Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 11.02.2009, Az.: 1 A 124/07
Kein Sachschadensersatz bei Fehlen schwerwiegender Gründe für die Nutzung des Fahrzeugs; Beamter; Sachschaden; Dienstunfall; Wegeunfall; schwerwiegende Gründe; Ermessen; Ermessensfehlgebrauch; Verhältnisse, örtliche; Verhältnisse, persönliche; Verkehrsmittel, öffentliches; Billigkeit; Fahrzeug, anerkannt privateigenes
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 11.02.2009
- Aktenzeichen
- 1 A 124/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 44440
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2009:0211.1A124.07.0A
Rechtsgrundlagen
- 31 BeamtVG
- 32 BeamtVG
- 32.1.8 BeamtVGVwV
- 114 VwGO
Tatbestand
Der Kläger begehrt anlässlich eines Dienstunfalls die Erstattung von Sachschaden (§ 32 BeamtVG).
Nach einem Verkehrsunfall vom 20. Juli 2006, der - gemeldet bei der Nds. Versorgungskasse in Hannover - durch Bescheid vom 28. August 2006 als Dienstunfall anerkannt wurde, nahm der Kläger den damals minderjährigen Unfallverursacher, einen Radfahrer, für den erlittenen Sachschaden (Totalschaden) an seinem Motorrad in Anspruch. Dieser hatte keine private Haftpflichtversicherung, so dass es zu einem Verfahren vor dem Amtsgericht L. kam (11 C 153/06), das mit einem Teil-Versäumnis- und Schlussurteil vom 28. Februar 2007 endete. Der Kläger leitete hierauf die Zwangsvollstreckung ein, die jedoch fruchtlos verlief (vgl. Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 6. Mai 2008).
Schon als sich zeigte, dass mit einer raschen Unfallregulierung nicht zu rechnen sei, wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 17. August 2006 an seinen Dienstherrn und machte Ansprüche "nach dem Beamtenversorgungsgesetz wegen des vorgenannten Dienstunfalls" geltend. Nach Abschluss des zivilrechtlichen Verfahrens beantragte er nochmals mit seinem Schreiben vom 11. April 2007 Sachschadensersatz.
Durch den angefochtenen Bescheid vom 27. April 2007 wies die Beklagte den Antrag zurück. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.7.2007).
Zur Begründung seiner am 24. August 2007 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, wie die zivilrechtliche Entscheidung zeige, liege auf seiner Seite ein Verschulden an dem Unfall nicht vor, so dass die Beklagte ihr Ermessen gem. § 32 BeamtVG nur noch zu seinen Gunsten ausüben könne. Denn im Falle eines Wegeunfalls, wie er hier vorliege, sei bei schwerwiegenden Gründen der Ersatz von Sachschäden an einem Kraftfahrzeug bzw. Motorrad auszugleichen. Solche Gründe seien hier aus persönlichen Verhältnissen, aber auch aus den örtlichen Verhältnissen ableitbar. Die bestehende Verkehrsverbindung sei keine "ideale" Verbindung und mache die Dienstvereinbarung über flexible Arbeitszeiten zunichte. Der Wesenskern der Fürsorgepflicht werde verletzt, wenn der entstandene Sachschaden nicht erstattet werde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 3 053,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. April 2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, schwerwiegende Gründe lägen hier nicht vor, da der Kläger nicht an wechselnden Dienstorten eingesetzt werde, sogar - wegen flexibler Arbeitszeiten - seinen Dienst nicht zu fest vorbestimmten Zeiten zu beginnen oder zu verlassen habe, nicht etwa eine Körperbehinderung aufweise und seinen Arbeitsplatz durchaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die nach dem Beschluss vom 5. November 2008 der Einzelrichter zu entscheiden hat (§ 6 Abs. 1 VwGO), ist unbegründet.
