Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 29.09.2020, Az.: L 11 AS 508/20 B ER

Vorläufige Leistungen für Kosten der Unterkunft; Vorübergehende Aussetzung der Angemessenheitsgrenze durch das Sozialschutzpaket; Corona-Pandemie

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.09.2020
Aktenzeichen
L 11 AS 508/20 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 43319
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 01.09.2020 - AZ: S 7 AS 353/20 ER

Fundstellen

  • KomVerw/B 2021, 321-322
  • KomVerw/B 2022, 71-72
  • KomVerw/LSA 2021, 325-327
  • KomVerw/LSA 2022, 69
  • KomVerw/MV 2021, 321-322
  • KomVerw/MV 2022, 65
  • KomVerw/S 2021, 322-323
  • KomVerw/S 2022, 67
  • KomVerw/T 2021, 315-316
  • KomVerw/T 2022, 65
  • NJ 2021, 127-129
  • RdW 2020, 745-746
  • WuM 2020, 733-735
  • ZfSH/SGB 2020, 718-722
  • info also 2021, 94

Redaktioneller Leitsatz

Die Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II ist durch das Sozialschutzpaket vorübergehend ausgesetzt worden; § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist anwendbar, auch wenn weder eine Hilfebedürftigkeit noch ein Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind.

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 1. September 2020 wird abgeändert.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für die Zeit vom 1. September 2020 bis 31. Januar 2021 vorläufig Leistungen für Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II unter Berücksichtigung einer Bruttokaltmiete von 1.300,00 Euro pro Monat zu gewähren.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner erstattet den Antragstellern 1/4 der notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird für das Beschwerdeverfahren abgelehnt.

Gründe

I. Die Antragsteller begehren, den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) die volle Bruttokaltmiete der zum 1. September 2020 bezogenen Wohnung im N. 1, O., iHv 1.300,00 Euro pro Monat, die für diese Wohnung zu zahlenden Mietkaution iHv 3.300,00 Euro, 800,00 Euro für die Übernahme der Kücheneinrichtung, 2.500,00 Euro für die Anschaffung von Schlafzimmer- und Kinderzimmermöbeln, 1.000,00 Euro für die Anschaffung von Bekleidung, Heimtextilien und Schuhen sowie 936,69 Euro Stromschulden für ihre bisherige Wohnung zu übernehmen.

Die 1983 bzw 1985 geborenen Antragsteller zu 1. und 2. beziehen mit den in den Jahren 2002, 2004, 2007, 2011 sowie 2019 geborenen Antragstellern zu 3. bis 8. seit dem 1. Februar 2019 als Bedarfsgemeinschaft vom Antragsgegner laufende Leistungen nach dem SGB II. Vom 1. Dezember 2018 bis 31. August 2020 bewohnten sie eine 120 qm große Vier-Zimmer-Wohnung in der P. 16a, O ... Die dort anfallenden Unterkunftskosten wurden im Rahmen der Bewilligung vorläufiger SGB II-Leistungen vom Antragsgegner in voller Höhe als angemessener KdU-Bedarf anerkannt (vgl zum Bewilligungszeitraum vom 1. Februar bis 31. Juli 2020: Bewilligungsbescheid vom 14. Februar 2020; zum Bewilligungszeitraum vom 1. August 2020 bis 31. Januar 2021: Bewilligungsbescheide vom 14. Juni 2020).

Am 17. Juni 2020 beantragten die Antragsteller eine Zusicherung nach § 22 Abs 4 SGB II für den von ihnen geplanten Umzug in ein Einfamilienhaus mit sechs Zimmern im Q. Weg R. (Wohnfläche: 150 qm; Grundstücksfläche: 400 qm; monatliche Bruttokaltmiete: 1.300,00 Euro; zu zahlende Mietkaution: 3.300,00 Euro). Der Antragsgegner lehnte dies mit der Begründung ab, dass der Mietpreis die Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II überschreite. Diese betrage für einen achtköpfigen Haushalt 919,00 Euro pro Monat (Bescheid vom 6. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2020).

