Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.05.2005, Az.: 16 K 624/03

Zuerkennung von Verpflegungspauschalen bei Einsatzwechseltätigkeit und bei Nichtvorhersehbarkeit der Verpflegungssituation am Arbeitsplatz; Abzug von Verpflegungsmehraufwand wegen einer Einsatzwechseltätigkeit; Geltendmachung von Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten; Einstellung eines Arbeitnehmers auf eine veränderte Verpflegungssituation bei Ausübung der Tätigkeit an einem anderen Ort

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
12.05.2005
Aktenzeichen
16 K 624/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 20620
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2005:0512.16K624.03.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 11.04.2006 - AZ: VI R 52/05

Fundstellen

  • EFG 2005, 1604-1605 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • NWB direkt 2005, 4

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Entscheidendes Motiv für die Zuerkennung von Verpflegungspauschalen bei Einsatzwechseltätigkeit ist die Nichtvorhersehbarkeit der Verpflegungssituation am Arbeitsplatz. Typisches Beispiel für eine solche Einsatzwechseltätigkeit ist der Monteur, der an laufend wechselnden Orten eingesetzt wird und sich somit immer wieder von Neuem auf eine veränderte Verpflegungssituation einstellen muss.

  2. 2.

    Ein Arbeitnehmer, der zwar an konkret unterschiedlicher Stelle, aber in einem abgrenzten Gelände tätig wird, wird von dieser Typisierung nicht erfasst.

Tatbestand

1

Streitig ist die Frage, ob eine Einsatzwechseltätigkeit vorliegt und der Kläger Verpflegungsmehraufwand steuermindernd geltend machen kann.

2

Der Kläger ist von Beruf Festmacher und seit dem 1. Juli 1999 bei der Firma F GmbH angestellt. Er übt seine Berufstätigkeit in den Bremischen Häfen aus. Aus einer Aufstellung seiner Einsatzorte für den Zeitraum 1. Juli 2002 bis 30. Dezember 2002 - nach Angaben des Klägers kann der Arbeitgeber aus technischen Gründen eine entsprechende Aufstellung für die erste Jahreshälfte 2002 nicht mehr fertigen - ergibt sich, dass der Kläger ganz überwiegend in dem nördlich der Innenstadt von Bremerhaven gelegenen Teil des Hafens tätig geworden ist.

3

In seiner Einkommensteuererklärung 2000 machte der Kläger Verpflegungsmehraufwendungen für 189 Tage à 6,00 EUR = 1.184,- EUR geltend, und zwar für 187 Tage Arbeitseinsatz im Hafen von Bremerhaven und an 2 Tagen im Hafen der Stadt Bremen. Der Beklagte erkannte den Verpflegungsmehraufwand im Einkommensteuerbescheid 2002 vom 17. April 2003 nicht an, weil er im Hafen eine einheitliche großräumige Arbeitsstätte sah.

4

Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

5

Der Kläger vertritt im Klageverfahren die Auffassung, dass er eine Einsatzwechseltätigkeit ausgeübt habe und deshalb Verpflegungsmehraufwand abziehen könne. Das Bremerhavener Hafengebiet stelle keine einheitliche großräumige Arbeitsstätte dar, wie der Beklagte meine. Der Kläger verweist auf die Entscheidung des BFH vom 7. Februar 1997 VI R 61/97, BStBl. II 1997, 333. Entscheidend sei danach, ob es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handele. Dass sei im Streitfall aber zu verneinen. Dass der Hafen von Bremerhaven insgesamt kleiner sei als der Hamburger Hafen, sei demgegenüber nicht entscheidungserheblich.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 17. April 2003 in der Gestalt vom 5. April 2004 und der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2003 Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 1.134,- EUR als Werbungskosten zu berücksichtigen und die Einkommensteuer 2002 entsprechend herabzusetzen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte hält den Sachverhalt nicht für vergleichbar mit jenem, der der Entscheidung des BFH zugrunde lag. Der Hamburger Hafen sei wesentlich größer als der Bremerhavener Hafen. Dessen Landflächen betrage lediglich 11,5 qkm verglichen mit 63 qkm im Falle des Hamburger Hafens. Zudem beschränke sich das Einsatzgebiet des Klägers nach der von ihm vorgelegten Aufstellung auf einen kleinen Bereich im nördlichen Hafengebiet.

9

Die Verpflegungsmehraufwendungen für die Einsätze in Bremen an zwei Tagen bewirkten keinen Tarifsprung und führten deshalb nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung.

10

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 8. Dezember 2003 (Kläger) und 29. März 2004 (Beklagter) auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Gründe

11

Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann keine Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten geltend machen, weil er keine Einsatzwechseltätigkeit ausübt.