Im Rahmen des gesetzlich eingeräumten und an der Fürsorgepflicht des Dienstherrn orientierten Ermessens können - in den Grenzen sparsamer Mittelverwendung - Sachschäden ganz oder z.T. auf einen fristgebundenen Antrag hin erstattet werden (§ 32 BeamtVG), falls ein Dienstunfall iSv § 31 BeamtVG vorliegt und zwischen Unfall und Schaden ein kausaler Zusammenhang besteht. Dieses Ermessen soll sich nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes daran ausrichten, wie eng und nahe Amtstätigkeit und Sachschaden miteinander durch den Dienst verbunden sind.
Zwar liegt hier ein Dienstunfall gemäß § 31 BeamtVG vor, der einen Körperschaden (Prellungen, Hautabschürfungen, Bänderdehnung) herbeigeführt hat, auch besteht die erforderliche Kausalität zwischen Unfall und dem entstandenen Sachschaden (Totalschaden des Motorrades), aber die von der Beklagten im Rahmen ihres damit eröffneten Ermessens anzustellenden Erwägungen sind mit Blick auf den hier zu beurteilenden Wegeunfall frei von Ermessensfehlern (§ 114 VwGO) und nicht zu beanstanden.
1. Zunächst ist davon auszugehen, dass die Ausschlussfrist von 3 Monaten hier eingehalten wurde: Diese dient - auch im Interesse des Beamten - einer beschleunigten Sachverhaltsermittlung (Beweissicherung) zur Überwindung von bei Sachschäden bereits nach kurzer Zeit auftretenden Nachweisschwierigkeiten (BT-Drs. 14/7064, S. 35). Solche Schwierigkeiten entstehen idR unabhängig davon, ob noch ein (ggf. erfolgversprechender) Zivilprozess gegen einen Unfallbeteiligten geführt wird. Die Frist ist auch unabhängig davon zu beachten, ob noch gegen eine Versicherung ein Sachschaden geltend gemacht wird. Vielmehr ist der Beamte gehalten, seine (vermeintlichen) Ansprüche gegen den Dienstherrn in einem kurzen Zeitraum (von 3 Monaten) nach dem Unfallereignis geltend zu machen, damit der Dienstherr die spezifisch beamtenrechtlichen Gesichtspunkte und Ermessensgründe zeitnah prüfen und sachlich bewerten kann.
Das hat der Kläger aber hier getan: Er hat nicht nur eine Unfallanzeige (v. 2.8.2006) erstattet, was bereits am 7. August 2006 zu Überlegungen bei der Beklagten betr. Ersatz von Kfz-Schäden / Sachschäden führte, sondern er hat auch durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben v. 17. August 2006 ausdrücklich Ansprüche "nach dem Beamtenversorgungsgesetz", wenn auch unspezifiziert, angekündigt. Der Beklagten war angesichts der gesamten Sachlage und der vorhandenen Unterlagen aber klar, um welche Ansprüche es geht. Deshalb wurde dem Kläger, wie im Vermerk vom 7. August 2006 festgehalten, auch ausdrücklich mitgeteilt, es müsse "zunächst die Eintrittspflicht dem Grunde nach geklärt" werden. Ansprüche der Höhe nach, die von der Beklagten im Rahmen dienstherrlicher Fürsorge (einschließlich Hinweis- und Beratungspflichten) hätten an- und nachgefordert werden können, standen noch nicht im Raum. Die so erfolgte Geltendmachung von Versorgungsansprüchen war fristgerecht. Die dabei zunächst aufgeworfene Frage von Vorleistungen der Beklagten für ein Sachverständigengutachten ist zweitrangig: Der Kläger hat jedenfalls binnen 3 Monaten seine Ansprüche aus § 32 BeamtVG geltend gemacht.
2. Bei der Prüfung einer Ermessensentscheidung ist das Gericht darauf beschränkt zu prüfen, ob Ermessensfehler vorliegen. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn andere Lösungen - etwa im Hinblick auf ein Betriebsklima - zweckmäßiger gewesen wären, sondern nur, wenn und soweit rechtlich die Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Soweit ermessenslenkende Richtlinien bestehen, beschränkt sich die Prüfung - vorbehaltlich atypischer Fallgestaltungen - darauf, ob die Richtlinien eingehalten wurden und die sachlich maßgeblichen Erwägungen in den Richtlinien ermessensfehlerfrei zusammengestellt und so vorweggenommen worden sind. Das ist hier der Fall.
