Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.10.2007, Az.: 2 A 144/06

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
09.10.2007
Aktenzeichen
2 A 144/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 62063
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2007:1009.2A144.06.0A

Fundstellen

  • JuS 2007, XXVI Heft 12 (Kurzinformation)
  • JuS-Magazin 2007, 6
  • JuS-Magazin 2007, 5 (Kurzinformation)
  • NVwZ 2007, IX Heft 11 (Pressemitteilung)

Tatbestand:

1

Die Klägerin zu 1) studiert seit dem Wintersemester 2001/2002 Recht, die Klägerin zu 2) seit dem Wintersemester 2002/2003 Agrarwissenschaften an der Beklagten. Sie beantragten am 28. November 2002 bei dem in Ausbildungsförderungsangelegenheiten namens und im Auftrage der Beklagten handelnden Studentenwerk E. die Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen. Dabei gaben sie übereinstimmend durch Einfügung eines Striches in die entsprechende Spalte des Antragsformulars an, Vermögen nicht zu besitzen. Die Klägerin zu 2) wiederholte diese Angaben in ihrem Folgeantrag vom 19. August 2003.

2

Aufgrund der klägerischen Angaben gewährte die Beklagte den Klägerinnen mit Bescheiden vom 31. Januar 2003 für den Bewilligungszeitraum (im folgenden BWZ) November 2002 bis September 2003 Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von monatlich jeweils 377,- €. Mit weiterem Bescheid vom 30. Juni 2003 verkürzte die Beklagte den BWZ für die Klägerin zu 1) bis zum August 2003, da sie ab September 2003 ihr Studium im Ausland fortsetzte. Der Klägerin zu 2) bewilligte die Beklagte darüber hinaus mit Bescheid vom 30. September 2003 monatliche Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von 352,- € für den BWZ Oktober 2003 bis September 2004.

3

Durch Mitteilungen des Bundesamtes für Finanzen vom 30. April 2004 erfuhr die Beklagte davon, dass die Klägerinnen für das Kalenderjahr 2002 Freistellungsaufträge erteilt hatten. Durch weitere Mitteilung vom 2. Februar 2005 davon, dass die Klägerin zu 2) auch für das Kalenderjahr 2003 einen Freistellungsauftrag erteilt hatte.

4

Auf entsprechende Nachfrage der Beklagten teilte daraufhin die Klägerin zu1) mit, Kontoinhaberin eines Sparkassenbuchkontos bei der Kreissparkasse G. (Kto.Nr.H.) zu sein. Der Wert der Forderung betrug am 29. November 2002, dem Tag der Antragstellung, 11 524,68 €. Daneben bestand ein Girokontoguthaben von 402,01 €. Auf das Antragsdatum vom 19. August 2003 ergab sich für die Klägerin zu 1) kein anrechenbares Vermögen mehr. Die Klägerin zu 2) gab an, auf den Antragszeitpunkt vom 29. November 2002 ebenfalls ein Sparguthaben bei der Kreissparkasse G. (Kto.Nr.I.) zu haben. Dieses belief sich auf 7 385,70 €. In selber Höhe bestand es auch zum Antragsdatum 19. August 2003. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die Klägerin zu 2) zudem über ein Girokontoguthaben in Höhe von 1 780,98 €. Das Konto der Klägerin zu 1) eröffnete deren Mutter kurz nach der Geburt, dasjenige der Klägerin zu 2) deren Vater ebenfalls nach der Geburt. Als Kontoinhaberinnen waren die Klägerinnen bezeichnet. Die ausgestellten Sparbücher waren im Besitz der Großmutter der Klägerinnen, Frau J.B., die auch allein Einzahlungen darauf vornahm. Die Klägerinnen haben Freistellungsaufträge erteilt. Die Klägerin zu 1) hat am 18. August 2003 7 000,00 Euro von ihrem Konto, die Klägerin zu 2) am 20. August 2003 2 500,00 Euro von ihrem Konto zur Auszahlung gebracht. Sie selbst sind jedoch nicht im Besitz der Gelder gewesen. Sie wurden an die Großmutter der Klägerin ausbezahlt, die sie später dem Vater der Klägerinnen aushändigte.

