Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.12.1991, Az.: 3 L 198/90

Rückwirkender Erlaß; Verfassungsrecht; Eigenbedarf des Verpächters; Ehegatte; Kinder; Milchviehhaltender Landwirtschaftlicher Betrieb; Existenzsicherung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.12.1991
Aktenzeichen
3 L 198/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 13090
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1991:1205.3L198.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade 06.09.1990 - 6 A 3/90
nachfolgend
BVerwG - 29.09.1994 - AZ: BVerwG 3 C 11/92

Fundstelle

  • AgrarR 1993, 53

Amtlicher Leitsatz

1. Der rückwirkende Erlaß des § 7 Abs 2 und 3a MGV (MilchGarMV) zum 8.3.1985 durch die 14. Änderungsverordnung vom 21.3.1990 (BGBl I S 556) verstößt nicht gegen nationales Verfassungsrecht.

2. Ein Eigenbedarf des Verpächters iSd § 7 Abs 3a S 2 MGVO (MilchGarMV) kann nur dann geltend gemacht werden, wenn er, sein Ehegatte oder seine Kinder als Inhaber eines bereits milchviehhaltenden landwirtschaftlichen Betriebes zur Existenzsicherung auf den Übergang der Referenzmenge angewiesen sind.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 6. Kammer Stade - vom 6. September 1990 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines landwirtschaftlichen Betriebes in einer Größe von rd. 38 ha. Weitere 7 ha hat sie zugepachtet. Mit Pachtvertrag vom 28. September 1977 verpachtete ihr Vater und Rechtsvorgänger auf die Dauer von sechs Jahren 9,8481 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, davon 2,5009 ha Ackerland und 7,3472 ha Grünland an den Beigeladenen. Mit Pachtvertrag vom 12. Juli 1983 verlängerte die Klägerin das Pachtverhältnis mit dem Beigeladenen auf unbestimmte Zeit.

2

Am 24. Oktober 1989 beantragte die Klägerin bei der Kreisstelle Stade der Beklagten, ihr nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) zu bescheinigen, daß vom Beigeladenen auf sie eine Referenzmenge übergegangen sei. Zur Begründung machte sie geltend, daß sie am 1. November 1989 eine 9,8481 ha große landwirtschaftliche Nutzfläche, die der Milcherzeugung gedient habe, vom Beigeladenen aus der Verpachtung zurückgenommen habe. Auf den Übergang einer Referenzmenge sei sie zur Fortführung ihres landwirtschaftlichen Betriebes angewiesen.

3

Nach Anhörung des Beigeladenen bescheinigte die Kreisstelle Stade der Beklagten der Klägerin mit Bescheid vom 31. Oktober 1989 den Übergang einer Referenzmenge von 12.125 kg. Zur Begründung führte sie aus: Der Beigeladene berufe sich auf Pächterschutz. Der von der Klägerin geltend gemachte Eigenbedarf sei nicht nachgewiesen worden. Von der 9,85 ha großen Pachtfläche, die der Milcherzeugung gedient habe, seien daher 5 ha abzuziehen. Auf die verbleibende Fläche von 4,85 ha entfielen 2.500 kg/ha. Daraus errechne sich eine übergegangene Referenzmenge von 12.125 kg.

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Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend: Von ihr würden zur Zeit im Nebenerwerb 18 ha Grünland bewirtschaftet. Davon seien 7,5 ha langfristig zugepachtet. Nach Rücknahme der verpachteten Flächen werde sie ab 1. November 1989 insgesamt 45 ha bewirtschaften. Ihr Rindviehbestand umfasse zur Zeit 68 Stück, davon 21 Mastbullen und 17 Milchkühe. 30 weibliche Jungrinder würden zur Zucht aufgezogen. Der größte Teil des Jungvieh- und Milchkuhbestandes sei im Herdbuch eingetragen. Die zur Milcherzeugung notwendigen Stallungen und Anlagen seien in ihrem Betrieb vorhanden. Die im Betrieb anfallenden Arbeiten erledige zur Zeit ihr Sohn und Hoferbe ..., der im Jahre 1989 seine Prüfung zum staatlich geprüften Wirtschafter abgelegt habe. Mit dem Wirtschaftsjahr 1990/1991 solle ihr Sohn den landwirtschaftlichen Betrieb als Vollerwerbsbetrieb in Eigenbewirtschaftung übernehmen. Ein Pächterschutz des Beigeladenen komme daher nicht in Betracht. Sie sei auf die Referenzmenge angewiesen.

