Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 02.02.2009, Az.: 1 A 9/08
Beamte; Fürsorgepflicht; Heilfürsorge, freie; Reaktivierung; Landesdienst; Ruhestandsbeamter; Ruhestandsbeamtenverhältnis; Dienstzeit, aktive; Treu und Glauben; venire contra factum proprium; Vor- und Fürsorge
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 02.02.2009
- Aktenzeichen
- 1 A 9/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 44436
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2009:0202.1A9.08.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
Tatbestand
Der Kläger erstrebt die Gewährung freier Heilfürsorge.
Er wurde zum Ablauf des Monats November 1995 wegen Dienstunfähigkeit - Herzmuskelentzündung - in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. 1997 wurde seine Ehe geschieden. Im August 1998 beantragte er nach seiner Gesundung seine Reaktivierung, was damals jedoch von der Beklagten aus zwingenden dienstlichen Gründen abgelehnt wurde. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg (Urteil der Kammer vom 10. September 2002 und Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 12.1.2004 - 5 LB 357/03 ).
Der Kläger beantragte auf der Grundlage dieser verwaltungsgerichtlichen Urteile nochmals seine Reaktivierung. Durch Bescheid vom 4. Juni 2004 wurde dieser Antrag wiederum abgelehnt - dieses Mal mit der Begründung, der Kläger sei aus anderen Gründen als zuvor polizeidienstuntauglich. Auch die hiergegen gerichtete Klage hatte auf der Grundlage der von der Kammer eingeholten medizinischen Gutachten Erfolg (Urteil der Kammer vom Urteil vom 20.7.2007 - 1 A 302/04).
Hierauf wurde der Kläger am 31. August 2007 durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde reaktiviert. Er nahm am 3. September 2007 seinen aktiven Polizeidienst in der Polizeiinspektion X wieder auf. Hierbei wurde ihm jedoch erklärt, dass er keinen Anspruch mehr auf eine freie Heilfürsorge habe, da diese nur Personen zustünde, die bereits seit dem 31. Januar 1999 im Landesdienst stünden. Das sei beim Kläger nicht der Fall, da seine Reaktivierung als erstmalige Einstellung zu betrachten sei. Folglich müsse sich der beihilfeberechtigte Kläger noch privat versichern, was Kosten von ca. 220,- EUR mtl. verursache.
Nach weiterem Schriftverkehr erhob der Kläger am 22. Januar 2008 bei der Kammer eine Untätigkeitsklage, zu deren Begründung er vorträgt, er sei mit seiner Reaktivierung zum September 2007 nicht erstmalig iSd § 224 Abs. 2 NBG eingestellt worden, sondern sein Beamtenverhältnis habe schon lange vor dem maßgeblichen Stichtag (31.1.1999) bestanden. Seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand habe im Jahre 1995 lediglich sein aktives Beamtenverhältnis in ein vorläufiges Ruhestandsverhältnis umgewandelt, dem die Reaktivierungsmöglichkeit immanent gewesen sei. Den Status eines Beamten im Dienste des Landes habe er behalten. Auch aus einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der dienstherrlichen Fürsorgepflicht habe er einen Anspruch auf Heilfürsorge, da die Verweigerung der von ihm beantragten Reaktivierung - wie die verwaltungsgerichtlichen Urteile zeigten - rechtswidrig gewesen sei. Bei einer Rechtstreue der damaligen Bezirksregierung wäre er schon aufgrund seines Antrages vom 10. August 1998 zu reaktivieren gewesen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger nach erfolgter Reaktivierung freie Heilfürsorge gem. § 224 Abs. 2 NBG zu gewähren und
- 2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, dem Kläger ab dem Monat September 2007 freie Heilfürsorge zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, ein vorläufiges Ruhestandsbeamtenverhältnis gebe es nicht, sondern nur ein Beamtenverhältnis und ein Ruhestandsverhältnis, wobei das Beamtenverhältnis gem. § 35 Abs. 2 NBG durch Eintritt in den Ruhestand ende. Somit sei maßgeblich, dass der Kläger 1995 in den Ruhestand versetzt worden sei. Ein ununterbrochenes Beamtenverhältnis, wie es § 224 Abs. 2 NBG voraussetze, habe beim Kläger nicht existiert. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Gewährung freier Heilfürsorge ab September 2007, da es insoweit an einem Verschulden fehle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg.
1. Zulässig ist die Klage, da die 3-Monatsfrist verstrichen ist, also eine Bescheidung ohnehin erst nach Ablauf der Frist in Betracht käme. Zudem hat sich die Beklagte damit einverstanden erklärt, dass ihre Klageerwiderung vom 10. März 2008 als Bescheidung des Klägers gewertet werden soll (Schr.v. 22.4.2008). Damit ist die Klage in vollem Umfang zulässig - unabhängig davon, ob ein Vorverfahren durchgeführt worden ist (Kopp/ Schenke, VwGO-Kommentar, 15. Aufl. § 75 Rdn. 23).