5

Nach vorheriger Anhörung berechnete die Beklagte daraufhin die den Klägerinnen zustehenden Ausbildungsförderungsleistungen neu.

6

Mit Bescheid vom 28. Februar 2006 setzte die Beklagte die Leistungen für die Klägerin zu 1) für den BWZ November 2002 bis August 2003 auf 0,- € fest und forderte den bisher ausgezahlten Betrag in Höhe von 3 770,00 € von der Klägerin zu 1) zurück. Sie sei Inhaberin der Forderung gegen die Kreissparkasse G. gewesen und habe diese Forderung bei Antragstellung nicht angegeben. Auf Vertrauen könne sie sich nicht berufen. Billigkeitsgesichtspunkte, die eine andere Entscheidung als die Rückforderung des Betrages rechtfertigten, seien nicht ersichtlich.

7

Das der Klägerin zu 2) zustehende Ausbildungsförderungsgeld berechnete die Beklagte für den BWZ November 2002 bis September 2003 und für den BWZ Oktober 2003 bis September 2004 ebenfalls neu. Für den BWZ November 2002 bis September 2003 errechnete sie mit Bescheiden vom 31. März 2006 unter Berücksichtigung des angegebenen Vermögens einen monatlichen Förderbetrag in Höhe von 178,- €. Den Differenzbetrag zu der bisherigen Förderung forderte sie in Höhe von 2 189,- € von der Klägerin zu 2) zurück. Für den BWZ Oktober 2003 bis September 2004 errechnete sie eine monatliche Förderleistung in Höhe von 187,- €. Die sich hieraus ergebende Differenzsumme in Höhe von 1 980,- € forderte sie ebenfalls zurück.

8

Gegen den Bescheid vom 28. Februar 2006 hat die Klägerin zu 1) am 20. März 2006, gegen die Bescheide vom 31. März 2006 hat die Klägerin zu 2) am 4. Mai 2006 Klage erhoben.

9

Zu deren Begründung tragen sie übereinstimmend vor, die jeweiligen Sparbücher seien von ihrer Großmutter angelegt worden und seien bis zu deren Tode am 28. April 2005 in deren Alleinbesitz geblieben. Die jeweiligen Guthaben hätten ihnen nach dem Willen der Großmutter am Hochzeitstag ausgehändigt werden sollen. Freistellungsaufträge hätten sie unterschrieben, weil ihnen ihre Großmutter entsprechende Vordrucke vorgelegt und sie gebeten habe, zu unterschreiben. Sie hätten zwar von der Existenz der Sparbücher gewusst, nicht aber bei welchem Kreditinstitut sie bestanden, wie die Kontonummer lautete und in welcher Höhe Forderungen bestanden. Die Klägerin zu 1) habe ihre Oma bereits während der Schulzeit einmal nach dem Sparbuch und der Höhe der Forderung befragt. Ihre Oma habe jedoch die erbetene Auskunft verweigert. Anlässlich der Stellung eines Antrages auf Gewährung von Ausbildungsförderungsleistungen im November 2002 habe sie ihre Oma erneut auf das Sparbuch angesprochen. Ihre Oma sei darauf hin wütend geworden und habe gesagt, das ginge sie nichts an und sie könne wohl nicht abwarten, bis sie, die Oma, gestorben sei. Der Vater der Klägerinnen, der als Zeuge gehörte Dr.K.B., habe die Klägerinnen danach aufgefordert, dieses Thema um des Familienfriedens Willen nicht mehr anzusprechen. Eingedenk der Erfahrungen der Klägerin zu 1) und dieser Ermahnung, habe die Klägerin zu 2), als sie einen Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen gestellt habe, das Thema des Sparbuches gar nicht erst mehr angesprochen. Richtig sei, dass unter Mitwirkung und im Beisein der Klägerinnen im August 2003 von den Sparbüchern ein Betrag von 7 000,- € (im Fall der Klägerin zu 1)) bzw. 2 500,- € (im Fall der Klägerin zu 2)) von dem jeweiligen Sparkonto abgehoben worden ist. Sie hätten die Auszahlungsanordnung zwar unterschrieben, ihre Oma habe aber das Geld für sich behalten. Sie habe es dann an ihren Sohn, den Vater der Klägerinnen, ausgehändigt, damit dieser erforderliche Anschaffungen für seine Kinder tätigen konnte. In Anbetracht dessen hätten sie, die Klägerinnen, nicht geglaubt, dass es sich um Guthaben handelte, die ihnen zuzurechnen seien und auf die sie zum Zwecke der Sicherung des Lebensunterhaltes zurückgreifen könnten. Selbst wenn sie zivilrechtlich als Forderungsinhaber anzusehen seien, sei es in Anbetracht der familiären Umstände ihnen nicht zuzumuten gewesen, gegen ihre Oma im Wege einer Auskunftsklage vorzugehen. Sie könnten sich deshalb auf Vertrauensschutz berufen. Als sie das jeweilige Sparbuch nach dem Tod ihrer Großmutter in der Hand hielten, seien sie sehr überrascht gewesen, wie hoch die jeweiligen Gutachten gewesen seien.