Während des laufenden Widerspruchsverfahrens beantragten die Antragsteller zusätzlich zur Übernahme der Miete und der Mietkaution auch die Übernahme der Abstandszahlung für die Küche iHv von 800,00 Euro, der Kosten für die Anschaffung von Einrichtungsgegenständen für Kinder- und Schlafzimmer iHv 2.500,00 Euro sowie von Handtüchern, Kleidung und Schuhen iHv 1.000,00 Euro. Über diese weiteren Leistungsanträge hat der Antragsgegner bislang nicht entschieden, sondern die Antragsteller schriftlich um weitere diesbezügliche Angaben gebeten (Aufforderungen zur Mitwirkung vom 3. September 2020). Hierauf haben die Antragsteller - soweit ersichtlich - bislang nicht reagiert.

Am 20. August 2020 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Hannover um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und über die bisherigen Anträge hinaus auch die Übernahme der in ihrer bisherigen Wohnung aufgelaufenen Stromschulden iHv 936,69 Euro begehrt.

Mit Beschluss vom 1. September 2020 hat das SG den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass eine Zusicherung iSd § 22 Abs 4 SGB II im Eilverfahren nur im Ausnahmefall zugesprochen werden könne, da dies die Hauptsache vorwegnehme. Vorliegend handele es sich nicht um einen solchen Ausnahmefall, da weder die Angemessenheit der neuen Wohnung noch die Erforderlichkeit des Umzugs feststehe. An dem vom Antragsgegner für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft (KdU) erstellten Konzept beständen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Bruttokaltmiete der neuen Wohnung liege deutlich oberhalb der vom Antragsgegner festgesetzten Mietobergrenze von 919,00 Euro. Die bisherige Wohnung sei erst Ende 2018 und damit unmittelbar vor der Geburt des Antragstellers zu 7. bezogen worden. Sie habe mit 120 qm Wohnfläche nur geringfügig unterhalb der für eine achtköpfige Bedarfsgemeinschaft angemessenen Wohnfläche von 125 qm gelegen. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, keine günstigere Wohnung finden zu können. Die Übernahme der Abstandszahlung für die Küche, der Kosten für die Einrichtung von vier Kinderzimmern und eines Schlafzimmers sowie der Mietkaution komme angesichts des fehlenden Anspruchs auf eine Zusicherung erst recht nicht in Betracht. Hinsichtlich der Stromschulden fehle es an einem Anordnungsgrund. Die Antragsteller hätten weder erläutert, wie es zu den Stromschulden gekommen sei, noch hätten sie dargelegt, alle naheliegenden und zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft zu haben. So sei zwar mit dem Energieversorger eine Ratenzahlung von monatlich 101,00 Euro vereinbart worden. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb die Ratenzahlung unterblieben sei, obwohl den Antragstellern Freibeträge aus dem Erwerbseinkommen zur Verfügung gestanden hätten. Es sei auch nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Antragsteller sich um eine Anpassung der Raten an ihre aktuellen finanziellen Verhältnisse oder um einen Wechsel des Energieanbieters bemüht hätten.

Gegen diesen den Antragstellern am 1. September 2020 zugestellten Beschluss richtet sich ihre am 10. September 2020 eingelegte Beschwerde. Sie tragen vor, zum 1. September 2020 in die neue Wohnung umgezogen zu sein. Zwar treffe es zu, dass der Mietvertrag bis zum 31. März 2021 befristet sei und laut Vertrag auch nicht verlängert werden könne. Der Vermieter bestätige jedoch ausdrücklich, sehr daran interessiert zu sein, einen unbefristeten Mietvertrag abzuschließen. Er plane, ein Haus anzubauen. Wenn alles gut laufe, die Miete pünktlich gezahlt werde und es sonst keine weiteren Probleme gebe, werde dieses neue Haus nach Fertigstellung den Antragstellern zur Miete angeboten (vgl im Einzelnen: Schreiben des Vermieters vom 18. September 2020, Bl 100 GA). Hinsichtlich der noch fehlenden Einrichtungsgegenstände sowie des Bedarfs an weiterer Kinderkleidung beziehen sich die Antragsteller auf zur Gerichtsakte gereichte Lichtbilder (Bl 103, 104 GA).

