Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.06.2001, Az.: 1 B 30/01

Ausweisung aus dem Gebiet der BRD; Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen die Ausweisungsverfügung gerichteten Widerspruchs; Unterschied Volks- und Staatsangehörigkeit; Anforderung an eine gefahrenabwehrende Ausweisung; Erlöschen eine Aufenthaltsgenehmigung per Verfügung und Gesetz; Zu berücksichtigende Tatsachen bei Ermessensentscheidung zur Ausweisung; Vorrang der Interessen und Rechte des Passinhabers vor Verwahrung des Passes durch Behörden

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
27.06.2001
Aktenzeichen
1 B 30/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 12061
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2001:0627.1B30.01.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2001, 438-441

Verfahrensgegenstand

Vollziehbare Ausweisung und Abschiebungsandrohung

Prozessführer

Herr ... Staatsangehörigkeit: ungeklärt/u.U. jordanisch,

Rechtsanwälte Bilzhause und Partner, Holzstraße 30, 21682 Stade,

Prozessgegner

der Landkreis Harburg, Schloßplatz 6, 21423 Winsen/Luhe, - 32-A-20404-Vö/r01 -

In dem Rechtsstreit
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 1. Kammer - am 27. Juni 2001
durch
den Vorsitzenden gemäß § 87 a Abs. 2 VwGO
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Mai 2001 gegen die Verfügung vom 18. Mai 2001 wird hinsichtlich der verfügten Ausweisung wiederhergestellt (Nr. 1 und Nr. 3 der Verfügung) und hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Nr. 2 der Verfügung) angeordnet.

    Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

  2. 2.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der 1974 geborene Antragsteller zunächst ungeklärter Staatsangehörigkeit und palästinensischer Volkszugehörigkeit - nach eigenen Angaben aus Israel/Westbank stammend - beantragte nach seiner Einreise (ohne Papiere) am 15. Oktober 1991 beim Antragsgegner und danach nochmals am 21. November 1991 im Rahmen einer Anhörung bei der ZAB Braunschweig seine Anerkennung als Asylbewerber. Der Antrag wurde nach der Anhörung vom 21. September 1994 durch Bescheid des Bundesamtes vom 14. November 1994 abgelehnt und seine Abschiebung nach Israel angedroht. Die dagegen gerichtete Klage zog der Antragsteller durch seine Verzichtserklärung vom 6. April 1998 zurück, so dass das Klageverfahren mit unanfechtbarem Beschluss vom 31. März 1998 (1 A 598/95) eingestellt wurde.

2

Am 19. Februar 2000 erhielt der Antragsteller antragsgemäß eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vom 18. Februar 2000.

3

Da er seine langjährige Verlobte deutscher Staatsangehörigkeit gemäß Antrag beim Standesamt ... heiraten wollte, beantragte er als Palästinenser der Westbank die Ausstellung eines jordanischen Reisepasses, nachdem seitens der Palästinensischen Generaldelegation in Bonn am 1. März 2000 klar gestellt worden war, dass nur Palästinenser der Autonomiegebiete palästinensische Reisedokumente erhalten könnten, zu denen der im Ausland lebende Antragsteller, da er aus der Westbank stamme, jedoch nicht zähle. Im Februar 2000 erklärte der Antragsteller, über Verwandte in Jordanien die Ausstellung eines jordanischen Reisepasses beantragt und auch erhalten zu haben, da er wohl tatsächlich jordanischer Staatsangehörigkeit sei. Mit Schreiben der deutschen Botschaft Amman vom 20. Dezember 2000 wurde gemäß einer Note des Jordan. Außenministeriums v. 14.12.2000 auf § 9 des Jordan. Staatsangehörigkeitsgesetzes Nr. 6 v. 1954 hingewiesen, der laute "Kinder eines Jordaniers sind Jordanier, ohne Rücksicht auf ihren Geburtsort". Zuvor hatte das jordanische Innenministerium schon mit Schreiben v. 1. September 2000 betont, dass der Antragsteller - im Besitz eines jordanischen Reisepasses - "jordanischer Staatsbürger" sei. Die Beweiskraft dieses Schreibens hielt die deutsche Botschaft in Amman allerdings "für nicht gerade umwerfend" (Schreiben v. 13.11.2000), u. zw. aus Gründen, die der e-mail vom 23. November 2000 an den Sachbearbeiter beim Antragsgegner zu entnehmen sind:

"Ich habe mir die Passkopien noch einmal angesehen. Die jordanischen Behörden geben ja auch Palaestinensern jordanische Pässe, ohne dass diese die jordanische Staatsangehörigkeit haben."