Insoweit sind, wie dem Rundschreiben des BMI (dort 2.1) vom 12. Februar 2007 (D II 3 - 223 211/2 -) zu entnehmen ist, nach wie vor die "Richtlinien für Billigkeitszuwendungen bei Sachschäden, die im Dienst entstanden sind" vom 10. Dezember 1964 ( GMBl. 1965, S. 395) prägend und für einschlägige Ermessensentscheidungen heranziehbar - wenngleich sie zunächst nur für solche Sachschäden anwendbar sein sollten, die unabhängig von einem Dienstunfall (mit entsprd. Körperschaden) entstanden sind, die also § 79 BBG zunächst einmal lediglich in dem Fall konkretisieren, dass es an einem Körperschaden fehlt (vgl. BVerwG, Beschluss v. 6.3.1986 - 2 C 37/84 -, NJW 1986, 2588 [BVerwG 06.03.1986 - BVerwG 2 C 37.84]). Nach diesen ermessenslenkenden Richtlinien soll in sachlicher Übereinstimmung mit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften zu § 32 BeamtVG (Tz. 32.1.8 BeamtVGVwV) Schadensersatz nur dann gewährt werden, wenn für die Benutzung des Fahrzeugs "schwerwiegende Gründe, vor allem dienstlicher Art, vorliegen". Die Unbestimmtheit der gen. "schwerwiegenden Gründe" wird in den Richtlinien wie auch in den Verwaltungsvorschriften aufgelöst durch dann näher dargestellte, beispielhaft genannte Gründe wie die "Eigenart des Dienstes (z.B. an mehreren Orten, Dienstbeginn oder Dienstende zur Nachtzeit)", die "örtlichen Verhältnisse (z.B. keine oder ungenügende Verkehrsverbindungen)" und die "persönlichen Verhältnisse (z.B. Körperbehinderung)". Hierauf ist im Widerspruchsbescheid hingewiesen worden (S. 3), darauf kann Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Dabei ist zu unterstreichen, dass es sich bei dem Motorrad des Klägers nicht um ein "anerkannt privateigenes Fahrzeug" gehandelt hat, das auf die Bitte der Beklagten hin für dienstliche Zwecke verwendet worden ist, sondern um ein reines Privatfahrzeug. Der Zusammenhang zwischen dem Dienst und dem Sachschaden ist somit in einem entscheidungserheblichen Maße stark gelockert. Unter diesen Umständen eines rein privaten Einsatzes seines Motorrades ist die "Eigenart des Dienstes" für die Nutzung des Motorrades nur noch begrenzt (im Sinne eines allgemeinen Wegeunfalls) bestimmend. Dazu hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid ausführlich unter Verweis darauf Stellung genommen, dass für die Mitarbeiter des "Fachbereichs Familie und Bildung" keine Verpflichtung bestehe, ihren Dienst etwa zu bestimmten Zeiten zu beginnen oder zu verlassen. Bei der Gestaltung ihrer "persönlichen Arbeitzeit" hätten sie nur die Öffnungszeiten des Fachbereichs "zu berücksichtigen". Somit sind aus der speziellen Eigenart des Dienstes keine schwerwiegenden Gründe iSd gen. Richtlinien herleitbar. Auch die persönlichen und örtlichen Verhältnisse geben keinen Anlass, schwerwiegende Gründe anzunehmen, zumal der Kläger seinen Arbeitsplatz nach den Berechnungen der Beklagten in ca. 45 Minuten erreichen kann, also nicht ein täglicher Mehraufwand von 2 Stunden gegeben ist, der u.U. erst unzumutbar sein könnte (vgl. Widerspruchsbescheid S. 3/4 / § 117 Abs. 5 VwGO).