Der Antragsgegner hält weitere Leistungsansprüche der Antragsteller für nicht gegeben. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Sondervorschrift nach § 67 SGB II, der keine Modifikation des Zusicherungserfordernisses nach § 22 Abs 4 und 6 SGB II enthalte.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist hinsichtlich der von den Antragstellern begehrten vorläufigen Übernahme der Bruttokaltmiete für die Zeit vom 1. September 2020 bis 31. Januar 2021 begründet, im Übrigen dagegen unbegründet.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist, insbesondere auch ein Eilbedürfnis vorliegt (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

1. Hinsichtlich der Stromschulden iHv 936,69 Euro fehlt es am sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund.

Dieser Zahlungsrückstand ist in der bis Ende August 2020 bewohnten bisherigen Wohnung in der S. Straße T. angefallen. Eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs 8 SB II kommt dagegen nur zur Sicherung der aktuell genutzten Unterkunft in Betracht (BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 - B 14 AS 40/14 R -, SozR 4-4200 § 22 Nr 83, Rn 23 mwN). Für die derzeit bewohnte Wohnung bestehen weder Stromschulden noch ist dort eine Stromsperre angedroht worden. Ein Eilbedürfnis für die Übernahme von Altschulden einer nicht mehr bewohnten Wohnung ist ebenfalls nicht ersichtlich.

2. Soweit die Antragsteller vorläufige Zuschussleistungen für Einrichtungsgegenstände für die Küche, vier Kinderzimmer sowie ein Schlafzimmer begehren, besteht kein Anordnungsanspruch.

§ 24 Abs 3 Nr 1 SGB II sieht entsprechende Zuschussleistungen nur für die Erstausstattung vor, nicht dagegen für Ersatzbeschaffungen.

Auch nach Hinweis des Senats (Verfügung vom 15. September 2020) haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, bislang über keine Kücheneinrichtung verfügt zu haben. Vielmehr haben sie eingeräumt, dass die Küche ihrer bisherigen Wohnung vollständig eingerichtet war (vgl Schriftsatz vom 21. September 2020). Ein grundsicherungsrechtlicher Bedarf an Leistungen für die Erstausstattung einer Küche besteht somit nicht. Zu den Einrichtungsgegenständen für Schlaf- und Kinderzimmer haben die Antragsteller auch auf den Hinweis des Senats lediglich vorgetragen, dass Matratzen "alt und durchgelegen" gewesen seien. Dies spricht zwar für eine möglicherweise erforderliche Ersatzbeschaffung, belegt jedoch nicht, dass Matratzen oder andere Schlaf- und Kinderzimmermöbel in der früheren Wohnung nicht vorhanden waren. Die zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder aus der neuen Wohnung (Bl 103 - 105) vermitteln zwar einen Eindruck von der Inneneinrichtung der derzeitigen Wohnung, ersetzen aber ebenfalls nicht den Vortrag und die Glaubhaftmachung des anspruchsbegründenden Umstands, dass entsprechende Möbel bislang nicht vorhanden waren.

Etwaige Ansprüche auf Gewährung eines Darlehens zur Anschaffung von Möbeln nach § 24 Abs 1 SGB II sind im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, da die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren ausdrücklich auf Zuschussleistungen nach § 24 Abs 3 Nr 1 und 2 SGB II beschränkt haben (vgl Schriftsatz der Antragsteller vom 21. September 2020 als Antwort auf den Hinweis des Senats vom 15. September 2020).

3. Hinsichtlich der begehrten 1.000,00 Euro als Leistung nach § 24 Abs 3 Nr 2 SGB II (Erstausstattung für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt) fehlt es an dem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Dieses zunächst auf "Handtücher, Kleider und Schuhe" und später auf "Winterkleidung und Winterschuhe" lautende Leistungsbegehren wurde - soweit ersichtlich - erstmals im Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 20. August 2020 geltend gemacht. Im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren war ein entsprechender Antrag nicht gestellt worden. Erstmals im Beschwerdeverfahren sind Lichtbilder von schadhaften Kinder-Pullovern, -T-Shirts und -Jogginghosen zur Gerichtsakte gereicht worden (Bl 104 Gerichtsakte).

