unwirksam ist.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

12

Er verteidigt das Urteil des Landgerichts nach Maßgabe seiner Erwiderung.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivortrags wird auf die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

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II. Die Berufung hat Erfolg.

15

Der am 15.04.1981 geschlossene Erbvertrag ist unwirksam. Die Klägerin hat auch ein rechtliches Interesse daran, dies durch Urteil feststellen zu lassen. Denn der Beklagte will an dem Vertrag festhalten.

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Die Unwirksamkeit des Vertrags folgt aus verschiedenen Gründen.

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Die Klägerin ist mit der notariellen Erklärung vom 18. 01. 2008 wirksam von dem Erbvertrag zurückgetreten. Das Recht zum Rücktritt ergibt sich aus §§ 2295, 323 Abs. 1 BGB.

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Das Landgericht geht im rechtlichen Ansatz zutreffend davon aus, dass die in einem Erbvertrag getroffene Erbeinsetzung und die vom Bedachten eingegangene Verpflichtung zur Pflege des Erblassers in ´kranken und alten Tagen´ nicht im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Sinne von § 320 BGB miteinander stehen (OLG Karlsruhe NJWRR 1997, 708, 709. Staudinger/Kanzleiter § 2295 Rdn. 8. Mü/KoMusielak, 4. Aufl. § 2295 Rdn. 5. Palandt/Edenhofer § 2295 Rdn. 1. aA Stöcker WM 1980, 482. Stürzebecher NJW 1988, 2727 [BGH 11.05.1988 - IVa ZR 325/86]). Der Erblasser hat daher bei Nicht oder Schlechterfüllung einer erbvertraglichen Pflegeverpflichtung grundsätzlich kein gesetzliches Recht, sich gemäß § 323 BGB durch Rücktritt vom Vertrag zu lösen. Denn es fehlt an einem gegenseitigen Vertrag. Anders ist es jedoch dann, wenn die Verpflichtung zur Pflege mit anderen Leistungen des Erblassers verbunden ist. Insoweit kann durchaus eine kausale Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung vorliegen, so dass hierauf die Vorschriften der §§ 323 ff über den gegenseitigen Vertrag Anwendung finden (RG DNotz 1935, Nr. 12. Staudinger/Kanzleiter aaO. Rdn. 9). Kommt es in diesem Verhältnis zu Leistungsstörungen und wird deswegen der Rücktritt erklärt, kann sich der Erblasser unter den Voraussetzungen von § 2295 BGB gleichzeitig von der erbrechtlichen Verpflichtung lösen.

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So liegt der Fall hier.

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Die Erblasserin hat sich im Gegenzug zu der Pflege dazu verpflichtet, ihr Haus nicht zu veräußern oder zu belasten. Zur Absicherung dieser Verpflichtung haben die Parteien eine bedingte Übereignungsverpflichtung in den Vertrag aufgenommen und diese zugunsten des Beklagten durch eine Vormerkung abgesichert. Hierbei handelt es sich um eine Leistung der Klägerin. Sie hat zu Gunsten des Beklagten darauf verzichtet, ihr Grundeigentum durch Veräußerung oder Belastung zu verwerten. Diese Leistung steht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zu der Pflegeverpflichtung. Die kausale Verknüpfung ergibt sich aus dem Wortlaut der Urkunde und dem Sinn und Zweck der Vereinbarung. Ohne die Gegenleistung der Pflege hätte sich die Klägerin auf eine so weit gehende Beschränkung in der Verfügung über ihr Vermögen nicht eingelassen. Durch den Vertrag ist es ihr verwehrt, das Grundeigentum für ihre Altersversorgung einzusetzen. Dieser Verzicht erklärt sich nur dadurch, dass ihm die Verpflichtung zur Pflege als Äquivalent gegenübersteht.