10

Die Klägerin zu 1) beantragt,

  1. den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2006 aufzuheben.

11

Die Klägerin zu 2) beantragt,

  1. die Bescheide der Beklagten vom 31. März 2006 aufzuheben soweit mit ihnen Rückforderungsbeträge in Höhe von 4 169,00 € festgesetzt werden.

12

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

13

Die Klägerinnen seien Inhaberinnen der jeweiligen Sparbuchforderung gewesen. Da es sich bei dem Sparbuch um ein hinkendes Inhaberpapier handele, hätte die Kreissparkasse G. befreiend an die Klägerinnen leisten können. Diese hätten auch Kenntnis von der Existenz des jeweiligen Sparbuches gehabt. Eine rechtlich-verbindliche Verfügungsbeschränkung sei durch die Großmutter der Klägerinnen nicht ausgesprochen worden. Zumutbarkeitsgesichtspunkte und moralische Erwägungen, wie sie die Klägerinnen angestellt hätten, griffen gegenüber dem Grundsatz des Nachranges öffentlicher Leistungen nicht. Die Klägerinnen hätten in ihren Förderungsanträgen mindestens grob fahrlässig falsche Angaben gemacht.

14

Das Gericht hat die Klägerinnen in mündlicher Verhandlung informatorisch angehört. Es hat zudem den Vater der Klägerinnen, Herrn Dr.K.B., als Zeugen zu den Umständen des Besitzes der jeweiligen Sparbücher vernommen. Wegen der Einzelheiten der jeweiligen Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 28. Februar und 31. März 2006 sind rechtswidrig, soweit mit ihnen Ausbildungsförderungsleistungen im Fall der Klägerin zu 1) für den BWZ November 2002 bis August 2003 in Höhe von 0,0 € monatlich festgesetzt und 3 770,- € von der Klägerin zu 1) zurückgefordert wird und soweit im Fall der Klägerin zu 2) für den Bewilligungszeitraum November 2002 bis September 2003 ein neuer monatlicher Förderungsbetrag in Höhe von 178,- € und für den Bewilligungszeitraum Oktober 2003 bis September 2004 in Höhe von 187,- € festgesetzt und insgesamt 4 169,- € von dieser zurückgefordert werden. Durch die Bescheide werden die Klägerinnen in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

17

Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 31. Januar, 30. Juni und 30. September 2003 kann allein § 45 SGB X sein. Rechtsgrundlage für die Rückforderung gewährter Ausbildungsförderung, wenn die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen, ist § 50 SGB X. Im Ergebnis lassen sich die angefochtenen Bescheide nicht auf § 45 SGB X stützen, weil sich die Klägerinnen auf Vertrauensschutz berufen können und ein Ermessensfehler vorliegt.