5

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 1989 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus. Ein Eigenbedarf der Klägerin liege nicht vor, da sie zur Zeit der Rücknahme der Pachtflächen keine Milch erzeugt habe.

6

Die Klägerin hat am 3. Januar 1990 Klage erhoben und zur Begründung ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgetragen: Sie habe den landwirtschaftlichen Betrieb seit 1967 von ihrem Vater gepachtet und bis 1977 mit Milchviehhaltung bewirtschaftet. Zur Versorgung ihrer Kinder und insbesondere der kranken Tochter habe sie 1977 eine Nichtvermarktungsprämie in Anspruch genommen und die landwirtschaftlichen Flächen mit Rücksicht darauf, daß der jetzt 20-jährige Sohn nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung den Betrieb weiterführen solle, zeitlich befristet verpachtet. Ihr landwirtschaftlicher Betrieb sei nur existenzfähig, wenn sie über eine Milchquote von ca. 150.000 kg verfüge. Gegenwärtig besitze sie nur eine Quote von 32.000 kg.

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Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides ihrer Kreisstelle Stade vom 31. Oktober 1989 und ihres Widerspruchsbescheides vom 29. November 1989 zu verpflichten, ihr zu bescheinigen, daß mit Wirkung vom 1. November 1989 vom Beigeladenen eine Referenzmenge von 49.240,5 kg (9,8481 ha × 5.000 kg) auf sie übergegangen sei.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat erwidert: Ein Eigenbedarf der Klägerin liege nicht vor. Bei dem Betrieb der Klägerin handele es sich um einen Nebenerwerbsbetrieb, der erst zukünftig von ihrem Sohn als Vollerwerbsbetrieb bewirtschaftet werden solle. Erst mit der Rücknahme der verpachteten Flächen erhalte die Klägerin eine Referenzmenge von insgesamt 32.000 kg. Seit 1977 sei auf dem Betrieb der Klägerin ausschließlich bzw. überwiegend die Rindermast und die Sauenhaltung betrieben worden. Offensichtlich sei nunmehr eine Umstrukturierung des Betriebes zur Milchproduktion beabsichtigt. Mit dem von der Klägerin beantragten Referenzmengenübergang und geltend gemachten Eigenbedarf solle ein existenzfähiger Milchwirtschaftsbetrieb erst begründet, nicht aber die Existenz eines bereits vorhandenen Betriebes gesichert werden.

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Der Beigeladene hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat die Auffassung vertreten, daß er Pächterschutz genieße und ein Eigenbedarf der Klägerin nicht vorliege. Von der Klägerin sei erstmals im Jahre 1989 mit der Milchviehhaltung begonnen worden. Vorher sei auf ihrem Betrieb nur Milch für den Eigenbedarf erzeugt und eine Ammenkuhhaltung betrieben worden.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 6. September 1990 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