21

Damit sind die Vorschriften über gegenseitige Verträge anzuwenden. Da es um fortlaufende Verpflichtungen geht, gelten gemäßArt. 229 § 5 S. 2 EGBGB die ab 1.1.2002 maßgeblichen Regelungen. Der Beklagte hat seine Vertragspflichten zur ´Hege und Pflege in kranken und alten Tagen´ unstreitig zu keinem Zeitpunkt erfüllt. Die Fälligkeit ist zumindest zu dem Zeitpunkt eingetreten, als die Klägerin in das Altenheim gezogen ist. Dass sie jedenfalls von da ab pflegebedürftig war, wird auch vom Beklagten nicht in Abrede genommen. Die gemäß § 323 Abs. 1 BGB an sich erforderliche Fristsetzung war entbehrlich, weil der Beklagte die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§ 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Er will sie auch jetzt nicht erfüllen. Weiterhin ist es im Rahmen von § 323 BGB nicht von Belang, wann die Klägerin zu der Überzeugung gekommen sein muss, dass der Beklagte den Vertrag nicht mehr zur erfüllen will. Denn eine § 314 Abs. 3 BGB entsprechende Frist sieht § 323 BGB nicht vor.

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Der Beklagte kann dem Rücktritt nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Klägerin sei zumindest bis Ende 2006 nicht pflegebedürftig gewesen, jedenfalls habe er hiervon nichts gewusst. Er habe erst im Januar 2008 davon erfahren, dass sich die Klägerin im Altenheim befinde. Der Schuldner hat dem Gläubiger die von ihm geschuldete Leistung in einer den Verzug der Annahme begründenden Weise anzubieten (BGHZ 116, 249). Hierzu wäre ein tatsächliches Angebot erforderlich gewesen (§ 295 BGB). Auf eine Unkenntnis und damit mangelndes Verschulden kann sich der Beklagte bereits deswegen nicht zurückziehen, weil die Klägerin bereits 1999 die Erfüllung der Pflegeleistung angemahnt hatte. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt eventuell noch kein unmittelbarer Handlungsbedarf bestand, weil sich die Klägerin noch selbst versorgen konnte, ist hierdurch jedenfalls eine fortlaufende Erkundigungs und Überwachungspflicht dahin ausgelöst worden, ab wann tatsächlich die im Vertrag vorausgesetzte Bedürftigkeit einsetzte. Bei dieser Erkundigungspflicht handelt es sich um eine stillschweigend übernommene Nebenpflicht zur Hauptleistung.

23

Der Einzug der Klägerin in das Altenheim begründet auch keine Unmöglichkeit für die Erfüllung der Pflegeverpflichtung. Die Pflegeleistungen können nach wie vor erbracht werden, ggf. nach einem Umzug der Klägerin in den Haushalt des Beklagten. Eine Unmöglichkeit ist auch nicht dadurch eingetreten, dass sich die Parteien seinerzeit beim Auszug des Beklagten aus dem Haus der Klägerin zerstritten haben. Zwar können derartige persönliche Differenzen die Pflege undurchführbar machen. Zum einen hat aber die Klägerin dem Beklagten bereits 1999 durch die erstmalige Einforderung der Pflegeleistung zu verstehen gegeben, dass sie das frühere Zerwürfnis nicht oder nicht mehr als Hindernis ansehe. Zum anderen würde der Beklagte - wie er offenbar meint - durch solche Differenzen auch nicht frei von seiner Verpflichtung. Kann eine Pflegeleistung wegen Unterbringung des Berechtigten in einem Pflegeheim nicht erbracht werden, muss der Verpflichtete zwar nicht die vollen Kosten der Heimunterbringung tragen. Er muss sich aber an den Kosten in Höhe seiner ersparten Aufwendungen beteiligen (BGH NJW 2002, 440 [BGH 21.09.2001 - V ZR 14/01]. BGH NJWRR 2003, 577). Dasselbe gilt in dem Fall, dass nicht die Heimunterbringung selbst, sondern die persönlichen Differenzen der Vertragspartner der Durchführung der Pflege entgegenstehen. Zwar haben die Parteien hier vereinbart, dass der Beklagte für die Pflege ´geldwerte Mittel nicht aufzubringen´ habe. Hiermit war aber ersichtlich nur der Fall gemeint, dass der Vertrag so erfüllt wird, wie es sich die Parteien vorgestellt haben. An den Fall einer Vertragsstörung oder Unmöglichkeit der Erfüllung der Pflegeleistung haben sie nicht gedacht. Demgemäß kann nicht festgestellt werden, dass die genannte Vertragsbestimmung auch für den Fall gelten sollte, dass die Pflegeverpflichtung insgesamt nicht erfüllt wird. Denn wäre dies gewollt gewesen, würde der Beklagte insgesamt frei von seiner Verpflichtung, so dass die Klägerin keinerlei Gegenleistung für die von ihr eingegangene Verpflichtung erhält. An einem gemäß § 294 BGB tauglichen Angebot des Beklagten, anstelle der Pflege die Vertragspflichten durch eine Geldrente zu erfüllen, fehlt es ebenfalls. Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass § 323 Abs. 6 BGB dem Rücktritt ebenfalls nicht entgegensteht.

