Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 11.07.2006, Az.: 3 A 8/06

Aufenthaltsbefugnis; Ausbildungsförderung; Bleiberecht; Bürgerkriegsflüchtling; Flüchtling; Niederlassungserlaubnis; Regelungslücke; Trauma; Traumatisierung

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
11.07.2006
Aktenzeichen
3 A 8/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53355
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für Flüchtlinge, die aufgrund ministeriellen Erlasses auf Dauer bleibeberechtigt sind, enthält § 8 Abs. 1 BAföG eine planwidrige Gesetzeslücke. In Anbetracht der gesetzgeberischen Zielsetzung ist diese Lücke durch analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3 - 6 BAföG zu schließen (hier: traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und deren Angehörige).

Tenor:

Der Bescheid des Studentenwerks Braunschweig vom 17.02.2005 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen gemäß § 11 BAföG in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum ab Oktober 2004 zu bewilligen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

I.

1

Der 1984 geborene Kläger begehrt die Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG für den Bewilligungszeitraum ab Oktober 2004.

2

Er ist bosnischer Staatsangehöriger und reiste zusammen mit seiner Mutter im August 1994 in die Bundesrepublik Deutschland als Bürgerkriegsflüchtling ein. Im Oktober 1995 reiste sein Vater ebenfalls ein, nachdem dieser sich von November 1993 bis Mai 1995 in Kriegsgefangenschaft befunden hatte. Ab dem Zeitpunkt der Einreise bis zum 29.03.2000 wurden dem Kläger und seinen Eltern seitens der zuständigen Ausländerbehörde (aus humanitären Gründen bzw. weil die Ausreise aus tatsächlichen Gründen unmöglich war) Duldungen erteilt. Im Zeitraum vom 13.11.1995 bis 15.04.1996 (5 Monate 2 Tage) war die Familie finanziell unabhängig, da der Vater des Klägers als Montagehelfer arbeitete. Vom 30.03.2000 bis 13.08.2003 waren der Kläger und seine Eltern im Besitz befristeter Aufenthaltsbefugnisse gemäß § 30 AuslG aufgrund eines ministeriellen Erlasses vom 22.09.1998. Nachdem der Vater des Klägers nachgewiesen hatte, sich wegen einer Traumatisierung in der Kriegsgefangenschaft seit 1997 in psychotherapeutischer Behandlung zu befinden, wurden die Aufenthaltsbefugnisse entsprechend einem ministeriellen Erlass vom 15.12.2000 auf der Grundlage von § 32 AuslG bis zum 13.08.2005 verlängert. Der Vater des Klägers arbeitete bei der Stadt E. als geringfügig Beschäftigter, ab Dezember 2004 (zusätzlich) als Hausmeister mit einem Verdienst von 450,00 EUR monatlich und betreibt eine Ich-AG für Hausmeisterdienste. Am 30.06.2005 wurde dem Kläger eine unbefristete Niederlassungserlaubnis gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilt. Seine Eltern erhielten im Juli 2005 befristete Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG.

3

Am 09.10.2004 beantragte der Kläger beim Studentenwerk Braunschweig die Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG für das Studium der Architektur an der TU Braunschweig ab Oktober 2004. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 17.02.2005 lehnte das Studentenwerk Braunschweig namens und im Auftrage der Beklagten den Antrag ab, weil die persönlichen Voraussetzungen nach § 8 BAföG nicht vorlägen. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Kläger als bosnischer Staatsangehöriger keine der in § 8 Abs. 1 BAföG genannten Rechtsstellungen besitze. Auch die Voraussetzungen für eine Förderung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 BAföG lägen nicht vor. Der Kläger selbst sei einer rechtmäßigen Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik noch nicht nachgegangen. Im Übrigen werde Ausbildungsförderung nur geleistet, wenn zumindest ein Elternteil während der letzten sechs Jahre vor Beginn des förderungsfähigen Teils des Ausbildungsabschnitts sich insgesamt drei Jahre im Inland aufgehalten habe und rechtmäßig erwerbstätig gewesen sei. Erwerbstätig sei eine Person, die eine selbständige oder nicht selbständige Tätigkeit ausübe und in der Lage sei, sich aus dem Ertrag dieser Tätigkeit selbst zu unterhalten. Die Eltern des Klägers lebten seit August 1994 bzw. Mai 1995 in Deutschland. Von November 1995 bis April 1996 sei der Vater des Klägers erwerbstätig gewesen. Nachweise über die Höhe des Einkommens lägen nicht vor. Seit April 2002 sei der Vater, seit April 2003 die Mutter erwerbstätig. Des weiteren erhielten diese in dieser Zeit zumindest zeitweise Hilfe zum Lebensunterhalt und Leistungen nach § 2 AsylbLG. Dementsprechend hätten sich die Eltern des Klägers nicht selbst aus ihrer Erwerbstätigkeit unterhalten, weshalb die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG nicht vorlägen.