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Die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf die Bescheinigung des Übergangs einer Anlieferungsreferenzmenge in der von ihr geltend gemachten Höhe nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) nicht zu. Der Beigeladene genieße Pächterschutz. Der in § 7 Abs. 3 a MGVO geregelte Pächterschutz, auf den sich der Beigeladene berufe, finde im Gemeinschaftsrecht und zwar in Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 590/85 eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Nach dieser Vorschrift könnten die Mitgliedsstaaten für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen habe, vorsehen, daß die auf den Betrieb bzw. den gepachteten Teil des Betriebes entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben werde, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen wolle. Von dieser Ermächtigung habe der nationale Verordnungsgeber Gebrauch gemacht. Er habe durch die 3. Verordnung zur Änderung der Milch-Garantiemengen-Verordnung vom 11. September 1985 (BGBl I S. 1916) § 7 Abs. 3 a MGVO geändert und damit diese Regelung auf solche Weise in seinen Willen aufgenommen, daß insgesamt von einem neuen, nach Vorhandensein der Ermächtigungsgrundlage ergangenen und deshalb wirksamen "Gesetzesbefehl" auszugehen sei. Es könne daher offenbleiben, ob die mit der 14. Verordnung zur Änderung der Milch-Garantiemengen-Verordnung vom 21. März 1990 (BGBl I S. 556) durch den nationalen Verordnungsgeber rückwirkend auf den 8. März 1985 angeordnete Neufassung des § 7 Abs. 2 und Abs. 3 a MGVO mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen im Einklang stehe. Die Beklagte habe mithin zu Recht gemäß § 7 Abs. 3 a Satz 1 1. Halbsatz MGVO von der zurückgewährten Pachtfläche 5 ha abgezogen und nach § 7 Abs. 3 a Satz 1 2. Halbsatz MGVO für die verbleibende Fläche pro ha eine Referenzmenge von 2.500 kg berücksichtigt. Gegenüber dem Pächterschutz des Beigeladenen könne die Klägerin nicht mit Erfolg Eigenbedarf nach § 7 Abs. 3 a Satz 2 3. Alternative MGVO geltend machen. Sie sei nicht auf die Referenzmenge angewiesen. Diese Bestimmung sei restriktiv auszulegen. Angewiesen im Sinne dieser Vorschrift bedeute daher, daß die Existenz des Milchwirtschaftsbetriebes ohne den Übergang gefährdet sein müsse. Ob eine solche Gefährdung im Zeitpunkt der Rückgabe der Pachtsache vorliege und ob ihr durch den Übergang der Referenzmenge begegnet werden könne, lasse sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beurteilen. Danach lägen Anhaltspunkte für eine Existenzgefährdung des Betriebes der Klägerin nicht vor. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, daß sie zur Zeit erst bemüht sei, die für die Existenzfähigkeit des Betriebes erforderliche Milchquote zusammenzutragen. Dieser Fall sei ersichtlich durch § 7 Abs. 3 a Satz 2 3. Alternative MGVO nicht erfaßt worden. Die Erwartung, einen landwirtschaftlichen Betrieb zukünftig auf Milchwirtschaft umstellen zu können, werde durch das Merkmal "angewiesen sein" nicht geschützt.

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Gegen diese Entscheidung führt die Klägerin Berufung. Zur Begründung trägt sie vor: Sie habe einen Anspruch auf Übertragung der vollen Referenzmenge nach Art. 7 Ziff. 2 und 3 VO (EWG) Nr. 1546/88. Der in § 7 Abs. 3 a MGVO geregelte Pächterschutz verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht. § 7 Abs. 2 und Abs. 3 a MGVO seien durch Art. 7 VO (EWG) Nr. 1546/88 nicht gedeckt. Das habe auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 30. November 1989 - 3 C 47.88 - entschieden. Der sogenannte Pächterschutz finde auch nicht in Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 590/85 eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Die Möglichkeit der Mitgliedsstaaten, aufgrund nationaler Vorschriften dem Pächter für eine zur Milcherzeugung genutzte Fläche einen Teil oder die gesamte Milchquote zu belassen, sei nach dem Gemeinschaftsrecht als Ausnahme vorgesehen. Dem durch das Gemeinschaftsrecht vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der "Flächenakzessorität der Milchreferenzmenge" und dem "Pächterschutz" trage § 7 Abs. 3 a MGVO keine ausreichende Rechnung, soweit danach für eine Fläche unter 5 ha keine Referenzmenge und für die darüber hinausgehende Fläche eine Referenzmenge von 2.500 kg/ha übergehe. Sie genieße auch Vertrauensschutz, weil sie die landwirtschaftlichen Flächen vor der Einführung eines Pächterschutzes verpachtet habe. Ihr Sohn Frank habe eine abgeschlossene landwirtschaftliche Berufsausbildung. Nach der Gehilfenprüfung im Jahre 1988 habe er die einjährige Landwirtschaftsschule in Stade besucht und diese mit der Prüfung zum staatlich geprüften Wirtschafter im August 1989 abgeschlossen. Auch während der Verpachtung ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen habe sie immer in einem geringen Umfang Landwirtschaft mit Mastviehhaltung betrieben. Nachdem sie die Pachtflächen im Jahre 1986 und zum 1. November 1989 aus der Verpachtung zurückerhalten habe, habe sie wieder mit der Milchviehhaltung und der Milchlieferung begonnen. Von November 1989 bis zum 1. April 1990 habe sie ungefähr 50.000 kg Milch geliefert. Danach in jedem Quotenjahr ca. 120.000 kg. Ihr landwirtschaftlicher Betrieb verfüge zur Zeit über eine Referenzmenge von 12.225 kg. Für die Übermilch werde regelmäßig die Abgabe bezahlt. Die vorhandenen Wirtschaftsgebäude seien ausreichend, um darin 50 Milchkühe zu halten. Der landwirtschaftliche Betrieb laufe zwar noch auf ihren Namen, die überwiegenden betrieblichen Dispositionen treffe jedoch ihr Sohn Frank. Er verrichte auch sämtliche landwirtschaftlichen Arbeiten.