24

Da sich die Klägerin mithin durch Rücktritt von den im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen Verpflichtungen des Vertrages gelöst hat, kann sie gemäß § 2295 BGB auch von der erbrechtlichen Verfügung zurücktreten (vergl. RGZ DNotz 1935, 678. OLG Karlsruhe aaO. Staudinger/Kanzleiter § 2295 Rdn. 9). Die Erbeinsetzung des Beklagten hat sie ausweislich der Urkunde mit Rücksicht auf seine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zur Pflege und Hege vorgenommen. Dass andere Motive für die Erbeinsetzung entscheidend waren, ergibt sich aus dem Vertrag nicht und wird vom Beklagten auch nicht behauptet.

25

Neben dem Rücktritt stehen der Klägerin weitere Möglichkeiten zur Verfügung, sich von der erbvertraglichen Verpflichtung zu befreien.

26

In der Rücktrittserklärung vom 18. 1. 2008 liegt zugleich eine Anfechtung nach §§ 2281, 2078 Abs. 2 BGB.

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Der Irrtum gemäß § 2078 Abs. 2 BGB kann sich auf Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges beziehen. Er kann Personen, Gegenstände, politische und wirtschaftliche Verhältnisse oder Rechtsverhältnisse betreffen. Maßgebend ist die subjektive Denk und Anschauungsweise des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Eine Annahme oder Erwartung des Erblassers im Sinne des Abs. 2 ist bereits dann gegeben, wenn er sich Gedanken über bestimmte Tatsachen gemacht hat und die subjektive Überzeugung des Vorliegens oder Nichtvorliegens gewonnen hat (Münch/KommLeipold, § 2078, Rn. 23).

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Der Erbeinsetzung des Beklagten lag die Erwartung zugrunde, dass der Beklagte die Erblasserin bei entsprechender Bedürftigkeit pflegt und versorgt. Grundlage war die Annahme, dass der Beklagte dauerhaft in ihrem Haus leben werde und dass die beiderseitige persönliche Beziehung eine tragfähige Grundlage für eine Betreuung und Pflege schafft. Diese Pflege sollte der Beklagten selbst (evtl. auch durch Familienangehörige) erbringen. Dies folgt aus der Formulierung, dass ´geldwerte Mittel´ nicht aufzuwenden seien. Professionelle Pflegedienste, welche naturgemäß zu vergüten sind, sollten von ihm nicht eingeschaltet werden. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Sie hat sich spätestens mit ihrem Einzug in das Pflegeheim zerschlagen Dies begründet einen Motivirrtum, der zur Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB berechtigt. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung kann insoweit Bezug genommen werden.

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Die Klägerin hat die Anfechtung auch rechtzeitig erklärt. Im Gegensatz zum Landgericht gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass sie die Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB nicht versäumt hat.

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Nach § 2283 Abs. 2 S. 1 BGB beginnt der Lauf der Ausschlussfrist mit der Kenntnis des Erblassers vom Anfechtungsgrund. Das Landgericht führt hierzu aus, die Klägerin habe bereits im Jahre 1999 (nachdem der Beklagte auf das Schreiben der Klägerin vom 13.04.1999 nicht reagiert hat), spätestens aber seit dem 03.05.2005 (nachdem der Beklagte auf der Geburtstagsfeier der A... H... sich Dritten gegenüber dahin geäußert haben soll, er werde die Klägerin nicht pflegen) alle nötigen Tatsachen für die Anfechtung gekannt. Die endgültige Gewissheit dafür, dass sich seine Erwartungen nicht erfüllen würden, brauche beim Erblasser nicht vorhanden zu sein. Es reiche die Kenntnis der für die Beurteilung erforderlichen Tatsachen.