18

Gemäß § 45 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der, wie hier die von der Beklagten aufgehobenen Bewilligungsbescheide für Ausbildungsförderung, einen rechtlichen Vorteil begründet, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nach Maßgabe der Absätze 2 - 4 zurückgenommen werden. Es spricht viel dafür, dass die Bewilligung von Ausbildungsförderung an die Klägerinnen im Bewilligungszeitraum November 2002 bis August (im Fall der Klägerin zu 2) bis September) 2003 in Höhe von monatlich 377,00 € und im Fall der Klägerin zu 2) für den Bewilligungszeitraum Oktober 2003 bis September 2004 in Höhe von 352,00 Euro ganz (im Fall der Klägerin zu 1)) bzw. teilweise (im Fall der Klägerin zu 2)) rechtswidrig gewesen ist. Denn sie verfügten über anzurechnendes Vermögen, das einer Leistung ganz bzw. teilweise entgegenstand.

19

Zu dem gemäß § 28 Abs. 2 und 4 BAföG maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung am 28. November 2002 bzw. 19. August 2003 hatten die Klägerinnen Vermögenswerte in Form von Forderungen nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 BAföG. Diese hat die Beklagte auf den Antragszeitpunkt 29. November 2002 zutreffend für die Klägerin zu 1) in Höhe von 11 926,69 € und für die Klägerin zu 2) in Höhe von 7 385,70 € ermittelt. Diese Werte überstiegen den Vermögensfreibetrag gemäß § 29 Nr. 1 BAföG in Höhe von 5 200,- € im Fall der Klägerin zu 1) um gerundet 6 726,- € im Fall der Klägerin zu 2) um gerundet 2 185,- €. Auf den Antragszeitpunkt 19. August 2003 ergab sich für die Klägerin zu 2), wie von der Beklagten ebenfalls zutreffend ermittelt, ein anzurechnendes Vermögen in Höhe von gerundet 1 976,- €. Diese Beträge hat die Beklagte in Anwendung von § 30 BAföG jeweils gleichmäßig auf die jeweiligen Monate des Bewilligungszeitraums verteilt.

20

Ob die Neuberechnung durch die angefochtenen Bescheide rechtmäßig ist und umgekehrt, ob die Bewilligungsbescheide vom 31. Januar, 30. Juni 2003 und 30. September 2003 rechtswidrig waren, hängt davon ab, ob den Klägerinnen das auf ihren Sparkonten bei der Kreissparkasse G. jeweils vorhandene Guthaben als eigenes Vermögen zugerechnet werden kann.

21

Nach bisheriger, auch von der Kammer geteilter Rechtsprechung war für die Frage, wer Inhaber einer durch Sparbuch verbrieften Forderung gegen eine Bank ist, entscheidend, wer gemäß der Vereinbarung mit der Bank oder Sparkasse Kontoinhaber werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 02.02.1994 - IV ZR 51/93 -, NJW 1994, 931 [BGH 02.02.1994 - IV ZR 51/93]). Daraus hat die Kammer den Schluss gezogen, das derjenige Gläubiger der Bank, und damit Vermögensinhaber sei, der als Kontoinhaber bezeichnet wird und nicht derjenige, der im Besitz des Sparbuches ist. Maßgeblich sei danach allein der erklärte Wille desjenigen, der das Konto eröffnet; ein geheimer Vorbehalt (etwa dahingehend die Sparguthaben sollten erst jeweils mit erreichen der Volljährigkeit, der Heirat oder dem Tode des Kontoeinrichtenden zur Verfügung stehen) sei unmaßgeblich (vgl. nur Beschluss der Kammer vom 18.07.2002 - 2 B 2104/02 -, zu § 88 BSHG a.F.). Danach wären die Klägerinnen als Inhaberinnen der Sparguthabenforderungen anzusehen, denn sie sind bei Kontoeröffnung durch ihre Eltern, die auf Weisung der Großeltern gehandelt haben sollen, als Kontoinhaberinnen bezeichnet worden.