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Die Klägerin beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach ihrem im ersten Rechtszug gestellten Antrag zu erkennen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

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Der Beigeladene beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er ist der Ansicht, daß er Pächterschutz genieße und das Urteil des Verwaltungsgerichts zutreffend sei.

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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren in ihrem wesentlichen Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

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II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Als Rechtsgrundlage kommt für das Begehren der Klägerin § 9 Abs. 2 Nr. 3 der Verordnung über die Abgaben im Rahmen von Garantiemengen im Bereich der Marktorganisation der Milch- und Milcherzeugnisse (Milch-Garantiemengen-Verordnung) vom 25. Mai 1984 (BGBl I S. 720) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. April 1991 (BGBl I S. 1034) - MGVO - mit späteren Änderungen in Betracht. Danach bescheinigt die Beklagte als die nach § 1 der Verordnung zur Übertragung von Aufgaben im Rahmen der Milch-Garantiemengen-Regelung auf die Landwirtschaftskammern vom 4. Juli 1984 (Nds. GVBl. S. 173) zuständige Landesstelle einem Milcherzeuger in den Fällen des Überganges von Referenzmengen, welche Referenzmenge, zu welchem Zeitpunkt, von welchem Milcherzeuger auf ihn übergegangen ist.

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In materieller Hinsicht kommt als Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 (ABl. EG Nr. L 90/13) in der Fassung des Art. 1 Nr. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 590/85 des Rates vom 26. Februar 1985 (ABl. EG Nr. L 68/1) sowie Art. 7 Nr. 2 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1546/88 (ABl. EG Nr. L 139/12), durch die die Verordnung (EWG) Nr. 1371/84 der Kommission vom 16. Mai 1984 (ABl. EG Nr. L 132/11) aufgehoben worden ist (Art. 20 VO (EWG) Nr. 1546/88), in Betracht. Danach wird im Falle des Verkaufs, der Verpachtung oder der Übertragung eines Betriebes in Erbfolge die entsprechende Referenzmenge nach festzulegenden Modalitäten ganz oder teilweise auf den Käufer, Pächter oder Erben übertragen (Art. 7 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 857/84). Nach Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 in der ab 8. März 1985 geltenden und aufgrund der Beendigung des Pachtverhältnisses am 1. November 1989 dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde zu legenden Fassung können "für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen hat ... die Mitgliedsstaaten vorsehen, daß die auf den Betrieb, bzw. den gepachteten Teil des Betriebes entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben wird, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen will". Von dieser Ermächtigung hat der nationale Verordnungsgeber, nachdem das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 30. November 1989 (BVerwG 3 C 47.88 - RdL 1990, 219) die Höchstmengenbegrenzung in § 7 Abs. 2 MGVO und den sogenannten Pächterschutz in § 7 Abs. 3 a MGVO in der Fassung der 2. Änderungsverordnung vom 27. November 1984 (BGBl I S. 1434) mangels Rechtsgrundlage im Gemeinschaftsrecht zum damaligen Zeitpunkt für nichtig erklärt hatte, durch die rückwirkend zum 8. März 1985 "neu erlassenen" Abs. 2 und 3 a des § 7 MGVO Gebrauch gemacht. Gegenüber der Rückwirkung des § 7 Abs. 2 und 3 a MGVO auf den 8. März 1985, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der den Pächterschutz regelnden Verordnung (EWG) Nr. 590/85, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar verbietet das Rechtsstaatsprinzip aus Gründen des Vertrauensschutzes grundsätzlich die Rückwirkung von Rechtsvorschriften. Im Verwaltungsrecht muß jedoch das Vertrauen, das der Bürger in den Fortbestand der jeweiligen Rechtslage setzt, schutzwürdig sein. Daran fehlt es, wenn die betroffenen Kreise mit einer Rechtsänderung rechnen mußten (vgl. BVerfGE 13, 261 ff., 272 [BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59];  14, 288 ff., 298 [BVerfG 11.10.1962 - 1 BvL 22/57];  30, 367 ff., 387)oder wenn es darum geht, nichtiges Recht durch gültiges Recht zu ersetzen (vgl. BVerfGE 13, 261 ff, 272 [BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59][BVerfG 19.12.1961 - 2 BvL 6/59];  18, 429 ff, 439 [BVerfG 31.03.1965 - 2 BvL 17/63];  19, 487 ff., 195, 197;  30, 567 ff., 388). Das war auch hier der Fall. Im übrigen konnte in dem hier fraglichen Zeitraum berechtigterweise kein Verpächter damit rechnen und darauf vertrauen, daß er im Falle der Rückgabe der Pachtflächen eine darauf entfallende Referenzmenge ohne Berücksichtigung der Interessen des Pächters ungekürzt behalten konnte. Aufgrund der Regelung in der Milch-Garantiemengen-Verordnung mußte er vielmehr vom Gegenteil ausgehen. Ein dem rückwirkenden Erlaß der Pächterschutzbestimmung in § 7 Abs. 3 a MGVO und der Mengenbegrenzung in § 7 Abs. 2 MGVO entgegenstehendes schutzwürdiges Vertrauen der Verpächter war mithin nicht vorhanden (ebenso Bay.VGH, Urt. v. 30. 10. 1990 - 9 B 88.02663 -).

