Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 04.10.2007, Az.: 2 A 563/05

Abgrenzung; Eingliederungshilfe; Entzug; Erstattung; geistige Behinderung; Heimunterbringung; Hilfe; Hilfefall; Jugendhilfe; Kosten; Kostenerstattung; Misshandlung; Mutter-Kind-Gruppe; psychosomatische Behandlung; Sorgerecht; Sorgerechtsentziehung; stationäre Heimerziehung; vorläufig; vorläufige Leistung; vorläufige Sozialleistung; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
04.10.2007
Aktenzeichen
2 A 563/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71982
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Pflicht der Beklagten zur Erstattung von Kosten, die der Kläger für die am … geborene I. J. (im folgenden: Hilfeempfängerin) aufgewendet hat, sowie um die Verpflichtung der Beklagten, den Hilfefall umgehend zu übernehmen.

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Nachdem die Hilfeempfängerin im Juni 1988 mit ihren Eltern aus der damaligen DDR nach C. gezogen waren, lebte sie zunächst hier. Infolge von Misshandlungen durch ihre Eltern kam sie im Januar 1990 in die psychosomatische Behandlung der Kinderklinik der Georg-August-Universität C.. Ihren Eltern wurde durch Beschluss des Amtsgerichts C. vom 19. Juni 1990 das Sorgerecht entzogen und auf das Jugendamt der Beklagten übertragen. Nach dem Klinikaufenthalt kam die Hilfeempfängerin in die sozialpädagogische Lebensgemeinschaft K. des Vereins Sonderpflege L.. Bei dieser im Landkreis M. gelegenen Einrichtung handelt es sich um eine spezielle Form der stationären Heimerziehung.

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Ab dem 14. August 1990 erbrachte der Landkreis N. -O., in dessen Zuständigkeitsbereich die Eltern der Hilfeempfängerin seinerzeit zuzogen, Jugendhilfeleistungen an die Hilfeempfängerin.

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Zum 1. Dezember 2002 verzogen deren Eltern von P. (Landkreis N. -O.) nach Q. im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Der Kläger weigerte sich gegenüber dem Landkreis N. -O. zunächst, den Fall zu übernehmen. Infolge dieses Zuständigkeitsstreits erfolgte die Bewilligung von Jugendhilfeleistungen zunächst weiter durch den Landkreis N. -O.. Zum 1. Juli 2003 übernahm der Kläger den Hilfefall in seine Zuständigkeit. Er erstattete zudem dem Landkreis N. -O. die von diesem erbrachten Aufwendungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30. Juni 2003 in Höhe von 10.076,49 €. Wie zuvor der Landkreis N. -O. bewilligte der Kläger Jugendhilfeleistungen gemäß § 34 SGB VIII, nach Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin am 23. Januar 2003 i.V.m. § 41 SGB VIII. Es fanden regelmäßig Erziehungskonferenzen und Hilfeplangespräche statt. Anfang 2004 wurde die Hilfeempfängerin schwanger und konnte nicht länger in der sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft K. verbleiben. Seit dem 1. August 2004 befindet sie sich in einer Mutter-Kind-Gruppe des “ R. -S. -Hauses“ in T., einer Einrichtung der Jugendhilfe. Hierfür gewährte der Kläger zunächst im Wege einer Eilentscheidung und dann durch Bescheid vom 14. Juli 2004 weiterhin Jugendhilfeleistungen nach §§ 41, 34 SGB VIII. Er erklärte diese Leistungen gemäß § 43 SGB I für vorläufig.

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Schon bei Übernahme des Hilfefalles vermutete der Kläger, die Hilfeempfängerin sei geistig behindert und gehöre dem Personenkreis des § 39 BSHG an. Diese Vermutung bestätigte sich durch eine bei dem Kläger am 21. Januar 2004 eingegangene Bescheinigung des Gesundheitsamtes U. des Landkreises M. vom 6. Januar 2004. Der Amtsarzt diagnostizierte ebenso wie ein nervenärztliches Gutachten der Nervenärztin/Psychotherapie Dr. med. V. -W. vom 14. August 2003 bei der Hilfeempfängerin eine geistige Behinderung. Beide Untersuchungen wurden vom Amtsgericht X. in Auftrag gegeben, um festzustellen, ob die Hilfeempfängerin nach Eintritt ihrer Volljährigkeit der Betreuung bedurfte. Die Betreuung wurde eingerichtet.