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Diese Betrachtung wird dem Fall nicht gerecht. Es bleibt außer Acht, dass sich das endgültige Scheitern der Pflegevereinbarung nicht nur an der äußeren Tatsache der Weigerung des Verpflichteten und der Kenntnis der hierfür maßgeblichen Umstände festmachen lässt. Vielmehr muss zusätzlich ein innerer Erkenntnisprozess des Erblassers stattfinden. Da es um eine fehlgeschlagene Erwartung geht, beginnt die Anfechtungsfrist erst zu laufen, wenn sich beim Erblasser die sichere Überzeugung gebildet hat, dass diese Erwartung nicht mehr eintritt. Eine solche Erkenntnis entsteht naturgemäß erst allmählich. Sie knüpft an eine Reihe von Vorfällen an (BGH FamRZ 1973, 539, 540. BayObLG FamRZ 1990, 322. Mü/KoMusielak, 4. Aufl. § 2283, Rdn. 3. Staudinger/Kanzleiter § 2283 Rdn. 7). Lässt der Erblasser eine einmal gewonnene Überzeugung aufgrund späterer Vorfälle wieder fallen und treten dann weitere Ereignisse ein, die erneut einen Wegfall des Motivs begründen können, beginnt sogar eine neue Frist zu laufen (BayObLG FamRZ 1983, 1275, 1277). Geht es - wie hier - um die Pflege im Alter und der damit verbundenen Notwendigkeit für einen Umzug in ein Altenheim, müssen zudem die Besonderheiten der Lebenssituation berücksichtigt werden. Diese beeinflussen den in Rede stehenden Erkenntnisprozess. Der Umzug in ein Heim ist für einen alten Menschen in aller Regel die ´ultima ratio´. Er wird vielfach solange hinausgeschoben, bis er unvermeidlich ist. Steht eine Pflege durch Verwandte zur Debatte und würde diese den Verbleib im eigenen Haus ermöglichen, liegt es nahe, dass der Erblasser bis zuletzt darauf hofft, dass sich der Vertragerbe an sein Versprechen hält. Von einer für den Lauf der Ausschlussfrist nach § 2283 Abs. 2 S. 1 BGB nötigen Kenntnis vom Anfechtungsgrund kann erst gesprochen werden, wenn sich der Erblasser der notwendigen Erkenntnis schlechterdings nicht mehr verschließen kann.

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Hieraus ergibt sich folgendes:

33

Für die Feststellung, dass die Anfechtungsfrist verstrichen ist, kommt es damit auf zwei Umstände an, und zwar auf einen äußeren und einen inneren. Zunächst muss feststehen, ab wann die Pflegebedürftigkeit der Klägerin objektiv eingesetzt hat, und zwar in einem solchen Umfang, dass die Weigerung des Beklagten zur Vertragserfüllung nachteilige rechtliche Folgen auslösen konnte. In einem zweiten Schritt ist zu klären, ab wann die Klägerin hieraus die nötigen Schlussfolgerungen gezogen hat bzw. hätte ziehen müssen. Da die Pflegebedürftigkeit bei der Klägerin nicht plötzlich aufgrund einer Erkrankung oder durch einen Unfall, sondern allmählich durch die Zunahme altersbedingter Gebrechen eingetreten ist, geht es um einen fließenden Vorgang. Dasselbe gilt für den Erkenntnisprozess, ab wann der Vertragsfall eingetreten war. Über beide Umstände musste sich die Klägerin zunächst Klarheit schaffen. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit verwiesen. Die Feststellungslast dafür, ab wann die Klägerin von einem endgültigen Scheitern des Vertrages ausgehen musste, liegt insoweit beim Beklagten. Denn er den will aus dem Fristablauf einen rechtlichen Vorteil für sich in Anspruch nehmen (BayObLGZ 1963, 264. BayObLG ZEV 1995, 105, 106. Staudinger/Kanzleiter § 2283 Rdn. 9. Palandt/Edenhofer § 2283 Rdn. 3. aA Mü/KoMusielak § 2283 Rdn. 6).