Soweit der Kläger meint, es liege hier zu seinen Lasten ein Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch) vor, so ist das angesichts der Sach- und Rechtslage nicht nachvollziehbar: Der Zweck der hier einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nebst Richtlinien einschließlich der Wertentscheidungen der Verfassung ist von der Beklagten beachtet und umgesetzt worden. Die Beklagte hat die Gesichtspunkte des konkreten Falles sachlich behandelt und abgewogen. Daran ist gerichtlich nichts auszusetzen (§ 114 VwGO). Vgl. insoweit auch das Urteil d. VG Frankfurt v. 6.12.2004 - 9 E 1723/04 -:
"In der auf den Verwaltungsvorschriften gründenden Ermessenausübung sind der Beklagten ebenfalls keine Fehler unterlaufen, da die Erwägungen in den angefochtenen Bescheiden dem Zweck der jeweiligen Regelungen Rechnung tragen und auf die Konkretisierung der Leistungsvoraussetzungen bezogen sind. Die Bewertung der Zumutbarkeit einer Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel durch den Kläger beruht auf nachvollziehbaren Erwägungen, insbesondere angesichts des Umstandes, dass der Kläger seinen Wohnsitz in D. in Kenntnis der Lage seiner Dienststelle am Frankfurter Flughafen gewählt hat und die Wahl der Wohnung grundsätzlich nicht der Sphäre des Dienstherrn, sondern der Sphäre des Beamten zuzuordnen ist, wie sich aus § 74 Abs. 1 BBG ergibt.
Das Gericht ist nicht befugt, den Begriff der Unzumutbarkeit einer Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel für die Fahrten von der Wohnung zur Dienststelle und zurück wie einen unbestimmten Rechtsbegriff auszulegen und vor diesem Hintergrund die Entscheidung der Beklagten auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Die in den Verwaltungsvorschriften genannten Voraussetzungen für eine Gewährung von Sachschadensersatz sind Teil der Ermessensbetätigung des Dienstherrn. Die Konkretisierung derartiger allgemeiner Vorgaben für die Ermessensausübung im Einzelfall stellt keine gerichtlich überprüfbare Rechtsanwendung der jeweiligen "Bestimmung" in der Verwaltungsvorschrift dar. Es handelt sich vielmehr um eine ihrerseits als Ermessensbetätigung erfolgende Anwendung und Konkretisierung der Rahmenermessensanweisung in Gestalt der Verwaltungsvorschrift des BMI. Daher beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung der darauf bezogenen Entscheidungen der Beklagten auf das, was im Rahmen von § 114 VwGO i.V.m. § 40 VwVfG Anlass zu einer gerichtlichen Korrektur bieten kann. Die Bewertung der Zumutbarkeit einer Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel anstelle eines privaten Kraftfahrzeugs ist Teil dieser Zweckmäßigkeitserwägungen. Die dabei angestellten Überlegungen verlassen den Rahmen des § 32 BeamtVG ebenso wenig wie den des § 79 BBG."
Dahinstehen kann bei dieser Lage der Dinge, ob die in den Verwaltungsvorschriften zu § 32 BeamtVG enthaltene Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten im vorliegenden Fall greift. Vgl. dazu 32.1.9:
"Sachschäden, die infolge von Dienstunfällen an einem Kraftfahrzeug des Beamten entstehen, können im Einzelfall bis zum Betrage von 650 Deutsche Mark im Rahmen der nicht gedeckten Kosten ersetzt werden. Trifft den Beamten ein Verschulden an der Herbeiführung des Schadens, so ist die Tz 32.1.2 auf diesen Betrag anzuwenden."
Unmaßgeblich ist, dass offenbar nach § 21 der Satzung der NVK der Ersatz von Sachschäden bei Dienstunfällen ausgeschlossen ist (vgl. Schreiben des KSA v. 20.4.2007). Das hat für versorgungsrechtliche Ansprüche gem. § 32 BeamtVG keine Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.