Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.04.1992, Az.: 7 L 188/92
Prozeßvergleich; Vergleich; Widerruf; Verwaltungsgericht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.04.1992
- Aktenzeichen
- 7 L 188/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 13341
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1992:0415.7L188.92.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg (Oldenburg) 29.10.1991 - 1 A 98/91 .OS
- nachfolgend
- BVerwG - 26.01.1993 - AZ: BVerwG 1 C 29/92
Rechtsgrundlage
- § 794 ZPO
Fundstellen
- DVBl 1992, 1318 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1993, 2200
- NJW 1992, 3253-3254 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1993, 72 (amtl. Leitsatz)
- SGb 1993, 422 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Ist vor dem Verwaltungsgericht ein Prozeßvergleich geschlossen worden, so muß ein Widerruf des Vergleichs gegenüber dem Verwaltungsgericht erklärt werden. Dies gilt selbst dann, wenn dies nicht vereinbart wurde.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 1. Kammer Osnabrück - vom 29. Oktober 1991 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung an das Verwaltungsgericht Oldenburg, Kammern Osnabrück, zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob das klägerische Begehren auf Sperrzeitverkürzung noch zur gerichtlichen Entscheidung steht.
Die Kläger sind Betreiber der Discothek "..." in ... Mit Bescheid vom 30. Januar 1991 lehnte die Beklagte ihren Antrag ab, die Sperrzeit für diese Discothek auf 5.00 Uhr zu verkürzen. Dafür bestehe kein öffentliches Bedürfnis; auch besondere örtliche Verhältnisse rechtfertigten die Verkürzung nicht.
Nach erfolglosem Widerspruch haben die Kläger Verpflichtungsklage erhoben und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. September 1991 auf Vorschlag des Gerichts einen Prozeßvergleich geschlossen. In diesem heißt es am Ende: "Die Beteiligten behalten sich vor, den Vergleich bis zum 30. 09. 1991 zu widerrufen. Für den Fall des Widerrufs verzichten sie auf erneute mündliche Verhandlung".
Mit an das Verwaltungsgericht gerichteten Schriftsatz vom 30. September 1991, an diesem Tag als Telefax bei der Gemeinsamen Telefax-Annahmestelle der Osnabrücker Justizbehörden eingegangen, hat die Beklagte den Vergleich widerrufen und um gerichtliche Entscheidung gebeten. Bei Gericht selbst ist der Schriftsatz am 1. bzw. 2. Oktober 1991 eingegangen; mit Verfügung vom 4. Oktober 1991 ist eine Ablichtung auch den Prozeßbevollmächtigten der Kläger übersandt worden, die den Widerruf als nicht fristgerecht und den Prozeß damit als endgültig beendet angesehen haben.
Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 29. Oktober 1991 diese Auffassung bestätigt und festgestellt, daß das Verfahren durch den gerichtlichen Vergleich vom 24. September 1991 beendet worden sei. Der Widerruf der Beklagten hätte, weil er, wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden habe, zum materiellen Teil des Vergleiches gehöre, mangels einer abweichenden Vereinbarung bis zum 30. September 1991 den Klägern bzw. ihren Bevollmächtigten zugehen müssen. Das sei unstreitig nicht geschehen, so daß offenbleiben könne, ob der Widerruf beim Verwaltungsgericht noch innerhalb der vereinbarten Frist eingegangen sei.
Gegen diese ihr am 26. November 1991 zugestellte gerichtliche Entscheidung hat die Beklagte am 23. Dezember 1991 Berufung eingelegt. Sie meint, daß sie den Prozeßvergleich wirksam durch Erklärung bei Gericht widerrufen habe, auch wenn dieses nicht ausdrücklich zum Widerrufsadressaten bestimmt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
das verwaltungsgerichtliche Urteil zu ändern und die Sache nach § 130 Abs. 1 VwGO zu erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts. Unstreitig habe man im Vergleich nicht ausdrücklich vereinbart, daß ein Widerruf dem Gericht gegenüber zu erklären gewesen sei. Dies sei, was sie angehe, auch nicht stillschweigend verabredet worden. Damit hätte der Widerruf ihnen gegenüber als Partner des Vergleichs erkärt werden müssen. Das sei nicht fristgerecht geschehen. Der offensichtliche Rechtsirrtum der Beklagten könne an diesem Ergebnis nichts ändern.