4

Dagegen hat der Kläger am 14.03.2005 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid sei formal und materiell rechtswidrig, da ihm ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Gewährung von Ausbildungsförderung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Satz 3 BAföG zustehe. Ein solches Ermessen sei seitens der Beklagten nicht ausgeübt und die genannte Ausnahmebestimmung in deren Entscheidung nicht berücksichtigt worden. Insoweit mangele es schon an der erforderlichen Begründung des Bescheides gemäß § 39 VwVfG. Im Übrigen stünde ihm bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung ein Anspruch auf Ausbildungsförderung zu, denn sein Vater sei sechs Monate lang (von November 1995 bis April 1996) voll erwerbstätig gewesen, ohne dass die Familie auf (ergänzende) Sozialhilfe angewiesen gewesen sei. Vom 01.01. bis 31.12.2004 sei sein Vater außerdem bei der Stadt E. sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die weitere (volle) Erwerbstätigkeit seines Vaters sei aus von diesem nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich gewesen. Ausweislich der vorgelegten Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 30.11.2005 habe bei seinem Vater aufgrund verschiedener erheblicher körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen als Folge schwerer Kriegstraumatisierung aus hausärztlicher Kenntnis für den gesamten Zeitraum von 1996 bis heute keine vollschichtige Arbeitsfähigkeit bestanden. Zwischenzeitlich seien fachärztliche, auch psychotherapeutische Behandlungen erforderlich gewesen. Bei schwerer somatisierter posttraumatischer Belastungsstörung habe längerfristig komplette Arbeitsunfähigkeit bestanden.

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Er beantragt,

6

den Bescheid des Studentenwerks Braunschweig vom 17.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem BAföG in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,

7

hilfsweise,

8

den Bescheid des Studentenwerks Braunschweig vom 17.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung des gestellten Antrages auf Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen.

9

Die Beklagte hat schriftsätzlich bisher keinen Antrag angekündigt.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Studentenwerks Braunschweig und die Ausländerakten der Stadt Hannover betr. den Kläger und seine Eltern Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

II.

11

Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG ab Antragstellung im Oktober 2004 zu.

12

Ein solcher Anspruch ergibt sich nach Ansicht der Kammer aufgrund einer analogen Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3-6 BAföG zu. Im hier umstrittenen Zeitraum ab Oktober 2004 befand sich der Kläger im Besitz einer befristeten Aufenthaltsbefugnis gemäß § 32 AuslG bzw. wurde ihm am 30.06.2005 seitens der zuständigen Ausländerbehörde eine unbefristete Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilt. Damit unterfällt der Kläger zwar unstreitig keiner der in § 8 Abs. 1 BAföG geregelten Gruppen, welche die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG erfüllen.

13

Nach Ansicht der Kammer enthält § 8 Abs. 1 BAföG jedoch für Personen mit dem ausländerrechtlichen Status des Klägers eine vom Gesetzgeber nicht geplante Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3-6 BAföG zu schließen ist. Insoweit folgt das Gericht dem nicht rechtskräftigen Urteil des VG Aachen vom 18.11.2003 (5 K 1122/02, recherchiert in Juris, anhängig beim OVG Münster zum dortigen Az. 4 A 4784/03). Dort wird für den Fall einer aufgrund eines ministeriellen Erlass bleibeberechtigten Klägerin, für die § 8 Abs. 1 BAföG nach seinem Wortlaut nicht gilt, Folgendes ausgeführt:

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„Diese Regelungslücke dürfte durch eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 3-6 BAföG auf den betroffenen Personenkreis zu schließen sein. Dies folgt aus dem bei Schaffung des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG verfolgten gesetzgeberischen Ziel.

15

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 11. August 2003 - 19 E 1288/02 -.