22

Ob an dieser Rechtsprechung uneingeschränkt festgehalten werden kann, ist zweifelhaft. Der Bundesgerichtshof hat seine frühere, oben zitierte Rechtsprechung mit Urteil vom 18. Januar 2005 - X ZR 264/02 -, NJW 2005, 980 [BGH 18.01.2005 - X ZR 264/02] ausdrücklich aufgegeben. Er hat in dieser Entscheidung ausgeführt, wesentliches Indiz für die Frage, wer Kontoinhaber sei, könne sein, wer das Sparbuch in Besitz nehme. Typischerweise sei, wenn ein naher Angehöriger ein Sparbuch auf den Namen eines Kindes anlegt, ohne das Sparbuch aus der Hand zu legen, aus diesem Verhalten zu schließen, das der Zuwendende sich die Verfügung über das Sparguthaben bis zu seinem Tode vorbehalten will. Allerdings war in diesem Streitfall, anders als hier, dem Großelternteil eine Vollmacht über das Konto erteilt worden, so dass es ermächtigt war über die Sparkonten zu verfügen. Ob sich diese Rechtsprechung auf den Streitfall übertragen lässt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die Konten ursprünglich von den Eltern der Klägerinnen eröffnet worden waren und dass eine Vollmacht für die Großmutter der Klägerinnen nicht erteilt war, ist offen. Das bedarf jedoch einer abschließenden Entscheidung nicht, weil die Klage aus einem anderen Grund Erfolg hat.

23

Dies ergibt sich zum einen daraus, dass sich die Klägerinnen auf Vertrauensschutz berufen können.

24

Gemäß § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte, wie hier die Klägerinnen, erbrachte Leistungen verbraucht hat. Allerdings kann sich gemäß Satz 3 Nr. 2 der Vorschrift der Begünstigte nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

25

Die Klägerinnen haben durch die Einfügung eines Striches bei den jeweils geforderten Angaben zu ihrem Vermögen falsche Angaben gemacht, wenn man ihnen das Sparguthaben bei der Kreissparkasse G. als eigenes Vermögen zurechnen wollte. Denn unter Einbeziehung dieses Vermögens besaßen sie nach Zeile 102 des Antragsvordrucks anzugebendes Vermögen über dem Vermögensfreibetrag in Höhe von 5 200,- €.

26

Allerdings machten sie diese Angaben nicht vorsätzlich. Zwar wussten sie, wie sie eingeräumt haben, von der Existenz der von ihrer Großmutter für sie eingerichteten Sparbücher. Sie haben jedoch, wie sie nachvollziehbar und glaubwürdig in der mündlichen Verhandlung bekundet haben, nicht geglaubt, dass es sich um Gelder handelt, auf die sie als eigenes Vermögen zugreifen können. Bis zur Abhebung von Teilguthabenbeträgen im August 2003 kannten sie die Kontonummer der Sparbuchforderung nicht. Allenfalls die Bank, bei der die Forderung bestand, war den Klägerinnen durch Erteilung der Freistellungsaufträge bekannt. Sie wussten auch nichts über die Höhe der jeweiligen Sparbuchforderung. Denn all dies, insbesondere das Sparbuch selbst, hatte ihre Großmutter stets für sich behalten. Die Klägerinnen hatten, wie sie übereinstimmend bei ihrer gerichtlichen Befragung bekundet haben, von ihrer Großmutter bei zweimaligen Versuchen etwas über das Konto herauszubekommen, zu hören bekommen, dass sie das nichts anginge. Dies und die Formulierung der Großmutter, sie könnten ihren Tod wohl nicht abwarten, konnten und haben die Klägerinnen so verstanden, dass ihre Großmutter allein über die Sparbuchforderungen verfügungsberechtigt ist. Auch die Abhebung eines Teilguthabens im August 2003 unter ihrer Mitwirkung steht dieser Annahme nicht entgegen. Zwar haben sie die Auszahlungsanordnung im Beisein ihres Vaters und ihrer Großmutter unterschrieben; das jeweils abgehobene Geld behielt jedoch ihre Großmutter zunächst für sich, bevor sie es an den Vater der Klägerinnen weiterreichte. Auch hieraus wird deutlich, dass die Klägerinnen glaubten, ihre Großmutter sei allein über das Geld verfügungsbefugt. Für die Klägerin zu 1) trägt diese Abhebung zudem aus Rechtsgründen nichts aus. Denn sie erfolgte nach dem für die Neuberechnung und Rückforderung der Ausbildungsförderung in ihrem Fall allein maßgeblichen Antragszeitpunkt, dem 29. November 2002.

