Landgericht Oldenburg
Urt. v. 05.09.1989, Az.: 1 S 510/89

Ausschlussfrist bei Erhebung der Deckungsklage gegen eine Versicherung; Auswirkung eines bindenden Stichentscheids auf die gerichtliche Kompetenz

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
05.09.1989
Aktenzeichen
1 S 510/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 20131
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1989:0905.1S510.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Vechta - 14.03.1989 - AZ: 4 C 813/88

Fundstelle

  • VersR 1990, 653-654 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Juli 1989
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Wullert und
die Richter am Landgericht Maniak und vom Brocke
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 14. März 1989 verkündete Urteil des Amtsgerichts Vechta abgeändert:

Es wird festgestellt, daß der Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, die außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten (Anwaltskosten auf beiden Seiten, Gerichtskosten und etwaige Beweisführungskosten) wegen der Geltendmachung der Erstattung bisheriger und künftiger ärztlicher Behandlungskosten gegenüber der DKV Krankenversicherungs AG und gegenüber der Victoria-Gilde Krankenversicherung AG zu übernehmen, insbesondere alle Kosten in Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Amtsgericht Vechta, Aktenzeichen 4 C 793/88, auch etwaiger folgender Instanzen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Entscheidungsgründe

1

Von einer Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, da der Beklagte aufgrund bindenden Stichentscheides verpflichtet ist, dem Kläger Versicherungsschutz zu gewähren.

2

Die Deckungsklage scheitert nicht bereits daran, daß die Klagefrist des § 18 ARB abgelaufen ist. Diese Frist ist von Amts wegen zu berücksichtigen und führt zum Erlöschen des Anspruches, ohne daß der Versicherer sich ausdrücklich darauf berufen muß. Da der Beklagte mit Schreiben vom 09.02.1988 endgültig den Versicherungsschutz verweigert hatte, ist die am 23.12.1988 eingereichte Klage an sich erst außerhalb der 6-Monats-Frist des § 18 ARB erhoben worden. Jedoch wird diese Ausschlußfrist erst durch den Zugang eines ordnungsgemäß formulierten Ablehnungsschreibens in Lauf gesetzt, und hierzu gehört, daß der Versicherungsnehmer auf das Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung binnen der Frist undüber den Rechtsverlust nach unterlassener Klageerhebung ausdrücklich hingewiesen wird (Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 3. Aufl., § 18 Rdn. 12). Diese Belehrungen fehlen in allen Schreiben des Beklagten, so daß die Ausschlußfrist bei Erhebung der Deckungsklage noch nicht inganggesetzt worden war.

3

Liegt ein bindender Stichentscheid im Sinne von § 17 Abs. 2 ARB vor, der die Aussichten der Klage des Klägers gegen die beiden Krankenversicherungen als nicht aussichtslos wertet, ist eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage durch das Gericht nicht mehr möglich. Da der Beklagte allein wegen der fehlenden Erfolgsaussichten den Eintritt seiner Leistungspflicht verneint, ist der Deckungsklage stattzugeben, es sei denn, die Entscheidung des Rechtsanwaltes weicht offenbar erheblich von der wirklichen Sach- und Rechtslage ab, worüber das Gericht zu entscheiden hat (Harbauer, a.a.O., § 17 Rdn. 17). Das Amtsgericht hat insoweit zwar den richtigen Standpunkt vertreten, daß die bindende Entscheidung des Rechtsanwaltes zeitlich erst nach der Ablehnung des Versicherers ergehen kann und muß. Aber daß der Beklagte seine Eintrittspflicht erst mit Schreiben vom 12.01.1989 verneint hat, wie das Amtsgericht ausführt, ist falsch, denn das Schreiben stammt vom 12.01.1988, also lange vor Einreichung der Klageschrift vom 13.12.1988. Darüber hinaus hat das Amtsgericht ohne nähere Ausführungen die Stellungnahmen des Klägeranwaltes nicht als Stichentscheid im Sinne von § 17 Abs. 2 ARB gewertet, was von der Berufung mit Recht beanstandet wird.

