Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.02.2024, Az.: 7 U 293/21

Schadensersatzforderung eines weiteren Falles im Dieselabgasskandal

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
28.02.2024
Aktenzeichen
7 U 293/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 12488
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2024:0228.7U293.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 22.07.2021 - AZ: 11 O 2437/20

Amtlicher Leitsatz

Die Behauptung der Beklagten, sich in einem Verbotsirrtum befunden zu haben, enthält die Behauptung, dass dieses für die Repräsentanten der Beklagten gelte, denn diese vertreten (repräsentieren) die Beklagte. Der Darlegung subjektiver Vorstellungen einzelner Mitarbeiter der Beklagten bedarf es nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass einem Verbotsirrtum entgegenstehende Umstände bekannt waren bzw. die Möglichkeit bestand, dass diese aufgrund eines Organisationsverschuldens nicht zur Kenntnis der relevanten Entscheidungsträger gelangt sind (OLG Stuttgart 28.09.2023 - 24 U 2616/22 folgend).

In dem Rechtsstreit
des Herrn H.-W. L.,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
gegen
die V. AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
hat das Oberlandesgericht Braunschweig - 7. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht X, den Richter am Oberlandesgericht Y und die Richterin am Oberlandesgericht Z am 28.02.2024 beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 22. Juli 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsrechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 22. Juli 2021 ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Berufungsstreitwert: Gebührenstufe bis 16.000.- €.

Gründe

1. Die Berufung des Klägers ist offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Insoweit wird zur Begründung zunächst auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 26.10.2023 Bezug genommen. Die Stellungnahme des Klägers vom 30.11.2023 vermag, auch mit den darin gestellten Hilfsanträgen, zu einer anderen Entscheidung nicht zu führen.

a) Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB besteht nicht.

aa) Wie in Ziff. I.2 des Hinweisbeschlusses ausgeführt, wendet sich die Berufung nicht weiter gegen die Ablehnung eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB wegen der Installation des OBD-Systems. Die Stellungnahme des Klägervertreters vom 30.11.2023 geht darauf nicht mehr ein.

bb) Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen der Prüfstands- oder Fahrkurvenerkennung mit Reduzierung der Abgasrückführung im gewöhnlichen Straßen-, aber nicht im Prüfstandsbetrieb besteht aus den in Ziff. I.3. des Senatsbeschlusses vom 26.10.2023 angeführten Gründen nicht. Abgesehen davon, dass der Klägervertreter mit seiner Stellungnahme vom 30.11.2023 schon nichts gegen die Feststellungen des Landgerichts und des Senats einwendet, dass der Kläger keine tragfähigen Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen hat (Ziff. I.3.a]-d] des Senatsbeschlusses, S. 1-4, Bl. 297-298R d.A.), fehlt es jedenfalls auch an der Darlegung der Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten. Denn diese hat unwidersprochen unter Bezugnahme auf Auskünfte des Kraftfahrtbundesamtes (i.f.: KBA) von Anfang an vorgetragen, in dem Fahrzeug sei zwar eine Fahrkurvenerkennung mit Leerung des NOx-Speicherkatalysators kurz vor Beginn des Prüfzyklus installiert; aber auch deren Deaktivierung führe nach den umfangreichen eigenen Untersuchungen des KBA nicht zu einer Überschreitung der Schadstoffgrenzwerte (Klagerwiderung S. 7-12, Duplik S. 6-9, Berufungserwiderung S. 17f u. Schriftsatz v. 27.12.2023 S. 7f, Bl. 89-94, 167-170, 348f u. 391f d.A.). Ist die Schaltung damit unstreitig nicht "grenzwertkausal", so genügt sie nicht, um dem Handeln der Beklagten ein sittenwidriges Gepräge i.S.d. § 826 BGB zu geben (BGH 10.12.2023 - VII ZR 412/21, in Juris Rz. 13-17 -; 06.11.2023 - VIa ZR 535/21, in Juris Rz. 10-13 -; 27.11.2023 - VIa ZR 1062/22, in Juris Rz. 9 -). Dies gilt dann wiederum nicht nur für den vom Kläger in erster Linie geltend gemachten "großen", sondern auch für den mit Schriftsatz vom 30.11.2023 hilfsweise verlangten "kleinen" Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB.

cc) Hinsichtlich des vom Kläger beanstandeten "Thermofensters" ist zunächst der Auffassung der Kammer beizutreten, wonach der Kläger dessen auf die im Prüfzyklus vorgeschriebenen +20 bis +30°C beschränkten Wirkungsbereich im streitgegenständlichen Fahrzeug angesichts des detaillierten Vortrags der Beklagten nur unsubstantiiert behauptet hat; danach ist von der von der Beklagten behaupteten Reichweite von -24 bis +70°C auszugehen und damit von einer solchen, die wegen Erfassung sämtlicher in Europa üblichen Außentemperaturen keine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 darstellt (Urteil des LG S. 8f Bl. 253f d.A.; Senatshinweis v. 13.07.2023 - 7 U 4/21, in Juris Rz. 3 -). Wie in Ziff. I.2 des Senatsbeschlusses vom 26.10.2023 ausgeführt, enthält die Berufungsbegründung des Klägervertreters keinen Angriff gegen die Ablehnung eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB durch das Landgericht, soweit der Kläger die Installation des "Thermofensters" beanstandet hat (S. 1 Bl. 297 d.A.). Darüber geht auch die Stellungnahme des Klägervertreters vom 30.11.2023 nicht hinaus.