16

So ist der Gesetzgeber bei Schaffung des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG davon ausgegangen, dass dadurch allen Flüchtlingen im Sinne von Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GVK), die in der Bundesrepublik Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt und nicht bereits in einem anderen Land Schutz vor Verfolgung gefunden haben, der Zugang zur Ausbildungsförderung eröffnet war. Durch die Schaffung des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG konnte auch unter Berücksichtigung der seinerzeitigen ausländerrechtlichen Rechtsprechung bei sachgerechtem Verständnis davon ausgegangen werden, dass alle denkbaren Fälle politischer Verfolgung erfasst wurden.

17

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. September 1995 - 11 C 1.95 -, FamRZ 1996, 254.

18

Nachdem sich in der Folgezeit herausstellte, dass die Bestimmung des § 8 Abs. 1 Nr. 3 BAföG bestimmte Gruppen von in der Bundesrepublik aufgenommenen Flüchtlingen nicht erfasste, erweiterte der Gesetzgeber den Personenkreis des § 8 Abs. 1 BAföG im Laufe der Jahre schrittweise. So verhielt es sich bei der Einfügung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 BAföG. Die Situation, dass seit mehreren Jahren im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen ausländische Flüchtlinge im Sichtvermerksverfahren oder durch Übernahmeerklärung des Bundesministers des Innern der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen worden waren, diese Personen aber in den Genuss der (nur) für Asylberechtigte vorgesehenen Eingliederungshilfen erst kommen konnten, wenn sie dennoch zusätzlich ein Asylverfahren durchliefen, wurde als unbefriedigend empfunden,

19

vgl. Entwurf eines Gesetzes über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge, Bundestagsdrucksache 8/3752.

20

Dementsprechend entschied sich der Gesetzgeber dafür, die für die im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommenen ausländischen Flüchtlinge vorgesehenen Hilfen nicht von der Anerkennung als Asylberechtigte abhängig zu machen; die Flüchtlinge sollten vielmehr die Hilfen sofort nach ihrem Eintreffen in der Bundesrepublik in Anspruch nehmen können,

21

vgl. BT-Drucksache 8/3752.

22

Die Einfügung des heutigen § 8 Abs. 1 Nr. 5 BAföG erfolgte ebenfalls in der Absicht, einem weiteren Personenkreis von ausländischen Flüchtlingen, der - planwidrig - von den bisherigen Regelungen des § 8 Abs. 1 BAföG nicht erfasst wurde,

23

vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 14. August 1989 - 12 B 87.1278 -, FamRZ 1990, 1043,

24

einen Anspruch auf Ausbildungsförderung zu verschaffen. Schließlich folgte auch die Einfügung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 BAföG (Ausländer, bei denen festgestellt ist, dass Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes besteht) aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach der die bisherige Gesetzesfassung hinsichtlich der betroffenen Personengruppe eine planwidrige Regelungslücke enthielt,

25

vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1995 - 11 C 1.95 - a. a. O..

26

Von der derzeitigen Fassung des § 8 Abs. 1 BAföG nicht erfasst werden nach wie vor diejenigen ausländischen Flüchtlinge, denen wegen der politischen Lage im Heimatland ein dauerhaftes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines ministeriellen Erlasses durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne der §§ 2 und 5 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 bzw. einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 eingeräumt wurde. Diese Regelungslücke in § 8 Abs. 1 BAföG ist planwidrig. Sie steht nämlich nicht in Einklang mit dem dargestellten gesetzgeberischen Anliegen, in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer aufgenommenen Flüchtlingen Ausbildungsförderung zu leisten. Eine Differenzierung danach, ob das dauerhaft eingeräumte Bleiberecht auf der Anwendung bestimmter ausländerrechtlicher Normen wie in den Fällen des § 8 Abs. 1 Nrn. 3-6 AuslG beruhte oder ob es auf der Grundlage einer generellen exekutiven Entscheidung, hier: in Gestalt eines ministeriellen Erlasses, gewährt worden ist, erscheint mit diesem Anliegen des Gesetzgebers nicht vereinbar. So wie es nämlich im Falle des im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommenen ausländischen Flüchtlings nicht einsichtig war, dass er ein nochmaliges Verwaltungsverfahren in Gestalt des Asylverfahrens durchlaufen musste, um Ausbildungsförderung zu erhalten, obwohl eine positive Entscheidung über seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bereits getroffen worden war,

27

vgl. BT-Drucksache 8/3752,

28

so wenig ist es für die hier in Rede stehende Flüchtlingsgruppe verständlich, dass ihr Ausbildungsförderung vorenthalten wird, obwohl eine positive exekutive Entscheidung über ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland getroffen worden ist, welche gerade in der Absicht erfolgt war, das diesen Flüchtlingen nach der Einschätzung der Landesregierung nicht zuzumutende Anerkennungsverfahren nach dem Asylrecht zu ersparen und aufgrund der bekannten politischen Lage in ihrem Heimatland ohne weiteres ein Bleiberecht zu gewähren.