4

Ein für Versicherungsnehmer und Versicherer bindender Stichentscheid, zu dessen Abgabe der Versicherungsnehmer - wie hier der Kläger - seinen bereits für ihn tätigen Rechtsanwalt beauftragen kann, muß gewisse zeitliche und inhaltliche Anforderungen erfüllen. Grundsätzlich kann die Entscheidung des Anwaltes nach § 17 Abs. 2 ARB erst ergehen, wenn der Versicherer vorher seine Leistungspflicht unter Angabe der Gründe nach § 17 Abs. 1 ARB verneint hat. Denn erst wenn der Anwalt die Gründe im einzelnen kennt, die den Versicherer nach abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage zur Verneinung seiner Leistungspflicht bewogen haben, ist er imstande, die Auffassung des Versicherers mit der in § 17 Abs. 2 ARB vorgesehenen bindenden Wirkung für beide Teile zu würdigen. Demzufolge kann noch nicht als ein bindender Stichentscheid eine vom Anwalt des Versicherungsnehmers geäußerte Rechtsansicht oder eine etwa schon eingereichte Klage (oder Rechtsmittelschrift) gewertet werden, wenn der Versicherer über seine Leistungspflicht noch nicht entscheiden konnte, weil zum Beispiel der Versicherungsfall noch nicht gemeldet war oder der Versicherungsnehmer (oder sein Anwalt) den Versicherer nicht vollständig über sämtliche Umstände des Versicherungsfalles unterrichtet hat.

5

Im vorliegenden Rechtsstreit ist aufgrund der Korrespondenz der Parteien davon auszugehen, daß der Beklagte die tatsächlichen und rechtlichen Probleme bis spätestens 07.12.1987 gekannt hat, denn das Ablehnungsschreiben der Kostendeckung von diesem Tage läßt erkennen, daß der Beklagte zuvor vollständig unterrichtet worden war, aber seine Eintrittspflicht wegen des angeblich noch nicht eingetretenen Versicherungsfalls glaubte ablehnen zu können. Ob der Beklagte diese Ansicht mit Schreiben vom 22.12. aufgegeben hatte, ist nicht ganz klar, jedoch hat er am 12.01.1988 mit einer eingehenden Begründung die Erfolgsaussichten verneint, was er mit Schreiben vom 09.02.1988 nochmals bestätigt hat. Bei einem derartigen Hin und Her von Argumenten und Gegenargumenten kann zweifelhaft sein, wann ein bindender Stichentscheid hätte ergehen müssen und können, und vor allem, welche inhaltlichen Anforderungen dann noch an ihn zu stellen sind. An sich soll die Stellungnahme des Anwaltes so ausreichend begründet sein, daß sie - vergleichbar einer Berufungsbegründung - hinreichend erkennen läßt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art die Meinung des Versicherers nach Ansicht des Anwaltes unrichtig ist (Harbauer, a.a.O., § 17 Rdn. 11). Wenn demgemäß eine summarische oder unsubstantiierte Begründung unzureichend ist, braucht andererseits die Stellungnahme nur das für das Bestehen des Versicherungsanspruchs maßgebliche Tatsachenmaterial zu enthalten und das Votum des Anwaltes, daß die beabsichtigte Interessenwahrnehmung des Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine eingehende Darlegung des Sach- und Streitstandes und der hier zu vertretenden Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum gehört nicht dazu (Harbauer, a.a.O., § 17 Rdn. 14 + 13). Daß hieran gemessen die dem Beklagten zugegangenen Schreiben des Klägeranwaltes den inhaltlichen Erfordernissen eines Stichentscheides genügen, ist auch die Auffassung des Beklagten, der in seinem Schreiben vom 24.06.1988 davon ausgeht, der Anwalt habe einen Stichentscheid herbeigeführt. Ob das Schreiben des Anwaltes vom 19.02.1988 oder erst das vom 22.04.1988 als Stichentscheid im Sinne von § 17 Abs. 2 ARB gewertet wird, kann dahinstehen. Jedenfalls sind beide Schreiben nach der letzten Deckungsablehnung vom 09.02.1988 an den Beklagten ergangen und entsprechen den zu stellenden Erfordernissen, weil wegen der gewechselten Korrespondenz es nicht mehr notwendig war, noch einmal ausdrücklich unter Darlegung des gesamten Sach- und Streitstandes die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage vorzutragen. Anzumerken ist auch, daß der Klägeranwalt ausdrücklich angefragt hat, ob der Beklagte einen Stichentscheid wünsche, was der Beklagte damit beantwortet hat, ein solcher Entscheid interessiere ihn nicht. Das wiederum hat den Anwalt zur Feststellung veranlaßt, der Beklagte sehe die bisherigen Schreiben als Stichentscheid an, dem der Beklagte mit Schreiben vom 24.06.1988 auch zugestimmt hat.