Aber auch unabhängig davon hat das Landgericht zu Recht ausgeführt, dass ein Ersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB wegen der Installation eines "Thermofensters" mangels Darlegung von Anhaltspunkten, welche auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten deuten könnten, nicht besteht. Denn selbst wenn eine Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes über die Installation des "Thermofensters" zur Beeinflussung der Abgasrückführung anzunehmen wäre, wäre die Auslegung der Zulassungsvorschriften dahin, dass ein "Thermofenster" zulässig sei, nicht unvertretbar gewesen; dies steht dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit entgegen (BGH 19.01.2021 - VI ZR 433/19, in Juris Rz. 16-19 -; 09.03.2021 - in Juris Rz. 28 -; 13.07.2021 - VI ZR 128/20, in Juris Rz. 13 -; 15.09.2021 - VII ZR 3/21 und 101/21, in Juris jeweils Rz. 15 -; 16.09.2021 - VII ZR 190/20, in Juris Rz. 16 -; 23.09.2021 - III ZR 200/20, in Juris Rz. 22 -; 13.10.2021 - VII ZR 295/20, in Juris Rz. 15 -; 25.11.2021 - III ZR 202/21, in Juris Rz. 14f - und die obergerichtliche Rspr., vgl. nur OLG Köln 04.07.2019 - 3 U 148/18, in Juris Rz. 6 -; OLG Köln 02.04.2020 - 8 U 3/19, BeckRS 2020, 8398 Rz. 11f -; auch Senatsbeschlüsse v. 14.11.2022 - 7 U 323/21, 15.09.2023 - 7 U 3/23 - u. 17.10.2023 - 7 U 263/21 -, unveröff.). Dies gilt dann jedoch nicht nur für den mit der Berufungsbegründung geltend gemachten, sog. "großen", sondern auch für den mit der Stellungnahme vom 30.11.2023 hilfsweise geltend gemachten "kleinen" Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB.

b) Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB hat bereits das Landgericht zu Recht und durch die Berufung unangegriffen abgelehnt, wie in Ziff. I.1 des Hinweisbeschlusses vom 26.10.2023 erwähnt (S. 1 Bl. 297 d.A.).

c) Soweit es schließlich einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. Artt. 12, 18 RL 2007/46 (EG), Artt. 5 Abs. 2 S. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007, §§ 6, 27 EG-FGV wegen aller behaupteten Abschalteinrichtungen angeht, ist im Senatsbeschluss vom 26.10.2023 darauf hingewiesen worden, dass der Klägervertreter in der Berufungsbegründung die Ansicht des Landgerichts nicht weiter angegriffen hat, wonach derartige Ansprüche am fehlenden Individualschutzcharakter der genannten Zulassungsvorschriften scheiterten (Urteil S. 17 Bl. 262 d.A.). Soweit die Stellungnahme des Klägervertreters vom 30.11.2023 nunmehr dennoch dazu vorträgt, ist schon fraglich, ob dies nach der einmal erfolgten Bestimmung des Umfangs der Berufungsangriffe noch im Hinblick auf §§ 520 Abs. 1, Abs. 3 S. 2, 533 ZPO zulässig ist (vgl. Zöller / Heßler, ZPO, 35. Aufl., Rz. 29 zu § 520 m.w.N.). Aber auch wenn man davon zugunsten des Klägers ausgeht, führen die Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der darauf bezogenen Darlegungen des Klägervertreters zu keinem anderen Ergebnis.

aa) Den in erster Linie beanspruchten "großen" Schadensersatz gewähren §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. den europarechtlichen Zulassungsvorschriften auch nach den Urteilen des Bundesgerichtshofes vom 26.06.2023 nicht (vgl. für einen VW-Dieselmotor des Typs EA288 schon BGH 26.06.2023 - VIa ZR 335/21, in Juris Rz. 19-27 -).

bb) Aber auch ein Anspruch auf "kleinen" Schadensersatz, wie ihn der Kläger nunmehr in seiner Stellungnahme vom 30.11.2023 mittels Hilfs-Zahlungs- und -Feststellungsantrages geltend macht, besteht entgegen der Ansicht des Klägervertreters nicht. Der Klägervortrag dazu ist pauschal auf alle behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen bezogen; es werden nur gelegentlich Bezüge zum "Thermofenster" hergestellt (s. etwa S. 3f, 6, Bl. 315f, 318 d.A.). Nach den Ausführungen des Senats unter a) kommen jedoch lediglich Ansprüche wegen der Fahrkurvenerkennung und des "Thermofensters" in Betracht.

