Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.06.2001, Az.: 4 B 59/01

Erziehungsgeld; Nachranggrundsatz; Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.06.2001
Aktenzeichen
4 B 59/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 39843
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihnen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren.

2

Die im Auftrage des Antragsgegners handelnde Stadt U. hat die den Antragstellern zuvor gewährte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt eingestellt, nachdem die Antragstellerin zu 1) nicht der Aufforderung nachgekommen ist, Arbeitslosenhilfe zu beantragen.

3

Der Antrag hat Erfolg.

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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen oder drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Hilfesuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

5

Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn sie begehren mit ihrem Antrag existenzsichernde Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Gegenwart und nahe Zukunft, auf die sie nach ihren Angaben dringend angewiesen seien.

6

Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach §§ 11, 12 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Diese Voraussetzungen liegen bei den Antragstellern vor.

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Ein Anspruch der Antragsteller ist nicht aufgrund fehlender Mitwirkung nach §§ 60, 66 SGB I entfallen. Die Antragstellerin zu 1) ist von der Stadt U. mit Schreiben vom 27. April 2001 zwar unter Hinweis auf § 66 SGB I aufgefordert worden, sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen und den entsprechenden Arbeitslosenhilfebescheid bis zum 17. Mai 2001 vorzulegen. Sich bei dem Arbeitsamt als arbeitssuchend zu melden und einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe zu stellen, fällt jedoch nicht unter die sich aus § 60 SGB I ergebenden Mitwirkungspflichten des Hilfesuchenden. Denn zu diesen Mitwirkungspflichten gehört es nicht, sich in bestimmter Weise zu verhalten und durch dieses Verhalten Tatsachen zu schaffen, deren Angabe der Sozialleistungsträger dann nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I verlangen darf. Entsprechendes gilt für § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I, mit dem dem Leistungsträger nur ein Überblick über die von dem Antragsteller in Betracht gezogenen Beweismöglichkeiten gegeben werden soll. Darüber hinausgehende Pflichten eines Antragstellers sind auch dieser Vorschrift nicht zu entnehmen (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.2.1990 - 4 M 10/90 -, FEVS 41, 363).

8

Ein Anspruch der Antragsteller auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist auch nicht aufgrund von § 2 BSHG ausgeschlossen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Im vorliegenden Fall muss sich die Antragstellerin zu 1) nicht darauf verweisen lassen, bei dem Arbeitsamt Arbeitslosenhilfe zu beantragen und den dort bestehenden Anspruch auszuschöpfen. Der Antragstellerin zu 1) ist Erziehungsgeld bewilligt worden. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (i.d.F. der Änderung durch Gesetz vom 12.10.2000, BGBl. I, 1426 - BErzGG -) schließt der Bezug von Arbeitslosenhilfe Erziehungsgeld aus, so dass die Antragstellerin zu 1) ihren Anspruch auf Erziehungsgeld verlieren würde. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 BErzGG kann nachträglich die Bestimmung des Berechtigten nur geändert werden, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes nicht mehr sichergestellt werden kann. Daher wäre es derzeit, solange der Antragstellerin zu 1) noch keine Arbeit vermittelt worden ist und sie daher weiter die Betreuung des gemeinsamen Kindes Andre, des Antragstellers zu 6), übernehmen kann, auch nicht möglich, dem Antragsteller zu 2) den Anspruch auf Erziehungsgeld zu übertragen. Dies steht jedoch der Wertung des § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG entgegen, wonach Erziehungsgeld nicht auf Sozialleistungen angerechnet wird. Der mögliche Anspruch der Antragstellerin zu 1) auf Arbeitslosenhilfe kann dann nicht vorrangig sein, wenn seinetwegen auf Leistungen verzichtet werden muss, die bei der Berechnung von Sozialhilfe nicht berücksichtigt werden dürfen.

9

Sofern der Antragsgegner die Auffassung vertritt, in der vorliegenden Konstellation hätten die Antragsteller keine Wahlmöglichkeit, wer von beiden die Elternzeit in Anspruch nehme, da sich diese Entscheidung auf die Höhe der nachrangigen Sozialhilfe auswirke, lässt sich dies dem Bundeserziehungsgeldgesetz nicht entnehmen. § 8 Abs. 1 Satz 3 BerzGG, auf den sich der Antragsgegner bezieht, besagt lediglich, dass für die Zeit des Erziehungsurlaubs, in der dem Berechtigten kein Erziehungsgeld gewährt wird, der Nachrang der Sozialhilfe und insbesondere auch § 18 Abs. 1 BSHG gilt, d.h. gegenüber dem - anderen - Elternteil, der zwar ebenfalls anspruchsberechtigt ist, aber nicht das Erziehungsgeld bezieht, kann der Grundsatz der Selbsthilfe geltend gemacht werden. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass gerade im vorliegenden Fall die Entscheidung der Antragstellerin zu 1), sich vorerst nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, sondern sich der Erziehung ihrer Kinder, der Antragsteller zu 3) bis 6), zu widmen, auf nachvollziehbaren Erwägungen beruht und daher nicht von einer missbräuchlichen Ausübung des Wahlrechts ausgegangen werden kann. So ist der Antragsteller zu 2) nicht der Vater der 5, 8 und 10 Jahre alten Töchter der Antragstellerin zu 1), der Antragstellerinnen zu 3) bis 5). Dass er sich überfordert fühlen würde, alleine für die drei Mädchen und zusätzlich für den im März 2001 geborenen gemeinsamen Sohn A., den Antragsteller zu 6), zu sorgen, ist auch angesichts des Alters des Antragstellers zu 2) - der Antragsteller zu 2) ist 24 Jahre alt, die Antragstellerin zu 1) 33 Jahre - durchaus verständlich. Hinzu kommt, dass der Antragsteller zu 2), der keine Ausbildung hat und bisher nur geringfügigen Beschäftigungen nachgegangen ist, eine Umschulungsmaßnahme beim Arbeitsamt beantragt hat, um einen Beruf zu erlernen.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.