Der Antragsgegner hat auf diesen außerhalb des Verwaltungsverfahrens gestellten Antrag zeitnah reagiert und um Mitteilung gebeten, welche Gegenstände konkret benötigt werden und weshalb eine Anschaffung aus dem Regelbedarf nicht möglich sei. Gleichzeitig hat der Antragsgegner eine diesbezügliche abschließende Prüfung zugesagt (Schreiben vom 3. September 2020). Da die Antragsteller diese Aufforderung zur Mitwirkung bislang nicht beantwortet haben, ist die bislang noch nicht erfolgte Bescheidung ihres Antrags nach § 24 Abs 3 Nr 1 SGB II allein ihnen zuzurechnen. Die Antragsteller haben trotz ihrer Mitwirkungsobliegenheiten nach § 60 SGB I im Verwaltungsverfahren nicht hinreichend mitgewirkt, so dass ihnen ein Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme sozialgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes fehlt. Es ist nicht Aufgabe der Sozialgerichte, nach unzureichender Mitwirkung im Verwaltungsverfahren im sich anschließenden sozialgerichtlichen Eilverfahren die Fortführung des Verwaltungsverfahrens zu moderieren, indem Schriftsätze der Beteiligten hin- und hergeschickt werden und - nochmals - auf die Nachholung der bereits im Verwaltungsverfahren unterlassenen Mitwirkung hingewirkt wird (vgl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 30. März 2016 - L 9 AS 98/16 B ER -, vom 16. Februar 2017 - L 9 AS 130/17 B ER -, vom 22. Juni 2017 - L 11 AS 452/17 B ER - und vom 19. Juli 2017 - L 11 AS 487/17 B ER -).

Unabhängig davon fehlt es insoweit auch an einem Anordnungsanspruch. Die Antragsteller haben bislang weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, weshalb es sich bei den möglicherweise notwendigen Ersatzbeschaffungen für Kleidung um eine Erstausstattung iSd § 24 Abs 3 Nr 3 SGB II handeln soll. Für Ersatzbeschaffungen kommen allenfalls darlehensweise zu gewährende Leistungen nach § 24 Abs 1 SGB II in Betracht. Die Antragsteller haben ihr Rechtsschutzbegehren dagegen ausdrücklich auf Zuschussleistungen beschränkt (vgl Schriftsatz der Antragsteller vom 21. September 2020).

4. Hinsichtlich der Übernahme der Mietkaution fehlt es ebenfalls an einem Anordnungsanspruch. Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass die für die Zahlung der Mietkaution erforderlichen finanziellen Mitteln ihnen tatsächlich nicht zur Verfügung stehen.

Die Antragsteller haben für ihre bisherige Wohnung eine Mietkaution iHv 2.100,00 Euro gezahlt (vgl Mietvertrag vom 26. September 2018, Bl 21ff Gerichtsakte). Dass ihnen dieser Betrag nach Auszug aus der alten Wohnung nicht oder nicht alsbald zur Verfügung stehen könnte, haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr haben sie auf Nachfrage des Senats vorgetragen, die Mietsicherheit der bisherigen Wohnung "im Wesentlichen für Heizkosten" verwenden zu wollen. Somit besteht kein Anlass zur Annahme, dass den Antragstellern die "alte" Mietsicherheit iHv 2.100,00 Euro nicht als sog bereites Mittel zur Verfügung stehen könnte.

Die nur pauschal vorgetragene und nicht weiter glaubhaft gemachte Absicht, einen Teilbetrag aus der "alten" Mietsicherheit für Heizkosten verwenden zu wollen, hindert die Antragsteller nicht daran, diesen Betrag für die Mietsicherheit der neuen Wohnung zu verwenden. Dementsprechend besteht kein Anlass, den Antragsgegner zur Übernahme der Mietkaution in Höhe des den Antragstellern aus der "alten" Mietkaution zur Verfügung stehenden Teilbetrags von 2.100,00 Euro zu verpflichten.