2. Die Klage ist auch begründet.
2.1 Der Kläger befand sich vor dem 31. Januar 1999 in einem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Lande Niedersachsen. Dieses endete nicht etwa durch die Versetzung in den Ruhestand, sondern es wandelte sich von einem aktiven Beamtenverhältnis um in ein nachwirkendes Ruhestandsverhältnis mit geminderten Pflichten. Vgl. insoweit VGH Mannheim, Urt.v. 14.9.2004 - 4 S 1438/03 -:
"Der Sache nach handelt es sich aber bei dem Eintritt in den Ruhestand nicht um ein schlichtes Erlöschen des Beamtenverhältnisses und die Neubegründung eines rechtlich selbständigen, versicherungsähnlichen Versorgungsverhältnisses, sondern um eine Umgestaltung des dem Grunde nach fortbestehenden gegenseitigen Treuverhältnisses unter Fortfall insbesondere der Dienstleistungspflicht. Das (aktive) Beamtenverhältnis wird somit durch das mit verringerten Rechten und insbesondere Pflichten verbundene Ruhestandsbeamtenverhältnis abgelöst und nur in diesem Sinne beendet (zu §§ 35 ff. BBG vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, Band 1, § 35 RdNrn. 2 ff.), was auch in der Bezeichnung als Beamtenverhältnis "auf Lebenszeit" als Regelfall eines Beamtenverhältnisses zum Ausdruck kommt (§ 3 I BRRG)."
Durch die Reaktivierung erstarkte es wieder zum aktiven Beamtenverhältnis. Selbstverständlich stand der Kläger damit fortlaufend und ununterbrochen - als Beamter auf "Lebenszeit" - in einem Beamtenverhältnis, wenn auch nicht in dem eines aktiven Beamten. Der im Zeitpunkt der Versetzung in den Ruhestand bestehende Anspruch auf freie Heilfürsorge lebte bei der Reaktivierung wieder auf, da der Kläger nicht etwa nach dem maßgeblichen Stichtag 31.1.1999 erstmalig in ein Beamtenverhältnis zum Lande Niedersachsen neu eintrat. Erforderlich - aber auch ausreichend - ist nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nämlich nur, dass der Kläger "im Dienst des Landes Niedersachsen" stand. Die Art dieses Dienstverhältnisses ist in § 224 Abs. 2 NBG nicht näher festgelegt und umschrieben. Damit reicht für die rechtliche Fortwirkung der Heilfürsorgeberechtigung schon irgendein Dienstverhältnis zum Lande Niedersachsen aus - gleichgültig, welcher Art es ist. Auch ein solches als Ruhestandsbeamter - auf dem Hintergrund eines Lebenszeitverhältnisses - stellt sich damit als ein "Dienstverhältnis" im Sinne des § 224 Abs. 2 NBG dar.
Untermauert wird das, wenn § 224 Abs. 2 Nr. 2 NBG in den Blick genommen wird: Im Falle der Versetzung von einem anderen Dienstherrn wird - zu Gunsten des betroffenen Beamten - der vor seiner Versetzung beim anderen Dienstherrn bereits erworbene Heilfürsorgeanspruch "angerechnet" und vom Lande Niedersachsen sozusagen "fortgeführt". Nichts anderes kann im Falle des Klägers gelten, der seinen Heilfürsorgeanspruch sogar im Lande Niedersachsen selbst erworben hat und seitdem ununterbrochen - als Beamter auf "Lebenszeit" - jedenfalls in dessen Diensten stand, wenn auch nicht als aktiver, sondern als Ruhestandsbeamter mit entsprechend geminderten Pflichten.
Auch die im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen und den Heilfürsorgeanspruch nicht tangierenden Urlaubs- und Elternzeiten, welche eine Zäsur und Unterbrechung der aktiven Dienstzeit darstellen, sprechen dafür, die Zeit eines aktiven Dienstes hinter dem Fortbestehen jedenfalls einer - wenn auch hinsichtlich der Pflichten gelockerten - Dienstzeit zurücktreten zu lassen, also im Rahmen des § 224 NBG allein auf das Bestehen einer wie auch immer gearteten "Dienstzeit" zum Lande Niedersachsen abzustellen. Eine so verstandene Dienstzeit aber hat beim Kläger als Lebenszeitbeamten jedoch unstreitig ohne jede Unterbrechung fortlaufend bestanden.