Der Berichterstatter des Senats hat mit Verfügung vom 16. Januar 1992 die erkennende Kammer des Verwaltungsgerichts u.a. um Erläuterung gebeten, welche Vorstellungen die beteiligten Richter hinsichtlich des Adressaten eines eventuellen Vergleichswiderrufs gehabt hätten. Auf die Antwort des Kammervorsitzenden vom 22. Januar 1992 (GA Bl. 45) wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten (Beiakte A) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte den Prozeßvergleich vom 24. September 1991 wirksam widerrufen, so daß das Verwaltungsgericht in der Sache entscheiden muß.
Der Senat hat einzig zu entscheiden, ob mit dem Telefax der Beklagten vom 30. September 1991 die im Vergleich vereinbarte Widerrufsfrist gewahrt worden ist.
1. Dies wäre nach keiner der unter näher erörterten Auffassungen der Fall, wenn der Widerruf an jenem Tag nicht zumindest als bei Gericht eingegangen zu behandeln wäre.
Diese mithin vorrangig zu entscheidende Frage ist aber zu bejahen:
Es ist allgemein anerkannt, daß bestimmende Schriftsätze und überhaupt prozessuale Erkärungen durch Telefax-Schreiben wirksam abgegeben werden können (Redeker/von Oertzen, VwGO, 10. Aufl., RdNr. 7 zu § 106; RdNr. 3 zu § 81). Auch war die "Gemeinsame Telex-, Teletex- und Telefax-Annahmestelle der Justizbehörden in Osnabrück" (Telefax-Nr. 315419) als Anschlußstelle des Verwaltungsgerichts anzusehen, obgleich die Kammern Osnabrück des Verwaltungsgerichts seit November 1989 daneben über einen eigenen Telefax-Anschluß (Nr. 314762) verfügen. Die eine Gemeinsame Annahmestelle vorsehende Verfügung des Niedersächsischen Justizministeriums vom 29. Juni 1989 (Nds. Rpfl. S 148) ist nämlich insoweit nicht geändert worden. Die Beklagte hat dem Senat ferner eine bestätigende Mitteilung der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts noch vom 17. Juli 1991 vorgelegt, in welcher als Telefax-Anschluß die Nummer 315419, mithin die der Gemeinsamen Annahmestelle, aufgeführt wird. Damit konnte die Beklagte vom Weiterbestehen dieses Anschlusses ausgehen. Ihm ist der Widerruf der Beklagten am 30. September 1991 um 13.01 Uhr überspielt worden.
2. Eines Eingehens auf den juristischen Meinungsstreit über den richtigen "Ort" des Widerrufs eines Prozeßvergleiches (vgl. etwa Redeker/von Oertzen, aaO, RdNr. 7 zu § 106; Kopp, VwGO, 8. Aufl., RdNr. 17 zu § 106) bedürfte es nicht, wenn die Beteiligten hier die Erklärung des Widerrufs gegenüber dem Verwaltungsgericht vereinbart hätten. Da der Vergleich eine ausdrückliche derartige Vereinbarung nicht enthält, könnte eine solche lediglich stillschweigend abgeschlossen worden sein.
Für eine derartige stillschweigende Übereinkunft mangelt es jedoch insgesamt an ausreichenden Anhaltspunkten.
Zwar hat die Beklagte glaubhaft erklärt, daß sie dadurch, daß der Prozeßvergleich "auf Vorschlag des Gerichts" abgeschlossen und dies ausdrücklich in das Protokoll aufgenommen worden ist, stets davon ausgegangen sei, daß auch ein eventueller Widerruf, wie üblich, bei Gericht angebracht werden müsse.