29

Vgl. Erlass des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 22. September 1980 - I C 4/43.34 - I 4 -.“

30

Der Kläger des vorliegenden Verfahrens gehört zu den Personen, denen ein dauerhaftes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland eingeräumt worden ist. Ihm waren zunächst vom 30.03.2000 bis 13.08.2003 befristete Aufenthaltsbefugnisse gemäß § 30 des damals geltenden Ausländergesetzes erteilt worden. Diese Aufenthaltsbefugnisse wurden in der Folgezeit aufgrund eines ministeriellen Erlasses vom 15.12.2000 bis zum 13.08.2005 auf der Grundlage von § 32 AuslG verlängert (vgl. „Anordnung nach § 32 des Ausländergesetzes zur Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen an Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina“, RdErl. d. MI - 45.31-12230/1-1 (§ 32) N4 -, Nds. MBl. 2001, S. 267). Nach dieser Vorschrift konnte die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder dass in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen nach den §§ 30 und 31 Abs. 1 AuslG eine Aufenthaltsbefugnis erteilt und dass erteilte Aufenthaltsbefugnisse verlängert wurden. Mit dem daraufhin ergangenen Erlass war geregelt worden, dass bürgerkriegsbedingt unter schwerer posttraumatischer Belastungsstörung leidenden Flüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina sowie deren Ehegatten und Kindern der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet durch Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis auf Dauer ermöglicht werden sollte. Begründet wurde dies mit der Einmaligkeit der besonderen Bürgerkriegssituation in Bosnien mit ethnischen Säuberungen, Internierungslagern, Massenerschießungen und organisierten Massenvergewaltigungen. Danach wurden in Niedersachsen Aufenthaltsbefugnisse erteilt, wenn die Betroffenen vor dem 15.12.1995 bereits als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland eingereist waren und sich wegen der durch Bürgerkriegserlebnisse hervorgerufenen schweren Traumatisierung bereits mindestens seit dem 01.01.2000 auf der Grundlage eines längerfristig angelegten Therapieplanes in fachärztlicher oder psychotherapeutischer Behandlung befanden. Die Aufenthaltsbefugnisse wurden jeweils für zwei Jahre erteilt und bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen gemäß § 34 Abs. 1 AuslG verlängert. Da nach dem Erlass § 34 Abs. 2 AuslG keine Anwendung finden sollte (vgl. Ziffer 5.1), kam eine Verlängerung auch dann in Betracht, wenn das Abschiebungshindernis (Traumatisierung) entfallen war, d. h. z. B. wenn während dieser Frist eine erfolgreiche Behandlung stattgefunden hat. Im Kern bedeutete damit die Regelung den Einstieg dieser betroffenen Personengruppe in einen Daueraufenthalt in Deutschland.

31

Nachdem der Vater des Klägers nachgewiesen hatte, sich wegen einer Traumatisierung in der erlittenen Kriegsgefangenschaft seit 1997 in psychotherapeutischer Behandlung zu befinden, wurden Aufenthaltserlaubnisse des Klägers und seiner Eltern aufgrund des genannten Erlasses ab 13.08.2003 verlängert. Dementsprechend stand dem Kläger bei Beantragung der Leistungen nach dem BAföG im Oktober 2004 ein dauerhaftes Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund eines ministeriellen Erlasses durch Erteilung einer befristeten Aufenthaltsbefugnis zu. Dies rechtfertigt aufgrund des oben dargestellten gesetzgeberischen Anliegens, in der Bundesrepublik Deutschland auf Dauer aufgenommenen Flüchtlingen Ausbildungsförderung zu leisten, eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Nr. 3-6 BAföG. Dies gilt erst recht für den Zeitraum ab 30.06.2005. Denn zu diesem Zeitpunkt wurde dem Kläger nach dem ab 01.01.2005 geltenden § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG eine unbefristete Niederlassungserlaubnis als eigenständiges unbefristetes Aufenthaltsrecht erteilt.