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Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Mengenbegrenzung und der Pächterschutz in § 7 Abs. 3 a MGVO durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften gedeckt. Nach Art. 7 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 857/84 können die Mitgliedsstaaten für auslaufende Pachtverträge, bei denen der Pächter keinen Anspruch auf Vertragsverlängerung unter entsprechenden Bedingungen hat, vorsehen, daß die auf den Betrieb bzw. dem gepachteten Teil des Betriebs entfallende Referenzmenge ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter gutgeschrieben wird, sofern er die Milcherzeugung fortsetzen will. Danach konnte die anteilige Referenzmenge dem Pächter auch ganz belassen werden. Besondere Regelungen für den Umfang des Pächterschutzes hat der Verordnungsgeber des Gemeinschaftsrechts nicht aufgestellt. Im Rahmen des dem nationalen Verordnungsgeber zustehenden weiten gesetzgeberischen Ermessen ist mithin nicht zu beanstanden, daß bei der Rückgewährung von Pachtflächen auf 5 ha Fläche keine Referenzmenge und für die darüber hinausgehende Fläche nur eine Referenzmenge von 2.500 kg/ha übergehen. Die Begrenzung der übergehenden Referenzmenge auf 2.500 kg/ha berücksichtigt, daß auf einem Hektar Grünlandfläche regelmäßig das Grundfutter (Wirtschaftsfutter) für eine Kuh mit einer Milchleistung von 5.000 kg/Jahr erzeugt werden kann (vgl. KTBL-Taschenbuch für Arbeits- und Betriebswirtschaft, 7. Auflage, S. 227, 251), so daß die auf einem Hektar Grünlandfläche produzierte Milch-Referenzmenge dem Pächter und Verpächter jeweils zur Hälfte zugute kommen. Die Entscheidung ist daher sachlich gerechtfertigt und berücksichtigt die beiderseitigen