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Die Beweisaufnahme des Landgerichts hat bereits keine gesicherte Grundlage für die Feststellung geschaffen, ab wann die Klägerin tatsächlich den Pflegebedarf hatte, wie ihn die Parteien im Erbvertrag zugrunde gelegt haben. Der Beklagte lässt sich dahin ein, er habe zumindest bis Ende 2006 keinen Anhalt dafür gehabt, dass die Klägerin pflegebedürftig sei. Sie sei ihm bis Ende 2006 noch ´mit dem Auto, zu Fahrrad und zu Fuß entgegengekommen´. Hiermit will er geltend machen, dass vor diesem Zeitpunkt objektiv kein Anlass bestanden hat, mit den geschuldeten Dienstleistungen zu beginnen. Auf einen früheren Zeitpunkt kann daher schon deswegen nicht abgestellt werden, weil er vom Beklagten zur Rechtsverteidigung nicht ins Feld geführt wird. Abgesehen hiervon könnte der Beklagte aus der Tatsache, dass die Klägerin ihn bereits 1999 zur Erbringung von Pflegeleistungen aufgefordert hatte und dass seit 2005 die Zeugin M... als Haushaltshilfe für die Klägerin tätig war, ohnehin nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die Zeugin hat ausgesagt, sie habe zunächst die Haushaltsführung übernommen, also gekocht, gebügelt etc. Ab 2006 habe sie die Klägerin dann beim Ankleiden und Baden unterstützt. In diesem Jahr habe die Klägerin auch das Autofahren eingestellt. Hieraus ergibt sich daher lediglich, dass zwar ein stetig wachsender Bedarf bestand, dass aber andererseits die Klägerin bereit war, sich hiermit zu arrangieren und sie damit zufrieden war, dass die Haushaltsführung von der Zeugin M... gemacht wurde. Auch wenn sich daher altersbedingt vermehrt ein Pflegebedürfnis eingestellt hat, so fehlt doch ein konkretes äußeres Indiz, an dem festgemacht werden könnte, dass von da ab die Lebensverhältnisse umgestellt und die Pflegeleistung des Beklagten einsetzen mussten. Dieses äußere Indiz liegt erst in dem Umzug ins Altenheim. Ebenso verhält es sich mit dem zweiten Erfordernis, und zwar der Kenntnis vom Anfechtungsgrund. Da nicht ermittelt werden kann, zu welchem Zeitpunkt der innere Erkenntnisprozess bei der Klägerin entsprechend fortgeschritten war, kann auch insoweit nur an die äußeren Umstände angeknüpft werden. Dies ist der Zeitpunkt, als sie aus ihrem Haus ausgezogen ist.

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Unter Gesamtwürdigung aller bekannten Umstände ist mithin erst der Einzug in das Altenheim am 20. 06. 2007 als derjenige Zeitpunkt festzustellen, der den Lauf der einjährigen Anfechtungsfrist nach § 2283 BGB in Gang gesetzt hat. Diese Frist war am 18.01.2008 noch nicht abgelaufen (vgl. hierzu auch BGH NJWRR 1990, S. 200, 201, wonach die Anfechtungsfrist erst mit der Einreichung des Scheidungsantrages beginnt, wenn der Erbeinsetzung des Ehegatten die Erwartung zugrunde liegt, dass die Ehe Bestand haben wird und sich der Erblasser in dieser Erwartung getäuscht sieht).

36

Neben dem Rücktritt und der Anfechtung hat die Klägerin weiterhin noch das Recht zur Kündigung gemäß § 314 BGB. Bei der im Erbvertrag vereinbarten Pflicht zur Pflege und dem gleichzeitig vereinbarten Veräußerungsverbot handelt es sich um ein Dauerschuldverhältnis. Die Erbeinsetzung steht hiermit im Zusammenhang, wenn auch nicht im Rahmen einer kausalen Verknüpfung. Ein Festhalten am Vertrag kann der Klägerin in Anbetracht der beharrlichen Erfüllungsverweigerung des Beklagten nicht zugemutet werden (§ 314 Abs. 1 S. 2). Die Kündigungserklärung liegt in dem Rücktritt. Die Kündigung ist auch rechtzeitig. In Anbetracht der hier maßgeblichen Umstände muss sich die Frist für die Kündigung an der Anfechtungsfrist des § 2283 BGB orientieren.

37

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 710, 711 ZPO.

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Gründe, die Veranlassung geben könnten, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.