Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.12.1989, Az.: 1 T 1056/89
Räumungsklage wegenübermäßigen Alkoholkonsums und körperlicher Misshandlung; Verzicht auf Vollstreckung des Räumungstitels bei geschlechtlichem Verkehren der Parteien; Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ; Erlassvertrag durch schlüssiges Handeln
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 29.12.1989
- Aktenzeichen
- 1 T 1056/89
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1989, 20187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1989:1229.1T1056.89.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Nordenham - 26.10.1989 - AZ: 3 C 470/89
Rechtsgrundlage
- § 397 BGB
Fundstellen
- FamRZ 1990, 1233-1234 (Volltext mit red. LS)
- NJW-RR 1990, 590 (Volltext mit red. LS)
Tenor:
In dem Rechtsstreitverfahren wird auf die Beschwerde der Beklagten der Beschluß des Amtsgerichts Nordenham vom 26. Oktober 1989 geändert:
Der Beklagten wird Prozeßkostenhilfe bewilligt.
Ihr wird Rechtsanwalt Hartwich, Nordenham, beigeordnet.
Gründe
Die Beklagte wohnte seit August 1988 zusammen mit dem Kläger in einer gemieteten Wohnung in eheähnlicher Gemeinschaft. Gestützt auf die Behauptung, der Kläger trinke übermäßig Alkohol und mißhandele sie, erhob die Beklagte im Januar 1989 Klage und erstritt das am 26. Mai 1989 verkündete Urteil (3 C 6/89 AG Nordenham), durch das der Kläger zur Räumung der Wohnung verurteilt wurde.
Die Beklagte will aus dem Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Vollstreckungsgegenklage, zu deren Begründung er geltend macht, die Beklagte habe bis Ende August 1988 wie bisher mit ihm zusammengelebt und auch geschlechtlich verkehrt, damit habe sie auf die Vollstreckung aus dem Urteil verzichtet.
Die Beklagte hat zur Abwehr der Klage Prozeßkostenhilfe beantragt. Diese hat das Amtsgericht Nordenham abgelehnt mit der Begründung, das Verhalten der Beklagten stelle einen Verzicht auf die Vollstreckung dar.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Der Beklagten ist Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, weil sie auf ihren Räumungsanspruch nicht verzichtet hat.
Der Verzicht erfordert einen Vertrag, durch den der Gläubiger dem Schuldner die Schuld erläßt, § 397 BGB. Ein derartiger Vertrag kann durch ausdrückliche Erlaß-Erklärungen, aber auch durch schlüssiges Handeln zustande kommen. Da ausdrückliche Erklärungen vom Kläger nicht behauptet werden, kommt nur ein Erlaß durch schlüssiges Handeln in Betracht. An die Feststellung des Willens, eine Forderung zu erlassen, sind aber nach der Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen, weil erfahrungsgemäß ein Verzicht nicht zu vermuten ist. Deswegen muß des Verhalten des Gläubigers bei objektiver Betrachtung unzweideutig den Willen offenbaren, ein Recht aufgeben zu wollen (vgl. Palandt, BGB, 48. Aufl., § 397 Anm. 2 a). Das ist hier aber nicht der Fall.
Es kann schon zweifelhaft sein, ob die Aufnahme geschlechtlicher Beziehungen unter Nichtverheirateten geeignet ist, verzeihenden Charakter für vergangene Störungen und die Absicht auf künftige Fortsetzung der Gemeinschaft anzuzeigen. Bei Eheverfehlungen hat die Rechtsprechung das zur Zeit der Geltung des alten auf dem Schuldprinzip beruhenden Ehescheidungsrechts (§ 49 EheG) angenommen. Die dort entwickelten Grundsätze sind aber auf den hier vorliegenden Sachverhalt nicht ohne weiteres übertragbar. Denn die Ehe ist eine auf Lebenszeit eingegangene menschliche Gemeinschaft, § 1353 Abs. 1 BGB, deren Begründung und Beendigung der Einhaltung bestimmter Formen bedarf. Deswegen können Handlungen eines Partners, dem ein Recht auf Beendigung dieser Lebensgemeinschaft zusteht, in den Fällen, in denen derartige Handlungen bei intakten Ehen üblich sind, wie die Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft, kennzeichnend für den Willen auf eine dauerhafte Fortsetzung der Gemeinschaft sein. Demgegenüber ist wesentlich für die nichteheliche Lebensgemeinschaft die rechtliche Unverbindlichkeit der Beziehungen der Gemeinschafter. Sie ist nicht von vornherein auf Dauer angelegt und kann von jedem Partner ohne Form und rechtfertigende Begründung beendet werden. Deswegen sagt weder die Begründung der Lebensgemeinschaft, noch die Wiederbegründung nach einer Trennung der Partner etwas über deren Willen zur Dauer der Gemeinschaft aus. Wenn aber schon die Begründung der Gemeinschaft unter dem (unausgesprochenem) Vorbehalt steht, sie jederzeit durch einfache Erklärung beenden zu können, gilt das erst recht für die Fortsetzung nach aufgetretenen Spannungen. In derartigen Fällen ist das Zutrauen in den Bestand der Gemeinschaft bereits erschüttert und demgemäß die Bereitschaft zur Trennung gewachsen. Bei einem so belasteten Verhältnis kann aber vermutet werden, daß der betroffene Partner ein wirksam erworbenes staatlich anerkanntes Instrument zur Durchsetzung des Trennungswillens nicht ohne weiteres aus der Hand zu geben bereit ist.
Danach müssen weitere Umstände, die den Rückschluß auf einen Erlaßwillen zulassen, vorhanden sein. Diese werden aber vom Kläger nicht dargelegt. Im Gegenteil, sein Sachvortrag bietet Anlaß zu der Annahme, daß ein Erlaßwille gefehlt hat. Er behauptet nämlich, mit der Beklagten während des Räumungsverfahrens und nach Verkündung des Urteils in gleicher Weise zusammengelebt zu haben. Da das Zusammenleben mit dem Kläger die Beklagte nicht daran gehindert hat, ein Räumungsurteil gegen ihn zu erwirken, ist nicht ersichtlich, daß das Zusammenleben allein den Willen, auf Räumung nicht bestehen zu wollen, auszudrücken vermöchte.
vom Brocke
Maniak