(1) Soweit sich das Klägervorbringen im Schriftsatz vom 30.11.2023 auf die Installation der Fahrkurvenerkennung bezieht, kann im Ergebnis dahinstehen, ob es sich dabei objektiv um eine unzulässige Abschalteinrichtung und damit einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 handelt oder nicht. Insbesondere kann offenbleiben, ob es für die Qualifizierung der Fahrkurvenerkennung als Abschalteinrichtung auf die Frage der Grenzwertkausalität ankommt. Denn selbst wenn man unterstellt, dass die Installation der Fahrkurvenerkennung die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 l.c. erfüllt, fehlt es schon aufgrund des unstreitigen Parteivortrags jedenfalls an einem Verschulden der Beklagten, weil sie sich im unvermeidbaren Verbotsirrtum darüber befand (s. Senatsbeschluss v. 26.10.2023 S. 4-6, Bl. 298R-299R d.A.). Die Stellungnahme des Klägervertreters vom 30.11.2023 ändert daran nichts.

(a) Die Beklagte hat einen Verbotsirrtum nach der Maßgabe der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.09.2023 (VIa ZR 1/23, in Juris Rz. 14) substantiiert dargelegt. Danach muss der Fahrzeughersteller vortragen, dass sich sämtliche verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befunden oder im Falle einer Ressourcenaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügt haben. Zwar hat die Beklagte nicht zu der Vorstellung einzelner ihrer Vertreter vorgetragen. Die Behauptung aber, dass sie sich in einem Verbotsirrtum befunden habe, enthält logisch zwingend die Behauptung, dass dieses für die Repräsentanten gilt, denn diese vertreten (repräsentieren) die Beklagte. Dies genügt nach Auffassung des Senats für die schlüssige Darlegung eines Verbotsirrtums; auf die Darlegung subjektiver Vorstellungen einzelner Mitarbeiter der Beklagten kommt es nicht an (OLG Stuttgart 28.09.2023 - 24 U 2616/22, in Juris Rz. 42-50 -; 28.09.2023 - 24 U 2616/22, in Juris Rz. 42-49 -; 29.11.2023 - 22 U 21/21, in Juris Rz. 83 -; OLG Karlsruhe 12.12.2023 - 14 U 268/22, in Juris Rz. 41-58, 68-86 -). Mit dem Oberlandesgericht Stuttgart ist der Senat der Auffassung, dass etwas Anderes nur dann zu fordern wäre, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass einem Verbotsirrtum entgegenstehende Umstände bekannt waren bzw. die Möglichkeit bestand, dass diese aufgrund eines Organisationsverschuldens nicht zur Kenntnis der relevanten Entscheidungsträger gelangt sind (OLG Stuttgart a.a.O.). So nimmt denn auch die absolut herrschende Meinung der Oberlandesgerichte zur Fahrkurvenerkennung ebenso wie zum sog. "Thermofenster" (s. dazu noch unten) einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des jeweiligen Fahrzeugherstellers auch ohne Fokussierung auf einen bestimmten Verantwortlichen oder Mitarbeiter an (so außer den soeben genannten auch OLG Bamberg 31.05.2023 - 10 U 123/22, in Juris Rz. 11 -; 31.07.2023 - 2 U 52/22, in Juris Rz. 33-37 -; 31.10.2023 - 1 U 321/22 e, in Juris Rz. 30-34 -; OLG Celle 18.10.2023 - 7 U 67/23, in Juris Rz. 78-117 -; OLG Dresden 12.09.2023 - 4 U 1689/22, in Juris Rz. 26-28 -; OLG Frankfurt / M 23.12.2022 - 4 U 272/21, in Juris Rz. 72f -; 02.11.2023 - 5 U 102/22, in Juris Rz. 20-26 -; OLG Hamm 02.08.2023 - 30 U 23/21, in Juris Rz. 77, 92-96 -; 01.09.2023 - 30 U 78/21, in Juris Rz. 99-101 -; 15.09.2023 - 7 U 94/20, in Juris Rz. 42f -; OLG Koblenz 31.08.2023 - 1 U 316/23, in Juris Rz. 65-79 -; 29.09.2023 - 3 U 191/23, in Juris Rz. 22-24 -; OLG Köln 10.01.2023 - 19 U 66/22, in Juris Rz. 12-19 -; 26.07.2023 - 3 U 96/22, in Juris Rz. 16-28 -; 31.08.2023 - 8 U 52/22, in Juris Rz. 25-31 -; OLG Naumburg 10.12.2021 - 8 U 63/21, in Juris Rz. 7-9 - unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung dieses Senats; Senatsurteil v. 11.10.2022 - 7 U 159/21, in Juris Rz. 75 -, bestätigt durch BGH 08.05.2023 - VIa ZR 1561/22, zit. n. Juris -; OLG Schleswig 02.11.2023 - 10 U 8/23, in Juris Rz. 30-35 -; im Ergebnis auch OLG Schleswig 14.12.2023 - 17 U 49/23, in Juris Rz. 31-34 -: Keine Fahrlässigkeit).