Demgegenüber haben aber die Vertreter der Kläger - nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - entschieden erklärt, daß sie von einem innerhalb der Frist zu erklärenden Widerruf ihnen gegenüber ausgegangen seien.
Bedenkt man, daß nach den Erfahrungen der Mitglieder des erkennenden Senates Prozeßvergleiche praktisch ausschließlich als dem Gericht gegenüber zu widerrufen vereinbart werden, erscheint diese Vorstellung der Prozeßbevollmächtigten der Kläger zwar überraschend und läßt die Vermutung aufkommen, daß sie im nachhinein "ergebnisorientiert" beschrieben wird. Sie läßt sich allerdings auch nicht widerlegen, zumal sich nach der Erklärung des Kammervorsitzenden des Verwaltungsgerichts dieses "keine konkreten Vorstellungen" darüber gemacht hat, wo der vorbehaltene Widerruf erklärt werden sollte. Derartige Vorstellungen sind mithin bei Abschluß des Prozeßvergleiches nicht geäußert worden oder sonstwie hervorgetreten. Damit erscheint auch eine Bewertung ausgeschlossen, daß die Prozeßbevollmächtigten der Kläger das "Schweigen" des Vergleichs insoweit nach Treu und Glauben wegen der bestehenden Übung bei Gericht im Sinne der Vorstellungen der Beklagten hätten verstehen müssen (§§ 133, 157 BGB).
3. Damit ist entscheidungserheblich, ob der Widerruf innerhalb der Frist auch ohne eine entsprechende Vereinbarung wirksam dem Gericht gegenüber erklärt werden konnte.
Das ist zu bejahen.
a) Der Senat geht mit der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in Schrifttum zunächst davon aus, daß der Prozeßvergleich nach § 106 VwGO "Doppelnatur" hat. Er ist einmal ein (öffentlich-rechtlicher) Vertrag nach § 55 VwVfG, mit dem die materiell-rechtlichen Streitfragen durch Vereinbarung geregelt werden. Zum anderen ist er Prozeßhandlung, da mit ihm das gerichtliche Verfahren unmittelbar beendet wird (vgl. zum Meinungsstand insoweit Kopp, aaO, RdNr. 5 zu § 106).
Wegen seiner Doppelnatur kann der Prozeßvergleich unter Bedingungen abgeschlossen werden, so auch, wie vielfach üblich und hier geschehen, unter dem Vorbehalt des Widerrufs. Das bedeutet, daß er zwar mit Abschluß wirksam wird, daß von ihm jedoch innerhalb einer bestimmten Frist noch zurückgetreten werden kann.
b) Während die Doppelnatur der zu einem Prozeßvergleich führenden Erklärungen der Beteiligten bei einem Abschluß vor Gericht nach § 106 Satz 1 VwGO "nach außen" hin nicht besonders hervortritt, die Erklärungen vielmehr uno actu beide "Naturen" aufweisen, ohne daß dies besonders erklärt zu werden braucht, wird die Doppelnatur für den Rücktritt (Widerruf) zum Problem. Denn die Beteiligten stehen sich dann regelmäßig - wie auch vorliegend - nicht mehr im Beisein des Gerichtes gegenüber, sondern agieren getrennt und von außerhalb. Ihre aus dieser Position abgegebenen Erklärungen decken nicht mehr "automatisch" beide Ebenen ab. Welcher Ebene sie jeweils zuzuordnen sind, bedarf der Auslegung. Gegebenenfalls muß auch ein Rangverhältnis zwischen beiden Ebenen hergestellt werden, um sich widersprechende Ergebnisse auszuschließen.