Die für die Zahlung der Mietkaution erforderlichen weiteren 1.200,00 Euro können die Antragsteller zumutbar aus den ihnen im Rahmen der Leistungsberechnung eingeräumten Einkommensfreibeträge bestreiten (bis einschließlich August 2020: 500,00 Euro pro Monat; ab September 2020: 330,00 Euro nach Auslaufen des Beschäftigungsverhältnisses des Antragstellers zu 3.). Dies gilt auch deshalb, weil die Mietkaution nicht sofort in voller Höhe fällig ist, sondern in drei Monatsraten gezahlt werden kann. Somit können die Antragsteller den Restbetrag aus den og Freibeträgen ansparen (vgl zum Verweis auf Einkommensfreibeträge im Rahmen des § 86b SGG: Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2015 - L 13 AS 205/15 B ER -). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Antragsteller möglicherweise auch über (Schon-)Vermögen verfügen, aus dem der Restbetrag von 1.200,00 Euro für die Mietkaution finanziert werden könnte (vgl zur Zumutbarkeit des Einsatzes von Schonvermögen im Rahmen des § 86b SGG: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27. Juli 2015, aaO, Rn 19 mwN). Eine abschließende Entscheidung ist insoweit allerdings nicht möglich, weil die Angaben der Antragsteller zu ihren finanziellen Verhältnissen unvollständig geblieben sind (vgl hierzu die unvollständig ausgefüllten PKH-Erklärungen sowie den Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Verfahren L 11 AS 509/20 B).

5. Dagegen erweist sich die Beschwerde hinsichtlich der von den Antragstellern begehrten Übernahme der vollen Bruttokaltmiete für die Monate September 2020 bis Januar 2021 als begründet.

Nach § 22 Abs 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.

Die Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II ist durch das im Zuge der Corona-Pandemie am 27. März 2020 in Kraft getretene sog Sozialschutzpaket vorübergehend ausgesetzt worden: Nach § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II ist § 22 Abs 1 SGB II für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März bis 31. Dezember 2020 beginnen, mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten (vgl zur Verlängerung der Sonderregelung bis 31. Dezember 2020: § 1 der Verordnung zur Verlängerung des Zeitraums für das vereinfachte Verfahren für den Zugang zu den Grundsicherungssystemen und für Bedarfe für Mittagsverpflegung aus Anlass der COVID-19-Pandemie [Vereinfachter-Zugang-Verlängerungsverordnung - VZVV] vom 25. Juni 2020, BGBl I S 1509, sowie Erste Verordnung zur Änderung der VZVV vom 16. September 2020, BGBl I S 2001).

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners findet § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II Anwendung, obwohl weder die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller noch ihr Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind.

§ 67 SGB II ist nicht auf diejenigen Leistungsbezieher beschränkt, die direkt von der Corona-Pandemie betroffen sind. Eine Ursächlichkeit zwischen dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit und der epidemischen Lage ist nicht erforderlich (vgl Harich in: Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht - BeckOK Sozialrecht - 57. Edition, Stand Juni 2020, § 67 SGB II Rn 5; Kellner, NJ 2020, 213; ähnlich: Köhler in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2020, K § 67 Rn 26). Der Anwendungsbereich des § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II ist auch nicht auf Erst- bzw Neuanträge begrenzt, sondern erfasst auch die in der Zeit von 1. März 2020 bis 31. Dezember 2020 beginnenden Weiterbewilligungszeiträume (vgl Voelzke, jM 2020,235, 237; Köhler, aaO, K § 76 Rn 13, 26; Harich, aaO, § 67 SGB II Rn 5; Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, Stand 2020, § 67 Rn 28; Meßling in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, Corona-Gesetzgebung - Gesundheit und Soziales, 1. Auflage 2020, § 2 Rn 32). Dies ergibt sich bereits aus § 67 Abs 3 Satz 3 SGB II, der eine Sonderreglung nach bereits erfolgtem Kostensenkungsverfahren und damit für eine Fallkonstellation enthält, die nur bei einer Weiterbewilligung von SGB II-Leistungen auftreten kann (ebenso: SG Berlin, Beschluss vom 20. Mai 2020 - S 179 AS 3426/20 ER -, Rn 27 - zitiert nach juris; Groth, aaO, Rn 28; Meßling, aaO, § 2 Rn 32; kritisch zu dieser Argumentation dagegen: Knickrehm in: Gagel, SGB II / SGB III, Stand: 78. Ergänzungslieferung Mai 2020, § 67 SGB II Rn 13, 29).