Die Auffassung einzelner Senate des Oberlandesgerichts Karlsruhe, es bedürfe - wohl stets - des Vortrages, dass und ob sich der Vorstand oder einzelne Mitglieder des Vorstands, vor allem die für die Motorenentwicklung und für die Rechtsabteilung zuständigen, konkrete Vorstellungen über die Zulässigkeit der fraglichen Schaltung gemacht hätten, die Grundlage für einen Irrtum sein könnten (OLG Karlsruhe 22.08.2023 - 8 U 86/21, in Juris Rz. 146 -; 03.11.2023 - 8 U 104/21, in Juris Rz. 44-60 -; ähnlich OLG Karlsruhe 14.12.2023 - 4 U 32/22, in Juris Rz. 55-73 -), geht in diesem Zusammenhang deutlich zu weit. Bei der Unkenntnis von der Unzulässigkeit der Fahrkurvenerkennung handelt es sich um eine negative Tatsache. Deren Darlegung kann nur verlangt werden, wenn und soweit sie zumutbar ist (vgl. BGH NJW-RR 1996, 1211 [BGH 20.05.1996 - II ZR 301/95] - in Juris Rz. 4-9 -). Dieses ist aber jedenfalls dann nicht der Fall, wenn Ermittlungen der Beklagten gegenüber einzelnen Personen im eigenen Hause nicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Erkenntnissen führen können, die eine Kenntnis bzw. begründete Zweifel von der Unzulässigkeit einer bestimmten Schaltung der Motorsteuerung möglich erscheinen lassen.

So liegt der Fall hier, weil bereits eine Gesamtschau unstreitiger Umstände die Überzeugung des Senats gemäß § 286 ZPO begründet, dass die Beklagte jedenfalls bis zu den bekannten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs stets, also auch zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses, von der Zulässigkeit nicht grenzwertkausaler Abschalteinrichtungen ausgegangen ist. In diesem Rahmen sind folgende Umstände zu berücksichtigen:

- Die Beklagte hat senatsbekannt in den hiesigen Verfahren des Abgasskandals, so auch im vorliegenden, stets vorgetragen, der Einsatz der Fahrkurvenerkennung sei zulässig, weil sie zur Einhaltung des gesetzlichen Grenzwertes für den Stickoxydausstoß nicht benötigt werde.

- Es ist unstreitig, dass die Beklagte auf freiwilliger Basis die Fahrkurvenerkennung dem Kraftfahrtbundesamt seit Oktober 2015 offengelegt hat und dieses sodann keine Beanstandungen geltend machte.

- Zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs (14.01.2013, Anlagenband Kl. Anlage K1) existierte keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder des Bundesgerichtshofs, die die Zulässigkeit der Fahrkurvenerkennung in Zweifel gezogen oder gar explizit verneint hätte. Im Gegenteil hat der Europäische Gerichtshof, wie ausgeführt, noch in seinen Entscheidungen vom 14.07.2022 maßgeblich darauf abgestellt, ob erst die installierte Abschalteinrichtung zur Einhaltung des gesetzlichen NOx-Grenzwerts führt oder nicht (EuGH 14.07.2022 - C-128/20, in Juris Rz. 47 -; C-134/20, in Juris Rz. 81 -).

Soweit der Klägervertreter auf Warnungen der Zuliefererfirma B. betreffend die Zulässigkeit temperaturabhängiger Umschaltung vom Prüfmodus in den realen Straßenmodus verweist (Stellungnahme v. 30.11.2023 S. 7, Bl. 319 d.A.), erweist sich der Vortrag als substanzlos. Es ist schon nicht erkennbar, ob die Unterlagen überhaupt den Motor EA 288 betreffen, ob ein Motorsteuerungsgerät der Firma B. auch im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist und wie die genannten Applikationen von Seiten der Beklagten tatsächlich bedatet worden sind (vgl. OLG Hamm 11.05.2023 - 34 U 110/22, BeckRS 2023, 12831 Rz. 42 -, OLG Bamberg 25.07.2023 - 3 U 213/22, BeckRS 2023, 22939 Rz. 39 -, OLG Celle 18.10.2023 - 7 U 67/23, BeckRS 2023, 29170 Rz. 47 -).

Soweit der Klägervertreter weiter darauf abstellen möchte, dass die Beklagte das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17.09.2002 - C-253/00 - habe kennen müssen (Stellungnahme S. 7 Bl. 319 d.A.), ist weder vorgetragen noch ersichtlich, warum die Beklagte diese Entscheidung auf einem gänzlich anderen Sachgebiet bei Entwicklung der streitgegenständlichen Motorsteuerung bis zum Kaufvertragsschluss des Klägers im Jahre 2013 hätte kennen müssen. Es handelt sich um eine Vorlage eines britischen Gerichts betreffend eine Konkurrentenklage wegen Missachtung europarechtlicher Qualitätsnormen für Obst und Gemüse (EuGH 17.09.2002 - C-253/00, in Juris Rz. 17-24 -).

Auch der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vor dem Bekanntwerden der Abgasmanipulationen am Motorenaggregat EA189 erworben wurde, ändert nichts an der Überzeugung des Senats, dass die Beklagte von der Zulässigkeit nicht grenzwertkausaler Abschalteinrichtungen ausging. Der Schluss von einer im Motorenaggregat EA189 vorhandenen Abschalteinrichtung auf eine solche im Nachfolgeaggregat EA288 verbietet sich (OLG Hamm 22.01.2021 - 13 U 194/20, in Juris Rz. 54 -; OLG Dresden 04.12.2020 - 9a U 2074/19, in Juris Rz. 30 -; OLG Stuttgart 19.01.2021 - 16a U 196/19, in Juris Rz. 54 -); nichts Anderes kann dann auf der subjektiven Ebene gelten. Im Übrigen erlauben im Rahmen der Tatsachenwürdigung auch die vorgenannten, zeitlich nach dem Erwerb vorhandenen Umstände den Rückschluss auf die zu einem früheren Zeitpunkt vorhandene Unkenntnis über die - unterstellte - Unzulässigkeit der Fahrkurvenerkennung.