4

Die Generaldelegation Palästinas in Bonn stellte demgegenüber mit ihrem Schreiben vom 1. März 2001 fest, der Antragsteller sei durch seine Abstammung, da sein Vater lt. Geburtsurkunde Nr. 638569 v. 1948 Palästinenser sei, auch ohne Berücksichtigung seines Geburtsortes "Palästinenser":

"Anhand der gesandten Unterlagen ist Herr ... palästinensicher Volkszugehörigkeit und hat in Jordanien gelebt. Er besitzt jedoch nicht die jordanische Staatsangehörigkeit, obwohl er einen jordanischen Paß beantragt hat.

Die Rückkehr und der Status der Palästinenser, die im Ausland leben, ist noch nicht geklärt. Dies ist ein Thema der Endstatusverhandlungen zwischen Israel und der PLO, welche bislang noch nicht aufgenommen wurden."

5

Die UNRWA hatte im Februar 2000 mitgeteilt, der Antragsteller sei bei ihr als palästinensischer Flüchtling registriert (Nr. 12017584/701197). Mit Schreiben vom 26. März 2001 ergänzte die Generaldelegation Palästinas in Bonn nach Kenntnisnahme der jordanischen Dokumente ihre vorangehenden Feststellungen dahingehend, dass der Antragsteller palästinensischer Volksangehöriger sei, wegen des Besitzes eines jordanischen Reisepasses aber auch jordanischer "Staatsbürger".

6

Hierauf wurde der Antragsteller durch die angegriffene Verfügung vom 18. Mai 2001 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, diese Verfügung für sofort vollziehbar erklärt und ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Jordanien angedroht. Zur Begründung wurde angeführt, der Antragsteller habe bis zur Vorlage des jordanischen Passes "falsche Angaben bezüglich seiner Person gemacht", so zahllose mittelbare Falschbeurkundungen begangen und sich sämtliche Aufenthaltsrechte erschlichen. Auf diese Weise habe er derart gegen deutsches Recht verstoßen, dass seine Ausweisung gem. § 45 Abs. 1 AuslG - auch mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit - gerechtfertigt sei. Zugleich wurde insoweit die sofortige Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet. Außerdem wurde gem. § 50 Abs. 1 AuslG eine Abschiebungsandrohung erlassen (Nr. 2 der Verfügung v. 18. Mai 2001). Über den Widerspruch des Antragstellers gegen diese Verfügung ist noch nicht entschieden.

7

Am 5. Juni 2001 hat der Antragsteller die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt und vorgetragen, er bestreite den ihm zur Last gelegten Vorwurf ganz entschieden.

8

Die Entscheidungsfindung des Antragsgegners sei unausgewogen. Denn es stelle nur eine Schlussfolgerung dar, wenn aufgrund der Tatsache, dass ihm ein jordanischer Pass ausgestellt worden sei, angenommen werde, er habe die jordanische Staatsangehörigkeit. Vor allem habe er selbst davon erst erfahren, als die jordanischen Behörden das so festgestellt hätten. Vorher sei er davon ausgegangen, dass er staatenloser Palästinenser sei. Sein Vater sei gestorben, als er 3 Jahre alt gewesen sei, so dass er an ihn keinerlei Erinnerung mehr habe. In seinem Lebensumfeld habe die Staatsangehörigkeit keine Bedeutung gehabt, sondern nur die Volkszugehörigkeit. Deshalb habe er zutreffend angegeben, er sei Palästinenser. Die Ausweisung sei angesichts seiner Integration unverhältnismäßig. Er beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die sofort vollziehbare Abschiebungsverfügung des Landkreises Marburg vom 18.05.2001 gem. § 80 Abs. 5 VwGO herzustellen bzw. anzuordnen.