12

Gem. § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG sind Verpflegungsmehraufwendungen grundsätzlich nicht als Werbungskosten abzugsfähig. Etwas anderes gilt nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 3 in Verbindung mit Satz 2 EStG, wenn der Steuerpflichtige bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird; bei einer Dauer der Abwesenheit von der Wohnung von weniger als 14 Stunden, aber mindestens 8 Stunden ist ein Pauschbetrag von 6,00 EUR anzusetzen.

13

Der Senat legt die Formulierung "typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten" dahin aus, dass der Steuerpflichtige an immer wieder neuen Einsatzorten beschäftigt sein muss, an denen er bisher nicht tätig war. Ein in sich abgeschlossener Kreis von Beschäftigungsstellen, an denen der Steuerpflichtige wechselweise beschäftigt ist, begründet keine Einsatzwechseltätigkeit.

14

Grund für die an die Einsatzwechseltätigkeit anknüpfenden Verpflegungspauschalen ist die Annahme des Gesetzgebers, der Steuerpflichtige werde bei bestimmten beruflichen Betätigungsformen für seine Verpflegung aus beruflichen Gründen mehr Geld ausgeben müssen, als dies bei dem üblichen ortsfesten Arbeitsplatz der Fall ist (BFH Urteil vom 7. Juli 2004 VI R 11/04, BStBl II 2004, 1004). Entscheidendes Motiv für die Zuerkennung von Verpflegungspauschalen bei Einsatzwechseltätigkeit ist somit die Nichtvorhersehbarkeit der Verpflegungssituation am Arbeitsplatz; wird der Arbeitnehmer an einem Ort tätig, an dem er bisher noch nicht beschäftigt war, benötigt er eine gewisse Zeit, bis er die Lokalitäten herausgefunden hat, in denen er sich zum selben Pries wie an seiner regelmäßigen Arbeitsstätte verpflegen kann. Typisches Beispiel für eine solche Einsatzwechseltätigkeit ist der Monteur, der an laufend wechselnden Orten eingesetzt wird und sich somit immer wieder von neuem auf eine veränderte Verpflegungssituation einstellen muss. Damit ist nach Auffassung des Senats nicht vergleichbar eine Arbeitnehmer, der wie der Kläger zwar an konkret unterschiedlicher Stelle, aber in einem abgegrenzten Gelände tätig wird. Dieser kennt nach kürzerer Zeit alle Plätze, an denen er seine Mahlzeiten einnehmen kann, zumal es gerade innerhalb von Gewerbegebieten wenige Speisegaststätten zu geben pflegt und die Verpflegungssituation deshalb regelmäßig weitaus übersichtlicher ist als etwa im Innenstadtbereich einer Stadt.

15

Ob der Arbeitnehmer innerhalb eines Geländes des Arbeitgebers tätig wird, kann - entgegen der Auffassung des BFH in dem Urteil vom 7. Februar 1997 VI R 61/96, BStBl II 1997, 333 - nach Ansicht des Senats nicht entscheidungserheblich sein, weil dieses nichts mit der jeweiligen Verpflegungssituation zu tun hat. Im Übrigen berücksichtigt diese Rechtsprechung des BFH auch nicht neuere Tendenzen im Wirtschaftsleben, die dadurch gekennzeichnet sind, dass zunehmend einzelne Aufgabenbereiche und Funktionen aus den Betrieben ausgegliedert und auf andere Unternehmen übertragen werden (sog. "outsourcing").

16

So würde die Rechtsprechung des BFH zu völlig willkürlichen Ergebnissen und den einzelnen Arbeitnehmern nicht mehr zu vermittelnden Unterscheidungen führen, wenn beispielsweise der bei einer großen Hafengesellschaft (z.B. der Hamburger Hafen- und Lagerhaus AG im Falle des Hamburger Hafens) beschäftigte Arbeitnehmern keinen Verpflegungsmehraufwand abziehen kann, weil er auf dem großflächigen Betriebsgelände des Arbeitgebers tätig wird, diesen jedoch geltend machen kann, sobald er von einer neu gegründeten Tochtergesellschaft übernommen wird, nur weil dieser das Betriebsgelände nicht gehört, obwohl sich an Ort und Gegenstand seiner Tätigkeit nichts geändert hat, wohingegen seinen bisherigen Arbeitskollegen, die weiterhin bei der Hafengesellschaft verblieben sind und mit denen der Steuerpflichtige gemeinsam seine Mahlzeiten einnimmt, der Werbungskostenabzug verwehrt wird.

17

Die Kostenentscheidung folgt auf § 135 Abs. 1 FGO.

18

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, weil der Senat von dem Urteil des BFH vom 7. Februar 1997 VI R 61/96, BStBl II 1997, 333 abweicht.