Vor diesem Hintergrund ist es für die Beklagte unzumutbar, zur Unkenntnis jedes einzelnen für eine Kenntnis von der Unzulässigkeit von Thermofenstern in Betracht kommenden Mitarbeiters vorzutragen, ohne konkrete Anhaltspunkte für eine entsprechende Kenntnis zu haben. Dies gilt umso mehr, als dabei nicht nur zu den Repräsentanten vorzutragen wäre, sondern zu jedem Mitarbeiter, der Kenntnis von einer Unzulässigkeit von Thermofenster hätte haben können und berichtspflichtig war oder hätte sein müssen, wenn die Beklagte ihren Organisationsverpflichtungen nachgekommen wäre. Ferner wären die Untersuchungen zu den verfahrensspezifischen und jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten anzustellen. Bei Fehlen jedweder Anhaltspunkte für ein Verbot auch von Abschalteinrichtungen, welche die Einhaltung der Grenzwerte unberührt lassen (= nicht grenzwertrelevant sind), in der Zeit von der Konstruktion des streitgegenständlichen 1,6-l-EA288-EU5-Dieselmotors bis zum Kauf des Klägers im Januar 2013 kann auch nicht erwartet werden, dass die Beklagte dezidiert vorträgt, welcher ihrer Verantwortlichen und / oder Mitarbeiter sich konkret darüber Gedanken gemacht haben und zum Ergebnis gekommen sein soll, dass die Schaltung zulässig, weil nicht grenzwertrelevant sei.

(b) Der Senat ist nach § 286 ZPO auch davon überzeugt, dass der Verbotsirrtum unvermeidbar war. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 kann ein entlastend wirkender, unvermeidbarer Verbotsirrtum vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte (BGH a.a.O., Rn. 63). Ausreichend ist, dass bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde, hier also dem Kraftfahrtbundesamt, die Auffassung der Beklagten bestätigt worden wäre (sog. hypothetische Genehmigung, BGH a.a.O. - in Juris Rz. 65 -). Hierauf darf aufgrund von Indizien, insbesondere auch aufgrund einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO geschlossen werden (BGH a.a.O. - in Juris Rz. 67 -).

Solche Indizien sind im vorliegenden Fall unstreitig. So ist unstreitig, dass das KBA die Fahrkurvenerkennung auch nach der von der Beklagten seit Oktober 2015 erlangten Kenntnis von deren Installation nicht beanstandet hat, weil es davon ausging, dass nicht grenzwertkausale Abschalteinrichtungen auch nach Art. 5 Abs. 2 S. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 zulässig seien. Entsprechend heißt es in einer Auskunft des KBA gegenüber dem Oberlandesgericht Stuttgart vom 13.11.2021, auf die sich die Beklagte im vorliegenden Fall von Anfang an berufen hat und die aus Parallelverfahren auch senatsbekannt ist:

"Die Funktion "Umschaltlogik in der Motorsteuerung der Aggregate des Entwicklungsauftrags (EA) 288 wird seitens des KBA nicht als unzulässige Abschalteinrichtung beurteilt. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist nicht unzulässig, solange die Funktion nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 genutzt wird. Prüfungen im KBA zeigen, dass auch bei Deaktivierung der Funktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung von Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt" (Klagerwiderung S. 11f Bl. 93f d.A. mit Anlage "B6", im Anlagenband Bekl. I als "BE15" bezeichnet)."

Dass nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamtes eine Abschalteinrichtung nicht vorliegt, wenn zwar eine Fahrkurvenerkennung gegeben ist, aber dennoch die Grenzwerte eingehalten werden, ergibt sich auch aus zahlreichen weiteren, senatsbekannten und auch von der Beklagten im hiesigen Verfahren vorgelegten, unstreitigen Auskünften des Kraftfahrtbundesamts (Auskünfte vom 08.10.2020 an das LG Bayreuth, in Klagerwiderung S. 11 Bl. 93 d.A. als Anlage "B6" bezeichnet, im Anlagenband Bekl. I ohne Bezeichnung; Auskünfte vom 15.12.2020 an das LG Bayreuth, in Duplik S. 17 Bl. 178 d.A. als Anlage "B15" bezeichnet, vom 01.02.2021 an das LG Berlin, Duplik S. 30 Bl. 191; vom 09.02.2021 an das OLG München, in Duplik S. 17-19, Bl. 178-180 d.A. als "B17" bezeichnet; vom 11.02.2021 an das OLG Oldenburg, in Duplik S. 29 Bl. 190 d.A. als "B18" bezeichnet; vom 25.01.2021 an das OLG München, Duplik S. 30 Bl. 191, alle fünf im Anlagenband Bekl. II ohne Bezeichnung). Deshalb ist davon auszugehen, dass das Kraftfahrtbundesamt diese Frage nicht anders beurteilt hätte, wenn es zu einem früheren Zeitpunkt mit der betreffenden Fragestellung konfrontiert gewesen wäre (vgl. OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 31.4.2022 - 28 U 146/21, BeckRS 2022, 47967, Rz. 28 -). Dies gilt hier umso mehr, als auch unstreitig ist, dass der Unterschied der über die Fahrkurvenerkennung angesteuerten vorzeitigen Reinigung des NOx-Speicherkatalysators (NSK) bei Erkennen der Konfiguration für den NEFZ sich wegen der nur einmaligen Verschiebung der Reinigung nachvollziehbarerweise nur unwesentlich auf den Schadstoffausstoß auswirkt. Ebenso ist unstreitig, dass der Stickoxydausstoß eines mit der Umschaltung ausgestatteten Fahrzeugs wegen des nur geringfügig höheren Schadstoffausstoßes auch bei Deaktivierung der Umschaltung und Durchfahren des NEFZ im Realbetriebsmodus den NOx-Grenzwert nicht überschreitet. Danach liegt eine Abschalteinrichtung vor, die sich jedoch nicht "grenzwertkausal" auswirkt und die das KBA deshalb durchweg als zulässig im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 EGVO 715/2007 eingestuft hat.