9

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

10

Er meint, der Antragsteller habe sich seit 1991 unter falschem Namen in Deutschland aufgehalten und erstmals im Febr. 2000 unter Vorlage eines jordanischen Passes seine richtigen Personalien angegeben. Damit habe er sich zahlloser mittelbarer Falschbeurkundungen schuldig gemacht. Er habe sämtliche Aufenthaltsrechte in Deutschland "erschlichen".

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen

12

II.

Der zulässige Antrag hat Erfolg. Dem Antragsteller ist der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren.

13

1.

Seinem Rechtsschutzziel nach ist der Antrag dahin auszulegen, dass einerseits im Hinblick auf die Vollzugsanordnung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO Rechtsschutz begehrt wird und andererseits gegenüber der Abschiebungsandrohung gem. § 50 Abs. 1 AuslG. Da es sich bei letzterer um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handelt (Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl.§ 50 Rdn. 18), die sich gemäß §§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, 70 NVwVG nach dem 6. Teil des NGefAG richtet, haben Rechtsbehelfe u.a. gegen die Androhung von Zwangsmitteln keine aufschiebende Wirkung (§ 64 Abs. 4 NGefAG). Insoweit ist der Antrag also dahin auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 VwGO gerichtlich anzuordnen ist. Imübrigen wird die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gem.§ 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 VwGO erstrebt

14

2.

Bei dem so zu verstehenden Antrag mit doppeltem Rechtsschutzziel steht jener auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Vordergrund, weil die Präklusionswirkungen des § 70 AuslG im gerichtlichen Verfahren nicht mehr gelten (Kanein/Renner, a.a.O., § 70 Rdn. 10/11 m.w.N.), die Entscheidungsgrundlage des Gerichts sich vielmehr erweitert, so dass auch hinsichtlich der Abschiebungsandrohung zunächst die Rechtmäßigkeit der Abschiebung (§ 49 AuslG) und sodann das Schicksal des Verwaltungsaktes gem. Art. 19 Abs. 4 GG in den Blick zu nehmen ist, durch den der betroffene Ausländer nach § 42 Abs. 1 AuslG ausreisepflichtig ist und der regelmäßig mit der Abschiebungsandrohung verbunden wird (§ 50 Abs. 1 S. 2 AuslG).

15

3.

Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) des gegen die Ausweisungsverfügung gerichteten Widerspruchs ist hier deshalb geboten, weil das schriftlich dargelegte Vollzugsinteresse (§ 80 Abs. 3 S. 1 VwGO) den angeordneten Sofortvollzug nicht trägt und auch sonst gravierende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung selbst bestehen. Demgemäss ist es derzeit noch offen, ob die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltsgenehmigung gem. § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG einmal endgültig erlöschen wird, wenngleich z.Z. davon ausgegangen werden muss, dass sie zunächst - wegen der inneren Wirksamkeit der verfügten Ausweisung seit ihrem Erlass - kraft Gesetzes erloschen ist (§ 72 Abs. 2 AuslG). Bei einer Aufhebung der verfügten Ausweisung stünde allerdings nachträglich der Fortbestand und das Nichterlöschen der Aufenthaltsgenehmigung zugunsten des Antragstellers fest.

16

3.1

Das eine Vollzugsanordnung tragende Interesse iSv. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO stellt ein "aliud" gegenüber dem der Grundverfügung dar und ist deshalb gem. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO besonders zu begründen (Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften 12, 4. Auflage 1998, Rdn. 755 m.w.N.). Der Verweis auf die tragenden Gründe der Grundverfügung oder deren bloße Wiederholung reicht regelmäßig nicht als Begründung iSv§ 80 Abs. 3 S. 1 VwGO aus (OVGE 17, 45; VGH Kassel, DÖV 1974, 606; VG Arnsberg, GewArch 1979, 260).