27

Das Vorbringen der Klägerinnen erscheint glaubhaft. Es ist lebensnah und schildert die Situation einer ländlichen Großfamilie plastisch. Es ist nicht unüblich und deshalb auch im Falle der Klägerinnen nachvollziehbar, dass Großeltern für ihre Enkelkinder Gelder ansparen, ohne dass diese etwas davon erfahren oder, wenn sie es, wie die Klägerinnen, erfahren, ohne dass ihnen der vorzeitige Zugriff auf das Vermögen zugestanden wird. Der als Zeuge gehörte Vater der Klägerinnen hat, diese familiäre Situation bestätigend, bekundet, seine Mutter sei in Gelddingen sehr eigen gewesen. Besonders deutlich macht dies seine Aussage, seine Mutter sei für die Finanzen auch zu der Zeit zuständig gewesen, in der er mit ihr eine landwirtschaftliche GbR geführt habe. Deshalb habe er auch nicht eingegriffen als seine Tochter, die Klägerin zu 1) ihre Großmutter anlässlich eines gemeinsamen Essens nach dem Guthaben gefragt hat. Die Großmutter der Klägerinnen erscheint damit als eigenwillige, in Finanzangelegenheiten in der Familie unangefochtene Persönlichkeit. In Anbetracht dieses prägenden Charakters der Großmutter, erscheint es dem Gericht nachvollziehbar und glaubhaft, dass die Klägerinnen geglaubt haben, sie seien nicht Inhaberinnen der Forderungen.

28

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Klägerinnen grob fahrlässig gehandelt haben, als sie angaben, Vermögen nicht zu besitzen. Dies setzt voraus, dass die Klägerinnen, die im Rechtsverkehr objektiv erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt haben. Im Allgemeinen wird man jedenfalls von volljährigen Auszubildenden verlangen müssen, dass sie nachfragen, was es denn mit einer Unterschriftserteilung auf einem offiziellen Freistellungsformular und auf einer Auszahlungsanordnung auf sich hat. Indes hat die Klägerin zu 1.) eben diese Aufklärung gegenüber ihrer Großmutter versucht. Diese hat jedoch, was das Gericht in Anbetracht des geschilderten Charakters der Großmutter für nachvollziehbar hält, äußerst unwirsch reagiert und der Klägerin zu 1.) vorgehalten, sie könne den Tod ihrer Großmutter wohl nicht abwarten. Zudem hat der Vater der Klägerinnen, was zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls feststeht, die Klägerinnen nach dem gescheiterten Versuch der Klägerin zu 1.) ermahnt, ihre Großmutter nicht mehr auf das Thema der Sparbücher anzusprechen. In dieser Situation stellt es keine besonders schwere Pflichtverletzung dar, wenn die Klägerin zu 1.) nicht weiter nachgeforscht und die Klägerin zu 2.) eine Nachforschung gar nicht erst versucht hat. Hinzu kommt, dass weitere Nachfragen den Klägerinnen nur dann oblägen hätten, wenn sie erkannt hätten, dass die jeweiligen Sparguthaben ihre eigenen Forderungen sind. Dies hingegen hätte eine Auseinandersetzung mit der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur Zuordnung von Sparguthaben erfordert. Dies war den Klägerinnen als juristischen Laien nicht zuzumuten. Sie durften deshalb aus dem Verhalten ihrer Großmutter, unterstützt durch die Ermahnung ihres Vaters, schließen, dass nicht sie, sondern die Großmutter Inhaberin der Sparbuchforderungen sei.