Etwas Anderes ist jedenfalls vom Kläger nicht vorgetragen worden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Kläger auch von ihm nur vermutete Tatsachen als Behauptungen in den Rechtsstreit einführen darf, wenn er mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von den Einzeltatsachen hat (BGH 28.01.2020 - VIII ZR 57/19, in Juris Rz. 7f -; 13.07.2021 - VI ZR 128/20, in Juris Rz. 21 -). Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei jedoch dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BGH 28.01.2020 - VIII ZR 57/19, in Juris Rz. 8 -; 16.9.2021 - VII ZR 190/20, in Juris Rz. 23 -). So liegt der Fall hier.

Der Umstand, dass das Fahrzeug unstreitig eine Fahrkurvenerkennung aufweist, stellt noch kein Indiz dafür dar, dass diese zu einer Überschreitung der Grenzwerte führt. Vielmehr hat das Kraftfahrtbundesamt bei den EA288-Fahrzeugen nach den Schadstoffnormen EU5 und EU6 in der Fahrkurvenerkennung bislang keine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EGVO 715/2007 gesehen, und sei es auch nur deswegen, weil es das Verbot nur bei "Grenzwertkausalität" der Abschalteinrichtung verletzt gesehen hat. Dabei kann keine Rede davon sein, dass das KBA keine eigenen Prüfungen vorgenommen, sondern sich auf die Angaben der Beklagten verlassen habe. Es ist von der Beklagten unwidersprochen vorgetragen, aber auch senatsbekannt, dass es in seinen Auskünften zum EA288 regelmäßig ausführt, es habe im Rahmen der "Untersuchungskommission ZPO" des Software-Updates Nationales Forum Diesel sowie spezifischer Felduntersuchungen umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit EA288-Motoren durchgeführt. Im Übrigen wird auf die bereits zitierte KBA-Auskunft gegenüber dem Landgericht Bayreuth vom 15.12.2020 verwiesen, in der es heißt:

"Das KBA führte insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrages (EA) 288 durch, so z. B. im Rahmen der "Untersuchungskommission Volkswagen", der freizugebenden Software-Updates für das Nationale Forum Diesel sowie im Rahmen spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten"

(Auskunft an das Landgericht Bayreuth vom 15.12.2020, Duplik S. 17 Bl. 178 d.A. als Anlage "B15" bezeichnet, im Anlagenband Bekl. II ohne Bezeichnung).

Diese Auskünfte lassen sich auch nicht damit erklären, dass das KBA bis heute die Wirkung der Fahrkurvenerkennung nicht kenne oder nicht verstanden habe. Vielmehr zeigen die zahlreichen Auskünfte des KBA gerade, dass dieses die Umschaltung sehr wohl als solche erkannt und verstanden, aber für irrelevant gehalten hat, weil die Fahrzeuge mit EA288-Motor eben den Grenzwert auch bei Betrieb der Abgasrückführung im Realbetriebsmodus einhielten. Dies gilt auch für Auskünfte wie diejenige vom 11.02.2021 an das OLG Oldenburg, wo es zwar zunächst heißt, dass die Fahrkurvenerkennung "auf dem Prüfstand und im Realbetrieb gleichermaßen" funktioniere, aber im Nachsatz darauf abgestellt wird, dass sie "keinen wesentlichen Einfluss auf die Schadstoffemissionen habe" (Auskunft vom 11.02.2021 an das OLG Oldenburg, in Duplik S. 29 Bl. 190 d.A. als "B18" bezeichnet, im Anlagenband Bekl. II ohne Bezeichnung). Mithin hat das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, dass das KBA trotz zahlreicher Überprüfungen und der öffentlichen Fokussierung auf diesen Motortyp EA288 keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Fahrkurvenerkennung gefunden hat (Urteil S. 14-16, Bl. 259-261 d.A.).