17

Die Begründung der Vollzugsanordnung hebt hier darauf ab, dass während des weiteren Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet "mit weiteren Rechtsverletzungen durch ihn zu rechnen wäre", obgleich im Bescheid selbst (S. 3 Abs. 2) davon ausgegangen wird, dass der Antragsteller, der sich seit fast 10 Jahren ununterbrochen in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, "seit einigen Jahren keine Straftaten ... mehr begangen" hat. Die trotz dieser Feststellung aufgestellte (Gefahren-)Prognose ist lediglich darauf gestützt, dass der Antragsteller angeblich falsche Angaben zu seiner Person gemacht hat und er ein solches Verhalten - obgleich es inzwischen doch "aufgedeckt" ist - auch in Zukunft noch fortsetzen könnte. Eine solche Gefahrenprognose ist vage, nicht durch Tatsachen und konkrete Anhaltspunkte bezüglich bestimmter Gefahrenmomente und bestimmter Straftaten belegt und gestützt und im Ergebnis mehr eine Behauptung und Vermutung. Für eine solide Gefahrenprognose "genügt nicht irgendeine, sondern nur eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" (Kanein/Renner, a.a.O., Rdn. 9 zu§ 45 AuslG). Die Gefahren müssen nach Ort, Zeit und Verursacher irgendwie bestimmbar sein und für eine Vollzugsanordnung in besonderer Weise auf der Hand liegen und drohen. Hieran fehlt es. Das besondere, über die Grundverfügung - die Ausweisung - noch hinausreichende Interesse an der sofortigen Vollziehung ist damit nicht iSv § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO in einer rechtsstaatlichüberzeugenden Weise dargetan. Schon deshalb ist die Vollzugsanordnung rechtswidrig (Finkelnburg/Jank, a.a.O., Rdn. 759).

18

3.2

Die auf § 45 AuslG gestützte (Ermessens-)Ausweisung des Antragstellers stellt sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren als nicht haltbar dar und dürfte sich bei einer genaueren Überprüfung im Hauptsacheverfahren wohl als rechtswidrig herausstellen.

19

Da in § 46 AuslG bereits Beispiele für eine (konkrete) Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgezählt sind, kann dann, wenn diese Beispielsfälle zwar einschlägig, aber nicht erfüllt sind, keineswegs ohne weiteres auf den Grundtatbestand des § 45 Abs. 1 AuslG zurückgegriffen werden. Zwar mag eine geringfügige Straftat als Verletzung der öffentlichen Sicherheit gewertet werden, aber eine solche Tat kann nicht - abweichend von § 46 Nr. 2 AuslG und damit abweichend von den dort verfolgten Gesetzeszielen - als Ausweisungstatbestand iSv § 45 Abs. 1 AuslG herangezogen werden. Das würde die in § 46 AuslG zum Ausdruck gelangten Wertungen unterlaufen, denen zufolge im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geringfügige Verstöße gerade nicht für eine Ausweisung ausreichen sollen und diesbezüglich eine teleologische Reduktion geboten sein soll (Kanein/Renner, a.a.O., Rdn. 11 u. 12 zu § 46). Ein Straftäter z.B. darf nur und erst dann ausgewiesen werden, wenn eine tatsächliche und hinreichendschwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, NJW 1978, 479; BVerwGE, 57, 61). Beim Fehlen eines Verschuldens kann selbst ein gravierender Verstoß im Rahmen des § 46 Nr. 2 AuslG insgesamt als geringfügig bewertet und als Ausweisungsgrund ausgeschieden werden (Kanein/Renner, a.a.O. Rdn. 11).