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Interessen in einem ausreichenden Maße. Der Entscheidung des nationalen Verordnungsgebers steht auch nicht entgegen, daß sich aus Art. 7 Abs. 1 und 4 VO (EWG) Nr. 857/84 der Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers ergibt, daß der Verpächter, der wieder die Verfügungsgewalt über den Betrieb erlangt, nach Ablauf des Pachtverhältnisses auch wieder die Referenzmenge erhalten soll. Dieser Grundsatz hat aufgrund des Vorbehaltes einer nationalen Regelung durch die Verordnung (EWG) Nr. 590/85 von vornherein eine Einschränkung erfahren. Dieser Auffassung sind nach Ansicht des Senats auch der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 13. Juli 1989 aaO und das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 30. November 1989 aaO. Danach ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 und 4 VO (EWG) Nr. 857/84, daß nach Ablauf des Pachtvertrages die Referenzmenge nur vorbehaltlich einer anderen Entscheidung der Mitgliedsstaaten diese ganz oder zum Teil dem ausscheidenden Pächter zuzuteilen, grundsätzlich dem Verpächter zuzuteilen ist. Nicht zu beanstanden ist daher, daß die Beklagte von der dem Beigeladenen von der Klägerin verpachteten Fläche nach § 7 Abs. 3 a MGVO 5 ha abgezogen und für die darüber hinausgehende Fläche nur eine Referenzmenge von 2.500 kg/ha berücksichtigt hat.

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Gegenüber dem Pächterschutz des Beigeladenen kann sich die Klägerin nicht auf Eigenbedarf im Sinne des § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGVO berufen. Nach dieser Vorschrift gilt der Pächterschutz u.a. nicht, wenn der Verpächter nachweist, daß er auf die Referenzmenge für die Milcherzeugung für sich, seinen Ehegatten oder seine Kinder angewiesen ist. Bei dem Tatbestandsmerkmal "angewiesen" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang gerichtlich überprüft werden kann, dessen Auslegung und Anwendung jedoch, worauf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Urteil vom 9. Oktober 1990 (9 B 88.02663) zu Recht hinweist, mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden ist, die sich aus seinem relativ hohen Umbestimmtheitsgrad ergeben. Der Wortlaut und Wortsinn legen unter Berücksichtigung der Vorschriften des Gemeinschaftssrechts nach Ansicht des Senats eine Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs und eine Konkretisierung der zunächst auch vertretbar erscheinenden Auslegungen (vgl. Urt. d. Sen. v. 14. 4. 1988 - 3 OVG A 307/87 - AgrarR 1988, 328; Urt v. 27. 10. 1988 - 3 OVG A 8/88 -) in der Weise nahe, daß die Voraussetzungen der anzuwendenden Norm nur dann erfüllt sind, wenn - wovon auch die in Niedersachsen zuständigen Landesstellen (Landwirtschaftskammer Weser-Ems und Landwirtschaftskammer Hannover) in ihren gemeinsamen Erläuterungen zu § 7 MGVO - Stand: Oktober 1985 - ausgehen - der Verpächter als Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes mit Milcherzeugung eine erhebliche Existenzgefährdung ohne die Bescheinigung des Übergangs der Referenzmenge nachweist. Das wäre z.B. der Fall, wenn bei der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs ein nach den auf der Grundlage der Richtlinie des Rates vom 17. April 1972 über die Modernisierung der landwirtschaftlichen Betriebe (Abl. EG L Nr. 96/1) - RL 72/159/EWG - erlassenen nationalen Förderungsgrundsätzen erforderliches Eigenkapital bei vertretbaren Entnahmen nicht gebildet wird. Der Senat hält daher an seiner bereits im Ansatz im Beschluß vom 4. September 1986 (3 OVG B 122/86, AgrarR 1987, 25) vertretenen Ansicht fest (vgl. auch Urt. d. Sen. v. 14. 4. 1988 - 3 OVG A 307/87 - aaO; Urt. v. 27. 10. 1988 - 3 OVG A 8/88 -; im Ergebnis ebenso VGH Bad.-Württ., Urt v. 14. 11. 1988 - 7 S 2272/88 -, AgrarR 1989, 298 -). Aus der Bindung der Referenzmenge an die Fläche folgt kein anderes Ergebnis. Zwar ist die Referenzmenge im Grundsatz flächenakzessorisch. Diese Feststellung kann aber nur für den Fall des Verkaufs, der Verpachtung usw. eines gesamten Betriebes getroffen werden (vgl. Art. 7 Nr. 1 VO (EWG) Nr. 1546/88). Für den Fall des Verkaufs, der Verpachtung usw. eines Teils des Betriebes hat dieser Grundsatz sowohl nach den gemeinschaftsrechtlichen als auch den nationalen Vorschriften von vornherein eine Einschränkung erfahren. Art. 7 Nr. 2 VO (EWG) Nr. 1546/88 bestimmt u.a., daß bei der Verpachtung eines Teils des Betriebes die entsprechende Referenzmenge nach den für die Milcherzeugung verwendeten Flächen aufgeteilt wird und abgegebene Betriebsteile unter einer von den Mitgliedsstaaten zu bestimmenden Mindestfläche nicht berücksichtigt zu werden brauchen.