Das Reichsgericht (Urt. v. 26. 9. 1939 - VII 14/39 -, RGZ 161, S. 253) und ihm für den Verwaltungsprozeß folgend das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 15. 1. 1960 - VII C 91.58 -, BVerwGE 10, S. 110) haben den möglichen Konflikt dahingehend aufgelöst, daß sie den Widerruf (allein) dem sachlich-rechtlichen Teil des Prozeßvergleichs zugerechnet haben, weil der Widerruf in erster Linie die Wirksamkeit der Vereinbarung betreffe, von welcher alles weitere abhänge. Infolgedessen sei der Widerruf eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die gemäß § 130 BGB innerhalb der vorbehaltenen Frist dem Vergleichspartner zugehen müsse. Zwar stehe es den Vergleichsparteien frei, die Erklärung des Widerrufs gegenüber dem Gericht zu vereinbaren. Sei eine derartige Vereinbarung jedoch nicht getroffen, verbleibe es beim Erfordernis des Zugangs beim Vergleichsgegner.
Besonders das Reichsgericht (aaO, S. 255) hat deutlich angesprochen, daß damit die "verfahrensrechtliche Seite" der Prozeßfortdauer noch nicht erklärt ist. Es hat dazu gemeint, daß dies gleichwohl "den Widerruf selbst zu keiner verfahrensrechtlichen Parteihandlung" mache. Als solche könne, wenn nicht der Widerruf vereinbarungsgemäß dem Prozeßgericht gegenüber erklärt werden solle, "nur die Anzeige der Ausübung und der darin zu findende Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung angesehen werden".
Wendet man diese vom Bundesverwaltungsgericht (aaO) übernommene Auffassung auf den vorliegenden Fall an, wäre es erforderlich, aber auch ausreichend gewesen, den Widerruf innerhalb der Frist den Klägern bzw. ihren Bevollmächtigten mitzuteilen, ohne daß für die davon abhängige, mithin nicht konstitutive "Anzeige der Ausübung des Widerrufs" gegenüber dem Verwaltungsgericht eine Frist bestand.
c) Der Senat hält diese Sicht für jedenfalls auf den Verwaltungsprozeß nicht übertragbar.
aa) Es erscheint bereits zweifelhaft, die Ermittlung des richtigen Widerrufsadressaten gleichsam blind nach der Zuordnung zu einem isoliert betrachteten materiellen Teil des Vergleichs vorzunehmen und die prozessuale Seite von vornherein als nachgeordnet bzw. "sekundär" (BAG, Urt. v. 22. 4. 1960 - 5 AZR 494/59 -, NJW 1960, S. 1364) anzusehen. Ausgangspunkt muß vielmehr sein, was die Vertragspartner verständigerweise wollen, wenn sie von "dem Widerruf des Vergleichs" mit der jedenfalls auch beabsichtigten Folge der Prozeßfortführung sprechen. Ob diesem Willen ein Ergebnis gerecht wird, das "den" Widerruf in zwei erforderliche Erklärungen aufspaltet, von denen trotz Fristvereinbarung bei Gericht die prozessuale Seite lediglich deklaratorisch ist und deshalb unbefristet abgegeben werden kann, erscheint fraglich. Dem Parteiwillen entspricht es in solchen Fällen eher, die Information des Gerichts über die begehrte Fortführung des Prozesses, wie immer diese rechtlich zu qualifizieren sein mag, als jedenfalls diejenige Erklärung anzusehen, die innerhalb der vereinbarten Frist eingehen soll und von der die weiter beabsichtigten Rechtswirkungen abhängig sind. Dem würde die Zuordnung des Widerrufs als auf den materiell-rechtlichen Teil des Prozeßvergleiches zielend nicht widersprechen.
bb) Für entscheidend hält der Senat es jedenfalls, daß der Ansatz des Reichsgerichtes mit den besonderen Grundsätzen des Verwaltungsstreitverfahrens nicht in Einklang steht.
Dies sieht im Ausgangspunkt auch das Bundesverwaltungsgericht, wenn es (aaO, S. 111) ausführt: "... Zwar ist es richtig, daß sich das Verwaltungsstreitverfahren vom Zivilprozeß unter anderem durch den Amtsbetrieb unterscheidet. Das hat zur Folge, daß im Verwaltungsstreitverfahren alle Erklärungen gegenüber dem Gericht abzugeben sind, und daß für die Wahrung von Fristen der Eingang bei Gericht maßgebend ist".
