Landgericht Oldenburg
Urt. v. 08.05.1990, Az.: 1 S 621/89

Erstattung von ärztlichen Behandlungskosten ; Leistungen für eine künstliche Befruchtung ; Medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
08.05.1990
Aktenzeichen
1 S 621/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 20532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1990:0508.1S621.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Vechta - 04.04.1989 - AZ: 4 C 793/88

Fundstellen

  • AZRT 1991, 6
  • FamRZ 1991, 1182 (amtl. Leitsatz)
  • MDR 1990, 927-928 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1990, 2326-2327 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 1990, 1094 (red. Leitsatz)
  • VersR 1991, 760-762 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung
vom 22. März 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Wullert,
den Richter am Landgericht vom Brocke und
die Richterin Seewald
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das am 4. April 1989 verkündete Urteil des Amtsgerichts Vechta abgeändert:

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 1.774,33 DM nebst 4 % Zinsen auf 1.000,59 DM seit 22. Dezember 1988 und auf weitere 773,74 DM seit 28. September 1989 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Klägers erster Instanz trägt dieser 3/4 und die Beklagte zu 1) 1/4. Von den Gerichtskosten und von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zweiter Instanz trägt dieser 3/5 und die Beklagtem zu 1) 2/5; im übrigen tragen der Kläger und die Beklagte zu 1) Ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt der Kläger.

Entscheidungsgründe

1

Von einer Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

2

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1) richtet; im übrigen hat sie keinen Erfolg.

3

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Erstattung von 50 % der Kosten, die durch die Behandlung seiner Ehefrau in Höhe von Insgesamt 4.125,44 DM entstanden sind.

4

Der Leistungsanspruch des Klägers ist durch § 27 Nr. 6 des Gesundheitsreformgesetzes vom 29.12.1988 (BGBl. I, 2477), welcher Leistungen für eine künstliche Befruchtung nicht zur Krankenbehandlung zählt, nicht ausgeschlossen. Denn diese Regelung gilt nur für die gesetzlichen Krankenkassen, sie ist auf die privaten Krankenkassen nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar. Für diese sind vielmehr die Versicherungsbedingungen speziell in den MB/KK geregelt, dessen § 5 Abs. 4 bestimmt, daß eine Leistungspflicht nur besteht, sofern die Leistungen im Gebührenverzeichnis der Ärzte aufgeführt sind. In Nr. 1114 GOÄ ist die Insemination erwähnt. Daraus folgt, daß die privaten Versicherungen einen Leistungsausschluß für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gerade nicht gewollt haben (LG Stuttgart, VersR 1985, 776 (777); Kalis, VersR 1989, 1244 (1246 rechte Spalte)). Darüberhinaus verbietet sich die rückwirkende Anwendung des Gesundheitsreformgesetzes auch deswegen, weil der Versicherungsvertrag mit der Beklagten zu 1) vor Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen war.

5

Der Einspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 1) scheitert nicht schon daran, daß es hier ausschließlich um die Kosten der Behandlung seiner Ehefrau geht, die bei der Beklagten zu 1) nicht mitversichert ist (so aber AG Hamburg, VersR 1985, 334). Denn ausschlaggebend ist, ob beim Kläger selbst eine medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit durchgeführt worden Ist, da Ihm dann gem. § 1 MB/KK als versicherter Person ein Leistungsanspruch zustehen würde. Daß der Kläger Infolge der bei Ihm bestehenden Oligozoospermie als krank im Sinne von § 2 MB/KK anzusehen ist, wird von der Beklagten zu 1) nicht ernsthaft bezweifelt. Als Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen ist jeder anormale Körper- oder Geisteszustand zu verstehen (BGHZ 99, 228 (230)[BGH 17.12.1986 - IVa ZR 78/85]). Die organisch bedingte Sterilität des Klägers ist eine Abweichung vom Normalzustand und daher als Krankheit einzuordnen (BGHZ a.a.O. Seite 231). Fraglich ist dagegen, ob die homologe Insemination als Heilbehandlung anzusehen ist und vor allem, ob die ärztliche Behandlung der Ehefrau als eine Heilbehandlung des Klägers selbst gewertet werden kann.