Es besteht auch kein Grund zu der Annahme, dass die Mitarbeiter oder Organe der Beklagten besser als die hierfür zuständige Behörde in der Lage seien, den Sachverhalt in technischer und rechtlicher Hinsicht zu beurteilen (vgl OLG Köln, Urteil vom 19.01.2023 - 18 U 110/21 -, BeckRS 2023, 3804, Rn. 24). Im Übrigen entsprach die Auffassung des KBA zur Relevanz der Grenzwertkausalität jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 der Rechtsprechung vieler Oberlandesgerichte (z. B. OLG Karlsruhe 26.04.2022 - 8 U 235/21 -, BeckRS 2022, 10880, Rz. 31 -; OLG Brandenburg 05.04.2023 - 4 U 185/21 - BeckRS 2023, 7905, Rz. 39/31 -; OLG Dresden 21.02.2023 - 4 U 2359/22- BeckRS 2023, 3556, Rz. 26 -; OLG Naumburg 17.12.2021 - 8 U 8/21 -, BeckRS 2021, 48386, Rz. 30 -; a.M. OLG Köln 10.3.2022 - 24 U 112/21 -, BeckRS 2022, 5661, Rz. 25ff. -). Auch der Europäische Gerichtshof geht in seinen Entscheidungen vom 14.07.2022 davon aus, dass als unzulässige Abschalteinrichtung nur eine Schaltung zu qualifizieren ist, welche erst dafür sorgt, dass die Schadstoffgrenzwerte eingehalten werden (EuGH 14.07.2022 - C-128/20, in Juris Rz. 47 -; C-134/20, in Juris Rz. 81 -). Damit ist eine Verwaltungspraxis belegt, nach der die Fahrkurvenerkennung mangels Grenzwertkausalität nicht als Abschalteinrichtung eingestuft wurde.

Es kommt damit im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, ob die Beklagte sich hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung konkret von einem auf Europarecht spezialisierten Rechtsanwalt hat beraten lassen, wie der Klägervertreter meint (ebenda S. 6 Bl. 318 d.A.).

Es schadet der Beklagten auch nicht, dass sie sich erst in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 09.10.2023 explizit auf fehlendes Verschulden infolge unvermeidbaren Verbotsirrtums berufen hat (Schriftsatz v. 27.12.2023 S. 28-42, Bl. 411-425); denn abgesehen davon, dass die die Feststellung der den Verbotsirrtum begründenden Tatsachen bereits erstinstanzlich unstreitig war, ist der Beklagtenvortrag im Schriftsatz vom 27.12.2023 unwidersprochen geblieben (BGH 18.11.2004 - IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138, in Juris Rz. 13-20 -). Wollte man ihn gleichwohl als streitig ansehen, so wäre er gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil das erstinstanzliche Urteil noch auf die Ablehnung von Ansprüchen aus § 823 Abs. 2 i.V.m. den Zulassungsvorschriften wegen Fehlens einer Individualschutzwirkung dieser Vorschriften gestützt war und einen Verbotsirrtum der Beklagten nicht thematisieren musste.

Nach alledem scheidet hinsichtlich der Fahrkurvenerkennung auch ein Ersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB auf den "Differenzschaden", wie ihn der Bundesgerichtshof im Urteil vom 26.06.2023 für möglich gehalten hat (BGH 26.06.2023 - VIa ZR 335/21, in Juris Rz. 28-45 -), jedenfalls mangels Verschuldens aus.

(2) Auch soweit der Kläger seinen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens auf das "Thermofenster" stützt, bleibt dies erfolglos. Denn auch insofern scheidet ein Schadensersatzanspruch schon deshalb aus, weil in dem im streitgegenständlichen Fahrzeug installierten "Thermofenster" keine "Abschalteinrichtung" i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 zu sehen ist (s.o. 1.a] cc]).

Selbst wenn man jedoch zugunsten des Klägers das Vorliegen einer "Abschalteinrichtung" unterstellt, kommt ein Anspruch auf Ersatz des "Differenzschadens" i.S. des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 26.06.2023 auch hinsichtlich des "Thermofensters" nicht in Betracht, weil es am schuldhaften Handeln der Beklagten auch insoweit fehlt. Denn sie befand sich ebenso hinsichtlich der Zulässigkeit des Thermofensters in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sie sich nämlich auch dann, wenn sie sich nicht konkret bei der zuständigen Behörde nach der Zulässigkeit des "Thermofensters" erkundigt hat, auf deren hypothetische Genehmigung berufen (BGH 26.06.2023 - VIa ZR 335/21, in Juris Rz. 64ff -).

Insoweit gilt zunächst das vorstehend unter (1) zum Verbotsirrtum und dessen Unvermeidbarkeit Ausgeführte entsprechend.

(a) Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.09.2023 - VIa ZR 1/23 - hat die Beklagte hinreichend dargelegt, dass sie -unterstellt irrig- von der Zulässigkeit des Thermofensters zum maßgeblichen Zeitpunkt ausging. Es gilt das oben unter (1) (a) Ausgeführte entsprechend. Dabei berücksichtigt der Senat hier folgende Umstände:

- Die Beklagte hat senatsbekannt in den hiesigen Verfahren des Abgasskandals, so auch im vorliegenden, stets vorgetragen, der Einsatz des "Thermofensters" sei notwendig und entspreche dem Stand von Wissenschaft und Technik.