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Daraufhin ersuchte der Kläger zunächst den Landschaftsverband Y. -Z., zuständig für den Sitz des Trägers der sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft K., danach das Nds. Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben in AA. und schließlich die Beklagte, den Leistungsfall zu übernehmen. Die Hilfegewährung müsse nach dem Bundessozialhilfegesetz erfolgen und die von ihm erbrachten Leistungen seien vorläufiger Natur gewesen. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 - der an die Betreuerin der Hilfeempfängerin gerichtet war und bestandskräftig geworden ist - lehnte es die Beklagte wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit ab, die Kosten für die Betreuung der Hilfeempfängerin im “ R. -S. -Haus“ in T. zu übernehmen. Sie war der Ansicht, es handele sich bei dieser Unterbringung um eine Maßnahme der Jugendhilfe.

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Nachdem sich die Beklagte weiterhin weigerte, ihre Zuständigkeit für den Hilfefall anzuerkennen, hat der Kläger am 31. August 2005 Klage erhoben.

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Mit dieser Klage macht er einerseits Erstattung der an die Hilfeempfängerin erbrachten Leistungen geltend, und möchte die Beklagte andererseits verpflichtet sehen, den Leistungsfall umgehend zu übernehmen. Zur Begründung führt er aus, die Hilfeempfängerin gehöre zum Personenkreis des § 39 BSHG (jetzt §§ 53 ff SGB XII) und habe Anspruch auf Eingliederungshilfe, für die die Beklagte sachlich zuständig sei. Er habe von Anfang an gemäß § 43 SGB I vorläufig geleistet. Folglich ergebe sich sein Anspruch aus § 102 Abs. 1 SGB X, hilfsweise aus § 105 SGB X.

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Der Kläger beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, die für I. J. bisher nicht erstatteten Kosten für Jugendhilfeleistungen in der Zeit zwischen dem 1. Dezember 2002 und dem 31. Juli 2007 in Höhe von insgesamt 168.896,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit der jeweiligen Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen,

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2. die Beklagte zu verurteilen, über den in Nr. 1. bezeichneten Zeitraum hinaus bis zur Übernahme des Falles durch die Beklagte die entstandenen Kosten für die Betreuung von I. J. in der Einrichtung R. -S. -Haus in T. an den Kläger zu erstatten,

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3. die Beklagte zu verpflichten, den Hilfefall I. J. sofort als Sozialhilfebehörde (die im eigenen Namen für den Träger Land Niedersachsen handelt) zu übernehmen,

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4. hilfsweise (gegenüber dem Antrag zu 3.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Hilfefall I. J. sofort zu übernehmen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, die an die Hilfeempfängerin erbrachten Leistungen seien solche der Jugendhilfe. Hierfür sei der Kläger zuständig.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Ob die Klaganträge zu 2. bis 4. vor dem Hintergrund der §§ 43 Abs. 1 und 91 VwGO zulässig sind, lässt die Kammer offen. Denn die Klage ist insgesamt jedenfalls unbegründet.

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Dem Kläger steht ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte nicht zu.

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Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus § 102 Abs. 1 SGB X.

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Nach dieser Vorschrift hat ein Leistungsträger, der auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat, gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger einen Erstattungsanspruch. Unabhängig von der Frage, ob und ab wann der Kläger in diesem Sinne vorläufig geleistet hat, gibt diese Vorschrift dem Kläger nicht den behaupteten Anspruch. Denn der Erstattungsanspruch des vorläufig Leistenden nach § 102 Abs. 1 SGB X setzt die fehlende Zuständigkeit des Leistenden voraus. Hier jedoch ist der Kläger örtlich und sachlich zur Gewährung der (Jugendhilfe-) Leistungen zuständig.

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Der Kläger hat der Hilfeempfängerin ab dem 1. Dezember 2002 bis heute Jugendhilfeleistungen erbracht. Zwar ist die Annahme des Klägers zutreffend, die der Hilfeempfängerin zunächst in K. gewährte Leistung der Unterbringung in einem Heim gemäß § 34 SGB VIII könne - abstrakt gesehen - auch eine Leistung der Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG bzw. §§ 53 ff SGB XII sein. Gleichwohl geht die Kammer hier davon aus, dass der Kläger der Hilfeempfängerin von Anfang an bis heute Jugendhilfeleistungen erbracht hat, für die er und nicht die Beklagte sachlich zuständig war und ist.