6

Als Heilbehandlung ist jede ärztliche Tätigkeit anzusehen, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von Ihrer Art her auf Heilbehandlung oder Linderung der Krankheit abzielt (BGH NJW 1978, 1197). Das LG Stuttgart (VersR 1985, 776 (777)) sieht in der künstlichen Befruchtung grundsätzlich eine Heilbehandlung, da hierdurch die Möglichkeit der Empfängnis eröffnet werde und der sterile Ehepartner zumindest für diesen Befruchtungsvorgang zeugungsfähig werden könne. Daß die Sterilität des Klägers nicht überwunden wird, ist nicht entscheidend, sondern daß sie gelindert werden kann, da durch die Insemination zumindest die Chance einer Schwangerschaft herbeigeführt wird. Auch BGHZ 99, 233[BGH 17.12.1986 - IVa ZR 78/85] sieht in der künstlichen Befruchtung eine Heilbehandlung. Allerdings stellt der BGH auf die In-vitro-Fertilisation ab, bei der der (sterilen) Frau operativ Eizellen entnommen werden, die im Reagenzglas mit dem Samen des Ehemannes befruchtet werden, um dann als Embryonen wieder in die Gebärmutter eingepflanzt zu werden. Aber die hier vorgenommene homologe Insemination ist ein gleichwertiger Vorgang, bei welchem der Frau gereifte Eizellen entnommen, außerhalb des Körpers mit den Samenzellen des Ehemannes vermengt werden und anschließend das Gemisch in die Eileiter der Frau eingebracht wird. Auch hier wird außerhalb des Körpers eine künstliche Befruchtung vorgenommen, so daß beide Arten (In-vitro-Fertilisation und homologe Insemination) der künstlichen Befruchtung als Heilbehandlung gewertet werden können.

7

Problematisch ist daher nur, ob der körperliche Eingriff bei der Ehefrau als Heilbehandlung des Klägers angesehen werden kann. Man könnte sich, wie es hier die beiden beklagten Versicherungen getan haben, auf den Standpunkt stellen, die Erstbeklagte sei nicht eintrittspflichtig, weil beim Kläger keine Heilbehandlung vorgenommen worden sei, und die Zweitbeklagte sei es deswegen nicht, weil die Ehefrau des Klägers - unstreitig - nicht krank (d.h. unfruchtbar) sei. Ähnlich hat das Amtsgericht Hamburg (VersR 1985, 334) entschieden, in dem es sich auf den Standpunkt gestellt hat, objektiv sei die Ehefrau des nicht zeugungsfähigen Klägers behandelt worden, ohne daß dadurch die mangelnde Qualität und Beweglichkeit der Spermien behoben worden sei, so daß die Krankenversicherung der Frau und nicht die des Mannes eintrittspflichtig sei. Das aber entspricht nicht der Definition einer Heilbehandlung, die nicht nur bei Heilung, sondern auch bei Linderung einer Krankheit anzunehmen ist. Linderung bedeutet nicht nur die unmittelbare Besserung eines krankhaften Zustandes, sondern sie ist auch auf die Abschwächung von Krankheitsfolgen gerichtet (BGHZ 99, 233[BGH 17.12.1986 - IVa ZR 78/85]). Hier hat der künstliche Befruchtungsvorgang mit dem Samen des Klägers zu einer Schwangerschaft seiner Ehefrau geführt, so daß zumindest für diesen Vorgang die Oligozoospermie des Klägers hat überwunden werden können. Da das Ziel der Schwangerschaft erreicht ist, ist die Krankheit des Klägers gelindert worden. Für eine Heilbehandlung des Klägers spricht ferner das versicherte Risiko, welches auf einer Summe objektiver und subjektiver Umstände beruht, die die Entstehung von ersatzpflichtigen Schäden mehr oder weniger wahrscheinlich macht. Ohne die Krankheit des Klägers wäre es nie zu der hier streitigen Behandlung seiner Ehefrau gekommen, da deren Empfängnisfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Der Kläger hat damit die Ursache für den ärztlichen Eingriff bei seiner Frau gesetzt, wodurch auch die Wahrscheinlichkeit der Erstattungspflicht durch seine Versicherung erhöht worden ist. Für die Lehre des versicherten Risikos spricht auch die Definition der Heilbehandlung, wonach eine Heilbehandlung nur vorliegt, wenn die ärztliche Tätigkeit durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist.

8

Ferner läßt sich eine Parallele zur Entscheidung BSGE 35, 102 ziehen, welche darauf abstellt, daß die Kosten für die Entnahme des Organs eines gesunden Spenders als Nebenleistung bei der Heilbehandlung des kranken Empfängers anzusehen sind. Hier war der Ehefrau des Klägers eine Eizelle entnommen worden, die mit dem Samen des Klägers vermengt worden ist, um die Oligozoospermie zu überwinden und eine Schwangerschaft herbeizuführen. Von daher gesehen ist die Behandlung der Ehefrau als Nebenleistung der Heilbehandlung des kranken Klägers zu sehen.