- Aus dem unstreitigen Bericht der Untersuchungskommission "Volkswagen" des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur folgt, dass das Ministerium die Auffassung der Hersteller, "Thermofenster" seien aus Motorschutzgründen zulässig, stützte (s.o.).

- Es ist unstreitig, dass die Beklagte auf freiwilliger Basis die Dokumentation des Thermofensters dem Kraftfahrtbundesamt offengelegt hat und dieses sodann keine Beanstandungen hatte.

- Zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs (14.01.2013, Anlagenband Kl. I Anlage K1) existierte keine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder des Bundesgerichtshofs, die die Zulässigkeit des "Thermofensters" in Zweifel gezogen oder gar explizit verneint hätte.

(b) Dieser Verbotsirrtum war für die Beklagte auch unvermeidbar. Es ist nicht nur unstreitig, sondern auch senatsbekannt, dass das KBA die Steuerung des Umfangs der Abgasrückführung durch ein Thermofenster in Dieselmotoren jedenfalls bis zu den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes seit dem 14.07.2022 und denjenigen des Bundesgerichtshofes vom 26.06.2023 (EuGH vom 14.07.2022 - C-128/20, C-134/20 und C-145/20 -; vom 21.03.2023 - C-100/21 -; BGH, Urteile vom 26.06.2023, VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 u. 1031/22, zit. n. Juris -) in keinem Fahrzeug, auch nicht in solchen mit dem VW-Dieselmotor EA288 als unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert und beanstandet hat (Senatsurteil vom 11.10.2022 - 7 U 159/21, in Juris Rz. 68 -, bestätigt durch BGH 08.05.2023, VIa ZR 1561/22, zit. n. Juris -). Dies gilt unstreitig auch für das hier streitgegenständliche Modell und ergibt sich auch aus den von der Beklagten vorgelegten und unstreitigen Auskünften des Kraftfahrtbundesamts (siehe wiederum nur die oben bereits zitierten Auskünfte des KBA an OLG Stuttgart v. 11.09.2020, Anlage "B18", u. OLG München v. 09.02.2021, Anlage "B17", denen sich ferner entnehmen lässt, dass der Behörde auch die Kombination aus einer Fahrkurvenerkennung und einer temperaturbedingten AGR-Regelung bekannt war, sie aber nicht zum Einschreiten veranlasst hat). Hinzu kommt, dass auch der Bericht der Untersuchungskommission des Bundesverkehrsministeriums vom April 2016 davon spricht, dass die Installation von "Thermofenstern" von allen Herstellern als üblich und mit der Erforderlichkeit des Motorschutzes begründet werde (Anlage "B1" zur Klagerwiderung S. 18f, im Anlagenband Bekl. I a.A. ohne Bezeichnung).

Daraus kann nur geschlossen werden, dass das KBA als zuständige Behörde das "Thermofenster" auch nicht auf Anfrage der Beklagten beanstandet hätte. Denn es war ständige Verwaltungspraxis des KBA - mindestens bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-693/18 am 17.12.2020, wenn nicht bis zu den Entscheidungen in C-128/20, C-134/20 und C-145/20 vom 14.07.2022, was hier dahinstehen kann -, "Thermofenster" in den VW-Dieselmotoren EA288 für zulässig zu erachten und nicht zu beanstanden, und zwar unabhängig von dem jeweils programmierten Temperaturbereich (OLG Frankfurt / M 22.09.2022 - 4 U 230/20, in Juris Rz. 32-39 -; OLG Hamm 15.09.2022 - 13 U 437/21, in Juris Rz. 177-181 -; OLG Koblenz 11.08.2022 - 7 U 305/22, in Juris Rz. 56-72 -; OLG Köln 10.01.2023 - 19 U 66/22, in Juris Rz. 13-19 m.w.N.; OLG Schleswig 27.06.2022 - 7 U 44/22, in Juris Rz. 28-30 -; Senatsurteil vom 11.10.2022 - 7 U 159/21, in Juris Rz. 66-68 -, bestätigt durch BGH 08.05.2023 - VIa ZR 1561/22, zit. n. Juris -).

Die Beklagte musste im Jahre 2016 und davor - maßgeblich ist hier allein der Zeitraum bis zum Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den Kläger im Januar 2013 - auch nicht mit einer späteren Änderung der Rechtsprechung rechnen, also auch nicht zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrages. Der Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache C-693/18 erst am 17.12.2020 entschieden und explizit erst mit Urteilen vom 14.07.2022 Thermofenster mit der von den Herstellern gegebenen Begründung als unzulässige Abschalteinrichtungen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 angesehen (EuGH 14.07.2022 - C-128/20, Leitsätze 1 u. 2 u. in Juris Rz. 30-70 -; C-134/20, Leitsätze 1 u. 2 u. in Juris Rz. 37-54, 62-82 -; C-145/20, Leitsatz 2 u. in Juris Rz. 59-81 -).

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung, und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht, und eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Nr. 2-4 ZPO). Der Senat folgt durchgehend den höchstrichterlichen Entscheidungen. Abweichungen zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen zum unvermeidbaren Verbotsirrtum beruhen auf einer unterschiedlichen Würdigung des Sachverhalts.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 S. 2 ZPO. Der Berufungsstreitwert war gem. § 63 Abs. 2 GKG festzusetzen.