29

Zudem, und die Entscheidung selbständig tragend, leiden die angefochtenen Bescheide an einem Ermessensmangel im Sinne von § 114 S. 1 VwGO.

30

Die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte steht gem. § 45 Abs. 1 SGB X im Ermessen der Sozialleistungsbehörde ("darf zurückgenommen werden"). Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Zu einer rechtmäßigen Ermächtigungsausübung zählt insbesondere, dass die Verwaltungsbehörde alle für ihre Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte erkennt und in ihre Entscheidung einstellt. Dies ist der Beklagten nicht vollständig gelungen, so dass ein Ermessensfehler vorliegt.

31

Sie hat ausweislich der Anlage zu den angefochtenen Bescheiden zwar gesehen, dass sie Ermessen auszuüben hat, so dass ein rechtswidriger Ermessensausfall nicht vorliegt. Sie hat jedoch wesentliche Gesichtspunkte nicht in ihre Entscheidung einfließen lassen. Als Abwägungsmaterial hat sie zum einen ausgeführt, mit öffentlichen Geldern müsse sparsam umgegangen werden. Sie hat weiter zu Recht ausgeführt, dass sich ohne eine Rücknahme eine Begünstigung gegenüber Antragsfällen ergäbe, in denen die Verhältnisse pflichtgemäß vollständig angegeben worden sind. Sie hat jedoch zu Unrecht angenommen, es seien keinerlei Aspekte ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, dass mit der getroffenen Entscheidung verbundene Ermessen anders auszuüben. Ein solcher wesentlicher Gesichtspunkt ist hier der Umstand, dass die Großmutter der Klägerinnen auf deren Fragen hin keinerlei Auskunft über die Sparbücher gegeben hat. Weder hat sie die Kontonummer angegeben, noch die Höhe der jeweiligen Forderung. Wenn die Annahme der Beklagten richtig ist, die Klägerinnen seien Inhaber der Sparbuchforderungen, hätten diese, hätten sie wahrheitsgemäße Angaben über ihr Vermögen machen wollen, zivilrechtlich gegen ihre Großmutter vorgehen müssen, um sich die erforderliche Detailkenntnis über die Sparbücher zu verschaffen. Ob die Klägerinnen eine solche Obliegenheit tatsächlich traf, mag offen bleiben. Jedenfalls hätte die Beklagte diese Überlegung in ihre Ermessenserwägungen mit einstellen und würdigen müssen, ob das Ausbildungsförderungsrecht Enkelkindern zumuten darf, zivilrechtlich gegen ihre Großeltern vorzugehen. Insgesamt hätte die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung die besonderen familiären Verhältnisse der Klägerinnen berücksichtigen müssen, die durch die in finanziellen Angelegenheiten prägende Stellung ihrer Großmutter gekennzeichnet war. Selbst wenn dies, anders als oben angenommen, für die nach objektiven Kriterien zu beurteilende Frage nach einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung durch die Klägerinnen noch unmaßgeblich sein sollte, so stellen diese Verhältnisse sehr wohl ein zu berücksichtigendes Abwägungsmaterial im Rahmen der Ermessensbetätigung dar. Denn bei der Ausübung ihres Ermessens, hat die Verwaltungsbehörde gerade auch die persönlichen Verhältnisse des Leistungsempfängers in den Blick zu nehmen. Anhaltspunkte für derartige Überlegungen hatte die Beklagte bereits bei ihrer Rücknahmeentscheidung durch die Stellungnahmen der Klägerinnen im Rahmen der Anhörung. Ein Ermessensmangel kann deshalb nicht mit dem Argument verneint werden, die Beklagte habe von diesen besonderen Verhältnissen erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens erfahren, was ihre Ermessensentscheidung unberührt ließe. Folglich hat die Beklagte ihre Ermessensentscheidung nicht am Zweck des Gesetzes orientiert.

32

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.

33

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.