20

Auf der Grundlage der seitens des Antragsgegners angestellten Ermittlungen ist es z.Z. überaus zweifelhaft, ob der Antragstellerüberhaupt eine Straftat begangen hat bzw. ihm ein genügend erheblicher Vorwurf gemacht werden kann. Denn er war offenbar jahrelang davon ausgegangen, dass er staatenloser Palästinenser sei, worauf sowohl seine Registrierung bei der UNRWA hindeutet als aber auch die Einschätzung der Sach- und Rechtslage bei der Palästinensischen Generaldelegation in Bonn (vgl. Schreiben v. 01.03.2001). Die Geburtsurkunde seines Vaters aus dem Jahre 1948 mit der Nr. 638569 sieht der Antragsteller insoweit zu Recht als Beleg dafür an, dass er zunächst einmal Palästinenser war (und ist). Als solcher hatte und hat er aufgrund der politischen Lage jedoch keine Möglichkeit, einen Pass zu erhalten (vgl. Schreiben der Generaldelegation Palästinas v. 01.03.2001). Allein und ausschließlich dadurch, dass die jordanischen Behörden ihm - aus welchen Gründen im einzelnen, ist nicht klar - einen jordanischen Pass ausgestellt haben, dürfte die Frage seiner Staatsangehörigkeit noch nicht geklärt sein, zumal gerade bei Palästinensern aus der Westbank ein politisch motiviertes Verwaltungshandeln der tätig gewordenen Behörden nicht ausgeschlossen werden kann, nachdem Jordanien im Herbst 1974 in Rabat auf die seit 1967 von Israel besetzte Westbank verzichtet hatte (Ploetz, 37. Auflage 2000, S. 518). Gemäß der e-mail der deutschen Botschaft in Amman v. 23.11.00 (Bl. 290 der VerwV.) ist es ja denn auch so, dass die jordanischen Behörden Palästinensern jordanische Pässe ausstellen, ohne dass diese zugleich auch jordanische Staatsangehörige wären. In dieser e-mail wird der Antragsteller zutreffend als "Abkömmling von Palästinensern" bezeichnet. Nach eigenen Angaben wurde dem palästinensischem Antragsteller der Pass denn auch "besorgt", was nach der Lebenserfahrung insgesamt nachvollziehbar erscheint. Ein unwiderleglicher Beleg für eine jordanische Staatsangehörigkeit des Antragstellers ist damit jedoch nicht erbracht. Vielmehr bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der jordanische Staat - als einziger arabischer Staat - palästinensischen Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft ohne Rückfragen durch Ausstellung eines Passes "gewährt" (so das gen. Schreiben v. 01.03.2001). Im Schreiben der Generaldelegation Palästinas vom 26.03.2001 heißt es demgemäß auch, der Antragsteller sei mit dem Pass jordanischer "Staatsbürger" (geworden), was noch nicht mit seiner Staatsangehörigkeit identisch ist.

21

Hiervon abgesehen kann dem Antragsteller nun aber nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass er noch vor der Ausstellung des Passes um die von den jordanischen Behörden in Anspruch genommene Zugehörigkeit zu Jordanien wusste. Immerhin ist sein Vater verstorben, als er 3 Jahre alt war. Seinerzeit lebte seine gesamte Familie in Palästina, wo zwar die Volkszugehörigkeit, aber nicht die Staatsangehörigkeit eine maßgebliche Rolle spielte. Das ist auf dem Hintergrund dessen, dass sich unter den "Palästina-Arabern" ein palästinensisches Identitätsgefühl bis hin zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl als "Volk der Palästinenser" herausgebildet hat (Ploetz, 37. Auflage 2000, S. 515), verständlich und gut nachvollziehbar. Es kann unterstellt werden, dass Urkunden über die unter diesen Umständen nebensächliche, ja wohl bedeutungslose Staatsangehörigkeit nicht vorhanden waren. Da der Antragsteller seinen Vater nicht nach dessen Staatsangehörigkeit fragen konnte und seine Mutter dieser Frage keine Bedeutung zumaß, kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller in gutem Glauben von seiner Staatenlosigkeit als Palästinenser der Westbank ausgegangen ist und überall entsprechende - richtige - Angaben zu seiner Volkszugehörigkeit gemacht hat. Davon, dass er daneben seinen Namen vorsätzlich falsch angegeben oder verschleiert hat, kann keine Rede sein, weil der Nachname "Sulaiman" einem Vermerk des Antragsgegners v. 15.10.91 zufolge nur "phonetisch" festgehalten worden war. Der Vorwurf mittelbarer Falschbeurkundungen (S. 2 des angegriffenen Bescheides) ist unter diesen Umständen nicht schlüssig.

22

Da bei einer gefahrenabwehrenden Ausweisung an die Wahrscheinlichkeit von (künftigen) Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung "keine zu geringen Anforderungen gestellt werden" dürfen (BVerwG EZAR 124 Nr. 2 u. 3) und neben der Art der Gefährdung vor allem auch das Ausmaß solcher Gefährdung ausschlaggebend sein soll (Kanein/Renner, a.a.O., Rdn. 28 zu § 45 AuslG), bestehen hier unter dem Gesichtspunkt solcher Gefahrenabwehr nach Lage der Dinge ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung. Eine hinreichend schwere Gefährdung ist z.Z. nicht ersichtlich.