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In der Präambel zu der Verordnung (EWG) Nr. 590/85 heißt es weiter:

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Die Anwendung des Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 bezüglich der Übertragungen der Referenzmengen im Falle des Verkaufs, der Verpachtung oder der Übertragung eines Betriebs in Erbfolge kann in gewissen Fällen schwierige wirtschaftliche und soziale Verhältnisse zur Folge haben. Es empfiehlt sich deshalb, einem Pächter, dessen Betriebspacht ausläuft, die Möglichkeit zu geben, seine Milcherzeugung anderswo fortzusetzen und die Mitgliedsstaaten zu ermächtigten, diesem Pächter die auf den von ihm verlassenen Betrieb entfallende Referenzmenge oder einen Teil davon gutzuschreiben. ...

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Daraus ergibt sich, daß der Verordnungsgeber des Gemeinschaftsrechts vorbehaltlich einer nationalen Regelung die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Pächter in gleicher Weise wie den grundsätzlichen Referenzmengenübergang auf den Verpächter gewichtet wissen wollte. Ebenfalls zwingen der Wortlaut und Wortsinn des § 7 Abs. 3 a Satz 2 MGVO "nachweist ... angewiesen" zu einer restriktiven Auslegung dieser Vorschrift (im Ergebnis ebenso: BayVGH, Urt. v. 9. 10. 1990 - 9 B 89.01610 -; Urt. v. 30. 10. 1990 - 9 B 88.02663 -; Urt. v. 9. 4. 1991 - 9 B 89.1515 -; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 14. 11. 1988 - 7 S 2272/88 - aaO). Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen geht der Senat davon aus, daß das wirtschaftliche und soziale Interesse des Pächters gegenüber dem wirtschaftlichen Interesse des Verpächters nur zurückzutreten hat und ein Eigenbedarf des Verpächters nur dann nachgewiesen worden ist, wenn er, sein Ehegatte oder seine Kinder als Inhaber eines bereits milchviehhaltenden landwirtschaftlichen Betriebes zur Existenzsicherung auf den Übergang der Referenzmenge angewiesen ist (ohne Begründung anderer Ansicht wohl OVG Münster, Urt. v. 29. 6. 1988 - 9 A 1997/87 AgrarR 1989, 111). Die Klägerin, die erst mit dem Übergang der Referenzmenge von ihren Pächtern auf ihren landwirtschaftlichen Betrieb die Existenz für einen milchviehhaltenden Betrieb begründen will, erfüllt danach die Voraussetzungen für einen Eigenbedarf i.S. des § 7 Abs. 3 a MGVO nicht.

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Auf eine Beschränkung des Eigenbedarfs im Sinne des § 7 Abs. 3 a MGVO auf Verpächter als Inhaber eines bereits milchviehhaltenden Betriebes sieht sich der Senat nicht zuletzt auch deshalb veranlaßt, weil dadurch den Eigenbedarf begründende Manipulationen, evtl. mit dem Ziel, nach der Bescheinigung des Übergangs die Referenzmenge zu kapitalisieren, zu einem gewissen Grade ausgeschlossen werden können und die Auslegung damit zugleich der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität dient.

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Nach alledem kann die Berufung keinen Erfolg haben.

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Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.

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Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären, weil er selbständig Sachanträge gestellt hat und ebenfalls ein Kostenrisiko eingegangen ist.

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Die Revision ist zuzulassen, weil die Auslegung des Begriffs "angewiesen" im Sinne des § 7 Abs. 3 a MGVO grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat.

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Eichhorn

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Schnuhr

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Dr. Berkenbusch