6

Die Bindungswirkung des Stichentscheides kann nur dadurch beseitigt weden, daß dieser offenbar erheblich von der Sach- und Rechtslage abweicht, wofür der Beklagte darlegungspflichtig ist (Harbauer, a.a.O., § 17 Rdn. 17). Erforderlich ist eine grobe Verkennung der Sach- und Rechtslage, die sich dem Sachkundigen mit aller Deutlichkeit aufdrängt. Der Vortrag des Beklagten beschränkt sich hierzu auf die letzte Seite seiner Berufungserwiderung, was unzulänglich ist, weil er nicht dazu Stellung nimmt, aus welchen Gründen der Stichentscheid offenbar erheblich von der Sach- und Rechtslage abweicht, sondern lediglich Ausführungen dazu macht, daß ihm gegenüber die rechtliche Problematik nicht hinreichend erörtert worden sei. Das ist aber unerheblich, denn da der Beklagte über den Sachverhalt unterrichtet war und ihm auch Rechtsprechung genannt worden ist, hätte er sich selbst mit dem Rechtsproblem vertraut machen können. Wenn der Beklagte die Rechtsproblematik nicht erkannt hatte, dann heißt das nicht, daß der Klägeranwalt die Rechtslage offenbar unrichtig geschildert hat. Denn es gehört eben nicht zum Stichentscheid, daß der Versicherer ein Sach- und Rechtsgutachten geliefert bekommen muß. Eine offensichtliche Abweichung von der Sach- und Rechtslage wird freilich auch dann angenommen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht schlüssig ist, also der dem Versicherer unterbreitete Sachverhalt die von Anwalt für hinreichend aussichtsreich gehaltene Rechtsfolge gar nicht herbeiführen kann (Harbauer, § 17 Rdn. 15). Das jedoch erfordert schon sehr viel. Denn der § 1 Abs. 1 ARB ist dem § 114 ZPO nachgebildet, verlangt aber noch weniger, nämlich nur, daß schon eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolges genügt (Harbauer, a.a.O., § 1 Rdn. 33). Eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Durchgreifens, wie § 114 ZPO erfordert, braucht also nicht vorhanden zu sein; daß es sich bei der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Kläger gegen die beiden Krankenversicherungen aber um eine von vornherein geradezu abwegige Zielvorstellung handelt, kann schon deswegen nicht gesagt werden, weil mit der Klage gegen die Krankenversicherer juristisches Neuland betreten wird und man daher einen Rechtserfolg nicht ohne weiteres verneinen kann.

7

Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß ein Stichentscheid vorliegt, der für Versicherungsnehmer und Versicherer bindend ist, weil die Entscheidung des Anwaltes des Klägers nicht offenbar erheblich von der Sach- und Rechtslage abweicht. Die Verneinung der Leistungspflicht, die durch einen anderslautenden Stichentscheid auflösend bedingt war, hat daher ihre Wirkung verloren. Durch den für den Kläger günstigen Stichentscheid ist die Fälligkeit des Versicherungsschutzes eingetreten. Da dies vor Klageerhebung im Verfahren 4 C 793/88 AG Vechta geschehen ist, ist die Klage begründet. Das gilt auch für die beantragte Feststellung, daß Deckungsschutz für das Berufungsverfahren 1. S. 621/89 verlangt wird, obgleich normalerweise die Deckungszusage für eine Instanz beschränkt ist. Da nämlich in dem Verfahren gegen die Krankenversicherungen die Berufungsfristen einzuhalten waren, ist die Einlegung der Berufung nicht als Obliegenheitsverstoß zu werten (Harbauer, § 15, Rdn. 20).

8

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 4.000,- DM.

Wullert
vom Brocke
Maniak