23

Soweit hier mit der angefochtenen Verfügung zudem generalpräventive Zwecke verfolgt werden (vgl. dazu BVerfGE 50, 166), ist hervorzuheben, dass eine Ausweisung grundsätzlich nicht zum Zwecke der Abschreckung anderer Ausländer erfolgen, der Betroffene also grundsätzlich nicht als Exempel für andere missbraucht werden darf (EuGH, NJW 1975, 1096; BVerwGE 49, 60). Hiervon abgesehen lässt sich das Verhalten des Antragstellers aber auch schwerlich einer der Fallgruppen zuordnen, die von der Rechtsprechung als einer Generalprävention zugänglich herausgearbeitet worden sind (illegaler Rauschgifthandel, Raub und raub. Erpressung, sexueller Mißbrauch von Kindern, illegale Waffeneinfuhr, Hehlerei usw., vgl. Kanein/Renner, a.a.O., Rdn. 21 zu § 46 AuslG). Weiterhin ist darauf zu verweisen, dass eine Generalprävention, so sie überhaupt heranziehbar ist, jedenfalls nach einem langen Aufenthalt im Bundesgebiet - wie er hier mit 10 Jahren vorliegt - schon im Ansatz unzulässig sein kann (BVerwGE 59, 112; BVerwG, EZAR 120 Nr. 7, 122 Nr. 8). Somit vermag dieser Gesichtspunkt die angegriffene Verfügung kaum zu stützen.

24

Schließlich hatte der Antragsgegner gemäß § 45 Abs. 2 AuslG die Aufenthaltsdauer und schutzwürdige Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen sowie neben Duldungsgründen die Ausweisungsfolgen in seine Ermessensbetätigung einzubinden und sachgerecht abzuwägen. Bei seiner Ermessensbetätigung hatte der Antragsgegner hier vor allem den gesetzlich verankerten Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Nr. 2 AuslG zu bedenken, dessen Voraussetzungen hier erfüllt sein dürften, da der Antragsteller schon als Minderjähriger (mit 17 Jahren, vgl. § 68 Abs. 3 AuslG i.V.m.§ 2 BGB) in das Bundesgebiet eingereist ist. Die insoweit auf S. 3 unten der Verfügung v. 18.5.01 vorgenommene Abwägungüberzeugt demgegenüber nicht: Das "Erschleichen" sämtlicher Aufenthaltsrechte unterstellt einen Vorsatz, den der Antragsteller - soweit erkennbar - nach dem historischen Ablauf wohl nicht gehabt hat (s.o.). Wenn sich der Antragsteller im Übrigen aber gerade "in Bezug auf begangene Straftaten - ... - so verhalten hat, wie dies von einem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen zu erwarten ist", so ist die trotz dieser Erkenntnis dann vom Antragsgegner zu seinen Lasten vorgenommene Wertung nicht mehr nachvollziehbar. Besonders aber die persönliche Beziehung zur langjährigen Verlobten bzw. Ehefrau des Antragstellers hätte gewürdigt werden müssen, zumal eine Eheschließung nach islamischem Recht schon am 12.12.2000 stattgefunden hat (vgl. die amtsgerichtlich beglaubigte Abschrift der islamischen Heiratsurkunde v. 12.12.2000) - auch wenn diese nach deutschem Recht unwirksam ist (§ 1310 BGB). Die Aufzählung der privaten Interessen in§ 45 Abs. 2 AuslG ist nämlich nicht abschließend (Kanein/Renner, a.a.O., Rdn. 15 zu § 45 AuslG), so dass auch sonstige Umstände und Folgen der Ausweisung - wie hier die mit einer Abschiebung nach Jordanien (wie angedroht) verbundene faktische Trennung des Antragstellers von seiner deutschen Verlobten bzw. nach islamischem Recht angetrauten Ehefrau - einzubeziehen und abzuwägen gewesen wäre. Auch die sonstige Verwurzelung des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse wäre dabei mit dem ihr zukommenden Gewicht zu würdigen gewesen. Die offenbar gelungene Integration des Antragstellers in das gesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland fällt bei der verfügten Ausweisung als wichtiger Abwägungsfaktor zugunsten des Antragstellers ins Gewicht. Eine von der Gewichtung und Wertung her abwägende Gesamtwürdigung ist dem Antragsgegner auf dem Hintergrund seines wenig überzeugenden Ausgangspunktes (s.o.), der Antragsteller habe von Anfang an über viele Jahre ganz bewusst über seine Identität getäuscht und sich so ganz eindeutig (schuldhaft) strafbar gemacht, nicht gelungen.