Anstatt hieraus jedoch die dogmatischen Konsequenzen zu ziehen, wird in der Entscheidung lediglich konstatiert: "Dieser Umstand ist jedoch belanglos in Anbetracht der Tatsache, daß der Widerruf zum sachlich-rechtlichen Teil des Prozeßvergleichs gehört ....".
Der erkennende Senat sieht an dieser Stelle die im Ansatz zutreffenden Überlegungen vorschnell abgebrochen. Er führt sie abweichend davon folgendermaßen fort: Da in Verfahren nach der VwGO, anders als in denen nach der ZPO, alle gewillkürten Prozeßerklärungen wie etwa Klageerhebung, Klagerücknahme, Klageänderung, Erledigungserklärung oder Abschluß eines Prozeßvergleiches (vgl. neuerdings und dies bestätigend auch § 106 Satz 2 VwGO), dem Gericht gegenüber abzugeben sind und der Widerruf eines Prozeßvergleichs jedenfalls wegen der fortbestehenden oder neu begründeten Rechtshängigkeit der Streitsache auch eine Prozeßerklärung beinhaltet, kann für ihn nichts anderes gelten. Dies ergibt sich im Gegenschluß aus § 106 VwGO. Ein Prozeßvergleich, der nur vor Gericht oder durch Erklärungen gegenüber dem Gericht wirksam abgeschlossen werden kann, kann auch nur auf diese Weise wirksam widerrufen werden (so im Ergebnis ebenfalls Kopp, aaO, RdNr. 17 zu § 106; Eyermann-Fröhler, VwGO, 9. Aufl., RdNr. 10 zu § 106, jeweils m.w.Nachw.).
Andernfalls könnte etwa der Fall eintreten, daß das Gericht nicht in der Lage wäre, festzustellen, ob ein Verfahren - wegen eines inzwischen beim Gegner eingetroffenen Widerrufs, dessen Zugang dieser aber nicht verlautbart - noch rechtshängig ist oder daß über die Rechtshängigkeit - etwa bei Bestreiten des Zugangs durch einen Beteiligten - gar Beweis erhoben werden müßte. Derartiges erscheint als mit dem in der VwGO durchgehend verwirklichten Amtsgrundsatz schlechthin unvereinbar. Eine prozessuale Deutung, die solche Situationen ermöglicht, kann deshalb nach Auffassung des Senates nicht richtig sein.
Daß die Widerrufserklärung zugleich auch die oben beschriebene materiell-rechtliche Funktion hat, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, die Modalitäten einer "Vertragsauflösung" unter bestimmten Umständen dem Parteiwillen zu entziehen, wenn übergeordnete Gesichtspunkte dies gebieten. Die Auslegung steht schließlich auch mit § 130 BGB in Einklang, wie dessen Absatz 3 zeigt.
4. Der Senat macht von der ihm nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegebenen Möglichkeit Gebrauch, die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, weil dieses noch nicht in der Sache selbst entschieden hat. Eine "Durchentscheidung" in der Berufungsinstanz war nicht sogleich möglich, weil die Entscheidung maßgeblich von den örtlichen Verhältnissen im Umfeld der Discothek abhängt, welche noch nicht näher aufgeklärt sind.
Dem materiell letztlich noch offenen Ausgang des Verfahrens entspricht die Kostenentscheidung.
Im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Revision ist das zurückverweisende Urteil allerdings ein Endurteil (Kopp, aaO, RdNr. 8 zu § 130). Die Revision ist hier nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen, weil das Urteil, wie dargelegt, von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Kalz
Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Rettberg ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert.
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Richter am Verwaltungsgericht Dr. Vetter ist wegen Rücktritts an das Verwaltungsgericht an der Unterschrift verhindert.
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