Landgericht Oldenburg
Urt. v. 11.10.1989, Az.: 4.O.1431/89
Schmerzensgeldansprüche aus einem Unfallereignis bei traumatischem Querschnittssyndrom im mittleren Thorakalbereich; Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 11.10.1989
- Aktenzeichen
- 4.O.1431/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 20186
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1989:1011.4.O.1431.89.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 847 BGB
Fundstellen
- DAR 1990, 146 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1990, 630 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1990, 1019 (red. Leitsatz)
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 1989
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Gärtner,
die Richterin am Landgericht Kopka-Paetzke und
den Richter Vulhop
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 320.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 16.02.1989 zu zahlen sowie 4 % Zinsen auf weitere 120.000,- DM für den Zeitraum vom 16.02.1989 bis zum 27.02.1989.
- 2.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 335.000,- DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schmerzensgeldansprüche aus einem Unfallereignis vom 11.03.1988.
Die zum Unfallzeitpunkt 4jährige Klägerin wurde von dem Beklagten zu 1) mit einem Lkw angefahren, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Zwischen den Parteien steht außer Streit, daß der Unfall durch das Verschulden des Beklagten zu 1) herbeigeführt worden ist und die Beklagten in voller Höhe für den immateriellen Schaden der Klägerin eintrittspflichtig sind. Die Klägerin hat bei dem Unfall folgende Verletzungen erlitten:
Ein traumatisches Querschnittssyndrom im mittleren Thorakalbereich,
ein Schädelhirntrauma mit Commotio cerebri (Gehirnerschütterung) und Verdacht auf hypoxischen Hirnschaden (Sauerstoffmangel), stumpfe Brustkorbver Tetzung mit Lungeneinblutung rechts, Ergußbildung, mittelbarer Lungenentzündung beidseits und Oberlappenatelektase rechts.
Infolge des Unfalls liegt bei der Klägerin eine motorisch, sensibel und vegetativ komplette, mäßig spastische Paraplegie unterhalb des 4./5. Brustsegments vor. Aufgrund der Querschnittslähmung vermag sie keine Willkürkontrolle mehr über Blasen- und Darmentleerungen auszuüben. Ihr ist lediglich noch die Bewegung eines Teiles des Oberkörpers, der oberen Extrimitäten sowie des Kopfes möglich. Sie wird ihr Leben im Rollstuhl verbringen müssen und ständig auf fremde Hilfe angewiesen sein. Infolge der Verletzungen liegt eine Erwerbsunfähigkeit von 100 % vor. Das bei der Klägerin vorliegende Verletzungsbild ist unter den Parteien unstreitig. Die Beklagten haben an die Klägerin bereits ein Schmerzensgeld von insgesamt 180.000,- DM gezahlt. Weitere Zahlungen hat die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 16.02.1989 abgelehnt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die vorhandenen Schwerstverletzungen rechtfertigten ein wesentlich höheres Schmerzensgeld, mindestens in der Größenordnung von 500.000,- DM. Sie beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 16.02.1989 zu zahlen abzüglich am 24.05.1988 gezahlter 5.000,- DM, am 14.06.1988 gezahlter 5.000,- DM, am 22.06.1988 gezahlter 5.000,- DM, am 26.07.1988 gezahlter 45.000,- DM und am 27.02.1989 gezahlter 120.000,- DM.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie halten das bereits gezahlte Schmerzensgeld für ausreichend.
Gründe
Die Klägerin hat gem. §§ 823, 847 BGB gegen die Beklagten Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 320.000,- DM.
Die Kammer ist der Auffassung, daß die bei der Klägerin eingetretenen Schwerstverletzungen den Zuspruch eines Schmerzensgeldes in der Gesamthöhe von 500.000,- DM rechtfertigen. Durch die erlittene Querschnittslähmung wird die Lebensführung der Klägerin, die zum Unfallzeitpunkt gerade erst 4 Jahre alt war, über ihr gesamtes Leben hin bestimmt sein. Sie ist in höchstem Maße körperlich behindert, über die Lähmung selbst hinaus hat die Verletzung eine Vielzahl schon für sich genommen gravierender Beeinträchtigungen zur Folge. So etwa die unkontrollierbare Darm- und Blasenentleerung sowie die Tatsache, daß der Klägerin die Führung eines Sexuallebens zumindest ganz erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht ist. Eine genauere Beschreibung der physischen Folgen einer Querschnittslähmung im einzelnen erübrigt sich, da diese bei einer derartigen Verletzung offensichtlich sind. Darüber hinaus wird die Klägerin jedoch auch mit den gravierenden sozialen Problemen belastet sein, die auf behinderte Menschen nahezu unausweichlich zukommen. Der Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen wird ihr ganz erheblich erschwert, die Gründung einer Familie unmöglich sein. Auch eine Erfüllung durch berufliche Betätigung wird ihr aller Voraussicht nach versagt sein. Die Kammer ist sich durchaus bewußt, daß ein Ausgleich dieser Folgen durch materielle Zuwendungen unmöglich ist. Sie meint jedoch, daß ein Schmerzensgeld zumindest so bemessen sein muß, daß es der Klägerin auf Dauer die Möglichkeit gibt, materielle Bedürfnisse, wenn auch nicht in uneinschränktem Maße, so doch soweit zu befriedigen, daß sie wenigstens in diesem Bereich keine Entbehrungen auf sich nehmen muß und in dem Bewußtsein einer materiell vollkommen gesicherten Existenz leben kann. Nach Auffassung der Kammer steht dem Zuspruch eines Schmerzensgeldes in dieser Größenordnung auch nicht entgegen, daß die Gemeinschaft der Versicherten vor einem grenzenlosen Ansteigen der Schmerzensgeldbetrage geschützt werden muß. Denn es ist recht selten der Fall, daß Verkehrsunfälle Schwerstverletzungen in dem hier vorliegenden Maße zur Folge haben. In diesen Fällen ist es der Gemeinschaft der Versicherten möglich und auch zumutbar, auch Summen an den Geschädigten auszuzahlen, die sich in diesem Bereich bewegen.
Die Auffassung der Klägerin, daß der unstreitige Unfallverlauf wegen eines darin liegenden groben Verschuldens des Beklagten zu 1) in besonderem Maße eine Beachtung der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes erfordere, vermag die Kammer dagegen nicht zu teilen. Zwar ist der Beklagte zu 1), der die Klägerin und ihre Schwester schon aus weiterer Entfernung sehen konnte, nach dem unstreitigen Unfallverlauf mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren, doch begründet dies allein die Annahme groben Verschuldens nicht. Denn der Beklagte zu 2) ist nicht etwa vollkommen unachtsam auf die Klägerin zugefahren, diese ist vielmehr, nachdem sie zunächst gemeinsam mit ihrer 6jährigen Schwester am linken Straßenrand entlanggegangen war, unmittelbar vor dem Beklagten zu 1) auf die Straße gelaufen. Aber auch ohne das Erfordernis, der Geschädigten durch das Schmerzensgeld eine über das Maß des üblichen hinausgehende Genugtuung zu verschaffen, hält die Kammer den Zuspruch des genannten Schmerzensgeldes aus den dargelegten Gründen für angemssen.
Der Zinsanspruch der Klägerin begründet sich auf die §§ 284, 288 BGB. Einer Mahnung bedurfte es vorliegend nicht, da die Beklagte zu 2) mit Schreiben vom 16.02.1989 weitere Zahlungen abgelehnt hat.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
Kopka-Paetzke
Vulhop