25

Demgemäss ist es unter Beachtung des Art. 19 Abs. 4 GG derzeit nicht möglich, den Antragsteller sofort vollziehbar auszuweisen und - bei einem Unterlassen der freiwilligen Ausreise - abzuschieben, so wie das für diesen Fall angedroht worden ist (Nr. 2 der angegriffenen Verfügung). Denn auf diese Weise würden vollendete Tatsachen geschaffen, noch bevor gerichtlich (in einem Verfahren der Hauptsache) geklärt wäre, ob die vom Antragsgegner dargelegten Vorwürfe tatsächlich - in einer rechtsstaatlichen Maßstäben auch Stand haltenden Weise - erhoben werden können.

26

Bei dieser Lage der Dinge sollte vom Antragsgegner geprüft werden, ob dem Antragsteller nicht sein Pass ausgehändigt werden könnte, um so einen Beitrag zur Erfüllung des (standesamtlichen) Heiratswunsches zu leisten. Denn gemäß Art. 16 der Allg. Erklärung der Menschenrechte haben "heiratsfähige Männer ... ohne Beschränkung durch Rasse, Staatsbürgerschaft oder Religion das Recht, eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen". Diesem grundlegenden Menschenrecht hat auch der Antragsgegner mit seinem Verwaltungshandeln Rechnung zu tragen. Die Möglichkeit, den Pass (bis zu einer bevorstehenden Ausreise) in Verwahrung zu nehmen (§ 42 Abs. 6 AuslG), kann nur solange genutzt werden, wie konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Pass vor der Ausreise vernichtet oder sonst beseitigt bzw. unbrauchbar gemacht wird (so Kanein/Renner, a.a.O., Rdn. 19 zu § 42). Andernfalls ist das Interesse des Passinhabers am Besitz seines Passes höher zu bewerten. Das gilt ganz besonders in einem Fall wie hier, wo der Pass für eine standesamtliche Heirat - also die Wahrnehmung eines Menschenrechtes (s.o.) - verwendet werden soll. § 42 Abs. 6 AuslG kann nicht dafür herangezogen werden, eine vorgesehene Heirat zu be- und verhindern. Der Antragsteller könnte vielmehr mit der Aushändigung des Passes die standesamtliche Eheschließung vollziehen und so seine Ehe auch nach deutschem Recht rechtsgültig werden lassen, die nach islamischem Recht bereits seit dem 12. Dezember 2000 gültig ist.

27

4.

Mit der hier getroffenen Entscheidung, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegenüber der Abschiebungsandrohung (Nr. 2 der Verfügung v. 18.5.01) anzuordnen, ist diese - mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt ihre Erlasses (Kanein/Renner, a.a.O., § 50 Rdn. 19) - nun nicht mehr vollziehbar. Diese Entscheidung geht darauf zurück, dass die angegriffene Ausweisungsverfügung (Nr. 1 der Verfügung v. 18.5.01) ihrerseits nicht vollziehbar ist (s.o./Nr. 3 der Verfügung) und damit vollstreckungsrechtlich - mangels vollziehbarer Ausreisepflicht - auch noch keine Abschiebung erfolgen könnte (§§ 49, 42 Abs. 2 AuslG). Dann entbehrt auch die hier als deren Vorstufe verfügte Abschiebungsandrohung (Nr. 2 der Verfügung v. 18.5.01) einer sachlich-rechtlichen Grundlage.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf§§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 8.000,00 DM festgesetzt.