Bei § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II handelt sich um eine unwiderlegbare Fiktion (vgl etwa: Voelzke, jM 2020, 235; Groth, aaO, § 67 Rn 26; Schaumberg, ASR 2020, 128, 134; Meßling, aaO, § 2 Rn 29). Dementsprechend wird diese Vorschrift in der Kommentarliteratur sogar bei exorbitant hohen Unterkunftskosten bzw "Luxusmieten" für anwendbar gehalten (vgl Köhler in: Hauck/Noftz, aaO, K § 67 Rn 25; Meßling, aaO, § 2 Rn 29; Groth, aaO, § 67 Rn 27; ebenso: Bittner, NZS 2020, 332, 333: "ohne jede Beschränkung in der Höhe, also auch bei sehr hohen Aufwendungen für Luxusimmobilien"). Aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift (tatsächliche Unterkunftskosten als angemessene KdU iSd § 22 Abs 1 SGB II) erfolgt im Rahmen des § 67 Abs 3 SGB II auch keine Begrenzung auf den bei Unschlüssigkeit eines KdU-Konzepts nach der BSG-Rechtsprechung zugrunde zu legenden Hilfsmaßstab (Tabellenwerte nach § 12 Wohngeldgesetz - WoGG - zzgl eines Sicherheitszuschlags iHv 10 %; vgl Harich, aaO, § 67 SGB II Rn 5).

Somit steht den Antragstellern für die Zeit vom 1. September 2020 (Einzug in die neue Wohnung) bis zum 31. Januar 2021 (Ablauf des Sechsmonatszeitraums nach § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II bei Beginn des Weiterbewilligungszeitraums am 1. August 2020) ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der in ihrer neuen Wohnung anfallenden Bruttokaltmiete iHv 1.300,00 Euro zur Seite. Auch am Vorliegen eines Anordnungsgrunds bestehen keine Zweifel (vgl zum Anordnungsgrund bei einem Streit um laufende KdU: Beschluss des erkennenden Senats vom 28. Januar 2015 - L 11 AS 261/14 B -, NdsRpfl 2015, 183 sowie Breithaupt 2015, 801).