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Es ist schon zweifelhaft, ob die Hilfeempfängerin überhaupt zum berechtigten Personenkreis der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe gehört. Zwar haben sowohl das Gesundheitsamt U. des Landkreises M. mit Bescheinigung vom 6. Januar 2004 wie die Nervenärztin/Psychotherapie Dr. med. V. -W. mit ärztlicher Stellungnahme vom 14. August 2003 bei der Hilfeempfängerin eine geistige Behinderung diagnostiziert. Indes ergingen diese Untersuchungen im Rahmen der Frage, ob die Hilfeempfängerin der zivilrechtlichen Betreuung bedarf. Die Beantwortung dieser Frage hängt von anderen Rechts- und Sachkriterien ab als die Beantwortung der Frage, ob die Hilfeempfängerin geistig behindert im Sinne des Eingliederungshilferechts ist. So ist für die Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 Abs. 1 BGB erforderlich, dass ein Volljähriger u.a. auf Grund einer geistigen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Eine geistige Behinderung im Sinne der Eingliederungshilfe liegt demgegenüber gemäß §§ 53 Abs. 1 SGB XII, 2 Abs. 1 SGB IX vor, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Frage der geistigen Behinderung der Hilfeempfängerin bedarf nicht der abschließenden Entscheidung durch das Gericht. Denn selbst wenn man von einer geistigen Behinderung der Hilfeempfängerin ausgehen würde, wäre die ihr zuteil gewordene Hilfe eine solche der Jugendhilfe gewesen und ist es noch. Dies gilt zunächst für die Unterbringung in der sozialpädagogischen Einrichtung K..

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Für die Abgrenzung von Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG oder dem SGB XII und der Hilfe nach SGB VIII ist maßgeblich der Bedarf, der durch die Unterbringung in einem Heim gedeckt werden soll. Aufgabe der Jugendhilfe ist es, Eltern bei ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen und damit indirekt die Erziehungssituation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und das Hineinwachsen in die Gesellschaft zu erleichtern, während Zielrichtung der Eingliederungshilfe nach BSHG bzw. SGB XII ist, die Folgen einer vorhandenen Behinderung zu mildern, um dem Behinderten eine Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen (Urteil der Kammer vom 23.01.2002 - 2 A 2438/99 -, bestätigt durch Urteil des Nds. OVG vom 19.05.2003 -12 LC 291/02 -, abgedruckt in der Internet Entscheidungsdatenband des Gerichts). Die der Hilfeempfängerin seit 1. Juni 1990 in der sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft K. gewährte Hilfe ist eine Maßnahme nach dem SGB VIII, weil die Hilfe ohne spezifische heilpädagogische Intentionen ausschließlich dem Zweck diente, der Hilfeempfängerin das Aufwachsen in einer Familie zu ermöglichen. Ursächlich für die Aufnahme in diesem Heim waren erhebliche Erziehungsdefizite der Eltern der Hilfeempfängerin und Misshandlungen des Kindes. Eine etwaige geistige Behinderung, die zudem erst über 10 Jahre nach Beginn der Maßnahme diagnostiziert worden war, stand zu keinem Zeitpunkt im Zentrum der Unterbringung in dem Heim. Der Bedarf der Hilfeempfängerin bestand nicht darin, dass sie behinderungsbedingt eines besonderen familiären Umfeldes oder solcher spezialisierter Hilfen (mit heilpädagogischer Zielrichtung) bedurft hätte, die in der Familie ihrer Eltern objektiv nicht hätten gewährt werden können. Vielmehr lag das Problem hier ausschließlich in der Unfähigkeit ihrer Eltern, Betreuungs- und Erziehungsleistungen tatsächlich zu erbringen. Da die Maßnahme ausschließlich eine solche der Jugendhilfe ist - und vom Kläger stets auch so behandelt wurde -, ergibt sich die vorrangige Zuständigkeit für die Leistungsgewährung der Beklagten nicht aus § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII.

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Ist die Maßnahme für die Hilfeempfängerin in der sonderpädagogischen Lebensgemeinschaft K. eine Jugendhilfemaßnahme gewesen, richtete sich die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers für die Maßnahme nach § 86 ff SGB VIII, nicht nach den Zuständigkeitsregelungen des BSHG. Für die Unterbringung in dem Heim nach SGB VIII bedarf es einer ergänzenden und gesonderten Regelung der örtlichen Zuständigkeit gemäß §§ 104, 97 Abs. 2 BSHG (entsprechend §§ 106, 98 Abs. 2 SGB XII) nicht.

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Zu Beginn der Leistungsgewährung im Dezember 2002 ergab sich die Zuständigkeit des Klägers für die Hilfegewährung aus § 86 Abs. 1 SGB VIII. Danach ist für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Diese Vorschrift knüpft an den gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern auch dann an, wenn ihnen, wie hier, dass Sorgerecht entzogen worden ist.