32

Dagegen spricht auch nicht, dass die dem Kläger zunächst nach § 32 AuslG erteilte befristete Aufenthaltsbefugnis quasi von dem seinem Vater als Traumatisiertem aus humanitären Gründen gewährten Aufenthaltsrecht abgeleitet war (vgl. VG Aachen, a. a. O.). Denn anders als in dem vom Verwaltungsgericht Aachen entschiedenen Fall sind auch die Ansprüche der Ehegatten und Kinder von traumatisierten Personen aus Bosnien-Herzegowina in dem ministeriellen Erlass vom 15.12.2000 geregelt und die Erteilung der Aufenthaltsbefugnis an diese Personen erfolgte nicht auf der Grundlage von § 31 AuslG. Darüber hinaus widerspräche eine andere Sichtweise dem erklärten Sinn und Zweck des zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes, welches im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen im November 2003 noch nicht existierte. Denn Ziel des Zuwanderungsgesetzes ist u. a. auch die „Verbesserung der Integration dauerhaft aufhältiger Ausländer“ (vgl. BT-Drs. 15/420). Nach dem nunmehr geltenden Aufenthaltsgesetz existieren neben dem Visum lediglich die Aufenthaltstitel der befristeten Aufenthaltserlaubnis zu bestimmten Aufenthaltszwecken (§ 7 AufenthG) und die unbefristete Niederlassungserlaubnis, die von Gesetzes wegen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, zeitlich und räumlich unbeschränkt ist und nicht mit einer Nebenbestimmung versehen werden darf (§ 9 AufenthG). Nach dem abgestuften System des Aufenthaltsgesetzes ist einem Ausländer, der seit drei Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AufenthG besitzt, d. h. z. B. Asylberechtigten und Konventionsflüchtlingen, eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für einen Widerruf oder die Rücknahme der Asylberechtigung nicht vorliegen (§ 26 Abs. 3 AufenthG). Im Übrigen kann einem Ausländer, der seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis z. B. aus humanitären Gründen besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden (§ 26 Abs. 4 AufenthG). Daneben gibt es begünstigende Sonderregelungen, so z. B. die im Fall des Klägers angewandte Regelung des § 35 Abs. 1 AufenthG. Danach wird Minderjährigen oder in Ausbildung befindlichen Ausländern mit ausreichenden Deutschkenntnissen bereits dann eine Niederlassungserlaubnis erteilt, wenn sie seit fünf Jahren im Besitz der Aufenthaltserlaubnis sind. Damit wird von einem grundsätzlichen Erfordernis für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, dem Nachweis des gesicherten Lebensunterhaltes im Interesse der genannten Ausländer zum Zweck ihrer besseren Integration abgesehen (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG).

33

Diese Regelungen haben dazu geführt, dass dem Kläger bereits am 30.06.2005 nach fünfjährigem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis bzw. Aufenthaltsbefugnis (vgl. § 101 Abs. 2 AufenthG) eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt wurde. Demgegenüber befinden sich seine Eltern bis heute lediglich im Besitz von befristeten Aufenthaltserlaubnissen auf der Grundlage von § 26 Abs. 4 AufenthG. Die Eltern erfüllen erst am 30.03.2007, nach dem siebenjährigem Besitz der Aufenthaltsbefugnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse, die Voraussetzungen für eine Erteilung der Niederlassungserlaubnis. Bei dieser Situation widerspräche es dem erklärten gesetzgeberischen Ziel, die Integration von Ausländern in Deutschland zu fördern, wenn solchen Personen kein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG zustehen würde. Dies muss jedenfalls für Personen wie den Kläger gelten, der mit 11 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, dort erfolgreich das Abitur bestanden hat und nunmehr eine Hochschule besucht.

34

Nach alledem ist der Bescheid des Studentenwerks Braunschweig vom 17.02.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Leistungen gemäß § 11 BAföG in gesetzlicher Höhe für ab Oktober 2004 zu bewilligen.

35

Vor diesem Hintergrund ist über den gestellten Hilfsantrag, gerichtet auf eine Bescheidung des Förderungsantrages nach der Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BAföG nicht mehr zu entscheiden.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

37

Die Berufung wird gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.