Gegen die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme der tatsächlichen Bruttokaltmiete für die Zeit vom 1. September 2020 bis 31. Januar 2021 spricht auch nicht, dass die Antragsteller erst jüngst umgezogen sind und über keine Zusicherung nach § 22 Abs 4 SGB II verfügen. Der diesbezügliche Ablehnungsbescheid (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. September 2020) ist noch nicht bestandskräftig. Der Senat kann dem Gesetzeswortlaut des § 67 Abs 3 SGB II oder den Gesetzesmaterialien auch nicht entnehmen, dass diese Sonderregelung nur für bereits seit längerem bewohnte Wohnungen gelten soll. Gesetzeszweck des § 67 Abs 3 SGB II ist, dass sich SGB II-Leistungsbezieher in der Zeit der Pandemie "nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen" (vgl Gesetzesbegründung, BT-Drs 19/18107, S 25). Kommt es jedoch - wie im vorliegenden Fall - nach einem tatsächlich erfolgten Umzug aufgrund der Deckelung der KdU-Leistungen auf die Angemessenheitsgrenze zu einer Deckungslücke zwischen den anfallenden KdU einerseits und den vom Jobcenter gewährten KdU-Leistungen andererseits, ist die aktuell bewohnte Wohnung bedroht. Diese Bedrohung soll nach § 67 Abs 3 SGB II zumindest vorübergehend, nämlich für die ersten sechs Monate eines in der Zeit vom 1. März bis 31. Dezember 2020 beginnenden Bewilligungszeitraums vermieden werden. Anhaltspunkte für die Zulässigkeit einer vom Wortlaut und von der Gesetzgebungsgeschichte des § 67 SGB II nicht gedeckten restriktiven Auslegung dieser Norm sieht weder der erkennende Senat noch - soweit ersichtlich - die einschlägige Kommentarliteratur (vgl dagegen zur restriktiven Auslegung von § 67 Abs 5 Satz 3 SGB II [Weitergewährung der SGB II-Leistungen für weitere zwölf Monate unter der Annahme unveränderter Verhältnisse], wenn es hierdurch "sehenden Auges" zu rechtswidrigen Leistungsbewilligungen kommt: Beschluss des erkennenden Senats vom 22. September 2020 - L 11 AS 415/20 B ER - mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners führt die Anwendung von § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II im vorliegenden Fall auch nicht zu einer Modifikation des § 22 Abs 4 SGB II (Erfordernis der Zusicherung bei Umzug in eine neue Wohnung). Vielmehr ergibt sich aus § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II, dass für einen Zeitraum von sechs Monaten die tatsächlichen KdU als angemessen iSd § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II anzusehen sind. Diese vorübergehend, nämlich für die ersten sechs Monate eines zwischen dem 1. März und 31. Dezember 2020 beginnenden Bewilligungszeitraums als angemessen anzusehenden KdU dürften im zeitlichen Anwendungsbereich des § 67 Abs 3 SGB II auch der Entscheidung nach § 22 Abs 4 SGB II zugrunde zu legen sein. Ansonsten würde im Rahmen des § 22 Abs 4 SGB II der Wille des Gesetzgebers konterkariert, die Deckelung der KdU auf die Angemessenheitsgrenze vorübergehend auszusetzen.

Die Rückausnahme nach § 67 Abs 3 Satz 3 SGB II ist nicht einschlägig. Für die seit Anfang September 2020 bewohnte Wohnung wurde noch kein Kostensenkungsverfahren durchgeführt, ebenso wenig wie für die bis 31. August 2020 bewohnte Wohnung.

6. Der Senat begrenzt die einstweilige Anordnung in zeitlicher Hinsicht bis zum 31. Januar 2021 (Ablauf des Sechsmonatszeitraums nach § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II). Für die Zeit ab 1. Februar 2021 ist derzeit kein Eilbedürfnis erkennbar. Auch endet das laut Mietvertrag nicht verlängerbare Mietverhältnis für die neue Wohnung bereits am 31. März 2021. Vor allem aber liegt die Bruttokaltmiete mit 1.300,00 Euro sowohl über der sich aus dem KdU-Konzept des Antragsgegners ergebenden sog Mietobergrenze von 919,00 Euro als auch oberhalb des bei Unschlüssigkeit eines KdU-Konzepts anzuwendenden Hilfsmaßstabs (Tabellenwert nach § 12 WoGG zzgl 10 % = 1.115,00 Euro für eine Wohnung der Mietenstufe III für acht Haushaltsmitglieder). Eine weitere Übernahme der vollen Bruttokaltmiete kommt somit für die Zeit ab 1. Februar 2021 angesichts der ab diesem Zeitpunkt anzuwendenden Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II nicht mehr in Betracht.

7. Die Verpflichtung zur Übernahme der Bruttokaltmiete iHv 1.300,00 Euro für die Monate September 2020 bis Januar 2021 erfolgt lediglich vorläufig, dh vorbehaltlich der Entscheidung in der Hauptsache. Der Antragsgegner gewährt derzeit lediglich vorläufige Leistungen nach § 41a SGB II, so dass die endgültige Entscheidung im Rahmen der abschließenden Feststellung nach § 41a Abs 3ff SGB II erfolgt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Teilerfolg der Antragsteller.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren wird gemäß § 73a SGG iVm § 118 Abs 2 Satz 4 ZPO abgelehnt. Zur Begründung wird auf den Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Verfahren L 11 AS 509/20 B verwiesen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).