9

Ein Widerspruch zu BGHZ 99, 228 ff.[BGH 17.12.1986 - IVa ZR 78/85] besteht mit der hier gefundenen Lösung nicht, sondern eine Fortführung dieser Entscheidung. Zwar ging es im BGH-Fall um die Linderung der Sterilität der Frau selbst durch Vornahme einer In-vitro-Fertilisation. Aber auch im vorliegenden Falle geht es um die Linderung der Oligozoospermie des Klägers mittels homologer Insemination. Sinn und Zweck der BGH-Entscheidung ist, die Kosten einer künstlichen Befruchtung zu ersetzen. Dieses Ziel würde verfehlt werden, wenn lediglich Behandlungskosten einer sterilen Frau, nicht aber die Ihres sterilen Ehemannes ersetzt werden würden, weil es dann nur vom Zufall abhinge, welcher Ehepartner unfruchtbar ist. Litte die Ehefrau an Sterilität, würden die Behandlungskosten ersetzt werden, der Ehemann ginge bei eigener Sterilität dagegen leer aus. Das ist aber nicht Sinn und Zweck der BGH-Entscheidung. Nach Auffassung der Kammer stellen die ärztlichen Eingriffe bei der Ehefrau des Klägers dessen Heilbehandlung dar. Da es sich um eine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode handelt, müssen demzufolge die entstandenen Behandlungskosten von der Beklagten ersetzt werden.

10

Die Kosten der ersten Behandlung betrugen unstreitig 2.577,97 DM, die der zweiten Behandlung 1.547,47 DM, zusammen also 4.125,44 DM. Hiervon kann der Kläger 50 % = 2.062,72 DM beanspruchen. Abzüglich der während des Prozesses gezahlten 288,39 DM beträgt der Erstattungsanspruch noch 1.774,33 DM.

11

II.

Ansprüche der Ehefrau des Klägers gegen die Beklagte zu 2) bestehen nicht.

12

Die Frage der Zulässigkeit der Abtretung kann ebenso unerörtert bleiben wie die Frage, ob der Kläger die Ansprüche seiner Ehefrau nicht wenigstens im Wege der Prozeßstandschaft geltend machen kann. Denn materiell hat die Klage keinen Erfolg.

13

Die bei der Zweitbeklagten versicherte Ehefrau des Klägers ist nicht krank im Sinne von § 2 MB/KK, denn sie ist, jedenfalls was die Möglichkeit einer Schwangerschaft anbelangt, organisch gesund. Kinderlosigkeit ist keine Krankheit. Zwar wird die Ansicht vertreten, daß die Kinderlosigkeit der Ehefrau aufgrund einer Oligozoospermie des Ehemannes eine Krankheit sei (LG Stuttgart, VersR 1985, 776 (777); LG Nürnberg, NJW 1984, 1828; SG Gelsenkirchen, NJW 84, 1839). Das ist aber mit BGHZ 99, 228 (230)[BGH 17.12.1986 - IVa ZR 78/85] abzulehnen. Denn ob der Körper- und Geisteszustand als anormal zu bewerten ist, hängt von objektiven Kriterien ab. Entscheidend ist das Vorhandensein einer Krankheit im Sinne des Sprachgebrauches des täglichen Lebens. Danach ist die Ehefrau des Klägers aber nicht krank, denn sie kann ohne weiteres Kinder bekommen. In diesem Zusammenhang erwähnt der Kläger zwar noch, allein schon wegen der ehelichen Einheit, die durch Art. 6 GG geschützt werde, sei eine Heilbehandlung gegeben (so auch LG Stuttgart a.a.O., das die Ehepartner als Einheit ansieht). Das aber läßt sich mit den Versicherungsbedingungen nicht vereinbaren, die auf die Person des Versicherten abstellen und die Eintrittspflicht davon abhängig machen, daß der Versicherungsnehmer wegen einer bei Ihm vorhandenen Krankheit heilbehandelt wird. Eine Einschränkung des Versicherungsschutzes stellt aber keinen Eingriff in die Ehe dar. Die Ehefrau des Klägers war und ist nicht krank, so daß an Ihr auch keine Heilbehandlung vorgenommen worden ist. Die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage war daher abzuweisen.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 91, 91 a, 100 (analog) ZPO.

15

Der Gebührenstreitwert der erstinstanzlichen Gerichtsgebühren wird auf 4.125,44 DM, der der Berufungsinstanz auf bis 4.000,- DM festgesetzt.

Streitwertbeschluss:

Der Gebührenstreitwert der außergerichtlichen Kosten wird wie folgt festgesetzt:

  1. 1.

    erste Instanz

    1. a)

      der Beklagten zu 1) auf 2.062,72 DM,

    2. b)

      des Klägers und der Beklagten zu 2) auf 4.125,44 DM,

  2. 2.

    zweite Instanz

    1. a)

      des Klägers auf 3.837,05 DM,

    2. b)

      der Beklagten zu 1) auf bis 2.100,- DM,

    3. c)

      der Beklagten zu 2) auf 3.837,05 DM für die Prozeßgebühr und auf 2.062,72 DM für die Verhandlungsgebühr.

Wullert
Seewald
vom Brocke