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Die örtliche Zuständigkeit des Klägers hat in der Folge nicht durch Anwendung der Vorschrift des § 86 Abs. 6 SGB VIII gewechselt. Nach dieser Vorschrift wird abweichend von den Absätzen 1 - 5 der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson lebt und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten ist. Diese Vorschrift gilt allein für Leistungen der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII und ggf. auch für Angebote zur Förderung und Kindern in Tageseinrichtungen nach § 22 SGB VIII. Sie findet demgegenüber keine Anwendung bei Aufnahme von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen oder sonstigen betreuten Wohnformen nach § 34 SGB VIII, wie hier, die alternativ ebenfalls eine auf längere Zeit angelegte Lebensform mit der Vorbereitung auf ein selbständiges Leben sein kann.

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Der Kläger ist auch für die Leistungen nach Eintritt der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin am 23. Januar 2003 leistungszuständig geblieben. Immer noch fehlte dieser Maßnahme jeder Eingliederungshilfecharakter. Die Zuständigkeit des Klägers für die Erbringung weiterer Jugendhilfeleistungen ergibt sich aus § 86 a Abs. 4 SGB VIII. Der Leistung der Hilfe für junge Volljährige, nämlich der Weiterführung der Hilfe in der sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft K. ging eine Hilfe identischen Inhalts nach § 34 SGB VIII voraus. Deshalb blieb der Kläger, der bis zu diesem Zeitpunkt zuständig war, der örtlich zuständige Träger der Jugendhilfeleistungen.

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Auch für die Gewährung von Leistungen an die Hilfeempfängerin für ihre Unterbringung in der Mutter-Kind-Einrichtung des “ R. -S. -Hauses“ in T. ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des Klägers. Auch hierbei handelt es sich um eine Jugendhilfeleistung. Naheliegend ist, dass es sich um eine gemeinsame Wohnform im Sinne von § 19 Abs. 1 SGB VIII handelt und nicht, wie vom Kläger in seinem Leistungsbewilligungsbescheid vom 14. Juli 2004 ausgeführt, um eine solche nach § 34 SGB VIII. In jedem Fall dient die Maßnahme der Befriedigung eines offenkundigen erzieherischen Bedarfs der Hilfeempfängerin im Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft und nach der Niederkunft. Zu keinem Zeitpunkt bis zum Tag der mündlichen Verhandlung stand im Vordergrund der Unterbringung die Behandlung ihrer geistigen Behinderung und die deshalb erforderliche Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Handelt es sich um eine Maßnahme nach § 34 SGB VIII, ergibt sich die fortgesetzte örtliche Zuständigkeit des Klägers für die Hilfegewährung aus § 86 a Abs. 4 SGB VIII; handelt es sich um eine Maßnahme nach § 19 SGB VIII, folgt Gleiches aus § 86 b Abs. 3 SGB VIII.

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Auch aus anderen Vorschriften ergibt sich ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte nicht.

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§ 104 SGB X gibt derartige Ansprüche nicht, weil der Kläger nicht nachrangig leistungsverpflichtet war oder ist. Ebenso wenig ergibt sich ein Anspruch aus § 105 Abs. 1 SGB X, da diese Vorschrift ebenfalls eine Leistung des unzuständigen Leistungsträgers voraussetzt. Schließlich lassen sich, wovon die Beteiligten übereinstimmend zutreffend ausgehen, auch aus den Kostenerstattungsregelungen der §§ 89 ff. SGB VIII Ansprüche für den Kläger nicht ableiten.

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Auf die Frage, ob etwaige Ansprüche des Klägers ganz oder teilweise auch an der Ausschlussfrist des § 111 SGB X scheitern kommt es danach nicht an. Solche Ansprüche bestehen nicht, so dass die Klaganträge zu 1. und 2. unbegründet sind.

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Unbegründet ist die Klage auch mit den Anträgen zu 3. und 4.. Denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Hilfefall sofort in eigener Zuständigkeit zu übernehmen, weil es sich nach wie vor bei den Leistungen an die Hilfeempfängerin um Jugendhilfeleistungen handelt, für die der Kläger sachlich und örtlich zuständig ist. Erst wenn sich durch Einholung eines Gutachtens zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX ergeben sollte, dass die Hilfeempfängerin im Sinne dieser Vorschriften geistig behindert ist und wenn ihre weitere Unterbringung in einer Einrichtung erforderlich sein sollte, um ihr mit heilpädagogischer Zielrichtung die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, würde es sich um eine Eingliederungshilfemaßnahme handeln, für die die Beklagte zuständig wäre. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist dies, wie dargelegt, jedoch nicht der Fall.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 und 709 S. 2 ZPO.