2.2 Zudem ist nach den ergangenen Urteilen der Kammer klargestellt, dass die Verweigerung der vom Kläger beantragten Reaktivierung eindeutig gegen die einschlägigen Reaktivierungsvorschriften verstieß und somit rechtswidrig war. Wenn die Beklagte insoweit jetzt das Fehlen eines Verschuldens in den Raum stellt, so ist festzustellen, dass die Rechtswidrigkeit regelmäßig auch ein Verschulden indiziert - es sei denn, es liegen Schuldausschließungsgründe vor. Gründe jedoch, die das indizierte Verschulden ausschließen, sind hier nicht erkennbar. Vielmehr war die Berufung auf "zwingende dienstliche Gründe" iSv unabweisbaren Gründen des Dienstbetriebes, die eine Reaktivierung ausgeschlossen hätten, in gar keiner Weise tragfähig, wie die Gründe des Urteils der Kammer vom 10. September 2002 - 1 A 314/01 - in aller Deutlichkeit belegen (S. 8 d. gen. Urteils): Mit einem "allgemein gehaltenen Unwerturteil" zur Person des Klägers sind die Besonderheiten des Wiederverwendungsanspruchs aus § 59 Abs. 2 NBG seitens der Beklagten verkannt und missachtet worden (S. 6 des gen. Urteils). Es ist im gen. - rechtskräftigen - Urteil betont worden, dass die Behörde den Reaktivierungsanspruch "nicht mit einem Eignungsmaßstab unterlaufen" kann und darf, der von der Eignung des Beamten in aktiver Zeit abweicht, sie also nicht etwa auf solche Vorschriften zurückgreifen darf, die bei der Reaktivierung nun gerade nicht mehr einschlägig sind. Die Besonderheit des Ruhebeamtenverhältnisses ist dabei schon damals - wie jetzt auch - nicht in den Blick genommen und sachlich-rechtlich beachtet worden. Es ist mehr nach einem "allgemeinen Gefühl" (S. 7 unten d. gen. Urteils) statt nach rechtlichen Maßstäben einschließlich anerkannter Milderungsgründe (Pkt. 4 des gen. Urteils) vorgegangen worden. Unter solchen Umständen bedarf es nicht noch besonderer Gründe des Verschuldens. Vielmehr sind Schuldausschließungsgründe zu Gunsten der Beklagten nicht ersichtlich.
2.3 Schließlich ist das Verhalten der beklagten Polizeidirektion als ein venire contra factum proprium, als Verstoß gegen Treu und Glauben und den Grundsatz der Vor- und Fürsorge des Dienstherrn zu werten: Die langjährig be- und verhinderte, ja strikt unterbundene Reaktivierung des Klägers kann diesem im vorliegenden Zusammenhang nun nicht gerade von der Beklagten vorgehalten werden, die eben jene Reaktivierung und damit den aktiven Polizeidienst des Klägers selbst über lange Zeit verhindert hat - u.zw. auf eindeutig rechtswidrige Weise (siehe dazu das ergangenen Urteil vom 10.9.2002 nebst Beschluss des Nds. OVG v. 12.1.2004 - 5 LB 357/03 - sowie das Urteil vom 20.7.2007 - 1 A 302/04 - zur rechtswidrigen Anwendung der PDV 300 im Falle der Reaktivierung). Diese rechtswidrig über viele Jahre erfolgte Ausgrenzung vom aktiven Polizeidienst kann vorliegend nicht noch als Begründung für die Versagung freier Heilfürsorge dienen, bei der es auf den Zeitpunkt 31. Januar 1999 ankommt. Das erschiene dem Kläger gegenüber als kafkaeskes und treuwidriges Verhalten gerade der Beklagten, die jene Ausgrenzung selbst bewirkt hat.
2.4 Zudem ist der Anspruch auf Heilfürsorge ein solcher, welcher der Fürsorgepflicht des Dienstherrn entspringt, nicht der Alimentationspflicht ( Nds. OVG v. 25.6.2002 - 5 LB 3648/01 -). Die Vor- und Fürsorge des Dienstherrn ist Grund und Ursprung der Gewährung einer freien Heilfürsorge ( BVerwGE 88, 337 [BVerwG 27.06.1991 - 2 C 17/90] ), durch die berufstypischen Erschwernissen begegnet werden soll. Fürsorge jedoch hätte erfordert, nach der langjährig rechtswidrigen Ausgrenzung des Klägers, nachdem sie als solche erkannt worden ist, Heilfürsorge im Rahmen berufstypischer Erschwernisse zu gewähren und nicht mit einer äußerst zweifelhaften Begründung (siehe oben 2.1) dem Kläger vorzuenthalten.
3. Die Heranziehung der heilfürsorgeberechtigten Beamten zu den Kosten der Heilfürsorge durch Auszahlung eines geringfügig gekürzten Grundgehalts, so wie das beim Kläger der Fall ist, verstößt letztlich nicht gegen höherrangiges Recht - jedenfalls dann nicht, wenn diese Beamten zwischen Heilfürsorge- und Beihilfeberechtigung wählen können ( BVerwG, NVwZ-RR 2004, 508 m.w.N.). Das ist hier gem. § 224 NBG der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.